L 8 AL 389/06

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Frankfurt (Oder) (BRB)
Aktenzeichen
S 13 AL 493/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 8 AL 389/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. Juli 2006 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob die Beklagte die Bewilligung von Unterhaltsgeld rückwirkend teilweise aufheben und überzahlte Leistungen zurückfordern durfte. Der Kläger ist 1976 geboren worden. Ab 18. August 2003 nahm er, nach vorangegangenem Bezug von Arbeitslosenhilfe, an einer Maßnahme der beruflichen Weiterbildung teil. Für die Teilnahme daran wurde ihm unter anderem Unterhaltsgeld nach einem Bemessungsentgelt von anfangs 370,- EUR in der Leistungsgruppe A/erhöhter Leistungssatz gewährt. Dem lag ein ungerundetes Arbeitsentgelt von 371,04 EUR zugrunde; der Stichtag für die Anpassung war der 30. Juni eines Jahres. Am 28. September 2004 ließ der Kläger, der zuvor geheiratet hatte, mit Wirkung ab 29. August 2004 die auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Steuerklasse von "eins" auf "fünf" ändern. Dies wurde erstmals mit einer am 3. Januar 2005 bei der Beklagten eingegangenen Veränderungsmitteilung vom 28. Dezember 2004 aktenkundig, der eine Kopie der Lohnsteuerkarte beigefügt war. Auf Anforderung der Beklagten vom 11. Februar 2005 reichte der Kläger eine Einkommenserklärung für seine Ehefrau ein, zusammen mit einem Anschreiben vom 16. Februar 2005. Darin führte er aus, dass er zwei Wochen nach seiner Hochzeit an der Rezeption des Arbeitsamtes Eisenhüttenstadt gewesen sei. Entsprechend dem, was ihm dort gesagt worden sei, habe er die Kopie der Lohnsteuerkarte nach der Änderung zusammen mit dem roten "Änderungsbescheid" eingereicht. Weil das Arbeitsamt keine Sprechzeit gehabt habe, habe er die Unterlagen in den Briefkasten geworfen. Da er im Dezember noch immer keine Antwort erhalten habe, sei er nochmals zum Arbeitsamt gegangen und habe die Unterlagen nach Aufforderung erneut abgegeben. An der eingetretenen Verzögerung treffe ihn keine Schuld. Durch Bescheid vom 26. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2005 hob die Beklagte, nachdem sie dem Kläger mit Schreiben vom 18. April 2005 Gelegenheit gegeben hatte, sich zu äußern, die Bewilligung von Unterhaltsgeld für die Zeit vom 29. August 2004 bis zum 31. Januar 2005 teilweise auf und forderte von ihm einen Erstattungsbetrag von 821,65 EUR ein. Der Kläger habe mit Wirkung ab 29. August 2004 die Lohnsteuerklasse ändern lassen, wodurch sich ein niedrigerer Leistungsanspruch ergebe. Er sei seiner Pflicht zur Mitteilung für ihn nachteiliger Änderungen der Lebensverhältnisse grob fahrlässig nicht nachgekommen. Es habe nicht festgestellt werden können, dass er vor dem 28. Dezember 2004 eine Veränderungsmitteilung abgegeben habe. Außerdem habe der Kläger leicht erkennen können, dass der Leistungsanspruch teilweise weggefallen sei. Der überzahlte Betrag sei zu erstatten. Mit seiner Klage hat der Kläger, wie bereits im Widerspruchsverfahren, vorgetragen, dass er alle Angaben rechtzeitig und vollständig gemacht habe. In der Woche nach seiner Hochzeit habe er am Info-Schalter der Arbeitsagentur Eisenhüttenstadt mitgeteilt, dass er geheiratet habe. Man habe ihm das Formular "Veränderungsmitteilung" ausgehändigt und ihm gesagt, dass man noch nicht wissen könne, ob und was sich ändere. Am "6. 9. 05" habe er die Kopie der geänderten Lohnsteuerkarte in den Briefkasten des Arbeitsamtes eingeworfen. Beim Einwohnermeldeamt habe man ihm gesagt, dass sich einkommensteuerrechtlich voraussichtlich nichts ändern werde. Ihm sei schon klar gewesen, dass der Steuerklassenwechsel dazu führe, dass das Unterhaltsgeld nach einer anderen Leistungsgruppe gezahlt werde. Durch Urteil vom 27. Juli 2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Beklagte habe die Leistungsbewilligung des Unterhaltsgeldes zu Recht teilweise aufgehoben. Durch den Wechsel der Lohnsteuerklasse sei eine wesentliche Änderung in den leistungserheblichen Verhältnissen eingetreten, da dem Kläger das Unterhaltsgeld nicht mehr nach der Leistungsgruppe A, sondern nach der Leistungsgruppe D zugestanden habe. Die Beklagte sei jedenfalls deshalb zur rückwirkenden Änderung der Leistungsbewilligung berechtigt gewesen, weil dem Kläger die Fehlerhaftigkeit der Bewilligung ab dem Zeitpunkt des Steuerklassenwechsels bewusst gewesen sei. Das ergebe sich aus seinen eigenen Einlassungen in der mündlichen Verhandlung. Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Über seinen bisherigen Vortrag hinaus führt er aus, dass ihm explizit durch seinen Steuerberater und sinngemäß durch "die Behörde" mitgeteilt worden sei, dass sich zukünftig keine leistungsmindernden Ansprüche ergäben. Im Vertrauen auf diese Erklärungen habe der Kläger das Geld verbraucht. Die Beklagte habe sich zudem mit ihrer Entscheidung sechs Monate Zeit gelassen, so dass ihn der dann ergangene Verwaltungsakt schwer und unerträglich treffe.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. Juli 2006 und den Bescheid der Beklagten vom 26. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 2005 aufzuheben. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagte lagen dem Gericht bei seiner Entscheidung vor. Wegen Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt dieser Aktenstücke Bezug genommen.

