L 24 KR 187/09 B PKH

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
24
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 84 KR 1990/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 24 KR 187/09 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 08. Mai 2009 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten wegen einer kieferorthopädischen Behandlung einerseits Kostenerstattung in Höhe von 552,32 Euro nebst Zinsen und Freistellung von Verbindlichkeiten im Umfang von 3.590,36 Euro bzw. andererseits als Sachleistung die Fortführung dieser kieferorthopädischen Behandlung.

Der im Januar 1964 geborene Kläger, der bei der ehemaligen KKH Kaufmännischen Krankenkasse und nunmehr bei der Beklagten als deren Rechtsnachfolgerin versichert war bzw. ist, beantragte am 19. Februar 2008 die Kostenübernahme für eine kieferorthopädische Behandlung. Er fügte den kieferorthopädischen Behandlungsplan der Kieferorthopädinnen Dr. A und S vom 03. September 2007 über Kosten von voraussichtlich 4.142,68 Euro bei.

Eine erste Beratung wegen einer kieferorthopädischen Behandlung erfolgte am 08. August 2007. Mit der kieferorthopädischen Behandlung wurde am 12. November 2007 begonnen. Sie ist noch nicht beendet. Der Kläger zahlte bisher nach seinem Vorbringen bis zum 31. März 2008 552,32 Euro.

Mit Bescheid vom 20. Februar 2008 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme einer kieferorthopädischen Behandlung ab. Krankenkassen dürften bei über 18jährigen Versicherten die Kosten für eine kieferorthopädische Behandlung nur dann übernehmen, wenn eine schwere Kieferanomalie vorliege, die ein Ausmaß habe, dass eine kieferorthopädische und kieferchirurgische Behandlung erforderlich sei. Nach dem vorliegenden Behandlungsplan könne die Zahnfehlstellung mit einer kieferorthopädischen Behandlung ausreichend behandelt werden.

Auf den dagegen eingelegten Widerspruch, mit dem der Kläger geltend machte, bei der Zahnextrahierung handele es sich um eine kieferchirurgische Maßnahme, holte die Beklagte den Befundbericht der Kieferorthopädin S vom 06. Mai 2008 ein und lehnte mit weiterem Bescheid vom 19. Mai 2008 den Antrag nochmals ab. Nach dem eingeholten Befundbericht liege zwar eine KIG D4-Einstufung vor, so dass die Möglichkeit einer kombinierten kieferchirurgischen und kieferorthopädischen Behandlung als Kassenleistung erfolgen könne. Zwingend sei jedoch auch ein entsprechendes kombiniertes Behandlungskonzept. Eine Unterkiefervorverlagerung im Rahmen eines kieferchirurgischen Eingriffes sei vom Kläger jedoch abgelehnt worden. Eine Zahnextraktion stelle keinen kieferchirurgischen Eingriff dar.

Mit dem dagegen eingelegten Widerspruch trug der Kläger vor, es sei nicht richtig, dass er die kieferorthopädische Behandlung als Kassenleistung abgelehnt habe, obwohl die Kieferorthopädin den Rahmen und Umfang einer möglichen Kassenleistung aufgezeigt habe. Es seien zwar verschiedene Behandlungsmöglichkeiten besprochen worden. Dies sei jedoch nicht unter dem Aspekt der Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenkasse, sondern allein der Art und Weise, Dauer und Schmerzhaftigkeit des Eingriffes erfolgt. Da ihm mitgeteilt worden sei, alle möglichen Behandlungen seien von ihm privat zu zahlen, habe er die am wenigsten schmerzhafteste Behandlung gewählt. Er beziehe Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes.

Mit Widerspruchsbescheid vom 04. August 2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück: Die geplante kieferorthopädische Behandlung sei zwar medizinisch sinnvoll. Die Kosten einer kieferorthopädischen Behandlung, die keine kieferchirurgische Maßnahme erfordere, habe der Versicherte, der das 18. Lebensjahr vollendet habe, jedoch selbst zu tragen.

Dagegen hat der Kläger am 04. September 2008 beim Sozialgericht Berlin Klage erhoben und zugleich unter Beifügung der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nebst Belegen Bewilligung von Prozesskostenhilfe beantragt.

