Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 28 KR 3101/06
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 188/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von Krankengeld über den 7. Juni 2006 hinaus bis zum 12. März 2007.
Sie war seit 8. Oktober 1976 im Öffentlichen Dienst beschäftigt. Die Tätigkeit als Verwaltungsangestellte endete durch Aufhebungsvertrag vom 25. August 2005 zum 31. März 2006. Ab dem 27. März 2006 war die Klägerin aufgrund eines depressiven Leidens erkrankt (vgl. Feststellung der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie S mit Diagnose F32.1G vom 27. März 2006). Jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Diese gewährte ihr ab dem 6. April 2006 Krankengeld.
Die Klägerin beantragte an diesem Tage eine Erwerbsminderungsrente bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) und ferner auch Leistungen der Bundesagentur für Arbeit.
Auf Veranlassung der Beklagten erfolgte am 18. Mai 2006 eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V. (MDK). Dabei lag ein Bericht der behandelnden Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie S vom 16. Mai 2006 vor (Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode mit ausgeprägter innerer Unruhe, Konzentrationsstörungen, Ein- und Durchschlafstörungen, depressive Stimmungen und zwanghaften Grübeln). Die voraussichtliche Arbeitsfähigkeit sei nicht absehbar. Im Auszahlungsschein für Krankengeld vom selben Tag bejahte sie – ohne einen letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit zu nennen – die Frage "noch behandlungsbedürftig?". Der MDK stellte bei der Diagnose depressiver Episode eine Arbeitsfähigkeit ab 8. Juni 2006 fest.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2006 beschränkte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld auf den Zeitraum bis einschließlich 7. Juni 2006.
Am 23. Mai 2006 wurde die Klägerin im Auftrag der DRV Bund von der Ärztin für Chirurgie und Sportmedizin Dr. M untersucht. Sie gelangte in ihrem Gutachten vom 31. Mai 2006 zu dem Ergebnis, die Klägerin sei aus chirurgisch-orthopädischer Sicht in ihrer letzten Tätigkeit als Verwaltungsangestellte vollschichtig einsetzbar. Sie empfehle jedoch ein neurologisch-psychiatrisches Zusatzgutachten, um dem Gesamtbild der Beschwerden Rechnung zu tragen.
Die Klägerin erhob gegen den Bescheid der Beklagten Widerspruch. Sie sei nach wie vor arbeitsunfähig geschrieben. Sie leide an chronischer Depression, rheumatischen Beschwerden und einer chronischen Magen- und Darmerkrankung. Sie könne nachts nicht mehr durchschlafen und leide oft an Migräne. Sie sei sehr gereizt, fühle sich "total schlapp" und bekomme bei jeder Aufregung einen Säureschub, der mit viel Übelkeit verbunden sei. Seit 1995 leide sie an starken Rückenschmerzen. Sie sei physisch nicht mehr belastbar. Jede kleine Aufregung führe zu einer Stresssituation und zu Weinkrämpfen. Sie sei seit dem Jahr 2000 50 % schwerbehindert.
Ihre Neurologin bescheinigte in einem weiteren Auszahlschein für Krankengeld am 6. Juni 2006, dass sie bis auf weiteres arbeitsunfähig sei. In der ärztlichen Bescheinigung vom 20. Juni 2006 führt die Fachärztin aus, nachdem sich die depressive Symptomatik zuvor etwas gebessert habe, sei im Mai 2006 ein Morbus Bechterew festgestellt worden, was zu einer Verschlechterung der Depressionen geführt habe. Im Auftrag der DRV Bund untersuchte die Ärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie Dr. W die Beklagte am 2. Oktober 2006. Sie diagnostizierte Dysthymia (ICDF 34.1) sowie Rückenschmerzen. Das seelische Leiden sei zum Untersuchungszeitraum eher mäßigen Grades. Eine regelrechte und wesentliche Somatisierungsstörung lasse sich nicht nachweisen, auch keine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Die Klägerin sei auf nervenärztlichem Fachgebiet noch in der Lage, ihrer letzten beruflichen Tätigkeit als Verwaltungsangestellte oder auch sonstigen beruflichen Tätigkeiten in Vollzeitanstellung nachzugehen (Gutachten vom 4. Oktober 2006).
