Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Cottbus (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 14 AS 178/09
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
1.) Zur Frage der Bewilligung eines Mehrbedarfes für Alleinerziehende im Rahmen einer Bedarfsgemeinschaft.
2.) Zur verfassungskonformen Auslegung des § 21 Abs 3 SGB II.
3.) Zu den Vorausetzungen für die alleinige Sorge um Pflege und Erziehung des Kindes.
2.) Zur verfassungskonformen Auslegung des § 21 Abs 3 SGB II.
3.) Zu den Vorausetzungen für die alleinige Sorge um Pflege und Erziehung des Kindes.
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Die Beklagte hat der Klägerin keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft und der Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende für den Zeitraum 01. März 2008 bis 31. Juli 2008.
Die Klägerin ist Mutter von drei Kindern. Am 18. November 2007 verließ die Klägerin die eheliche Wohnung und lebt seitdem mit den drei Kindern und dem Zeugen A. zusammen. Am 18. November 2007 stellte die Klägerin erstmals einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) bei der Beklagten. Die Beklagte bewilligte für den streitgegenständlichen Zeitraum mit Be-scheid vom 24. April 2008 Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin und der Zeuge A. zogen dann im März 2008 gemeinsam in eine Wohnung in der Stadt C. Beide sind Mietparteien des Mietvertrages. Mit Bescheid vom 02. September 2008 änderte die Beklagte den Bescheid vom 24. April 2008 ab und bewilligte für den streitgegenständlichen Zeitraum höhere als die zunächst bewilligten Leistungen. Die Beklagte wertete auch im Änderungsbescheid die Klägerin und den Zeugen A. als Bedarfsgemeinschaft und bewilligte keinen Mehraufwand für Alleinerziehende.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2009 zurück, mit der Begründung die Klägerin und der Zeuge A. bilden eine Bedarfs-gemeinschaft, durch das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft sei insbesondere ein Mehraufwand für Alleinerziehende generell ausgeschlossen.
Mit ihrer am 5. Februar 2009 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Auffassung, sie bilde keine Bedarfsgemeinschaft mit dem Zeugen A. Sie behauptet, sie würde ihre 3 Kinder alleine erziehen und ist der Auffassung ihr stünde somit ein Mehrbedarf zu.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
in Abänderung des Bescheides vom 14. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 2. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2009 die Beklagte zu verurteilen der Klägerin Leistungen nach dem SGB II als eigenständige Bedarfsgemeinschaft ohne Berücksichtigung des A. und unter Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf die angefochtenen Bescheide.
Die Kammer hat in Ausübung der Verpflichtung zur Amtsermittlung am 30. November 2009 einen Erörterungstermin durchgeführt und im Rahmen dessen den Zeugen A. vernommen. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll zum Erörterungstermin verwiesen. Im Termin wurde den Beteiligten die Möglichkeit gegeben zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid Stellung zu nehmen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die bei der Entscheidungsfindung Berücksichtigung gefunden haben.
Entscheidungsgründe:
I. Die Kammer kann gemäß § 105 Absatz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt hinreichend geklärt ist und die Beteiligten dazu gehört wurden.
II. 1. Die Klage ist zulässig.
Insbesondere ist die Beklagte beteiligtenfähig im Sinne des § 70 Nr. 2 SGG (vgl. auch BSGE 97, 217). Das Bundesverfassungsgericht hat § 44b SGB II zwar als verfassungswidrig und mit Artikel 28 und Artikel 83 GG für unvereinbar erklärt (BVerfGE 119, 331), gleichzeitig aber festgestellt, dass die ARGEn nach § 44b SGB II bis zum 31. Dezember 2010 übergangsweise auf der bisherigen Rechtsgrundlage tätig bleiben dürfen.
