Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
13
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 44 SB 1880/10
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 13 SB 40/12
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. Januar 2012 aufgehoben. Der Beklagte wird seinem Anerkenntnis entsprechend verpflichtet, unter Änderung des Bescheides vom 7. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2010 in der Fassung des Bescheides vom 14. Juli 2011 zugunsten des Klägers ab dem 13. März 2009 einen GdB von 80 zuzuerkennen. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers für das gesamte Verfahren zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 durch den Beklagten.
Der 1977 geborene Kläger beantragte erstmals am 13. März 2009 beim Beklagten die Feststellung des GdB nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Dabei gab der Kläger als körperliche, geistige oder seelische Behinderungen bzw. Leiden eine bei ihm bestehende chronische Schizophrenie, eine manische Depression, ein Borderline-Syndrom, eine schizoaffektive Psychose, eine Suchtpersönlichkeit mit Nikotin- und Koffeinabhängigkeit, einen krummen Rücken, künstliche Zähne, einen undichten Magenverschluss sowie ein auf 40 Prozent gesunkenes Sehvermögen auf einem Auge an und legte dar, an Wahngedanken, Stimmungsschwankungen, Sodbrennen und Rückenschmerzen zu leiden. Der Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht der den Kläger behandelnden Neurologin und Psychiaterin Dr. Wein und stellte mit Bescheid vom 16. Juni 2009 fest, dass beim Kläger ein GdB von 40 bestehe. Dieser Feststellung legte der Beklagte die Funktionsbeeinträchtigung "psychische Krankheit; Verhaltensstörungen" zugrunde und führte aus, dass weitere Funktionsbeeinträchtigungen nicht vorlägen und deshalb nicht festgestellt werden könnten. Gegen den Bescheid legte der Kläger am 23. Juni 2009 Widerspruch ein, mit dem er die Feststellungen eines GdB von mindestens 60 begehrte. Nach Auswertung von Berichten der den Kläger behandelnden Augenärztin Dr. S, der Allgemeinmedizinerin Dipl.-Med. S und der Neurologin und Psychiaterin Dr. W sowie Begutachtung durch seinen ärztlichen Dienst am 14. Dezember 2009 änderte der Beklagte mit Bescheid vom 7. Januar 2010 die Feststellung des GdB auf 60 und legte dem die folgenden Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
Psychische Krankheit; Verhaltensstörungen (Einzel-GdB 40) Sehminderung beidseitig (Einzel-GdB 40) Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB 10)
Nachdem der Kläger seinen Widerspruch aufrecht erhalten und insbesondere die Berücksichtigung seiner Nikotinsucht als Behinderung geltend gemacht hatte, wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2010 mit der Begründung zurück, die Auswirkungen der bei dem Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen seien in dem angefochtenen Bescheid vollständig erfasst und mit einem GdB von 60 angemessen bewertet. Die von dem Kläger geltend gemachte Nikotinsucht könne nicht berücksichtigt werden, weil die Abhängigkeit von Tabak für sich allein keine Teilhabebeeinträchtigung darstelle. Der Widerspruchsbescheid wurde am 1. Oktober 2010 mit einfachem Brief an den Kläger abgesandt.
Der Kläger hat am 8. Oktober 2010 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er "ausdrücklich keine Änderung des GdB, sondern lediglich die Feststellung, dass Tabakabhängigkeit eine Funktionsbeeinträchtigung darstellt, die zur Feststellung des GdB zu berücksichtigen ist," begehrte. Zur Begründung trug der Kläger vor, ihm gehe es um die prinzipielle Anerkennung, dass Rauchen eine Sucht bzw. Drogenabhängigkeit darstelle.