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2006 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 26. Oktober 2006 beim Sozialgericht Berlin (SG) eingegangene Klage. Die Feststellungen des MDK enthielten keine nachvollziehbare Begründung. Das SG hat den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. Gmit der Erstellung eines neurologisch-psychischen Gutachtens beauftragt. Dieser hat die Klägerin am 30. März 2007 untersucht. In seinem Gutachten vom 17. April 2007 diagnostiziert der Sachverständige bei der Klägerin Morbus Bechterew, eine undifferenzierte axiale Spondylarthritis, degenerative Wirbelsäulenveränderungen, Karpaltunnelsyndrom beiderseits, eine episodisch-rezidivierende depressive Störung (derzeit leicht, allenfalls bis mäßig gradig ausgeprägt), links betonte Beinkrampfadern, Hiatushernie (Zwechfellbruch) mit Neigung zu Refluxösophagitis, multiple Lipome bei Adipositas sowie erhöhte Cholesterin- und Leberwerte. Über den 7. Juni 2006 hinaus hätten die krankheitsbedingten qualitativen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit vorgelegen, welche in den Gutachten für die DRV sowie im Gutachten nach Aktenlage für die Agentur für Arbeit Berlin-Süd niedergelegt seien. Die Klägerin habe nach dem 7. Juni 2006 als Verwaltungsangestellte bzw. als kaufmännische Angestellte oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden können.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14. März 2008 abgewiesen. Die Klägerin sei ab dem 8. Juni 2006 nicht mehr arbeitsunfähig gewesen, wie dies Voraussetzung für einen weiteren Anspruch auf Krankengeld nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (SGB V) gewesen wäre. Die entsprechende Annahme der Beklagten sei durch das Gerichtssachverständigengutachten nachvollziehbar und überzeugend bestätigt. Auch die Gutachten für die DRV Bund auf chirurgischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bestätigten die Annahme. Dass sich die Mobbingsituation, der sich die Klägerin kurz vor Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses ausgesetzt gesehen habe, am 7. Juni 2006 noch ausgewirkt habe, ergebe sich aus den medizinischen Feststellungen nicht.
Die Klägerin hat hiergegen Berufung erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die behandelnde Neurologin habe sie in der maßgeblichen Zeit für arbeitsunfähig gehalten. Sie sei als Behandlerin am ehesten zu einer zutreffenden Beurteilung in der Lage. Sie sei durchgehend arbeitsunfähig gewesen.
Im Auftrag des SG Berlin (zum AZ: S 15 R 5682/06) hat der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie-Psychosomatik M nach Untersuchung der Klägerin am 24. Februar 2010 unter dem 24. März 2010 ein nervenärztliches Fachgutachten erstattet. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass die Leistungsfähigkeit auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet auf unter drei Stunden täglich gesunken sei. Die qualitativen und quantitativen Leistungsminderungen lägen spätestens ab dem 1. September 2009 in der jetzigen Form relativ unverändert vor. Seit 1. Oktober 2010 bezieht die Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der Senat hat den Dr. med. K nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser hat die Klägerin am 26. November 2010 sowie am 6. Dezember 2010 untersucht. In seinem Gutachten vom 8. April 2011 diagnostiziert er für die fragliche Zeit vom 1. Juni 2006 bis 31. März 2007 die Symptomatik einer sogenannten Double-Depression, des gleichzeitigen Vorliegens einer Dysthymia mit einer (mittelschweren) depressiven Erkrankung. Die Klägerin sei deshalb zu einer Beschäftigung als Verwaltungsangestellte/kaufmännische Angestellte in diesem Zeitraum gesundheitlich nicht mehr in der Lage gewesen. Sie habe auch keine leichten Tätigkeiten unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen verrichten können. Die Dysthymia als langzeitige depressive Verstimmung enge den Erwartungshorizont und die Handlungsspielräume negativ ein. Die Klägerin sei dadurch auf ihr Leiden fixiert gewesen. Er weiche vom Gutachten Dr. G ab, weil er -Dr. K - die biografische Entwicklung ausführlich nachgezeichnet habe und dabei deutlich geworden sei, dass es bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Probandin sowohl auf den psychopathologischen Querschnitt zum Untersuchungszeitpunkt, jedoch auch auf die Entwicklung der Erkrankung im biografischen Längsschnitt ankomme. In diesem betrachtet sei es bei der Klägerin immer wieder zu depressiven Einbrüchen gekommen. Im Rahmen der Chronifizierung sei sowohl die Leistungsfähigkeit als auch der Leistungsumfang immer mehr reduziert worden.
Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme des MDK veranlasst. Die Gutachterin G hat in ihrer Stellungnahme vom 16. Juni 2011 keinen Anlass gesehen, zum Stichtag 7. Juni 2006 Arbeitsfähigkeit zu verneinen. Es käme insoweit nicht auf die Diagnosen -sowohl einer Dysthymia als auch einer leicht-mittelgradigen Episode einer rezidivierenden "depressiven Störung"- an, sondern auf die konkreten, Arbeitsunfähigkeit begründenden Fähigkeitsstörungen.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass aufgrund der Übernahme der Diagnose des Gutachters Dr. K durch die MDK-Gutachterin auch dessen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit übernommen werden müsse.
Sie beantragt,
unter Änderung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 14. März 2008 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2006 zu verurteilen, ihr auch für die Zeit vom 8. Juni 2006 bis 12. März 2007 Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung. Selbst die behandelnde Ärztin Si habe nur ausgeführt, die Klägerin meine vor allem selbst, arbeitsunfähig zu sein. Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen. Der Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie Kopien aus der Leistungsakte der Bundesagentur für Arbeit und der Rentenakte der Klägerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund lagen vor.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht mit zutreffender Begründung abgewiesen, auf die zur Vermeidung bloßer Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen wird.
Es kann auch zur erforderlichen vollen Überzeugung des Senats für die streitgegenständliche Zeit vom 8. Juni 2006 bis 12. März 2007 nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin arbeitsunfähig gewesen ist. Ein Anspruch auf Krankengeld i.S.v. § 44 Abs. 1 SGB V besteht im streitigen Zeitraum somit nicht. Die Aussagen des Gerichtssachverständigen Dr. Götte werden zur Überzeugung des Senats durch das Gutachten des Dr. Knicht erschüttert:
Ganz allgemein obliegt die Darlegungs- und Beweislast dafür, ob die Klägerin in der Lage gewesen ist, als Verwaltungsangestellte bzw. kaufmännische Angestellte zu arbeiten, nach den Regeln der objektiven Beweislast der Klägerin: Sie beruft sich auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung eines Krankengeldanspruches des § 44 Abs. 1 SGB V.
Hier stellte das vom SG im Rentenverfahren eingeholte Gutachten Leistungsunfähigkeit erst für einen deutlich späteren Zeitraum im Jahr 2009 fest. Der Gutachter Dr. K zieht seinen Schluss aus dem Längsschnitt der biographischen Betrachtung bis zum Untersuchungszeitpunkt, welche eine kontinuierliche Verschlechterung ergeben habe. Er schließt also retrospektiv aus dem jetzigen Zustand auf den Gesundheitszustand der Klägerin in dem in Rede stehenden Zeitraum, ohne nachvollziehbar begründen zu können, aufgrund welcher Feststellungen im Einzelnen gerade im streitigen Zeitraum die tatsächlichen Voraussetzungen einer Arbeitsunfähigkeit vorgelegen haben sollen, zumal auch er auf den chronifizierten Verlauf der Erkrankung hinweist. Bei dieser Beurteilung ist zudem nicht zu verkennen, dass eine rückwirkende Feststellung von gesundheitlichen Zuständen naturgemäß schwierig ist. Denn der Gesundheitszustand verändert sich ständig. Eine retrospektive Beurteilung ist problematisch.
Für die Ermittlung der Arbeitsfähigkeit in einem vergangenen Zeitraums kommt deshalb denjenigen sachverständigen Aussagen ein größeres Gewicht zu, die sich auf zeitnahe Untersuchungen beruhen. Die Gewähr für eine Authentizität der Einschätzungen ist hier regelmäßig und auch im vorliegenden Einzelfall weitaus höher.