2. Die Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom 14. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 02. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. Februar 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ohne Berücksichtigung des Zeugen A. (dazu unter a) und keinen Anspruch auf Bewilligung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende (dazu unter b). Im Übrigen, insbesondere hinsichtlich der Frage der Hilfebedürftigkeit und der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung, schließt sich die Kammer den Feststellungen der Beklagten gemäß § 136 Absatz 3 SGG an und macht und diese zum Gegenstand der Entscheidungsgründe.
a) Die Klägerin und der Zeuge A. bilden in der streitgegenständlichen Zeit eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Absatz 3 SGB II. Die Klägerin und der Zeuge bilden eine Einstandsgemeinschaft nach § 7 Absatz 3 Nr. 3 lit. c SGB II. Die Voraussetzung für die Einstandgemeinschaft ist das Leben in einem gemeinsamen Haushalt dergestalt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Im März 2008 sind die Klägerin und der Zeuge in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Sie bilden seitdem, was unter den Beteiligten unstreitig ist, einen gemeinsamen Haushalt. Sie leben in diesem Haushalt auch, entgegen der Auffassung der Klägerin, dergestalt zusammen, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Nach Absatz 3a. Nr. 1 bis Nr. 4 der Vorschrift kann ein wechselseitiger Wille Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen unter bestimmten Voraussetzungen vermutet werden. Der Gesetzgeber hat in dieser (für die Vermutungsregelung abschließenden) Aufzählung deutlich gemacht, welche Kriterien an den wechselseitigen Willen Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen zu stellen sind. Die Kammer stellt anhand dieser Kriterien hier positiv fest, dass die Klägerin und der Zeuge dergestalt in einem Haushalt zusammenleben, das ein wechselseitiger Wille Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen vorliegt. Dies wird deutlich durch die Aussage des Zeugen das dieser die Miete der gemeinsamen Wohnung allein trägt und die Klägerin ihren Anteil damit leistet das sie sich um den sonstigen Bedarf des Zeugen kümmert. Die Klägerin nimmt damit völlig selbstständig einen nicht unerheblichen Teil der Vermögenssorge und alltäglichen Verrichtungen des Zeugen war, wohingegen der Zeuge selbstständig für die Unterkunft der Klägerin verantwortlich zeichnet. Durch diese gegenseitige Unterstützung manifestiert sich der Wille füreinander Verantwortung zu tragen und füreinander einzustehen.
b) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Anerkennung eines Mehrbedarfes nach § 21 Absatz 3 SGB II. § 21 Absatz 3 SGB II setzt voraus, dass "eine Person mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammen lebt und allein für deren Pflege und Erziehung sorgt". Unstreitig ist, dass die Klägerin mit mehreren minderjährigen Kindern zusammenlebt. Streitig ist, ob die Anerkennung eines Mehrbedarfs grundsätzlich dann scheitert wenn eine weitere, nicht minderjährige, Person im Haushalt lebt. Der Gesetzeswortlaut spricht nicht zwingend für oder gegen eine bestimmte Interpretation. Wörtlich heißt es "zusammen leben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen". Die Wendung "allein" kann nach ihrer Stellung im Satz daher ausschließlich auf die nachfolgenden Kriterien (Pflege und Erziehung) bezogen werden. Der Wendung "zusammen leben" ist kein "allein" vorangestellt. Nach dem bloßen Wortlaut der Regelung daher ein "allein leben" nicht notwendige Anspruchsvoraussetzung, lediglich ein "zusammen leben" muss gegeben sein.
"Allein" muss hingegen die Sorge für Pflege und Erziehung getragen werden. Das Gesetz liefert hierfür keine eigene Definition. Es herrscht durchgehend Einigkeit, dass bezüglich der alleinigen Sorge ausschließlich auf die tatsächlichen Umstände abzustellen ist und nicht auf rechtliche Verhältnisse wie zum Beispiel ein geteiltes Sorgerecht (vgl. dazu BSG B 1 KR 33/06 R, B 14/7b AS 8/07 R, B 4 AS 50/07 R; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 25 AS 1446/07; Landessozialgericht Niedersachsen Bremen L 13 AS 50/07 ER, L 9 AS 119/08 ER).
