L 21 R 1794/07

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 13 R 306/05
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 21 R 1794/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt noch Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit über den von der Be-klagten bereits anerkannten Zeitraum hinaus.

Die 1951 geborene Klägerin, die keine Berufsausbildung durchlaufen hat, war zuletzt vom 15. August 1977 bis 30. Juni 2004 als Sangestellte tätig. Im August 2004 informierte die Klägerin die Beklagte über ihren Umzug nach G.

Auf ihren Antrag vom 4. November 2003 gewährte die Beklagte der Klägerin ambulante medi-zinische Leistungen zur Rehabilitation in der Zeit vom 14. Januar bis 2. Februar 2004 im The-rapiezentrum K GmbH, Abteilung Orthopädie, N. Dem Entlassungsbericht vom 16. Februar 2004 zufolge werde die Klägerin nach einer schmerztherapeutischen und gegebenenfalls anti-depressiven Behandlung in der Lage sein, ihren Beruf als Sangestellte mit überwiegend sitzen-der Tätigkeit mehr als 6 Stunden täglich auszuüben.

Am 5. März 2004 beantragte sie bei der Beklagten wegen orthopädischer Probleme und Atem-problemen beim Sitzen und Liegen Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte holte eine Auskunft des Arbeitgebers, der S N, vom 25. Mai 2004 über die Tätigkeit der Klägerin seit 15. August 1977 als Sangestellte ein und ließ die Klägerin von dem Nervenarzt Dr. med. C W be-gutachten. In seinem schriftlichen Sachverständigengutachten vom 10. Mai 2004 führte der Sachverständige aus, die Klägerin leide an einer Trichterbrust, psychogener somatoformer Schmerzfixierung und Verdacht auf Gonarthrose rechts. Die Klägerin könne sowohl ihre bishe-rige Tätigkeit als Sangestellte als auch körperlich leichte Arbeiten im Wechsel zwischen Ste-hen, Gehen und Sitzen mindestens 6 Stunden täglich verrichten. Mit Bescheid vom 3. Juni 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5. Januar 2005 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die Klägerin in der Lage sei, in dem bisherigen Beruf als Sangestellte mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein und somit weder eine Erwerbsminderung noch eine Be-rufsunfähigkeit vorliege.

Hiergegen hat die Klägerin am 19. Januar 2005 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie ihr Begehren weiterverfolgt und ergänzend vorgetragen hat, die Beklagte habe das erwerbsmindernde Ausmaß der Gesundheitsstörungen nicht ausreichend gewürdigt, sie leide unter erheblichen Gesundheitsstörungen auf neurologischem, orthopädischem und pneumolo-gischem Fachgebiet. Unter Berücksichtigung der Schwere der einzelnen Gesundheitsstörungen und der gegenseitigen negativen Beeinflussung sei sie zumindest nicht mehr in der Lage, eine Erwerbstätigkeit sechsstündig oder mehr auszuüben.

Die Klägerin hat erstinstanzlich schriftsätzlich beantragt:

1. Der Bescheid vom 03. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05. Januar 2005 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, auf den Antrag der Klägerin vom 10. November 2003 der Klägerin Versichertenrente wegen voller Erwerbsminderung in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Beklagte hat erstinstanzlich schriftsätzlich beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Sozialgericht hat Befundberichte der behandelnden Ärzte der Klägerin eingeholt und das Sachverständigengutachten des Arztes für Psychiatrie, Neurologie und Psychotherapie Dr. med. H. H vom 30. August 2006 veranlasst. Danach leide die Klägerin an anhaltender so-matoformer Schmerzstörung, depressiver Reaktion, Osteoporose und medialer Gonarthrose beidseits. Nach seiner Einschätzung könne die Klägerin, ohne auf Kosten der Gesundheit zu arbeiten, täglich noch regelmäßig körperlich leichte Arbeiten unter Vermeidung von Feuchtig-keit, Zugluft und Kälte in wechselnder Körperhaltung im Gehen, Stehen oder Sitzen verrichten. Es sollte die Möglichkeit zu gelegentlichen Haltungswechseln gegeben sein. Das verbliebene Leistungsvermögen reiche noch für die volle übliche Arbeitszeit von mindestens 8 Stunden täglich aus. Übliche Pausen reichten aus. Wegefähigkeit sei gegeben.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG hat das Sozialgericht das Sachverständigengutachten des Facharztes für Chirurgie, Sportmedizin, Dr. med. E Sch vom 26. Juli 2007 veranlasst. Nach seiner Einschätzung könne die Klägerin, ohne auf Kosten der Gesundheit zu arbeiten, täglich noch leichte körperliche Arbeiten in geschlossenen Räumen ohne Einfluss von Nässe, Kälte und Zugluft, vorwiegend in Wechselhaltung oder überwiegend im Gehen und Stehen verrich-ten. Die tägliche Arbeitszeit müsse nicht eingeschränkt werden, es reichten die üblichen Pausen aus.

Mit Gerichtsbescheid vom 15. November 2007 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewie-sen und zur Begründung ausgeführt, die Klägerin habe bereits deswegen keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung oder wegen teilweiser Erwerbsminde-rung bei Berufsunfähigkeit, da sie schon nicht berufsunfähig sei. Der Klägerin sei ihre bisheri-ge Tätigkeit als Sangestellte gesundheitlich noch vollschichtig möglich. Denn nach dem Er-gebnis der medizinischen Ermittlungen des Gerichts könne die Klägerin trotz der bestehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen körperlich leichte Arbeiten mit bestimmten qualitativen Ein-schränkungen, die einer solchen Tätigkeit nicht entgegenstehen, noch mindestens sechs Stun-den arbeitstäglich ausüben. Könne eine Berufsunfähigkeit im Sinne von § 240 SGB VI ausge-schlossen werden, liege erst Recht weder eine volle noch eine teilweise Erwerbsminderung vor. Gegen den ihr am 26. November 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 21. Dezember 2007 Berufung eingelegt und zur Begründung ausgeführt, sie habe schwerwie-gende Erkrankungen im Bereich der Orthopädie, welche sich stetig verschlimmerten. Fehlhal-tungen und Verbiegungen der Wirbelsäule mit immerwährenden schmerzhaften Bewegungs-einschränkungen, Muskelreizerscheinungen bei Haltungsschwäche, degenerative Veränderun-gen an allen Wirbelsäulenabschnitten starken Ausmaßes, geringe Beweglichkeit der Hüftge-lenke bei Verschleißerscheinungen sowie in den Kniegelenken, insbesondere am rechten Knie-gelenk beeinflussten negativ ihre Erwerbsfähigkeit in sehr eindringlicher Weise. Auch die Trichterbrustfehlstellung und die Fehlstellung der Beine und Füße sowie eine somatoforme Schmerzstörung bei depressiver Reaktion verschlimmerten und verstärkten sich gegenseitig. Ein selbständiges Leistungsvermögen sei ihr auch unter Berücksichtigung des bereits fortge-schrittenen Alters nicht mehr möglich. Die Gonarthrose sowie die somatoforme Schmerzstö-rung, Osteoporose und depressive Reaktionen kämen ebenfalls noch rentenrechtlich ver-schlimmernd hinzu. Die Zusammenwirkung aller gesundheitlichen Beeinträchtigungen sei dermaßen ausgeprägt, dass eine Erwerbsminderungsrente ab Antragstellung zu gewähren sei. Die Darstellung in den bisher gefertigten Gutachten beschreibe zwar eine vollschichtige bzw. über sechsstündige Leistungsfähigkeit, allerdings erweise es sich schon als überraschend, dass der Gutachter Dr. Sch nach Aufstellung einer Vielzahl von schwerwiegenden orthopädischen Leiden zu einem sechsstündigen Leistungsvermögen komme.