Die Klägerin ist in zeitlicher Nähe zum streitgegenständlichen im Rahmen des Rentenverfahrens chirurgisch und neurologisch-psychiatrisch begutachtet worden, ferner bereits am 17. April 2007 durch den Gerichtssachverständigen Dr. G. Diese Sachverständigen haben übereinstimmend feststellt, dass die Klägerin in dem streitigen Zeitraum in der Lage war, ihre letzte Tätigkeit ohne Einschränkungen weiter zu verrichten. Der Senat hält diese Beurteilung für überzeugend.
Aus demselben Grunde ist es aus Sicht des Senats auch ohne entscheidende Bedeutung, dass der Dr. K anders als die anderen Sachverständigen von einer Double-Depression ausgeht, also dem gleichzeitigen Vorliegen einer chronische Verlaufsform der Depression (Dysthymie), die sich phasenweise durch noch dazu tretende schwere depressive Episoden zusätzlich verschlechtert. Maßgeblich ist auch insoweit nur die akute Schwere der Erkrankung im konkreten Zeitraum. Von einem depressiven Einbruch als Ausdruck der (zusätzlichen) mittelgradigen Depression gerade im streitgegenständlichen Zeitraum ist konkret nichts – auch nicht aus dem Gutachten Dr. K- ersichtlich. Darüber hinaus ist (deshalb) auch in diagnostischer Hinsicht davon auszugehen, dass die relevanten Leiden der Klägerin bereits damals alle erkannt und bewertet worden. Für die Bewertung von Dr. G war der – seinerzeit und damit im maßgeblichen Zeitraum - eher leichte bis allenfalls mäßiggradige Verlauf der episodisch-rezidivierend verlaufenden depressiven Störung maßgeblich (vgl. dessen Gutachten S. 20).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Gewährung von Krankengeld über den 7. Juni 2006 hinaus bis zum 12. März 2007.
Sie war seit 8. Oktober 1976 im Öffentlichen Dienst beschäftigt. Die Tätigkeit als Verwaltungsangestellte endete durch Aufhebungsvertrag vom 25. August 2005 zum 31. März 2006. Ab dem 27. März 2006 war die Klägerin aufgrund eines depressiven Leidens erkrankt (vgl. Feststellung der Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie S mit Diagnose F32.1G vom 27. März 2006). Jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Diese gewährte ihr ab dem 6. April 2006 Krankengeld.
Die Klägerin beantragte an diesem Tage eine Erwerbsminderungsrente bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) und ferner auch Leistungen der Bundesagentur für Arbeit.
Auf Veranlassung der Beklagten erfolgte am 18. Mai 2006 eine Untersuchung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg e.V. (MDK). Dabei lag ein Bericht der behandelnden Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie S vom 16. Mai 2006 vor (Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode mit ausgeprägter innerer Unruhe, Konzentrationsstörungen, Ein- und Durchschlafstörungen, depressive Stimmungen und zwanghaften Grübeln). Die voraussichtliche Arbeitsfähigkeit sei nicht absehbar. Im Auszahlungsschein für Krankengeld vom selben Tag bejahte sie – ohne einen letzten Tag der Arbeitsunfähigkeit zu nennen – die Frage "noch behandlungsbedürftig?". Der MDK stellte bei der Diagnose depressiver Episode eine Arbeitsfähigkeit ab 8. Juni 2006 fest.
Mit Bescheid vom 22. Mai 2006 beschränkte die Beklagte die Gewährung von Krankengeld auf den Zeitraum bis einschließlich 7. Juni 2006.
Am 23. Mai 2006 wurde die Klägerin im Auftrag der DRV Bund von der Ärztin für Chirurgie und Sportmedizin Dr. M untersucht. Sie gelangte in ihrem Gutachten vom 31. Mai 2006 zu dem Ergebnis, die Klägerin sei aus chirurgisch-orthopädischer Sicht in ihrer letzten Tätigkeit als Verwaltungsangestellte vollschichtig einsetzbar. Sie empfehle jedoch ein neurologisch-psychiatrisches Zusatzgutachten, um dem Gesamtbild der Beschwerden Rechnung zu tragen.