Die Begriffe "Pflege" und "Erziehung" umschreiben die umfassende Verantwortung für die Lebens- und Entwicklungsbedingungen des Kindes. Pflege konkretisiert die Sorge für das körperliche Wohl, Erziehung die Sorge für die seelische und geistige Entwicklung, die Bildung und Ausbildung der minderjährige Kinder. Es geht um die gesamte Sorge für das Kind, mithin die Ernährung, Bekleidung, Gestaltung des Tagesablaufs und emotionale Zuwendung (so BSG B 4 AS 50/07 R Rn. 17, zit. nach Juris). Nach der Kommentarliteratur sorgt der Hilfesuchende allein für Pflege und Erziehung, wenn keine andere Personen etwa im gleichen Umfang wie die allein betreuende Person an der Erziehung und Pflege der Kinder beteiligt ist, so dass sich die beiden Personen etwa je zur Hälfte die Pflege und Erziehung teilen (Münder in LPK SGB II, 2. Aufl. § 21 Rn. 8). Ein Alleinerziehender sorgt nur dann nicht allein für die Pflege und Erzie-hung eines Kindes, wenn ihn eine andere Person so nachhaltig bei der Pflege und Erziehung des Kindes unterstützt wie sonst der andere Elternteil zu tun pflegt (BSG B 4 AS 50/07 R Rn 18f.; Münder aaO Rn 12; Eicher Spellbrink SGB 2, 2. Aufl. § 21 Rn. 29).
Entscheidend für die Auslegung des Begriffs der "alleinigen Sorge" ist der Zweck des § 21 Absatz 3 SGB II. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte inhaltlich an die entsprechende Vorschrift im Bundessozialhilfegesetz angeknüpft werden (vgl. BSG aaO Rn 18; LSG Niedersachsen Bremen L 13 AS 50/07 ER Rn 14, zit. nach Juris). Die Rechtfertigung dieses Mehrbedarfszuschlages ergab sich nach den Gesetzgebungsmaterialien vor allem dadurch, dass allein Erziehende wegen der Sorge für ihre Kinder weniger Zeit haben preisbewusst einzukaufen so-wie zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen müssen. Auch seien sie weniger mobil, finden keine ausreichende Zeit zum Preisvergleich, müssten die nächstgelegene Einflussmöglichkeit nutzen und hätten ein höheres Informations- und Kontaktbedürfnis. Der Zweck des Mehrbedarfes liegt mithin darin, den höheren Aufwand des Alleinerziehenden für die Versorgung und Pflege beziehungsweise Erziehung der Kinder, etwa wegen geringerer Beweglichkeit und zusätzlichen Aufwendungen für Kontaktpflege oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter, in pauschalierter Form auszugleichen. Entscheidend ist es daher, ob der hilfebedürftige Elternteil von einer anderen Person (beispielsweise seines Partners) in einem Umfang unterstützt wird, der es rechtfertigt, von einer nachhaltigen Entlastung auszugehen. Diese Entlastungen können auch finanzieller Art sein, müssen dann aber in einem Umfang stehen, dass die Zuerkennung eines Mehrbedarfs nicht gerechtfertigt wäre (BSG aaO Rn. 20).