Er meint, die Beklagte stelle zu Unrecht lediglich darauf ab, dass keine kieferchirurgische Maßnahme vorgenommen worden sei. Es werde nicht berücksichtigt, dass er, dessen Muttersprache nicht deutsch sei, keine Kenntnis von der Möglichkeit einer kieferorthopädischen Behandlung als Kassenleistung gehabt habe, da ihm dies von der Kieferorthopädin S nicht aufgezeigt worden sei. Hätte er gewusst, dass die Kosten durch die gesetzliche Krankenkasse übernommen würden, hätte er, egal wie schmerzhaft der Eingriff gewesen wäre, sich für diese Variante entschieden. Eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung sei erforderlich gewesen.

Mit Beschluss vom 08. Mai 2009 hat das Sozialgericht den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt: Der kieferorthopädische Behandlungsplan vom 03. September 2007 sehe keine kieferchirurgischen Maßnahmen vor. Der Anspruch auf Übernahme der Kosten im Ausnahmefall setze jedoch ein aufeinander abgestimmtes kieferchirurgisches und kieferorthopädisches Behandlungskonzept voraus. Die Übernahme von Kosten einer alleinigen kieferorthopädischen Behandlung des Klägers sei, auch wenn die Voraussetzungen der Ausnahmevorschrift vorliegen sollten, unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt.

Gegen den seiner Prozessbevollmächtigten am 13. Mai 2009 zugestellten Beschluss richtet sich die am 15. Juni 2009, einem Montag, eingelegte Beschwerde des Klägers.

Er ist der Ansicht, wegen der Notwendigkeit kieferchirurgischer und kieferorthopädischer Behandlungsmaßnahmen dürfe nicht auf die tatsächlich durchgeführten Behandlungsmaßnahmen abgestellt werden. Zudem handele es sich bei den durchgeführten Extraktionen des wurzelbehandelten Zahnes 25 sowie weiterer Zähne um kieferchirurgische Eingriffe, da eine Behandlung des Knochens erfolgt sei.

Die Beklagte weist darauf hin, dass zur Behandlung der Fehlstellung eine kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlung nicht erforderlich sei, denn das Behandlungsziel könne offensichtlich nach dem kieferorthopädischen Behandlungsplan ohne kieferchirurgischen Eingriff erreicht werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des sonstigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, verwiesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.

Nach § 73 a Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Die Kosten der Prozessführung können zwar nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufgebracht werden. Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet jedoch keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

Der Kläger hat weder Anspruch auf Kostenerstattung in Höhe von 552,32 Euro nebst Zinsen und Freistellung von weiteren Verbindlichkeiten in Höhe von 3.590,36 Euro noch auf Gewährung einer Sachleistung durch Fortführung der begonnenen kieferorthopädischen Behandlung.

Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) erhalten die Versicherten die Leistungen der Krankenversicherung als Sach- und Dienstleistungen, soweit dieses oder das Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) nichts Abweichendes vorsehen. Die Krankenkasse darf anstelle der Sach- oder Dienstleistung (§ 2 Abs. 2 SGB V) Kosten nur erstatten, soweit es dieses Buch oder das SGB IX vorsieht (§ 13 Abs. 1 SGB V).

Die hier allein in Betracht kommende Vorschrift des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V bestimmt: Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.

Da es für die Erstattung von Kosten ausreichend ist, dass diese entstanden sind, ist nicht erforderlich, dass der Versicherte bereits Zahlungen erbracht hat. Es genügt vielmehr, dass er einer Forderung des Leistungserbringers ausgesetzt ist. Insoweit erfasst der Anspruch auf Kostenerstattung nach § 13 Abs. 3 SGB V auch einen entsprechenden Freistellungsanspruch, der auf Befreiung von einer Verbindlichkeit aus einem Vertrag gerichtet ist (vgl. Bundessozialgericht - BSG - , Urteil vom 23. Juli 1998 - B 1 KR 3/97 R; abgedruckt in SozR 3-2500 § 13 Nr. 17; BSGE 73, 271, 276; 79, 190, 191; 86, 54, 55).

Der Kostenerstattungsanspruch geht hierbei aber nicht weiter als der entsprechende Sachleistungsanspruch. Er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Leistung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG, Urteile vom 19. Oktober 2004 - B 1 KR 27/02 R und vom 18. Mai 2004 - B 1 KR 21/02 R; BSGE 79, 125, 126 = SozR 3-2500 § 13 Nr. 11 m.w.N.).

Nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Leistungen zur Behandlung einer Krankheit (§§ 27 bis 52 SGB V). Anspruch auf Krankenbehandlung besteht nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Sie umfasst u. a. die zahnärztliche Behandlung (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB V). Die zahnärztliche Behandlung umfasst die Tätigkeit des Zahnarztes, die zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten nach den Regeln der zahnärztlichen Kunst ausreichend und zweckmäßig ist; sie umfasst auch konservierend-chirurgische Leistungen und Röntgenleistungen, die im Zusammenhang mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen erbracht werden. Nicht zur zahnärztlichen Behandlung gehört die kieferorthopädische Behandlung (nach § 29 Abs. 1 SGB V) von Versicherten, die zu Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr vollendet haben. Dies gilt nicht für Versicherte mit schweren Kieferanomalien, die ein Ausmaß haben, das kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erfordert (§ 28 Abs. 2 Sätze 1, 6 und 7 SGB V).

§ 29 Abs. 1 SGB V knüpft an § 28 Abs. 2 SGB V an und konkretisiert diese Regelungen insbesondere hinsichtlich der grundsätzlichen Voraussetzungen einer kieferorthopädischen Behandlung. Nach dieser Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf kieferorthopädische Versorgung in medizinisch begründeten Indikationsgruppen, bei denen eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung vorliegt, die das Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen erheblich beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht. Es muss mithin insoweit überhaupt eine nicht nur unwesentliche Beeinträchtigung vorliegen, damit der Begriff der Krankheit erfüllt ist (Höfler in Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 60. Ergänzungslieferung 2009, § 29 SGB V Rdnrn. 3 und 5). Der Gemeinsame Bundesausschuss bestimmt in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V befundbezogen die objektiv überprüfbaren Indikationsgruppen, bei denen die in § 29 Abs. 1 SGB V genannten Voraussetzungen vorliegen (§ 29 Abs. 4 Satz 1 SGB V).

In den Richtlinien des Bundesausschusses der Zahnärzte und Krankenkassen (nunmehr Gemeinsamer Bundesausschuss) für die kieferorthopädische Behandlung in der Fassung vom 04. Juni 2003 und vom 24. September 2003, in Kraft getreten am 01. Januar 2004 (Bundesanzeiger Nr. 226 S. 24966 vom 03. Dezember 2003) – Kfo-Richtlinien - ist dazu u. a. folgendes geregelt: Zur vertragszahnärztlichen Versorgung gehört die kieferorthopädische Behandlung, wenn durch sie eine Kiefer- oder Zahnfehlstellung die Funktion des Beißens, des Kauens, der Artikulation der Sprache oder eine andere Funktion, wie z. B. Nasenatmung, der Mundschluss oder die Gelenkfunktion, erheblich beeinträchtigt ist bzw. beeinträchtigt zu werden droht und wenn nach Abwägung aller zahnärztlich-therapeutischen Möglichkeiten durch kieferorthopädische Behandlung die Beeinträchtigung mit Aussicht auf Erfolg behoben werden kann (B. Ziffer 1). Zur vertragszahnärztlichen Versorgung gemäß § 29 Abs. 1 SGB V i. V. m. Abs. 4 gehört die gesamte kieferorthopädische Behandlung, wenn bei ihrem Beginn ein Behandlungsbedarf anhand der befundbezogenen kieferorthopädischen Indikationsgruppen (KIG) - Anlage 1 zu den Richtlinien - festgestellt wird. Eine Einstufung mindestens in den Behandlungsbedarfgrad 3 der Indikationsgruppen ist dafür erforderlich. Die Kriterien zur Anwendung der kieferorthopädischen Indikationsgruppen (Anlage 2 zu diesen Richtlinien) sind für die Zuordnung zur vertragszahnärztlichen Versorgung verbindlich (B. Ziffer 2 Sätze 1 und 2). Kieferorthopädische Behandlungen bei Versicherten, die zu Beginn der Behandlung das 18. Lebensjahr vollendet haben, gehören nicht zur vertragszahnärztlichen Versorgung. Das gilt nicht für Versicherte mit schweren Kieferanomalien, die ein Ausmaß haben, das kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erfordert. Schwere Kieferanomalien in diesem Sinne liegen nach Maßgabe der Anlage 3 zu diesen Richtlinien vor bei angeborenen Missbildungen des Gesichts und der Kiefer, skelettalen Dysgnathien und verletzungsbedingten Kieferfehlstellungen, sofern eine Einstufung mindestens in die Behandlungsbedarfsgrade A5, D4, M4, O5, B4 oder K4 der Indikationsgruppen festgestellt wird. In diesen Fällen ist ein aufeinander abgestimmtes kieferchirurgisches und kieferorthopädisches Behandlungskonzept zu erstellen (B. Ziffer 4). Zu den skelettalen Dysgnathien, die auch unabhängig von angeborenen Missbildungen auftreten, zählen die Progenie, Mikrogenie, Laterognathie, alle Formen des skelettal offenen Bisses sowie des skelettal tiefen Bisses und ausgeprägte skelettal bedingte Diskrepanzen der Zahnbogenbreite oder Kieferbreite (Anlage 3 Ziffer 2).