Nachdem der Beklagte die Auffassung vertreten hatte, dass für eine Änderung der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen ohne Auswirkung auf die Höhe des GdB kein Rechtsschutzbedürfnis bestehe, und das Sozialgericht sich in einem gerichtlichen Schreiben dieser Ansicht angeschlossen hatte, hat der Kläger mit am 10. Dezember 2010 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Schreiben vom 8. Dezember 2010 erklärt, für den Fall, dass das Gericht – entgegen der Ansicht des Klägers, dem es um ein Grundsatzurteil zur Erlangung von Gerechtigkeit von Millionen von Rauchern gehe, – zu der Auffassung komme, dass eine Änderung des GdB auf jeden Fall Gegenstand der Klage sein müsse, dann beantrage er einen höheren GdB, da er nicht wolle, dass die Klage an einem Verfahrensfehler scheitere. Nach einer weiteren sozialgerichtlichen Nachfrage hat der Kläger mit Schreiben vom 3. März 2011 am 7. März 2011 beantragt, entgegen dem Bescheid des Beklagten vom 7. Januar 2010 einen GdB von 70 festzustellen. Der Beklagte hat daraufhin mit Schriftsatz vom 6. Mai 2011 erklärt, die Klage nicht mehr für unzulässig, nunmehr jedoch für unbegründet zu halten. Nach Einholung eines Befundberichtes durch das Sozialgericht bei der Neurologin und Psychiaterin Dr. W vom 9. Juni 2011 hat der Beklagte mit Bescheid vom 14. Juli 2011 festgestellt, dass bei dem Kläger seit März 2009 ein GdB von 70 bestehe. Dem lag eine fachpsychiatrische Stellungnahme des ärztlichen Dienstes des Beklagten zugrunde, nach der die Bewertung der bei dem Kläger vorliegenden schweren psychischen Krankheit mit einem Einzel-GdB von 40 bisher zu gering gewesen sei und nunmehr mit einem Einzel-GdB von 50 erfolge. Da das Rauchen an sich die Fähigkeit zur sozialen Teilhabe nur in zu vernachlässigendem Maße beeinträchtige, sei dieses nicht in die Leidensbezeichnung aufzunehmen. Alle sonstigen möglichen psychischen Folgen seien in der nervenärztlichen Leidensbezeichnung mit abgebildet. Der Kläger trug daraufhin vor, weiterhin beschwert allein dadurch zu sein, dass die Nikotinsucht nicht im Bescheid aufgeführt werde. Sollte sich das Sozialgericht dem nicht anschließen können, erhöhe er seinen Antrag auf Feststellung eines GdB von 100, sollte der Beklagte auch diesem Begehren abhelfen, werde er die Feststellung sämtlicher Merkzeichen beantragen, da es eine Möglichkeit geben müsse, eine Entscheidung herbeizuführen, die sich auf das materielle inhaltliche Problem beziehe, dass Rauchen entgegen seiner wissenschaftlich nachgewiesenen Natur bisher nicht als Sucht anerkannt werde. Mit am 8. September 2011 beim Sozialgericht eingegangenen Schreiben vom 7. September 2011 hat der Kläger die Feststellung eines GdB von 100 abweichend vom Bescheid vom 14. Juli 2011 beantragt. Mit Schriftsatz vom 22. September 2011 hat der Beklagte erklärt, einer Klageänderung auf Feststellung eines GdB von 100 nicht zuzustimmen. Das Sozialgericht hat den Beteiligten mit Schreiben vom 1. November 2011 Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid gegeben. Mit am 30. November 2011 beim Sozialgericht eingegangenen Schreiben vom 28. November 2011 hat der Kläger abweichend vom Bescheid des Beklagten vom 14. Juli 2011 die Feststellung eines GdB von 80 beantragt.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 9. Januar 2012 – dem Kläger zugestellt am 14. Januar 2012 – abgewiesen und dem Beklagten ein Viertel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klage sei unzulässig. Soweit der Beklagte das Begehren des Klägers auf Feststellung eines GdB von 70 mit dem Bescheid vom 14. Juli 2011 anerkannt habe, sei das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers entfallen. Bei dem zuletzt geltend gemachten Begehren des Klägers auf Feststellung eines GdB von 80 handele es sich um eine unzulässige Klageänderung, da der Beklagte dieser weder zugestimmt habe noch diese aus Sicht des Sozialgerichts sachdienlich sei. Bei der insoweit durch das Gericht zu treffenden Ermessensentscheidung sei zu berücksichtigen, dass in einem materiell erledigten Rechtsstreit in eine erneute medizinische Sachaufklärung einzusteigen wäre und der Kläger sein eigentliches Begehren einer Feststellung einer Tabakabhängigkeit als Funktionsbeeinträchtigung auch mit der geänderten Klage nicht erreichen könne, weil einem solchen Begehren das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Dem Gerichtsbescheid war eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, in der es unter anderem heißt: Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, [ ], schriftlich [ ] einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist beim Sozialgericht Berlin, [ ], schriftlich [ ] eingelegt wird. [ ] Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides bei dem Sozialgericht Berlin schriftlich [ ] zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen. Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war. [ ] Der Kläger hat am 17. Januar 2012 mit einem mit "Revision/Berufung" überschriebenen Schreiben die Zulassung der Revision beim Sozialgericht Berlin beantragt. Weiter heißt es in dem Schreiben: "Bei negativem Ergebnis beantrage ich ersatzweise Berufung beim Landessozialgericht. Ich beantrage die Berücksichtigung der Nikotinsucht beim GdB, der damit auf 80 erhöht werden sollte". Am 10. Februar 2012 ist beim Sozialgericht Berlin eine Erklärung des Beklagten eingegangen, nach der dieser die Zustimmung zur Zulassung der Revision verwehrt. Auf sozialgerichtliche Nachfrage erklärte der Kläger am 23. Februar 2012, dass er auf jeden Fall eine Berufung einlege und einlegen wollte. Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 24. Februar 2012 den Antrag auf Zulassung der Revision abgelehnt und die Akten dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zugeleitet.