Die Klägerin erhob gegen den Bescheid der Beklagten Widerspruch. Sie sei nach wie vor arbeitsunfähig geschrieben. Sie leide an chronischer Depression, rheumatischen Beschwerden und einer chronischen Magen- und Darmerkrankung. Sie könne nachts nicht mehr durchschlafen und leide oft an Migräne. Sie sei sehr gereizt, fühle sich "total schlapp" und bekomme bei jeder Aufregung einen Säureschub, der mit viel Übelkeit verbunden sei. Seit 1995 leide sie an starken Rückenschmerzen. Sie sei physisch nicht mehr belastbar. Jede kleine Aufregung führe zu einer Stresssituation und zu Weinkrämpfen. Sie sei seit dem Jahr 2000 50 % schwerbehindert.
Ihre Neurologin bescheinigte in einem weiteren Auszahlschein für Krankengeld am 6. Juni 2006, dass sie bis auf weiteres arbeitsunfähig sei. In der ärztlichen Bescheinigung vom 20. Juni 2006 führt die Fachärztin aus, nachdem sich die depressive Symptomatik zuvor etwas gebessert habe, sei im Mai 2006 ein Morbus Bechterew festgestellt worden, was zu einer Verschlechterung der Depressionen geführt habe. Im Auftrag der DRV Bund untersuchte die Ärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie Dr. W die Beklagte am 2. Oktober 2006. Sie diagnostizierte Dysthymia (ICDF 34.1) sowie Rückenschmerzen. Das seelische Leiden sei zum Untersuchungszeitraum eher mäßigen Grades. Eine regelrechte und wesentliche Somatisierungsstörung lasse sich nicht nachweisen, auch keine anhaltende somatoforme Schmerzstörung. Die Klägerin sei auf nervenärztlichem Fachgebiet noch in der Lage, ihrer letzten beruflichen Tätigkeit als Verwaltungsangestellte oder auch sonstigen beruflichen Tätigkeiten in Vollzeitanstellung nachzugehen (Gutachten vom 4. Oktober 2006).
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 17. Oktober 2006 zurück.
Hiergegen richtet sich die am 26. Oktober 2006 beim Sozialgericht Berlin (SG) eingegangene Klage. Die Feststellungen des MDK enthielten keine nachvollziehbare Begründung. Das SG hat den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. Gmit der Erstellung eines neurologisch-psychischen Gutachtens beauftragt. Dieser hat die Klägerin am 30. März 2007 untersucht. In seinem Gutachten vom 17. April 2007 diagnostiziert der Sachverständige bei der Klägerin Morbus Bechterew, eine undifferenzierte axiale Spondylarthritis, degenerative Wirbelsäulenveränderungen, Karpaltunnelsyndrom beiderseits, eine episodisch-rezidivierende depressive Störung (derzeit leicht, allenfalls bis mäßig gradig ausgeprägt), links betonte Beinkrampfadern, Hiatushernie (Zwechfellbruch) mit Neigung zu Refluxösophagitis, multiple Lipome bei Adipositas sowie erhöhte Cholesterin- und Leberwerte. Über den 7. Juni 2006 hinaus hätten die krankheitsbedingten qualitativen Einschränkungen der Leistungsfähigkeit vorgelegen, welche in den Gutachten für die DRV sowie im Gutachten nach Aktenlage für die Agentur für Arbeit Berlin-Süd niedergelegt seien. Die Klägerin habe nach dem 7. Juni 2006 als Verwaltungsangestellte bzw. als kaufmännische Angestellte oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig werden können.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 14. März 2008 abgewiesen. Die Klägerin sei ab dem 8. Juni 2006 nicht mehr arbeitsunfähig gewesen, wie dies Voraussetzung für einen weiteren Anspruch auf Krankengeld nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (SGB V) gewesen wäre. Die entsprechende Annahme der Beklagten sei durch das Gerichtssachverständigengutachten nachvollziehbar und überzeugend bestätigt. Auch die Gutachten für die DRV Bund auf chirurgischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet bestätigten die Annahme. Dass sich die Mobbingsituation, der sich die Klägerin kurz vor Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses ausgesetzt gesehen habe, am 7. Juni 2006 noch ausgewirkt habe, ergebe sich aus den medizinischen Feststellungen nicht.
