L 2 AL 41/06

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 7 AL 1146/03
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AL 41/06
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 143/09 B
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Krankengeldanspruch - Beschäftigungsverbot
Die Berufung wird mit der klarstellenden Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beigeladene verurteilt wird, der Klägerin Krankengeld für den Zeitraum vom 28. Juli bis zum 7. November 2003 zu gewähren. Die Beigeladene hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über den Anspruch der Klägerin auf Lohnersatzleistungen für die Zeit vom 28. Juli bis zum 7. November 2003. Die am ...1969 geborene Klägerin bezog nach vorangegangenem Bezug von Arbeitslosengeld Arbeitslosenhilfe. Ab dem 16. September 2002 nahm die Klägerin an einer von der Beklagten geförderten beruflichen Bildungsmaßnahme "Umschulung zur Restaurantfachfrau" teil und bezog ihr für die voraussichtliche Dauer der Maßnahme bewilligtes Unterhaltsgeld in Höhe von 129,9 EUR wöchentlich. Mit einer ärztlichen Bescheinigung vom 24. Juli 2003 stellte der Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe Dipl.-Med. L. für die Klägerin ein "Beschäftigungsverbot ab 25.7. für die gesamte (restliche) Dauer der Schwangerschaft" bei Beginn der gesetzlichen Mutterschutzfrist am 8. November 2003 und voraussichtlichem Entbindungstermin am 20. Dezember 2003 fest. Ab dem 25. Juli 2003 nahm die Klägerin nicht mehr an der beruflichen Bildungsmaßnahme teil und teilte dies mit einem Schreiben vom 28. Juli 2003, das am 30. Juli 2003 dort einging, der Beklagten mit. In dem Schreiben führte die Klägerin aus, dass sie die Umschulung für die Dauer der Schwangerschaft nicht fortführen könne. Die Klägerin erhielt tatsächlich noch Unterhaltsgeld für die Zeit bis zum 31. Juli 2003 überwiesen, für die Zeit danach stellte die Beklagte die Leistungen ein. Mit Bescheid vom 11. August 2003 hob die Beklagte wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse die Leistungsbewilligung rückwirkend ab dem 25. Juli 2003 auf und forderte das für die Zeit bis zum 31. Juli 2003 bezogene Unterhaltsgeld zurück. Die Klägerin beantragte am 14. August 2003 Arbeitslosenhilfe bei der Beklagten. Gegen den Bescheid vom 11. August 2003 erhob sie am 20. August 2003 Widerspruch und führte aus: Sie stehe mit zwei kleinen Kindern ohne Einkommen da. Eine zusätzliche Krankschreibung habe Dipl.-Med. L. ihr gegenüber als nicht notwendig abgelehnt. Dipl.-Med. L. erklärte auf eine telefonische Nachfrage am 21. August 2003 gegenüber der Beklagten: Die Klägerin sei nicht arbeitsunfähig, sondern es bestehe ein generelles Beschäftigungsverbot. Auch für leichte Bürotätigkeiten sei sie nicht verfügbar. Er lehne es ab, das Beschäftigungsverbot bei Feststellung eines verbliebenen positiven Leistungsbildes in ein partielles Tätigkeitsverbot umzuwandeln. Mit Bescheid vom 26. August 2003 lehnte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe mit der Begründung ab, wegen des Beschäftigungsverbots könne sie keine Arbeit aufnehmen. In einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren (S 9 AL 755/043 ER) verpflichtete das Sozialgericht Halle (SG) die Beklagte mit Beschluss vom 12. September 2003, der Klägerin als vorläufige Leistung Arbeitslosenhilfe in gesetzlicher Höhe ab dem 14. August 2003 (ab Eingang des Rechtsschutzantrags) zu erbringen. Den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 11. August 2003 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10. November 2003 als unbegründet zurück und führte aus: Der Anspruch auf Unterhaltsgeld sei ab dem 25. Juli 2003 weggefallen, weil die Klägerin nicht mehr an der Weiterbildungsmaßnahme teilnehme. Auch ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe bestehe wegen fehlender Vermittelbarkeit nicht. In der Zeit vom 8. November 2003 bis zum 14. Februar 2004 erhielt die Klägerin Mutterschaftsgeld von der Beigeladenen. Gegen den (erst) am 17. Dezember 2003 zugestellten Widerspruchsbescheid hat die Klägerin am 19. Dezember 2003 Klage beim SG erhoben. Im Verfahren hat das SG die AOK Sachsen-Anhalt, bei der die Klägerin krankenversichert ist, beigeladen. Dipl.-Med. L. hat in einem vom SG angeforderten Bericht vom 29. September 2005 ausgeführt: Die Schwangerschaft der Klägerin habe sich bis zur 19. Schwangerschaftswoche unauffällig gestaltet. Am 24. Juli 2003 habe er dann eine Zervixinsuffiziens festgestellt und das Beschäftigungsverbot ausgesprochen. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 22. Februar 2006 ihre Aufhebung der Bewilligung von Unterhaltsgeld für die Zeit bis einschließlich 27. Juli 2003 zurückgenommen. Das SG hat die Beigeladene mit Urteil vom 22. Februar 2006 verurteilt, der Klägerin ab dem 28. Juli 2003 (über den 27. August 2003 hinaus) Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt: Eine Anspruch auf Unterhaltsgeld bestehe für die Zeit nach Abbruch der Weiterbildungsmaßnahme nicht mehr. Die Klägerin habe für die Dauer des Beschäftigungsverbots auch keinen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, weil es an der Arbeitsfähigkeit und damit der Vermittelbarkeit fehle. Die Klägerin habe aber Anspruch auf Krankengeld. Der behandelnde Frauenarzt habe einen regelwidrigen Körperzustand festgestellt. Die fehlende Behandelbarkeit sei für den Krankheitszustand nicht relevant. Gegen das ihr am 27. März 2006 zugestellte Urteil hat die Beigeladene am 12. April 2006 Berufung eingelegt: Die vom Frauenarzt der Klägerin festgestellte Zervixinsuffiziens sei nicht der Grund für die Arbeitsunfähigkeit gewesen. Grund gewesen sei die Schwangerschaft. Dies sei keine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung. Wie schon das Reichsversicherungsamt entschieden habe, führe allein die auf einem regelwidrigen Körperzustand beruhende Arbeitsunfähigkeit zur Leistungspflicht der Krankenkasse. Leistungspflichtig sei hier die Beklagte. Die Beigeladene beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 22. Februar 2006 aufzuheben. Die Klägerin beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 22. Februar 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 11. und 26. August 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. November 2003 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 28. Juli bis zum 7. November 2003 Lohnersatzleistungen nach dem SGB III zu gewähren, hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie meint, das bezüglich der Klägerin ausgesprochene Beschäftigungsverbot gehe mit einer Arbeitsunfähigkeit einher, so dass das SG zu Recht die Leistungspflicht der Krankenkasse festgestellt habe. Der Berichterstatter hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen Dipl.-Med. L. im Termin zur Beweisaufnahme am 29. April 2009. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift (Blatt 230 bis 232 der Gerichtsakten) Bezug genommen. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen. Diese haben dem Senat bei der Beratung der Sache vorgelegen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat konnte mit dem erklärten Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Die gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beigeladenen ist nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG zulässig. Die Berufung der Beigeladenen ist aber unbegründet. Der als Anschlussberufung zu wertende, auf eine Verurteilung der Beklagten gerichtete Hauptantrag der Klägerin ist ebenfalls zulässig, aber unbegründet. Das SG hat zu Recht die Beigeladene verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum ab dem 28. Juli 2003 Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Die Berufung war mit der klarstellenden Maßgabe zurückzuweisen, dass Krankengeld für die Zeit bis zum 7. November 2003 zu gewähren ist. Denn ab dem 8. November 2003 hat die Beigeladene der Klägerin Mutterschaftsgeld nach der Reichsversicherungsordnung geleistet und die Klägerin hat auch im Berufungsverfahren ihren klageweise geltend gemachten Leistungsanspruch entsprechend beschränkt. Die Beigeladene kann hier als leistungspflichtiger Versicherungsträger auch ohne vorheriges Verwaltungsverfahren entsprechend § 75 Abs. 5 SGG verurteilt werden. Eine Leistungspflicht der Beklagten besteht nicht. Ein Anspruch auf Unterhaltsgeld nach den §§ 153 ff. Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) in der bis zum 31. Dezember 2004 gültigen Fassung besteht für den Zeitraum vom 28. Juli bis zum 7. November 2003 nicht, weil die Klägerin nicht mehr an einer geförderten Maßnahme teilnahm. Auch ein Anspruch auf Arbeitslosenhilfe nach den §§ 190 ff. SGB III in der bis zum 31. Dezember 2004 gültigen Fassung scheidet aus, weil die Klägerin in diesem Zeitraum nicht für Vermittlungsbemühungen des Arbeitsamts zur Verfügung stand und damit nicht arbeitslos im Sinne der §§ 118, 119 SGB III war. Eine Leistungsfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit durch die Beklagte nach §§ 126, 198 SGB III scheidet aus, weil diese Vorschrift nur einschlägig ist, wenn die Arbeitsunfähigkeit während des Bezuges von Arbeitslosengeld bzw. Arbeitslosenhilfe eintritt. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld für den Zeitraum vom 28. Juli 2007 bis zum 7. November 2003 gegenüber der Beigeladenen. Nach § 44 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Der Anspruch entsteht nach § 46 SGB V von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung von Arbeitsunfähigkeit folgt. Hier hat der behandelnde Frauenarzt der Klägerin, der Zeuge Dip.