Es kann in Übereinstimmung mit der Auffassung des Sozialgerichts dahinstehen, ob die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Satz 7 i. V. m. § 29 Abs. 4 SGB V und B. Ziffern 2 Sätze 1 und 2, 4 Sätze 2 bis 4 i. V. m. Anlage 3 Ziffer 2 Kfo-Richtlinien erfüllt sind.

Beim Kläger mögen zwar schwere Kieferanomalien bei skelettalen Dysgnathien vorliegen. Ob diese jedoch bereits, wie von § 28 Abs. 2 Satz 7 SGB V gefordert, ein Ausmaß haben, das kombinierte kieferchirurgische und kieferorthopädische Behandlungsmaßnahmen erfordert, mag dahinstehen. Sollte dies nicht der Fall sein, scheidet ein Anspruch auf eine kieferorthopädische Behandlung aus. Sollte dies jedoch der Fall sein, ist eine kieferorthopädischen Behandlung ohne eine ihr vorausgehende kieferchirurgische Behandlung ersichtlich ungeeignet, das Behandlungsziel zu erreichen, so dass eine solche kieferorthopädische Behandlung allein wegen § 12 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative SGB V, wonach die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein müssen, nicht beansprucht werden kann. Kieferchirurgische Maßnahmen stellen operative Eingriffe am Kiefer dar, die auf eine Veränderung des Kiefers gerichtet sind und daher weder von einem Zahnarzt noch von einem Kieferorthopäden, sondern von einem Kieferchirurgen durchzuführen sind. Ziel dieses operativen Eingriffes ist, den Kiefer so zu verändern, dass die skelettalen Anomalien beseitigt werden und darauf aufbauend sich die kieferorthopädischen Behandlungsmaßnahmen anschließen können. Die Zahnextraktion und die Wurzelbehandlung im Sinne einer Wurzelspitzenresektion stellen zwar eine chirurgische Behandlung des Zahnarztes (vgl. B. IV. Ziffern 1 und 4 Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche vertragszahnärztliche Versorgung (Behandlungsrichtlinie) vom 04. Juni 2003/24. September 2003 - Bundesanzeiger 2003, S. 24966, zuletzt geändert am 01. März 2006 - Bundesanzeiger 2006, S. 4466), nicht jedoch eine kieferchirurgische Behandlung dar. Dies zeigt: Bedarf es keines kieferchirurgischen Eingriffes, weil allein schon mit kieferorthopädischen Maßnahmen die Dysgnathien wirksam behoben werden können, besteht kein Anspruch darauf. Ist ohne eine kieferchirurgische Maßnahme eine Beseitigung der Dysgnathien nicht möglich, scheidet ein Anspruch auf kieferorthopädische Maßnahmen allein ebenfalls aus.

Nach dem Befundbericht der Kieferorthopädin S vom 06. Mai 2008 liegt beim Kläger eine skelettale Dysgnathie mit der Einstufung in den Behandlungsbedarfsgrad D4 vor. Ob dieser Befund bereits ausreicht, was B. Ziffer 4 Satz 4 Kfo-Richtlinie nahe legen könnte, um von der Erforderlichkeit einer kombinierten kieferchirurgischen und kieferorthopädischen Behandlungsmaßnahme ausgehen zu können, mag dahinstehen. Sollte dies der Fall sein und gleichwohl keine kieferchirurgische Behandlung, sondern allein eine kieferorthopädische Behandlung durchgeführt werden, dürfte dies gegen die Regeln der zahnärztlichen Kunst verstoßen und aus den o. g. Gründen damit zugleich den Anspruch auf eine kieferorthopädische Behandlung ausschließen. Im Befundbericht der Kieferorthopädin S vom 06. Mai 2008 ist zugleich darauf hingewiesen, dass keine Dysgnathie-Operation als kieferchirurgischer Eingriff durchgeführt wurde oder geplant ist.

Unabhängig davon ist auch nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V erfüllt sein könnten.