Der Senat hat einen Befundbericht der behandelnden Ärztin M S vom 08. September 2008 ein-geholt und den erstinstanzlichen Sachverständigen Dr. med. E Sch hierzu ergänzend befragt. In seiner Stellungnahme vom 23. Dezember 2008 führte der Sachverständige zusammenfassend aus, die vorgelegten Befunde bestätigten die Gesundheitsstörungen, die schon seit Jahren be-kannt seien. Eine Änderung des von ihm festgestellten Leistungsvermögens könne er daraus nicht ableiten. Es gebe auch keinen Grund, warum eine zusätzliche fachärztliche Begutachtung durchgeführt werden solle.

Die Klägerin hat ärztliche Berichte ihrer behandelnden Ärztin M S vom 2. Februar 2009 und 18. Mai 2009 sowie den Änderungsbescheid des Zentrum Bayern Familie und Soziales Region - Mittelfranken - Versorgungsamt vom 5. Juni 2009 übersandt, wonach seit dem 19. März 2009 bei der Klägerin ein Grad der Behinderung von 50 - ohne Merkzeichen - vorlie-ge. Auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG hat das Sozialgericht das Sachverständigengut-achten des Internisten und Sozialmediziner Dr. med. H G vom 05. Februar 2010 veranlasst. Nach seiner Einschätzung könne die Klägerin auch körperlich leichte Arbeiten im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen unter Berücksichtigung der Summation ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen nur noch im Zeitrahmen zwischen 3 und unter 6 Stunden täglich ausüben. Die festgestellte Einschränkung des Leistungsvermögens bestehe seit 19. März 2009.

Die Beklagte erkannte daraufhin mit Schriftsatz vom 28. Mai 2010 einen Anspruch der Kläge-rin auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf unbestimmte Zeit auf der Grundlage eines Leistungsfalles vom 19. März 2009 ab 01. April 2009 und den Anspruch auf Rente we-gen voller Erwerbsminderung auf der Grundlage eines Leistungsfalles vom 19. März 2009 be-fristet für die Zeit vom 01. Oktober 2009 bis 30. September 2012 an.

Die Klägerin hat das Anerkenntnis angenommen, im Übrigen aber begehrt sie für die Zeit ab 1. November 2003 eine Rentenzahlung auf Dauer. Hierzu trägt sie vor, es bestehe kein Einver-ständnis damit, dass die Einschränkung des Leistungsvermögens erst seit 19. März 2009 beste-hen solle. Sie habe bereits seit 2002 erhebliche gesundheitliche Probleme, aufgrund derer sie nicht mehr in der Lage gewesen sei, eine Arbeitstätigkeit auszuführen. Seit 2004 sei sie durch-gehend krank geschrieben. Der vom Gutachter Dr. med. G festgesetzte Zeitpunkt für die Leis-tungsminderung beruhe auf dem Eingang des Verschlechterungsantrags beim Zentrum Bayern Familie und Soziales - Versorgungsamt - für einen höheren Grad der Behinderung. Aus den ärztlichen Befundberichten der behandelnden Ärztin M S vom 8. September 2008 sowie 25. April 2009 gehe jedoch hervor, dass sie seit 2003 nicht mehr in der Lage gewesen sei, einer geordneten Beschäftigung nachzugehen. Eine Verweisung auf die Tätigkeit einer Kundenbera-terin komme schon deswegen nicht in Betracht, da sie demnächst 60 Jahre alt werde und als gebürtige Griechin nur über sehr eingeschränkte Deutschkenntnisse verfüge. Außerdem sei sie körperlich äußerst gebrechlich, so dass wohl keine Sparkasse ernsthaft bereit sei, sie als Kun-denberaterin einzustellen. Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 15. November 2007 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 3. Juni 2004 in der Fassung des Widerspruchsbe-scheides vom 5. Januar 2005, dieser in der Fassung des Anerkenntnisses vom 28. Mai 2010 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr, der Klägerin, auch in der Zeit vom 1. November 2003 bis 30. September 2009 und ab 1. Oktober 2012 auf Dauer eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise in der Zeit vom 1. November 2003 bis 31. März 2009 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung oder Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des Sozialgerichts in dem noch streitgegenständlichen Zeitraum für zutreffend.