Der Kläger, der im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 6. September 2012 nicht erschienen ist, obwohl ihm am 30. Juni 2012 von einem Postbediensteten unter seiner Zustelladresse persönlich eine Terminsmitteilung übergeben worden ist, in der auf die Möglichkeit der Verhandlung und Entscheidung auch bei seinem Ausbleiben hingewiesen wurde, beantragt schriftsätzlich sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. Januar 2012 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 16. Juni 2009 in der Fassung des Bescheides vom 7. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2010 in der Fassung des Bescheides vom 14. Juli 2011 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm ab dem 13. März 2009 einen GdB von 80 festzustellen.
Der Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. September 2012 den Anspruch des Klägers auf Feststellung eines GdB von 80 ab dem 13. März 2009 anerkannt.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegen-stand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. September 2012 verhandeln und entscheiden, weil der Kläger mit der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 153 Absatz 1 in Verbindung mit § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Die zulässige, insbesondere fristgerechte Berufung des Klägers, die er mit seinem am 16. Januar 2012 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Schreiben eingelegt hat, mit dem er nach verständiger Würdigung (vgl. dazu Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 8. November 2005 – B 1 KR 76/05 B, Rn. 6 bei Juris) angesichts der Überschrift "Revision/Berufung" keine unter der aufschiebenden Bedingung einer Ablehnung der Revisionszulassung erklärte und damit unwirksame Berufungseinlegung, sondern vielmehr neben der Beantragung der Zulassung der Sprungrevision gleichzeitige Berufungseinlegung vorgenommen hat, ist begründet.
Der Beklagte war entsprechend seinem Anerkenntnis im Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. September 2012 gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 307 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) unter Aufhebung des entgegenstehenden erstinstanzlichen Gerichtsbescheides zu verpflichten, unter Änderung des Bescheides vom 7. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2010 in der Fassung des Bescheides vom 14. Juli 2011 zugunsten des Klägers ab dem 13. März 2009 einen GdB von 80 zuzuerkennen. Eine entsprechende Erledigung des Rechtsstreits aufgrund einer Annahme dieses Anerkenntnisses durch den Kläger war nicht möglich, weil dieser im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, so dass ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung durch Anerkenntnisurteil anzunehmen ist (vgl. generell zur entsprechenden Anwendbarkeit von § 307 Satz 1 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren bereits BSG, Urteil vom 22. September 1977 – 5 RKn 18/76, Rn. 11 bei Juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absatz 1 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Absatz 2 SGG nicht gegeben sind.
Tatbestand:
Der Kläger verfolgt mit seiner Berufung die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 80 durch den Beklagten.