II.

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss über die Berufung entscheiden (§ 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist geklärt, die Sache wirft keine schwierigen Rechtsfragen auf und der Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet. Das Sozialgericht hat zutreffend entschieden, dass die vom Kläger angefochtenen Bescheide rechtmäßig sind. Rechtsgrundlagen für den angefochtenen Verwaltungsakt sind § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 und 4 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) in Verbindung mit § 330 Abs. 3 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) und § 50 Abs. 1 SGB X. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 2 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung auch mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben, soweit der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 Nr. 4 SGB X ist das auch der Fall, soweit der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonderes schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder zum Teil weggefallen ist. Nach § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB III ist die Leistungsbewilligung im Bereich der Arbeitsförderung zwingend auch mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben, wenn die in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X genannten Voraussetzungen vorliegen. Mangels von der Beklagten auszuübenden Ermessens ist unerheblich, ob der Kläger die überzahlten Leistungen bereits verbraucht hat und wofür.

Eine wesentliche Veränderung in den tatsächlichen Verhältnissen, die der Bewilligung des Unterhaltsgeldes zugrunde lagen, ist mit der Eintragung der Steuerklasse 5 in die Lohnsteuerkarte des Klägers mit Wirkung ab 29. August 2004 eingetreten. Denn die geänderte Steuerklasse führte zu einem – deutlich – geringeren Leistungsanspruch. Da der Kläger vor dem Beginn der mit Unterhaltsgeld geförderten Maßnahme der beruflichen Weiterbildung Arbeitslosenhilfe bezogen hatte, war gemäß § 158 Abs. 1 Satz 2 SGB III in der ab 1. Januar 2003 geltenden Fassung des Ersten Gesetzes für modernde Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (vom 23. Dezember 2002 , BGBl. I S. 4607) Unterhaltsgeld in Höhe des Betrages zu leisten, den der Kläger zuletzt als Arbeitslosenhilfe erhalten hatte. Nach § 158 Abs. 1 Satz 3 SGB III verändert sich das Unterhaltsgeld jedoch ab dem Tag, ab dem sich die Höhe der Arbeitslosenhilfe in der Zeit der Teilnahme an der Maßnahme verändert hätte. Als Folge des § 158 Abs. 1 Satz 3 SGB III hatte der Kläger ab dem 30. Juni 2003 bereits Unterhaltsgeld lediglich noch in Höhe von 140,91EUR wöchentlich erhalten, weil das Bemessungsentgelt der Arbeitslosenhilfe, das sich vor der Rundung ergibt, gemäß § 200 Abs. 3 Satz 1 SGB III in der ab 1. Januar 2003 geltenden Fassung des Ersten Gesetzes für modernde Dienstleistungen am Arbeitsmarkt jeweils nach Ablauf eines Jahres seit dem Entstehen des Anspruchs auf Arbeitslosenhilfe um 3 Prozent abzusenken war. Im hier streitigen Zeitraum hat sich kraft Gesetzes eine weitere Veränderung der Arbeitslosenhilfe dadurch ergeben, dass in der Lohnsteuerkarte des Klägers mit Wirkung ab dem 29. August 2004 die Steuerklasse Fünf statt Eins eingetragen worden war. Da es sich um die erste Wahl einer Steuerklasse nach der Heirat handelte, lag kein Steuerklassenwechsel im Sinne des § 137 Abs. 4 SGB III in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung vor (BSG, Urteil vom 6. April 2006 – B 7a AL 82/05 R -). Vielmehr war die Änderung, wovon das Sozialgericht zutreffend ausgegangen ist, gemäß (§ 198 Satz 2 Nr. 4 in Verbindung mit) § 137 Abs. 3 Satz 2 SGB III zu berücksichtigen und führte dazu, dass dem Kläger Arbeitslosenhilfe nur noch nach der Leistungsgruppe D/erhöhter Leistungssatz entsprechend einem wöchentlichen Leistungssatz von 103,18 EUR zugestanden hätte. Der Anspruch auf Unterhaltsgeld verringerte sich dem entsprechend ab 29. August 2004 ebenfalls auf diesen Betrag. Es kann dahingestellt bleiben, ob die weiteren Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bewilligung von Unterhaltsgeld nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X vorlagen. Denn selbst wenn zu Gunsten