Der Sachverständige Dr. med. H G hat zu nachträglich eingereichten Befundunterlagen und zu der Auffassung der Klägerin, sie habe bereits seit 2003 nicht mehr mindestens sechs Stunden arbeitstäglich einer Erwerbstätigkeit nachgehen können, am 19. September 2010 ergänzend Stellung genommen und zusammenfassend ausgeführt, letztendlich seien die nachgereichten medizinischen Unterlagen und das Vorbringen der Klägerin nicht geeignet, eine andere Leis-tungseinschätzung und insbesondere einen anderen Zeitpunkt des Leistungsfalles mit ausrei-chender Wahrscheinlichkeit zu belegen. Im Übrigen halte er auch eine weitere Begutachtung nicht für erforderlich, da in Bezug auf die bestehenden Befunde der Klägerin eine ausreichende Abklärung insbesondere auch zu den genannten Zeiträumen erfolgt sei.

Der Senat hat Auszüge aus der Internetdatenbank der Bundesagentur für Arbeit, "BERUFEnet" hinsichtlich der Tätigkeiten "Kassierer/in (Banken)" und "Kundenberater/in (Bank, Sparkas-se)" sowie die Berufsinformationkarte (BIK) BO 781 Teil II "Bürofachkräfte" beigezogen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 28. Dezember 2010, Schriftsatz der Beklagten vom 29. November 2010).

Wegen des weiteren Ergebnisses der Beweisaufnahme, wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen sowie wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, die vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung den Rechtstreit beraten und entscheiden, weil sich die Beteiligten mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Berufung ist zulässig. Nachdem die Beklagte am 28. Mai 2010 ein Teilanerkenntnis abge-geben hat und die Klägerin dieses angenommen hat, ist der Rechtstreit gem. § 101 Abs. 2 SGG

• für die Zeit vom 1. Oktober 2009 bis 30. September 2012 vollständig und • für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2009 sowie ab 1. Oktober 2012 hinsichtlich der hilfsweise beantragten Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung erledigt.

Streitgegenstand ist daher nur noch ein Anspruch der Klägerin auf Rente wegen voller Er-werbsminderung in der Zeit vom 1. November 2003 bis 30. September 2009 und ab 1. Oktober 2012 auf Dauer, hilfsweise in der Zeit vom 1. November 2003 bis 31. März 2009 auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung oder Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Be-rufsunfähigkeit. Der dahingehend nach § 106 Abs. 1 SGG sachdienlich ausgelegte Berufungs-antrag ist jedoch unbegründet.

Das Sozialgericht hat die Klage für den noch streitgegenständlichen Zeitraum zu Recht abge-wiesen. Die zulässige Klage ist insoweit nicht begründet. Der angefochtene Bescheid der Be-klagten in der Fassung des Anerkenntnisses vom 28. Mai 2010 ist rechtmäßig und verletzt da-her die Klägerin nicht in ihren Rechten, denn sie hat über das von der Beklagten abgegebene Anerkenntnis hinaus keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminde-rung (I.) oder auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (II.).