Der 1977 geborene Kläger beantragte erstmals am 13. März 2009 beim Beklagten die Feststellung des GdB nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Dabei gab der Kläger als körperliche, geistige oder seelische Behinderungen bzw. Leiden eine bei ihm bestehende chronische Schizophrenie, eine manische Depression, ein Borderline-Syndrom, eine schizoaffektive Psychose, eine Suchtpersönlichkeit mit Nikotin- und Koffeinabhängigkeit, einen krummen Rücken, künstliche Zähne, einen undichten Magenverschluss sowie ein auf 40 Prozent gesunkenes Sehvermögen auf einem Auge an und legte dar, an Wahngedanken, Stimmungsschwankungen, Sodbrennen und Rückenschmerzen zu leiden. Der Beklagte holte daraufhin einen Befundbericht der den Kläger behandelnden Neurologin und Psychiaterin Dr. Wein und stellte mit Bescheid vom 16. Juni 2009 fest, dass beim Kläger ein GdB von 40 bestehe. Dieser Feststellung legte der Beklagte die Funktionsbeeinträchtigung "psychische Krankheit; Verhaltensstörungen" zugrunde und führte aus, dass weitere Funktionsbeeinträchtigungen nicht vorlägen und deshalb nicht festgestellt werden könnten. Gegen den Bescheid legte der Kläger am 23. Juni 2009 Widerspruch ein, mit dem er die Feststellungen eines GdB von mindestens 60 begehrte. Nach Auswertung von Berichten der den Kläger behandelnden Augenärztin Dr. S, der Allgemeinmedizinerin Dipl.-Med. S und der Neurologin und Psychiaterin Dr. W sowie Begutachtung durch seinen ärztlichen Dienst am 14. Dezember 2009 änderte der Beklagte mit Bescheid vom 7. Januar 2010 die Feststellung des GdB auf 60 und legte dem die folgenden Funktionsbeeinträchtigungen zugrunde:
Psychische Krankheit; Verhaltensstörungen (Einzel-GdB 40) Sehminderung beidseitig (Einzel-GdB 40) Refluxkrankheit der Speiseröhre (Einzel-GdB 10)
Nachdem der Kläger seinen Widerspruch aufrecht erhalten und insbesondere die Berücksichtigung seiner Nikotinsucht als Behinderung geltend gemacht hatte, wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 30. September 2010 mit der Begründung zurück, die Auswirkungen der bei dem Kläger bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen seien in dem angefochtenen Bescheid vollständig erfasst und mit einem GdB von 60 angemessen bewertet. Die von dem Kläger geltend gemachte Nikotinsucht könne nicht berücksichtigt werden, weil die Abhängigkeit von Tabak für sich allein keine Teilhabebeeinträchtigung darstelle. Der Widerspruchsbescheid wurde am 1. Oktober 2010 mit einfachem Brief an den Kläger abgesandt.
Der Kläger hat am 8. Oktober 2010 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der er "ausdrücklich keine Änderung des GdB, sondern lediglich die Feststellung, dass Tabakabhängigkeit eine Funktionsbeeinträchtigung darstellt, die zur Feststellung des GdB zu berücksichtigen ist," begehrte. Zur Begründung trug der Kläger vor, ihm gehe es um die prinzipielle Anerkennung, dass Rauchen eine Sucht bzw. Drogenabhängigkeit darstelle.
Nachdem der Beklagte die Auffassung vertreten hatte, dass für eine Änderung der Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigungen ohne Auswirkung auf die Höhe des GdB kein Rechtsschutzbedürfnis bestehe, und das Sozialgericht sich in einem gerichtlichen Schreiben dieser Ansicht angeschlossen hatte, hat der Kläger mit am 10. Dezember 2010 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Schreiben vom 8. Dezember 2010 erklärt, für den Fall, dass das Gericht – entgegen der Ansicht des Klägers, dem es um ein Grundsatzurteil zur Erlangung von Gerechtigkeit von Millionen von Rauchern gehe, – zu der Auffassung komme, dass eine Änderung des GdB auf jeden Fall Gegenstand der Klage sein müsse, dann beantrage er einen höheren GdB, da er nicht wolle, dass die Klage an einem Verfahrensfehler scheitere. Nach einer weiteren sozialgerichtlichen Nachfrage hat der Kläger mit Schreiben vom 3. März 2011 am 7. März 2011 beantragt, entgegen dem Bescheid des Beklagten vom 7. Januar 2010 einen GdB von 70 festzustellen. Der Beklagte hat daraufhin mit Schriftsatz vom 6. Mai 2011 erklärt, die Klage nicht mehr für unzulässig, nunmehr jedoch für unbegründet zu halten. Nach Einholung eines Befundberichtes durch das Sozialgericht bei der Neurologin und Psychiaterin Dr. W vom 9. Juni 2011 hat der Beklagte mit Bescheid vom 14. Juli 2011 festgestellt, dass bei dem Kläger seit März 2009 ein GdB von 70 bestehe. Dem lag eine fachpsychiatrische Stellungnahme des ärztlichen Dienstes des Beklagten zugrunde, nach der die Bewertung der bei dem Kläger vorliegenden schweren psychischen Krankheit mit einem Einzel-GdB von 40 bisher zu gering gewesen sei und nunmehr mit einem Einzel-GdB