-Med. L. , bei der Klägerin am 24. Juli 2003 die Arbeitsunfähigkeit festgestellt. Diese Feststellung ist von der Aussprache des Beschäftigungsverbots für die Dauer der Schwangerschaft mit umfasst. Zum Zeitpunkt der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit war die Klägerin bei der Beigeladenen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V pflichtversichert. Nach § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte u. a. Anspruch auf Krankengeld, wenn "die Krankheit sie arbeitsunfähig macht". Dass die Klägerin in der Zeit ab dem 24. Juli 2007 für die gesamte (restliche) Dauer ihrer Schwangerschaft arbeitsunfähig war, steht für den Senat aufgrund der bescheinigten Feststellungen des behandelnden Frauenarztes, des Zeugen Dipl.-Med. L. , fest. Eine in der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V Versicherte ist arbeitsunfähig, wenn sie auf Grund gesundheitlicherer Einschränkungen nicht mehr in der Lage ist, Arbeiten in einem zeitlichen Umfang zu verrichten, für den sie sich der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestellt hat (Bundessozialgericht - BSG – Urteil vom 7. Dezember 2004 – B 1 KR 5/03 R = SozR 4-2500 § 44 Nr. 3). Hier hatte Dipl.-Med. L. gegenüber der Beklagten auf telefonische Nachfrage erklärt, es besteht für die Klägerin ein generelles Beschäftigungsverbot; sie sei auch (zum Beispiel) für leichte Bürotätigkeiten nicht verfügbar. Er lehne es ab, das von ihm ausgesprochene Beschäftigungsverbot bei Feststellung eines verbleibenden positiven Leistungsbilds in ein partielles Beschäftigungsverbot umzuwandeln. Die Klägerin stand damit der Arbeitsvermittlung überhaupt nicht mehr zur Verfügung. Dieser vollständige Ausschluss der Möglichkeit zur Verrichtung einer Berufstätigkeit beruhte auch auf krankheitsbedingten gesundheitlichen Einschränkungen. Die Ursächlichkeit einer Krankheit für die festgestellte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin wird hier nicht dadurch in Frage gestellt, dass Dipl. Med. L. die Feststellungen im Zusammenhang mit der Schwangerschaft der Klägerin getroffen hat. Unter einer Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung ist ein regelwidriger körperlicher Zustand zu verstehen, der entweder Behandlungsbedürftigkeit oder Arbeitsunfähigkeit oder beides zur Folge hat (Höfler im Kasseler Kommentar, Stand: Juni 2007, § 27 Rdnr. 9 mit zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen). In diesem Sinne ist eine Schwangerschaft bei normalem Verlauf keine Krankheit im Sinne des SGB V (BSG, Urteil vom 9. September 1999 - B 11 AL 77/98 R = SozR 3-4100 Nr. 103 Nr. 19) und auch nicht im arbeitsrechtlichen Sinne (Bundesarbeitsgericht - BAG – Urteil vom 22. März 1995 – 5 AZR 874/93 = BAGE 79, 307). Es liegt kein regelwidriger Zustand vor und es kann auch als allgemeinkundige Tatsache angesehen werden, dass bei normalem Schwangerschaftsverlauf außerhalb der gesetzlichen Schutzfristen eine Erwerbstätigkeit ohne schwere körperliche Belastungen oder schädigende Einwirkungen am Arbeitsplatz möglich sei. Wird allerdings ein generelles, sich auf alle Arten der Berufstätigkeit beziehendes Beschäftigungsverbot ausgesprochen, so indiziert dies eine die Verfügbarkeit ausschließende Arbeitsunfähigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 9. September 1999, a. a. O.). Hier hat der als Zeuge befragte Frauenarzt der Klägerin, Dipl.-Med. L. , ausgesagt: Bei der Klägerin sei im Jahr 1998 eine Konisation (= Entnahme einer Gewebeprobe aus der Gebärmutter) erfolgt, um eine Krebserkrankung sicher auszuschließen. Die Konisation habe bei der nachfolgenden Schwangerschaft zu einer Schwächung des Muttermundes (Zerfixinsufizienz) geführt. Dies habe er am 24. Juli 2003 festgestellt und deshalb unabhängig von der konkreten Berufsausübung festgelegt, dass die Klägerin keine berufliche Tätigkeit mehr ausüben solle. Dabei sei ihm bekannt gewesen, dass die Klägerin an einer Weiterbildungsmaßnahme teilgenommen habe. Auch wenn die Klägerin damals im Büro gearbeitete hätte, hätte er die Tätigkeit untersagt. Es sei darum gegangen, die Summierung von beruflichen und häuslichen Belastungen zu verringern, um das Risiko einer Fehlgeburt niedrig zu halten. Aus diesen Ausführungen folgt, dass damals bei der Klägerin keine "normale" Schwangerschaft vorlag. Der behandelnde Frauenarzt hat in der Sache kein Beschäftigungsverbot ausgesprochen, um die Klägerin vor besonderen beruflichen Gefahren zu schützen. Ziel der Untersagung jeder Berufstätigkeit war es, aufgrund einer besonderen, vom Normalfall abweichenden Risikolage die Belastungen zu minimieren. Ursächlich war nicht die Schwangerschaft an sich, sondern ein mit dieser einhergehender normwidriger Zustand, der vom Begriff der Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung erfasst wird. Somit war eine Krankheit im Sinne der gesetzlichen Krankenversicherung ursächlich für die bei der Klägerin festgestellte Arbeitsunfähigkeit. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG Gründe für die Revision liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, wobei der Senat den vom BSG entwickelten Grundsätzen folgt.
Rechtskraft
Aus
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