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass auch bei Ehegatten, die gemeinsam mit ihren Kindern in einem Haushalt leben, häufig nicht der einzelne Elternteil rund um die Uhr, sondern in der Regel nur zeitweise zur Pflege und Erziehung eines Kindes zur Verfügung steht (LSG Niedersachsen Bremen L 13 AS 50/07 ER). Insbesondere der zuletzt genannte Aspekt ist unter Beachtung des Artikels 6 Absatz 1 Grundgesetz von herausragender Bedeutung. Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz stellt die Ehe und Familie unter den besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Daraus folgt ein spezielles Diskriminierungsverbot von Ehe und/oder Familie. Dieses Verbot wird verletzt, wenn eine Ungleichbehandlung von Ehegatten gegenüber Ledigen (BVerfGE 28, 324/347; 69, 188/205f.; 87, 234/259) oder gegenüber eheähnlichen Gemeinschaften (BVerfGE 67, 186/196; BSGE 63, 120/129) bzw. von Familien(angehörigen) gegen-über Nichtfamilienmitgliedern (BVerfGE 28, 104/112) erfolgt. Der Benachteiligung steht eine entsprechende Begünstigung gleich (BVerfGE 12, 151/167). Bei der Auslegung des § 21 Absatz 3 SGB II ist daher das Diskriminierungsverbot des Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz zu beachten und die Norm entsprechend grundrechtskonform auszulegen. § 21 Absatz 3 SGB II berührt den Schutzbereich des Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz und gewährt Alleinerziehenden einen pauschalierten finanziellen Zuschlag, den Leistungsempfänger in einer intakten Ehe mit gefestigten Familienverhältnissen nicht erhalten würden. Sie werden damit gegenüber einer "normalen" Ehe/Familie besser gestellt. Diese Besserstellung rechtfertigt sich grundsätzlich an dem höheren Aufwand (vgl. oben). Um den Schutzbereich des Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz nicht auch zu verletzen, muss § 21 Absatz 3 SGB II dann aber verfassungskonform angewendet werden. Dies hat zur Folge, dass in Fällen in denen ein Elternteil mit einem "fremden" Partner in häuslicher Gemeinschaft lebt, streng geprüft werden muss, ob sich die Sorge zur Pflege und Erziehung des Kindes in einer Art und Weise darstellt, wie diese auch bei einer intakten Ehe mit gefestigten Familienverhältnissen vorliegen würde. In diesen Fällen ist dann für die Anerkennung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende kein Raum. Andernfalls würde zur Überzeugung der Kammer § 21 Absatz 3 SGB II möglicherweise gegen Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz verstoßen (weil die nichteheliche Partnerschaft ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund besser gestellt würde als die eheliche Partnerschaft), was zur Folge hätte, dass die Kammer die Rechtsfrage, nach Artikel 100 Grundgesetz, dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen müsste.
Auf den vorliegenden Rechtsstreit übertragen verfängt daher die Argumentation, dass der Zeuge berufstätig sei und daher unter der Woche ohnehin schon keine Entlastung der Klägerin herbeiführen könnte, was nach Aussage des Zeugen ohnehin nicht der Fall sein soll, nicht. Auch in einer intakten Ehe mit gefestigten Familienverhältnissen ist es nicht ungewöhnlich, sondern eher die Regel, dass ein Elternteil wochentags durchgehend Arbeiten ist. Bei der weiteren Bewertung der Lebensumstände der Klägerin kommt noch hinzu, dass durch die alleinige Tragung der Miete der von der Klägerin, ihren Kindern und dem Zeugen bewohnten Wohnung dieser einen ganz erheblichen Beitrag für die Sorge um die Pflege der Kinder der Klägerin leistet. Die Versorgung mit angemessenem Wohnraum ist ein erheblicher Beitrag für die Sorge um die Pflege von Kindern. Ein Mehrbedarf kann aber nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 21 Absatz 3 SGB II nur dann gewährt werden, wenn die alleinige Sorge Pflege und Erziehung umfasst. Durch die Versorgung mit Wohnraum durch den Zeugen, leistete die Klägerin hinsichtlich der Sorge um die Pflege ihrer Kinder keinen überwiegend alleinigen Anteil. Im Gegenteil sie erhält hier massive Unterstützung durch den Zeugen. Angesichts dessen ist die Zuerkennung eines Mehrbedarfs hier auch nicht mehr gerechtfertigt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis der Hauptsache.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft und der Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende für den Zeitraum 01. März 2008 bis 31. Juli 2008.