von 50 erfolge. Da das Rauchen an sich die Fähigkeit zur sozialen Teilhabe nur in zu vernachlässigendem Maße beeinträchtige, sei dieses nicht in die Leidensbezeichnung aufzunehmen. Alle sonstigen möglichen psychischen Folgen seien in der nervenärztlichen Leidensbezeichnung mit abgebildet. Der Kläger trug daraufhin vor, weiterhin beschwert allein dadurch zu sein, dass die Nikotinsucht nicht im Bescheid aufgeführt werde. Sollte sich das Sozialgericht dem nicht anschließen können, erhöhe er seinen Antrag auf Feststellung eines GdB von 100, sollte der Beklagte auch diesem Begehren abhelfen, werde er die Feststellung sämtlicher Merkzeichen beantragen, da es eine Möglichkeit geben müsse, eine Entscheidung herbeizuführen, die sich auf das materielle inhaltliche Problem beziehe, dass Rauchen entgegen seiner wissenschaftlich nachgewiesenen Natur bisher nicht als Sucht anerkannt werde. Mit am 8. September 2011 beim Sozialgericht eingegangenen Schreiben vom 7. September 2011 hat der Kläger die Feststellung eines GdB von 100 abweichend vom Bescheid vom 14. Juli 2011 beantragt. Mit Schriftsatz vom 22. September 2011 hat der Beklagte erklärt, einer Klageänderung auf Feststellung eines GdB von 100 nicht zuzustimmen. Das Sozialgericht hat den Beteiligten mit Schreiben vom 1. November 2011 Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid gegeben. Mit am 30. November 2011 beim Sozialgericht eingegangenen Schreiben vom 28. November 2011 hat der Kläger abweichend vom Bescheid des Beklagten vom 14. Juli 2011 die Feststellung eines GdB von 80 beantragt.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 9. Januar 2012 – dem Kläger zugestellt am 14. Januar 2012 – abgewiesen und dem Beklagten ein Viertel der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers auferlegt. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die Klage sei unzulässig. Soweit der Beklagte das Begehren des Klägers auf Feststellung eines GdB von 70 mit dem Bescheid vom 14. Juli 2011 anerkannt habe, sei das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers entfallen. Bei dem zuletzt geltend gemachten Begehren des Klägers auf Feststellung eines GdB von 80 handele es sich um eine unzulässige Klageänderung, da der Beklagte dieser weder zugestimmt habe noch diese aus Sicht des Sozialgerichts sachdienlich sei. Bei der insoweit durch das Gericht zu treffenden Ermessensentscheidung sei zu berücksichtigen, dass in einem materiell erledigten Rechtsstreit in eine erneute medizinische Sachaufklärung einzusteigen wäre und der Kläger sein eigentliches Begehren einer Feststellung einer Tabakabhängigkeit als Funktionsbeeinträchtigung auch mit der geänderten Klage nicht erreichen könne, weil einem solchen Begehren das Rechtsschutzbedürfnis fehle. Dem Gerichtsbescheid war eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, in der es unter anderem heißt: Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, [ ], schriftlich [ ] einzulegen. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist beim Sozialgericht Berlin, [ ], schriftlich [ ] eingelegt wird. [ ] Auf Antrag kann vom Sozialgericht durch Beschluss die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen werden, wenn der Gegner schriftlich zustimmt. Der Antrag auf Zulassung der Revision ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides bei dem Sozialgericht Berlin schriftlich [ ] zu stellen. Die Zustimmung des Gegners ist dem Antrag beizufügen. Lehnt das Sozialgericht den Antrag auf Zulassung der Revision durch Beschluss ab, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Berufungsfrist von neuem, sofern der Antrag auf Zulassung der Revision in der gesetzlichen Form und Frist gestellt und die Zustimmungserklärung des Gegners beigefügt war. [ ] Der Kläger hat am 17. Januar 2012 mit einem mit "Revision/Berufung" überschriebenen Schreiben die Zulassung der Revision beim Sozialgericht Berlin beantragt. Weiter heißt es in dem Schreiben: "Bei negativem Ergebnis beantrage ich ersatzweise Berufung beim Landessozialgericht. Ich beantrage die Berücksichtigung der Nikotinsucht beim GdB, der damit auf 80 erhöht werden sollte". Am 10. Februar 2012 ist beim Sozialgericht Berlin eine Erklärung des Beklagten eingegangen, nach der dieser die Zustimmung zur Zulassung der Revision verwehrt. Auf sozialgerichtliche Nachfrage erklärte der Kläger am 23. Februar 2012, dass er auf jeden Fall eine Berufung einlege und einlegen wollte. Das Sozialgericht Berlin hat mit Beschluss vom 24. Februar 2012 den Antrag auf Zulassung der Revision abgelehnt und die Akten dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg zugeleitet.