I. Nach § 43 Abs. 1 und 2 SGB VI in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20. Dezember 2000 haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, wenn sie voll oder teilweise erwerbsgemindert sind (medizinische Voraussetzung), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit gezahlt haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (versicherungsrecht-liche Voraussetzungen). Der Senat kann offen lassen, ob die versicherungsrechtlichen Voraus-setzungen bei der Klägerin in Bezug auf den von ihr begehrten Rentenbeginn erfüllt sind, denn sie ist jedenfalls im streitigen Zeitraum weder voll noch teilweise erwerbsgemindert:

Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht ab-sehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmark-tes mindestens drei Stunden erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 SGB VI). Teilweise Erwerbs-minderung setzt dagegen voraus, dass auf nicht absehbare Zeit das Leistungsvermögen krank-heits- oder behinderungsbedingt auf unter sechs Stunden täglich herabgesunken ist (§ 43 Abs. 1 SGB VI). Erwerbsgemindert ist jedoch nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allge-meinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

1. Bei der Klägerin lag nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Zeit bis zum 19. März 2009 keine Erwerbsminderung vor, da bis zu diesem Zeitpunkt eine (Leistungs)Unfähigkeit, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein zu können, nicht nachgewiesen werden kann.

Im streitigen Zeitraum vor April 2009 litt die Klägerin an folgenden Krankheiten und Gebre-chen: Fehlhaltungen und Verbiegungen der Wirbelsäule mit teilweise schmerzhaft einge-schränkter Beweglichkeit, Muskelreizerscheinungen bei Haltungsschwäche, degenerative Ver-änderungen an allen Wirbelsäulenabschnitten eher mäßigen Grades, gering eingeschränkte Beweglichkeit in den Hüftgelenken bei allenfalls initialen Verschleißerscheinungen, Ver-schleißerscheinungen an den Kniegelenken mit Bewegungsschmerz am rechten Kniegelenk und belastungsbedingten Beschwerden an beiden Kniegelenken, leichte Bandlockerung rechts betont, Trichterbrust mit Ventilationsstörungen und Asthma bronchiale, Beinfehlstellung, so-wie Fuß- und Zehenfehlform beidseits, Abnorme Verhornungen an den Handflächen und an den Fußsohlen. Des Weiteren ist bei der Klägerin eine seelische Erkrankung im Sinne einer sog. somatoformen Schmerzstörung, dh. der Entwicklung bzw. Mitverursachung körperlicher Schmerzen und Beschwerden aufgrund einer psychischen Fehlhaltung und in der Psyche be-gründeter Faktoren, festzustellen.

Zu dieser Schlussfolgerung gelangt der Senat aufgrund der schlüssigen und überzeugenden Feststellungen der erstinstanzlich gehörten Sachverständigen, nämlich des Arztes für Psychiat-rie, Neurologie und Psychotherapie Dr. med. H. H in seinem Gutachten vom 30. August 2006 und des Facharztes für Chirurgie, Sportmedizin, Dr. med. E Sch in seinem Gutachten vom 26. Juli 2007. Beide Gutachter haben die Klägerin persönlich untersucht und die zahlreichen in den Akten vorhandenen Vorbefunde berücksichtigt. Der Senat schließt sich daher ihren nachvoll-ziehbaren Feststellungen an. Sie stimmen in der Feststellung der Gesundheitseinschränkungen im Wesentlichen mit allen Vorgutachtern und dem in der Berufungsinstanz gehörten Sachver-ständigen Dr. med. H G überein.

Aufgrund der genannten Gesundheitseinschränkungen konnte die Klägerin bereits im streitigen Zeitraum vor April 2009 keine Arbeiten mit einseitiger körperlicher Belastung sowie in festge-legtem Arbeitsrhythmus wie auch unter Zeitdruck, wie zum Beispiel Akkord- oder Fließband-arbeit, kein Heben und Tragen schwerer und mittelschwerer Lasten ohne Hilfsmittel und keine andauernden Zwangshaltungen ausüben. Sie war jedoch - zumindest - bis März 2009 in der Lage, ohne Gefährdung der Gesundheit täglich noch regelmäßig körperlich leichte Arbeiten unter Vermeidung von Feuchtigkeit, Zugluft und Kälte in wechselnder Körperhaltung im Ge-hen, Stehen oder Sitzen zu verrichten. Es sollte die Möglichkeit zu gelegentlichen Haltungs-wechseln gegeben sein. Auch überwiegende Arbeiten am Computer mit kurzfristigem Hal-tungswechsel waren möglich. Die Leiden wirken sich nicht auf Hör- und Sehvermögen, Reak-tionsvermögen, Lese- und Schreibgewandtheit, Auffassungsgabe, Lern- und Merkfähigkeit, Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit, Entschluss- und Verantwortungsfähigkeit, Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit sowie Arbeiten mit Publikumsverkehr und Ausübung schwieriger geistiger Arbeiten aus. Sie war im streitigen Zeitraum in der Lage, die vorgenannten Tätigkei-ten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich auszuüben. Sie benötigte keine betrieb-sunüblichen Pausen. Sie konnte auch öffentliche Verkehrsmittel nutzen und war wegefähig. Der Senat folgt auch hinsichtlich dieser Feststellung uneingeschränkt den Ausführungen der Sachverständigen Dr. med. H. H und Dr. med. E Sch in ihren Gutachten vom 30. August 2006 und 26. Juli 2007.