Die Klägerin ist Mutter von drei Kindern. Am 18. November 2007 verließ die Klägerin die eheliche Wohnung und lebt seitdem mit den drei Kindern und dem Zeugen A. zusammen. Am 18. November 2007 stellte die Klägerin erstmals einen Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) bei der Beklagten. Die Beklagte bewilligte für den streitgegenständlichen Zeitraum mit Be-scheid vom 24. April 2008 Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin und der Zeuge A. zogen dann im März 2008 gemeinsam in eine Wohnung in der Stadt C. Beide sind Mietparteien des Mietvertrages. Mit Bescheid vom 02. September 2008 änderte die Beklagte den Bescheid vom 24. April 2008 ab und bewilligte für den streitgegenständlichen Zeitraum höhere als die zunächst bewilligten Leistungen. Die Beklagte wertete auch im Änderungsbescheid die Klägerin und den Zeugen A. als Bedarfsgemeinschaft und bewilligte keinen Mehraufwand für Alleinerziehende.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 2. Februar 2009 zurück, mit der Begründung die Klägerin und der Zeuge A. bilden eine Bedarfs-gemeinschaft, durch das Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft sei insbesondere ein Mehraufwand für Alleinerziehende generell ausgeschlossen.
Mit ihrer am 5. Februar 2009 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie ist der Auffassung, sie bilde keine Bedarfsgemeinschaft mit dem Zeugen A. Sie behauptet, sie würde ihre 3 Kinder alleine erziehen und ist der Auffassung ihr stünde somit ein Mehrbedarf zu.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
in Abänderung des Bescheides vom 14. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 2. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Februar 2009 die Beklagte zu verurteilen der Klägerin Leistungen nach dem SGB II als eigenständige Bedarfsgemeinschaft ohne Berücksichtigung des A. und unter Gewährung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist die Beklagte im Wesentlichen auf die angefochtenen Bescheide.
Die Kammer hat in Ausübung der Verpflichtung zur Amtsermittlung am 30. November 2009 einen Erörterungstermin durchgeführt und im Rahmen dessen den Zeugen A. vernommen. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll zum Erörterungstermin verwiesen. Im Termin wurde den Beteiligten die Möglichkeit gegeben zur beabsichtigten Entscheidung durch Gerichtsbescheid Stellung zu nehmen.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, sowie auf die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen, die bei der Entscheidungsfindung Berücksichtigung gefunden haben.
Entscheidungsgründe:
I. Die Kammer kann gemäß § 105 Absatz 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt hinreichend geklärt ist und die Beteiligten dazu gehört wurden.
II. 1. Die Klage ist zulässig.
Insbesondere ist die Beklagte beteiligtenfähig im Sinne des § 70 Nr. 2 SGG (vgl. auch BSGE 97, 217). Das Bundesverfassungsgericht hat § 44b SGB II zwar als verfassungswidrig und mit Artikel 28 und Artikel 83 GG für unvereinbar erklärt (BVerfGE 119, 331), gleichzeitig aber festgestellt, dass die ARGEn nach § 44b SGB II bis zum 31. Dezember 2010 übergangsweise auf der bisherigen Rechtsgrundlage tätig bleiben dürfen.