Der Kläger, der im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 6. September 2012 nicht erschienen ist, obwohl ihm am 30. Juni 2012 von einem Postbediensteten unter seiner Zustelladresse persönlich eine Terminsmitteilung übergeben worden ist, in der auf die Möglichkeit der Verhandlung und Entscheidung auch bei seinem Ausbleiben hingewiesen wurde, beantragt schriftsätzlich sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Berlin vom 9. Januar 2012 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 16. Juni 2009 in der Fassung des Bescheides vom 7. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2010 in der Fassung des Bescheides vom 14. Juli 2011 abzuändern und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm ab dem 13. März 2009 einen GdB von 80 festzustellen.
Der Beklagte hat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. September 2012 den Anspruch des Klägers auf Feststellung eines GdB von 80 ab dem 13. März 2009 anerkannt.
Dem Senat haben die Verwaltungsvorgänge des Beklagten vorgelegen. Diese waren Gegen-stand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze, das Protokoll und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. September 2012 verhandeln und entscheiden, weil der Kläger mit der Terminsmitteilung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§ 153 Absatz 1 in Verbindung mit § 126 Sozialgerichtsgesetz (SGG)).
Die zulässige, insbesondere fristgerechte Berufung des Klägers, die er mit seinem am 16. Januar 2012 beim Sozialgericht Berlin eingegangenen Schreiben eingelegt hat, mit dem er nach verständiger Würdigung (vgl. dazu Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 8. November 2005 – B 1 KR 76/05 B, Rn. 6 bei Juris) angesichts der Überschrift "Revision/Berufung" keine unter der aufschiebenden Bedingung einer Ablehnung der Revisionszulassung erklärte und damit unwirksame Berufungseinlegung, sondern vielmehr neben der Beantragung der Zulassung der Sprungrevision gleichzeitige Berufungseinlegung vorgenommen hat, ist begründet.
Der Beklagte war entsprechend seinem Anerkenntnis im Termin zur mündlichen Verhandlung am 6. September 2012 gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 307 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) unter Aufhebung des entgegenstehenden erstinstanzlichen Gerichtsbescheides zu verpflichten, unter Änderung des Bescheides vom 7. Januar 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. September 2010 in der Fassung des Bescheides vom 14. Juli 2011 zugunsten des Klägers ab dem 13. März 2009 einen GdB von 80 zuzuerkennen. Eine entsprechende Erledigung des Rechtsstreits aufgrund einer Annahme dieses Anerkenntnisses durch den Kläger war nicht möglich, weil dieser im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht vertreten war, so dass ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung durch Anerkenntnisurteil anzunehmen ist (vgl. generell zur entsprechenden Anwendbarkeit von § 307 Satz 1 ZPO im sozialgerichtlichen Verfahren bereits BSG, Urteil vom 22. September 1977 – 5 RKn 18/76, Rn. 11 bei Juris).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absatz 1 SGG und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.
Die Revision war nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe gemäß § 160 Absatz 2 SGG nicht gegeben sind.
Rechtskraft
Aus
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