Die Beklagte hat eine Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt, wodurch dem Kläger Kosten entstanden sind. An dem erforderlichen Kausalzusammenhang hinsichtlich solcher Kosten für eine selbst beschaffte Leistung fehlt es grundsätzlich, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt, ohne zuvor mit der Krankenkasse Kontakt aufzunehmen und deren Entscheidung abzuwarten (BSG, Beschluss vom 15. April 1997 - 1 BK 31/96, abgedruckt in SozR 3-2500 § 13 Nr. 15; BSG, Urteil vom 19. Juni 2001 - B 1 KR 23/00 R, abgedruckt in SozR 3-2500 § 28 Nr. 6). Der Kläger stellte den Antrag auf Kostenübernahme erst am 19. Februar 2008, also zu einem Zeitpunkt, zu dem mit der kieferorthopädischen Behandlung bereits begonnen worden war. Dies schließt zugleich Kostenerstattung hinsichtlich solcher Kosten aus, die nach dem ablehnenden Bescheid vom 20. Februar 2008 entstanden sind, wenn sich die Behandlung, wie hier, über einen längeren Zeitraum erstreckt und einen einheitlichen Vorgang darstellt (BSG, Urteil vom 22. März 2005 - B 1 KR 3/04 R m.w.N., zitiert nach juris).

Es sind ebenfalls keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die kieferorthopädische Behandlung unaufschiebbar gewesen sein könnte. Unaufschiebbarkeit ist gegeben, wenn die Leistung ausschließlich aus medizinischen Gründen sofort, ohne die Möglichkeit eines nennenswerten zeitlichen Aufschubes erbracht werden muss (BSGE 73, 271, 287; BSG SozR 3-2500 § 13 Nr. 22). Die erste Beratung des Klägers erfolgte nach dem Befundbericht der Kieferorthopädin S vom 06. Mai 2008 am 08. August 2007. Der kieferorthopädische Behandlungsplan datiert vom 03. September 2007. Nach dem genannten Befundbericht wurde mit der Behandlung am 12. November 2007 begonnen. Es bestand mithin ausreichend Zeit, vorab bei der Beklagten die begehrte Behandlungsmaßnahme zu beantragen und deren Entscheidung abzuwarten.

Der Einwand des Klägers, er sei von den Kieferorthopädinnen Dr. A und S nicht über eine kostenlose Sachleistung seitens der Beklagten aufgeklärt worden, ist rechtlich ohne Bedeutung. Ärztliche Aufklärungsfehler begründen keinen Kostenerstattungsanspruch, sondern schließen den ärztlichen Honoraranspruch und damit auch einen Kostenerstattungsanspruch, der das Bestehen eines wirksamen ärztlichen Honoraranspruches zur Voraussetzung hat, gegen die Krankenkasse aus (BSG, Urteil vom 02. November 2007 - B 1 KR 14/07 R, m.w.N., SozR 4-2500 § 13 Nr. 15 = BSGE 99, 180).

Besteht kein Kostenerstattungsanspruch (einschließlich eines Anspruches auf Freistellung von Verbindlichkeiten) wegen der begonnenen kieferorthopädischen Behandlung, schließt dies zugleich einen Anspruch auf Fortführung dieser kieferorthopädischen Behandlung durch Übernahme als Sachleistung seitens der Beklagten aus. Es gibt keine Rechtsvorschrift, wonach die Krankenkasse verpflichtet wäre, eine sich vom Versicherten selbst beschaffte noch nicht abgeschlossene Leistung als Sachleistung fortzuführen. (Gerichtliche) Auseinandersetzungen zwischen einem Versicherten und seiner Krankenkasse über einen Leistungsanspruch sind grundsätzlich nur in zwei Konstellationen denkbar. Entweder klagt der Versicherte auf Gewährung einer noch ausstehenden Behandlung als Sachleistung oder er beschafft sich die Behandlung privat auf eigene Rechnung und verlangt von der Krankenkasse die Erstattung der Kosten (BSG, Urteil vom 09. Oktober 2001 - B 1 KR 6/01 R, abgedruckt in SozR 3-2500 § 13 Nr. 25).

Liegen somit die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht vor, muss die Beschwerde des Klägers erfolglos bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf der analogen Anwendung des § 193 Abs. 1 Satz 3 SGG (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, 9. Auflage, § 176 Rdnr. 5 a unter Hinweis auf das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz vom 06. August 2007 – L 3 B 307/06 AS) und entspricht dem Ergebnis des Beschwerdeverfahrens.

Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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