2. Die Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom 14. April 2008 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 02. September 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. Februar 2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II ohne Berücksichtigung des Zeugen A. (dazu unter a) und keinen Anspruch auf Bewilligung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende (dazu unter b). Im Übrigen, insbesondere hinsichtlich der Frage der Hilfebedürftigkeit und der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft und Heizung, schließt sich die Kammer den Feststellungen der Beklagten gemäß § 136 Absatz 3 SGG an und macht und diese zum Gegenstand der Entscheidungsgründe.
a) Die Klägerin und der Zeuge A. bilden in der streitgegenständlichen Zeit eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Absatz 3 SGB II. Die Klägerin und der Zeuge bilden eine Einstandsgemeinschaft nach § 7 Absatz 3 Nr. 3 lit. c SGB II. Die Voraussetzung für die Einstandgemeinschaft ist das Leben in einem gemeinsamen Haushalt dergestalt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Im März 2008 sind die Klägerin und der Zeuge in eine gemeinsame Wohnung gezogen. Sie bilden seitdem, was unter den Beteiligten unstreitig ist, einen gemeinsamen Haushalt. Sie leben in diesem Haushalt auch, entgegen der Auffassung der Klägerin, dergestalt zusammen, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen. Nach Absatz 3a. Nr. 1 bis Nr. 4 der Vorschrift kann ein wechselseitiger Wille Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen unter bestimmten Voraussetzungen vermutet werden. Der Gesetzgeber hat in dieser (für die Vermutungsregelung abschließenden) Aufzählung deutlich gemacht, welche Kriterien an den wechselseitigen Willen Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen zu stellen sind. Die Kammer stellt anhand dieser Kriterien hier positiv fest, dass die Klägerin und der Zeuge dergestalt in einem Haushalt zusammenleben, das ein wechselseitiger Wille Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen vorliegt. Dies wird deutlich durch die Aussage des Zeugen das dieser die Miete der gemeinsamen Wohnung allein trägt und die Klägerin ihren Anteil damit leistet das sie sich um den sonstigen Bedarf des Zeugen kümmert. Die Klägerin nimmt damit völlig selbstständig einen nicht unerheblichen Teil der Vermögenssorge und alltäglichen Verrichtungen des Zeugen war, wohingegen der Zeuge selbstständig für die Unterkunft der Klägerin verantwortlich zeichnet. Durch diese gegenseitige Unterstützung manifestiert sich der Wille füreinander Verantwortung zu tragen und füreinander einzustehen.
b) Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Anerkennung eines Mehrbedarfes nach § 21 Absatz 3 SGB II. § 21 Absatz 3 SGB II setzt voraus, dass "eine Person mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammen lebt und allein für deren Pflege und Erziehung sorgt". Unstreitig ist, dass die Klägerin mit mehreren minderjährigen Kindern zusammenlebt. Streitig ist, ob die Anerkennung eines Mehrbedarfs grundsätzlich dann scheitert wenn eine weitere, nicht minderjährige, Person im Haushalt lebt. Der Gesetzeswortlaut spricht nicht zwingend für oder gegen eine bestimmte Interpretation. Wörtlich heißt es "zusammen leben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen". Die Wendung "allein" kann nach ihrer Stellung im Satz daher ausschließlich auf die nachfolgenden Kriterien (Pflege und Erziehung) bezogen werden. Der Wendung "zusammen leben" ist kein "allein" vorangestellt. Nach dem bloßen Wortlaut der Regelung daher ein "allein leben" nicht notwendige Anspruchsvoraussetzung, lediglich ein "zusammen leben" muss gegeben sein.
"Allein" muss hingegen die Sorge für Pflege und Erziehung getragen werden. Das Gesetz liefert hierfür keine eigene Definition. Es herrscht durchgehend Einigkeit, dass bezüglich der alleinigen Sorge ausschließlich auf die tatsächlichen Umstände abzustellen ist und nicht auf rechtliche Verhältnisse wie zum Beispiel ein geteiltes Sorgerecht (vgl. dazu BSG B 1 KR 33/06 R, B 14/7b AS 8/07 R, B 4 AS 50/07 R; Landessozialgericht Berlin-Brandenburg L 25 AS 1446/07; Landessozialgericht Niedersachsen Bremen L 13 AS 50/07 ER, L 9 AS 119/08 ER).