Auch Dr. med. H G geht in seinem Gutachten vom 05. Februar 2010 von im Wesentlichen gleichen qualitativen Leistungseinschränkungen aus. Soweit er im Gegensatz zu den Vorgut-achtern ab 19. März 2009 nur noch ein vier- bis unter sechsstündiges Leistungsvermögen bei der Klägerin feststellte, begründete er dies im Wesentlichen mit einer schleichenden Ver-schlechterung des Gesundheitszustandes und damit auch des Leistungsvermögens, wobei er vor allem eine Verschlechterung der Befunde seitens des Brustkorbes mit verminderter Atem-leistung, eine Gewichtsabnahme, möglicherweise als Folge der Schluckstörungen, und auch eine Verschlechterung der Verschleißschäden am Skelettsystem nannte. Nachweisbar liegt auch seiner Auffassung nach eine Verschlechterung erst seit dem 19. März 2009 mit Erhöhung des GdB auf 50 vor.

Soweit die Klägerin meint, die erheblichen gesundheitlichen Beschwerden und eine entspre-chende Leistungsunfähigkeit hätten jedoch schon weit vor März 2009 vorgelegen und sie sei aufgrund der starken chronischen Rückenschmerzen, aufgrund der Osteoporose sowie der Trichterbrust, der palmaren Hyperkeratose beidseitig sowie der vorhandenen Depression be-reits im Jahr 2003 nicht mehr in der Lage gewesen, einer Beschäftigung nachzugehen, hat der gerichtliche Sachverständige Dr. med. H G sich mit dem Zeitpunkt des Eintrittes der Erwerbs-minderung in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 09. November 2010 ausführlich ausei-nandergesetzt. Ihm folgend reichen zur Feststellung eines früheren Leistungsfalles die von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Berichte nicht aus, da darin keine Funktionsbefunde enthalten sind. Auch das neu vorgelegte Attest der Allgemeinärzte Dr. KMS vom 18. Mai 2009 ist nicht hinreichend aussagekräftig, da keine entsprechenden Befunde zur Begründung angegeben wur-den. Demgegenüber liegen für die Vergangenheit begründete sozialmedizinische Leistungsein-schätzungen vor. So wurde nach Abschluss einer ambulanten Reha-Behandlung am 02. Febru-ar 2004 noch von einem über 6-stündigen Einsatzvermögen ausgegangen. Der Nervenarzt Dr. med. W hatte in seinem Gutachten vom 10. Mai 2004 keine Zweifel an einer vollschichtigen beruflichen Einsatzfähigkeit. Am 30. August 2006 ging der Nervenarzt Dr. med. H ebenfalls von einem vollschichtigen Leistungsvermögen aus, desgleichen am 26. Juli 2007 der Chirurg Dr. med. Sch. Nochmals bestätigte Dr. med. S in einer weiteren Stellungnahme am 23. Dezem-ber 2008 das von ihm angenommene Leistungsvermögen. Diese Einschätzungen sind entspre-chend begründet, so dass nicht davon auszugehen ist, dass zum damaligen Zeitpunkt das Leis-tungsvermögen bereits in zeitlicher Hinsicht relevant eingeschränkt war. Auch dieser überzeu-genden Einschätzung des von der Klägerin selbst benannten Sachverständigen zum Eintritt des Leistungsfalles folgt der Senat. Danach hat die Beklagte zutreffend ihrem Anerkenntnis einen Leistungsfall der Erwerbsminderung am 19. März 2009 zugrunde gelegt. Mit dem somit bis zum 18. März 2009 festgestellten vorhandenen Leistungsvermögen für körperlich leichte Tä-tigkeiten von mindestens 6 Stunden täglich ist die Klägerin weder voll noch teilweise erwerbs-gemindert im Sinne von § 43 SGB VI.