Die Klägerin hat hiergegen Berufung erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die behandelnde Neurologin habe sie in der maßgeblichen Zeit für arbeitsunfähig gehalten. Sie sei als Behandlerin am ehesten zu einer zutreffenden Beurteilung in der Lage. Sie sei durchgehend arbeitsunfähig gewesen.
Im Auftrag des SG Berlin (zum AZ: S 15 R 5682/06) hat der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie-Psychosomatik M nach Untersuchung der Klägerin am 24. Februar 2010 unter dem 24. März 2010 ein nervenärztliches Fachgutachten erstattet. Er gelangt zu dem Ergebnis, dass die Leistungsfähigkeit auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet auf unter drei Stunden täglich gesunken sei. Die qualitativen und quantitativen Leistungsminderungen lägen spätestens ab dem 1. September 2009 in der jetzigen Form relativ unverändert vor. Seit 1. Oktober 2010 bezieht die Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Der Senat hat den Dr. med. K nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) mit der Erstattung eines Sachverständigengutachtens beauftragt. Dieser hat die Klägerin am 26. November 2010 sowie am 6. Dezember 2010 untersucht. In seinem Gutachten vom 8. April 2011 diagnostiziert er für die fragliche Zeit vom 1. Juni 2006 bis 31. März 2007 die Symptomatik einer sogenannten Double-Depression, des gleichzeitigen Vorliegens einer Dysthymia mit einer (mittelschweren) depressiven Erkrankung. Die Klägerin sei deshalb zu einer Beschäftigung als Verwaltungsangestellte/kaufmännische Angestellte in diesem Zeitraum gesundheitlich nicht mehr in der Lage gewesen. Sie habe auch keine leichten Tätigkeiten unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen verrichten können. Die Dysthymia als langzeitige depressive Verstimmung enge den Erwartungshorizont und die Handlungsspielräume negativ ein. Die Klägerin sei dadurch auf ihr Leiden fixiert gewesen. Er weiche vom Gutachten Dr. G ab, weil er -Dr. K - die biografische Entwicklung ausführlich nachgezeichnet habe und dabei deutlich geworden sei, dass es bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit der Probandin sowohl auf den psychopathologischen Querschnitt zum Untersuchungszeitpunkt, jedoch auch auf die Entwicklung der Erkrankung im biografischen Längsschnitt ankomme. In diesem betrachtet sei es bei der Klägerin immer wieder zu depressiven Einbrüchen gekommen. Im Rahmen der Chronifizierung sei sowohl die Leistungsfähigkeit als auch der Leistungsumfang immer mehr reduziert worden.
Die Beklagte hat hierzu eine Stellungnahme des MDK veranlasst. Die Gutachterin G hat in ihrer Stellungnahme vom 16. Juni 2011 keinen Anlass gesehen, zum Stichtag 7. Juni 2006 Arbeitsfähigkeit zu verneinen. Es käme insoweit nicht auf die Diagnosen -sowohl einer Dysthymia als auch einer leicht-mittelgradigen Episode einer rezidivierenden "depressiven Störung"- an, sondern auf die konkreten, Arbeitsunfähigkeit begründenden Fähigkeitsstörungen.
Die Klägerin ist der Auffassung, dass aufgrund der Übernahme der Diagnose des Gutachters Dr. K durch die MDK-Gutachterin auch dessen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit übernommen werden müsse.
Sie beantragt,
unter Änderung des Urteils des Sozialgerichts Berlin vom 14. März 2008 die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17. Oktober 2006 zu verurteilen, ihr auch für die Zeit vom 8. Juni 2006 bis 12. März 2007 Krankengeld zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung. Selbst die behandelnde Ärztin Si habe nur ausgeführt, die Klägerin meine vor allem selbst, arbeitsunfähig zu sein. Auf die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze wird ergänzend Bezug genommen. Der Verwaltungsvorgang der Beklagten sowie Kopien aus der Leistungsakte der Bundesagentur für Arbeit und der Rentenakte der Klägerin bei der Deutschen Rentenversicherung Bund lagen vor.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung hat keinen Erfolg. Das SG hat die Klage zu Recht mit zutreffender Begründung abgewiesen, auf die zur Vermeidung bloßer Wiederholungen gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen wird.