Die Begriffe "Pflege" und "Erziehung" umschreiben die umfassende Verantwortung für die Lebens- und Entwicklungsbedingungen des Kindes. Pflege konkretisiert die Sorge für das körperliche Wohl, Erziehung die Sorge für die seelische und geistige Entwicklung, die Bildung und Ausbildung der minderjährige Kinder. Es geht um die gesamte Sorge für das Kind, mithin die Ernährung, Bekleidung, Gestaltung des Tagesablaufs und emotionale Zuwendung (so BSG B 4 AS 50/07 R Rn. 17, zit. nach Juris). Nach der Kommentarliteratur sorgt der Hilfesuchende allein für Pflege und Erziehung, wenn keine andere Personen etwa im gleichen Umfang wie die allein betreuende Person an der Erziehung und Pflege der Kinder beteiligt ist, so dass sich die beiden Personen etwa je zur Hälfte die Pflege und Erziehung teilen (Münder in LPK SGB II, 2. Aufl. § 21 Rn. 8). Ein Alleinerziehender sorgt nur dann nicht allein für die Pflege und Erzie-hung eines Kindes, wenn ihn eine andere Person so nachhaltig bei der Pflege und Erziehung des Kindes unterstützt wie sonst der andere Elternteil zu tun pflegt (BSG B 4 AS 50/07 R Rn 18f.; Münder aaO Rn 12; Eicher Spellbrink SGB 2, 2. Aufl. § 21 Rn. 29).
Entscheidend für die Auslegung des Begriffs der "alleinigen Sorge" ist der Zweck des § 21 Absatz 3 SGB II. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollte inhaltlich an die entsprechende Vorschrift im Bundessozialhilfegesetz angeknüpft werden (vgl. BSG aaO Rn 18; LSG Niedersachsen Bremen L 13 AS 50/07 ER Rn 14, zit. nach Juris). Die Rechtfertigung dieses Mehrbedarfszuschlages ergab sich nach den Gesetzgebungsmaterialien vor allem dadurch, dass allein Erziehende wegen der Sorge für ihre Kinder weniger Zeit haben preisbewusst einzukaufen so-wie zugleich höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen müssen. Auch seien sie weniger mobil, finden keine ausreichende Zeit zum Preisvergleich, müssten die nächstgelegene Einflussmöglichkeit nutzen und hätten ein höheres Informations- und Kontaktbedürfnis. Der Zweck des Mehrbedarfes liegt mithin darin, den höheren Aufwand des Alleinerziehenden für die Versorgung und Pflege beziehungsweise Erziehung der Kinder, etwa wegen geringerer Beweglichkeit und zusätzlichen Aufwendungen für Kontaktpflege oder Inanspruchnahme von Dienstleistungen Dritter, in pauschalierter Form auszugleichen. Entscheidend ist es daher, ob der hilfebedürftige Elternteil von einer anderen Person (beispielsweise seines Partners) in einem Umfang unterstützt wird, der es rechtfertigt, von einer nachhaltigen Entlastung auszugehen. Diese Entlastungen können auch finanzieller Art sein, müssen dann aber in einem Umfang stehen, dass die Zuerkennung eines Mehrbedarfs nicht gerechtfertigt wäre (BSG aaO Rn. 20).