2. Soweit die Klägerin über den 30. September 2012 hinaus Rente wegen voller Erwerbsmin-derung begehrt, ist ihr Anspruch ebenfalls unbegründet.

Aus einem Leistungsvermögen für körperlich leichte Tätigkeiten für 4 bis unter 6 Stunden täg-lich besteht kein Anspruch auf eine unbefristete Rente wegen voller Erwerbsminderung. Nach § 43 Abs. 2 SGB VI ist mit diesem Leistungsvermögen aus medizinischen Gründen eine volle Erwerbsminderung noch nicht erreicht. Abweichend von dem Grundsatz, dass eine volle Er-werbsminderung ein Absinken der Erwerbsfähigkeit auf unter 3 Stunden täglich voraussetzt, liegt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts volle Erwerbsminderung auch dann vor, wenn der Versicherte täglich mindestens 3 bis unter 6 Stunden erwerbstätig sein kann und der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist. Beruht jedoch damit die Rente nicht ausschließlich auf dem Gesundheitszustand, sondern darauf, dass der Teilzeitarbeitsmarkt verschlossen ist, ist sie gemäß § 102 Abs. 2 S. 4 SGB VI zwingend zu befristen und zwar auch dann, wenn es un-wahrscheinlich ist, dass die Erwerbsminderung behoben werden kann (vgl. KassKomm-GürtnerSGB VI,2010 – § 43 Rn 58, 30 ff. m.w.Nw.). Da die Beklagte die Rente rechtmäßig befristete, besteht kein Anspruch auf eine Dauerrente wegen voller Erwerbsminderung über den 30. September 2012 hinaus.

3. Gleiches gilt für die Zeit vom 19. März 2009 bis 30. September 2009. Denn nach § 101 Abs. 1 SGB VI werden befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht vor Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet.

Ausgehend von dem Leistungsfall der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung am 19. März 2009 erfolgte auch der Beginn der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung ab 1. April 2009 zutreffend, da sich der Beginn dieser Dauerrente nach § 99 Abs. 1 SGB VI richtet.

II. Die Klägerin hat in dem Zeitraum vor dem 1. April 2009 auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit.

Nach § 240 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte auch Anspruch auf Rente wegen teilweiser Er-werbsminderung, wenn sie die bereits genannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt haben (siehe oben), vor dem 02. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind. Die Klägerin war jedoch vor dem 19. März 2009 nicht berufsunfähig.

Berufsunfähig sind gemäß § 240 Abs. 2 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als sechs Stunden gesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit von Versicherten zu beurteilen ist, umfasst alle Tätigkeiten, die ihren Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihnen unter Berücksichtigung der Dauer und des Um-fangs ihrer Ausbildung sowie ihres bisherigen Berufs und der besonderen Anforderungen in ihrer bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können. Berufsunfähig ist nicht, wer eine zumutbare Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Die von der Rechtsprechung aufgestellten Grund-sätze zur Ermittlung des Hauptberufes und einer zumutbaren Verweisungstätigkeit haben auch nach dem ab 01. Januar 2001 geltenden Recht weiter Gültigkeit, da § 240 Abs. 2 SGB VI n.F. dem § 43 Abs. 2 SGB VI a.F. im Wesentlichen entspricht (vgl. KassKomm-– SGB VI, 2010 – § 240 Rn 9 ff., 82 ff.).