des Klägers angenommen würde, dass er die Beklagte über die geänderte Lohnsteuerklasse unmittelbar nach der Eintragung in die Lohnsteuerkarte unterrichtet hätte und das entsprechende Poststück im Bereich der Beklagten verloren gegangen wäre, war die Beklagte zur rückwirkenden Aufhebung der Leistungsbewilligung des Unterhaltsgeldes und zur Rückforderung der überzahlten Leistung berechtigt (nur am Rand wird deshalb darauf hingewiesen, dass der Kläger die Kopie der geänderten Steuerkarte kaum, wie er erstinstanzlich mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 16. Mai 2006 vorgetragen hat, am 6. September in den Briefkasten der Arbeitsagentur eingeworfen haben konnte – wobei unterstellt wird, dass von vornherein nicht das Jahr "05" sondern "04" gemeint war; denn die Änderung ist überhaupt erst am 28. September 2004 eingetragen worden). Die Ermächtigung der Beklagten zur teilweisen Aufhebung der Leistungsbewilligung rückwirkend zum 29. August 2004 ergibt sich in jedem Fall aus § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X. Der Kläger muss sich (zumindest) vorhalten lassen, wegen einer besonders schweren Verletzung der erforderlichen Sorgfalt nicht gewusst zu haben, dass der sich aus der Leistungsbewilligung ergebende Anspruch teilweise weggefallen war. Eine derartige "grob fahrlässige" Unkenntnis liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (s. die Legaldefinition in § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Halbsatz 2 SGB X). Er muss schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und daher nicht beachtet haben, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss (stellvertretend BSG SozR 3-1300 § 45 Nr. 45; SozR 4100 § 152 Nr. 3 und § 71 Nr. 2; SozR 1300 § 48 Nr. 39); dabei ist das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie der besonderen Umstände des Falles zu beurteilen (subjektiver Fahrlässigkeitsbegriff: BSGE 35, 108, 112; BSG SozR 5870 § 13 Nr 20). Der Kläger selbst hat vorgetragen, dass ihm klar gewesen sei, dass sich infolge des Wechsels der Lohnsteuerklasse etwas ändern werde. Die Bedeutung des Wechsels musste ihm – abgesehen von seiner eigenen Erkenntnis – auch daran klar werden, dass er auch bei dem von ihm geschilderten zweiten Besuch im Arbeitsamt im Dezember 2004 nochmals aufgefordert worden war, eine Kopie der geänderten Lohnsteuerkarte einzureichen. Dass er nach seinen Angaben von einem Steuerberater und vom "Einwohnermeldeamt" die Mitteilung erhalten hat, dass sich leistungsrechtlich nichts oder "voraussichtlich nichts" ändern werde, mindert den ihm zu machenden Vorwurf einer groben Sorgfaltspflichtverletzung nicht. Bereits die von ihm mitgeteilte Antwort des Einwohnermeldeamtes, es werde sich "voraussichtlich" leistungsrechtlich nichts ändern, musste ihm verdeutlichen, dass er keine verbindliche Antwort erhalten hatte. Abgesehen davon aber musste ihm klar sein, dass nur eine in Leistungsangelegenheiten der Arbeitsförderung sachkundige Stelle – vorrangig also die Beklagte selbst – Auskünfte erteilen kann, die für sich beanspruchen können, richtig zu sein. Letztlich ist dem Vortrag des Klägers auch eher die Einwendung zu entnehmen, doch sehr zügig nach seiner Heirat alles getan zu haben, damit die Beklagte das Unterhaltsgeld anhand der geänderten Eintragung in der Lohnsteuerkarte neu berechnen kann. Mit dieser Einwendung kann er aber nicht den gegen ihn zu erhebenden Vorwurf entkräften, zumindest grob fahrlässig nicht erkannt zu haben, dass der auf Grundlage der "alten" Lohnsteuerklasse berechnete Leistungsanspruch nach der Änderung der Steuerklasse niedriger sein wird. Das Gesetz billigt einer Behörde vielmehr eine Zeit von einem Jahr nach Kenntnis der Tatsachen zu, welche die Aufhebung des Verwaltungsaktes für die Vergangenheit rechtfertigen (§ 48 Abs. 4 Satz 1 i. V. mit § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X). Als Folge der rechtmäßigen teilweisen Aufhebung der Leistungsbewilligung war die Beklagte auch berechtigt, vom Kläger die Erstattung der überzahlten Leistungen zu fordern (§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG. Gründe, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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