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass auch bei Ehegatten, die gemeinsam mit ihren Kindern in einem Haushalt leben, häufig nicht der einzelne Elternteil rund um die Uhr, sondern in der Regel nur zeitweise zur Pflege und Erziehung eines Kindes zur Verfügung steht (LSG Niedersachsen Bremen L 13 AS 50/07 ER). Insbesondere der zuletzt genannte Aspekt ist unter Beachtung des Artikels 6 Absatz 1 Grundgesetz von herausragender Bedeutung. Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz stellt die Ehe und Familie unter den besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. Daraus folgt ein spezielles Diskriminierungsverbot von Ehe und/oder Familie. Dieses Verbot wird verletzt, wenn eine Ungleichbehandlung von Ehegatten gegenüber Ledigen (BVerfGE 28, 324/347; 69, 188/205f.; 87, 234/259) oder gegenüber eheähnlichen Gemeinschaften (BVerfGE 67, 186/196; BSGE 63, 120/129) bzw. von Familien(angehörigen) gegen-über Nichtfamilienmitgliedern (BVerfGE 28, 104/112) erfolgt. Der Benachteiligung steht eine entsprechende Begünstigung gleich (BVerfGE 12, 151/167). Bei der Auslegung des § 21 Absatz 3 SGB II ist daher das Diskriminierungsverbot des Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz zu beachten und die Norm entsprechend grundrechtskonform auszulegen. § 21 Absatz 3 SGB II berührt den Schutzbereich des Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz und gewährt Alleinerziehenden einen pauschalierten finanziellen Zuschlag, den Leistungsempfänger in einer intakten Ehe mit gefestigten Familienverhältnissen nicht erhalten würden. Sie werden damit gegenüber einer "normalen" Ehe/Familie besser gestellt. Diese Besserstellung rechtfertigt sich grundsätzlich an dem höheren Aufwand (vgl. oben). Um den Schutzbereich des Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz nicht auch zu verletzen, muss § 21 Absatz 3 SGB II dann aber verfassungskonform angewendet werden. Dies hat zur Folge, dass in Fällen in denen ein Elternteil mit einem "fremden" Partner in häuslicher Gemeinschaft lebt, streng geprüft werden muss, ob sich die Sorge zur Pflege und Erziehung des Kindes in einer Art und Weise darstellt, wie diese auch bei einer intakten Ehe mit gefestigten Familienverhältnissen vorliegen würde. In diesen Fällen ist dann für die Anerkennung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende kein Raum. Andernfalls würde zur Überzeugung der Kammer § 21 Absatz 3 SGB II möglicherweise gegen Artikel 6 Absatz 1 Grundgesetz verstoßen (weil die nichteheliche Partnerschaft ohne sachlichen Rechtfertigungsgrund besser gestellt würde als die eheliche Partnerschaft), was zur Folge hätte, dass die Kammer die Rechtsfrage, nach Artikel 100 Grundgesetz, dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorlegen müsste.
Auf den vorliegenden Rechtsstreit übertragen verfängt daher die Argumentation, dass der Zeuge berufstätig sei und daher unter der Woche ohnehin schon keine Entlastung der Klägerin herbeiführen könnte, was nach Aussage des Zeugen ohnehin nicht der Fall sein soll, nicht. Auch in einer intakten Ehe mit gefestigten Familienverhältnissen ist es nicht ungewöhnlich, sondern eher die Regel, dass ein Elternteil wochentags durchgehend Arbeiten ist. Bei der weiteren Bewertung der Lebensumstände der Klägerin kommt noch hinzu, dass durch die alleinige Tragung der Miete der von der Klägerin, ihren Kindern und dem Zeugen bewohnten Wohnung dieser einen ganz erheblichen Beitrag für die Sorge um die Pflege der Kinder der Klägerin leistet. Die Versorgung mit angemessenem Wohnraum ist ein erheblicher Beitrag für die Sorge um die Pflege von Kindern. Ein Mehrbedarf kann aber nach dem ausdrücklichen Wortlaut von § 21 Absatz 3 SGB II nur dann gewährt werden, wenn die alleinige Sorge Pflege und Erziehung umfasst. Durch die Versorgung mit Wohnraum durch den Zeugen, leistete die Klägerin hinsichtlich der Sorge um die Pflege ihrer Kinder keinen überwiegend alleinigen Anteil. Im Gegenteil sie erhält hier massive Unterstützung durch den Zeugen. Angesichts dessen ist die Zuerkennung eines Mehrbedarfs hier auch nicht mehr gerechtfertigt.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis der Hauptsache.
Rechtskraft
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