Ausgangspunkt der Beurteilung der Berufsunfähigkeit ist der bisherige Beruf. Dies ist in der Regel die letzte, nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübte versicherungspflichtige Be-schäftigung oder Tätigkeit, jedenfalls dann, wenn diese zugleich die qualitativ höchste ist (Bundessozialgericht [BSG] SozR 2200 § 1246 Nr. 53, 94, 130). Allerdings bleibt eine höher-wertige frühere versicherungspflichtige Beschäftigung auch dann maßgeblicher Beruf, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben wurde (vgl. BSGE 2, 181, 187; BSG SozR RVO § 1246 Nr. 33, 57 u. BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 158).

Mit dem vorhandenen Leistungsvermögen war die Klägerin jedoch noch in der Lage ihre zu-letzt ausgeübte Tätigkeit als Sangestellte auszuüben. Entsprechend der eigenen Angaben der Klägerin im Fragebogen für das Sozialgericht Berlin vom 3. März 2005 und für das Landesso-zialgericht vom 13. August 2008 war ihre Tätigkeit als Angestellte der S in der Zeit vom 15. August 1977 bis 30. Juni 2004 mit Aufgaben einer Kassiererin und einer Mitarbeiterin im Schalterdienst verbunden. Mithin waren darin Tätigkeitselemente sowohl einer Kassiererin (Banken) als auch einer Kundenberaterin (Bank, Sparkasse) enthalten. Nach den beigezogenen Unterlagen aus der Internetdatenbank der Bundesagentur für Arbeit, "BERUFEnet", handelt es sich hierbei um eine körperlich leichte Tätigkeit mit der Möglichkeit zum Wechsel der Hal-tungsart in geschlossenen Räumen ohne einseitige körperliche Belastungen, Zwangshaltungen oder einen besonderer Zeitdruck, was durchaus im Rahmen des oben festgestellten Leistungs-vermögen der Klägerin lag. Da die Klägerin ihren bisherigen Beruf im streitigen Zeitraum vor dem 19. März 2009 noch ausüben konnte, kommt es somit nicht darauf an, ob sie im Rahmen von § 240 SGB VI auf die Tätigkeit einer Kundenberaterin verwiesen werden konnte.

Die Berufung war nach allem zurückzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz -SGG-. Zwar hatte die Klage für die Klägerin im Umfang des Anerkenntnisses der Beklagten teilweise Erfolg. Nach dem Prinzip der Veranlassung soll die Behörde mit außergerichtlichen Kosten des klagenden Betei-ligten jedoch dann nicht belastet werden, wenn erst im gerichtlichen Verfahren zu seinen Guns-ten eine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten ist, die mit der Klageer-hebung angefochtene Verwaltungsentscheidung nicht rechtswidrig war, das Anerkenntnis der Beklagten auf Umstände zurückzuführen ist, die erst im Klageverfahren zu berücksichtigen waren und das Anerkenntnis unverzüglich abgegeben worden ist.

Diese Voraussetzungen, die die Beklagte vor einer Inanspruchnahme mit außergerichtlichen Kosten der Gegenseite bewahren, sind vorliegend erfüllt, denn der angefochtene Bescheid der Beklagten in der Fassung des Widerspruchsbescheides erweist sich auch im Nachhinein als rechtmäßig, da der Leistungsfall der darin abgelehnten Rente erst nach Erlass des Wider-spruchsbescheides eingetreten ist und die Beklagte nach der erstmaligen Feststellung eines unter sechsstündigen Leistungsvermögens der Klägerin durch den Sachverständigen Dr. med. H G unverzüglich einen entsprechenden Rentenanspruch anerkannt hat.

IV. Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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