Es kann auch zur erforderlichen vollen Überzeugung des Senats für die streitgegenständliche Zeit vom 8. Juni 2006 bis 12. März 2007 nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin arbeitsunfähig gewesen ist. Ein Anspruch auf Krankengeld i.S.v. § 44 Abs. 1 SGB V besteht im streitigen Zeitraum somit nicht. Die Aussagen des Gerichtssachverständigen Dr. Götte werden zur Überzeugung des Senats durch das Gutachten des Dr. Knicht erschüttert:
Ganz allgemein obliegt die Darlegungs- und Beweislast dafür, ob die Klägerin in der Lage gewesen ist, als Verwaltungsangestellte bzw. kaufmännische Angestellte zu arbeiten, nach den Regeln der objektiven Beweislast der Klägerin: Sie beruft sich auf das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzung eines Krankengeldanspruches des § 44 Abs. 1 SGB V.
Hier stellte das vom SG im Rentenverfahren eingeholte Gutachten Leistungsunfähigkeit erst für einen deutlich späteren Zeitraum im Jahr 2009 fest. Der Gutachter Dr. K zieht seinen Schluss aus dem Längsschnitt der biographischen Betrachtung bis zum Untersuchungszeitpunkt, welche eine kontinuierliche Verschlechterung ergeben habe. Er schließt also retrospektiv aus dem jetzigen Zustand auf den Gesundheitszustand der Klägerin in dem in Rede stehenden Zeitraum, ohne nachvollziehbar begründen zu können, aufgrund welcher Feststellungen im Einzelnen gerade im streitigen Zeitraum die tatsächlichen Voraussetzungen einer Arbeitsunfähigkeit vorgelegen haben sollen, zumal auch er auf den chronifizierten Verlauf der Erkrankung hinweist. Bei dieser Beurteilung ist zudem nicht zu verkennen, dass eine rückwirkende Feststellung von gesundheitlichen Zuständen naturgemäß schwierig ist. Denn der Gesundheitszustand verändert sich ständig. Eine retrospektive Beurteilung ist problematisch.
Für die Ermittlung der Arbeitsfähigkeit in einem vergangenen Zeitraums kommt deshalb denjenigen sachverständigen Aussagen ein größeres Gewicht zu, die sich auf zeitnahe Untersuchungen beruhen. Die Gewähr für eine Authentizität der Einschätzungen ist hier regelmäßig und auch im vorliegenden Einzelfall weitaus höher.
Die Klägerin ist in zeitlicher Nähe zum streitgegenständlichen im Rahmen des Rentenverfahrens chirurgisch und neurologisch-psychiatrisch begutachtet worden, ferner bereits am 17. April 2007 durch den Gerichtssachverständigen Dr. G. Diese Sachverständigen haben übereinstimmend feststellt, dass die Klägerin in dem streitigen Zeitraum in der Lage war, ihre letzte Tätigkeit ohne Einschränkungen weiter zu verrichten. Der Senat hält diese Beurteilung für überzeugend.
Aus demselben Grunde ist es aus Sicht des Senats auch ohne entscheidende Bedeutung, dass der Dr. K anders als die anderen Sachverständigen von einer Double-Depression ausgeht, also dem gleichzeitigen Vorliegen einer chronische Verlaufsform der Depression (Dysthymie), die sich phasenweise durch noch dazu tretende schwere depressive Episoden zusätzlich verschlechtert. Maßgeblich ist auch insoweit nur die akute Schwere der Erkrankung im konkreten Zeitraum. Von einem depressiven Einbruch als Ausdruck der (zusätzlichen) mittelgradigen Depression gerade im streitgegenständlichen Zeitraum ist konkret nichts – auch nicht aus dem Gutachten Dr. K- ersichtlich. Darüber hinaus ist (deshalb) auch in diagnostischer Hinsicht davon auszugehen, dass die relevanten Leiden der Klägerin bereits damals alle erkannt und bewertet worden. Für die Bewertung von Dr. G war der – seinerzeit und damit im maßgeblichen Zeitraum - eher leichte bis allenfalls mäßiggradige Verlauf der episodisch-rezidivierend verlaufenden depressiven Störung maßgeblich (vgl. dessen Gutachten S. 20).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
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