L 6 SO 135/08

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 12 SO 194/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 SO 135/08
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Einem Heimträger, der zugleich überörtlicher Träger der Sozialhilfe ist, ist die Tragung von Bestattungskosten einer mittellosen Person jedenfalls dann grundsätzlich zumutbar, wenn die verstorbene Person fast 45 Jahre in seiner Einrichtung verbracht hat.

2. Zum Anspruch einer Körperschaft des Öffentlichen Rechts auf Übernahme der Bestattungskosten nach § 15 BSHG bzw. § 74 SGB XII.
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 3. September 2008 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Beteiligten haben in beiden Instanzen einander keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger beansprucht im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft die Übernahme von Bestattungskosten durch den örtlichen Sozialhilfeträger.

Im "Wohn- und Pflegeheim für Menschen mit seelischer Behinderung des Zentrums für soziale Psychiatrie MG." in R-Stadt verstarb am 4. Oktober 2002 die am xx. xxxx 1909 geborene OL., die bis 1957 im Gebiet der Beklagten zuletzt von fürsorgerechtlichen Leistungen der Beklagten lebte und danach durchgängig in psychiatrischen Krankenhäusern und Pflegeheimen des Klägers untergebracht war.

Der Kläger veranlasste die Beerdigung, wodurch Kosten in Höhe von 1.556,07 EUR anfielen.

Der Kläger betrieb das genannte Heim seinerzeit als Eigenbetrieb. Am 10. Juli 2007 wurde der Eigenbetrieb aus dem Vermögen des Klägers in eine neu gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung "Zentrum für Soziale Psychiatrie MG. gGmbH" ausgegliedert. Nach dem ebenfalls am 10. Juli 2007 notariell beurkundeten Spaltungsplan wurden u. a. alle dem Eigenbetrieb wirtschaftlich zuzuordnenden Forderungen, Rechte und sonstige Vertragsverhältnisse ausgegliedert. Ursprünglich war der Kläger Alleingesellschafter. Später übertrug der Kläger seine Anteile auf Holding-Gesellschaften, aktuell die "S. GmbH (Holding)", deren Gesellschafter wiederum der Kläger ist. Das Heim wird nunmehr von der "S. gGmbH" betrieben, wobei es sich nach den unwidersprochen gebliebenen Angaben des Klägers um eine Umfirmierung der "Zentrum für Soziale Psychiatrie MG. gGmbH" handelt.

Mit Schreiben vom 18. Mai 2004 und 24. September 2004 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage von Rechnungen die Erstattung der verauslagten Kosten.

Dies lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 4. März 2005 ab. Zur Begründung wurde unter Bezugnahme auf § 25 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) ausgeführt, dass die Kostenerstattung nicht in angemessener Frist beantragt worden sei. Die Rechnungen für die Bestattung seien vom Kläger am 31. Oktober 2002 angewiesen worden, nunmehr werde fast ein Jahr und sieben Monate später die Kostenübernahme beantragt.

Hiergegen legte der Kläger am 14. März 2005 Widerspruch ein und wies darauf hin, dass sich der Anspruch aus § 15 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bzw. § 74 SGB XII ergebe. Dieser Anspruch müsse nicht innerhalb einer angemessenen Frist beantragt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 2. Mai 2006 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Beklagte vertiefte ihre Begründung zu § 25 SGB XII. Auch nach § 18 SGB XII sei die rechtzeitige Kenntnis des Trägers der Sozialhilfe über die Voraussetzungen der Leistung erforderlich.

Am 24. Mai 2006 hat der Kläger Klage vor dem Sozialgericht in Wiesbaden erhoben. Mit Beschluss vom 21. November 2006 ist der Rechtsstreit an das Sozialgericht Kassel verwiesen worden. Der Kläger hat die Rechtsansicht vertreten, dass § 5 BSHG bzw. § 18 SGB XII nicht anwendbar seien. Der Kläger sei daher nicht zu einer früheren Antragstellung verpflichtet gewesen. Der Anspruch sei auch nicht verwirkt. Es lägen keine die Verwirkung auslösenden Umstände vor, denn die Beklagte habe nicht in Folge eines bestimmten Verhaltens des Klägers darauf vertrauen können, dass das Recht nicht mehr ausgeübt werde. Die Untätigkeit des Klägers habe allein darauf beruht, dass die hier maßgebliche Rechtslage überhaupt erst mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Januar 2004 – 5 C 2/03 – geklärt worden sei, wonach Anspruchsgrundlage allein § 15 BSHG gewesen sei. Der Kläger hat eine schriftliche Ermächtigung des Geschäftsführers der "Zentrum für Soziale Psychiatrie MG. gGmbH" vom 23. Oktober 2007 vorgelegt, wonach der Kläger ermächtigt sei, die Forderung in gewillkürter Prozessstandschaft geltend zu machen. Die Beklagte hat sich auf Verwirkung berufen. Das Sozialhilferecht gehe bei Ansprüchen von einer Notlage des Anspruchstellers aus und sei daher auf eine zügige Abwicklung gerichtet. § 74 SGB XII sehe zwar selbst keine Frist für die Antragstellung vor. Aus dem Rechtsgedanken des § 25 SGB XII sei aber ersichtlich, dass der Sozialhilfeträger nicht lange Zeit im Unklaren über mögliche Ansprüche gegen ihn gelassen werden solle. Auch wenn eine angemessene Frist je nach den Umständen des Einzelfalls unterschiedlich zu bemessen sein werde, sei die Geltendmachung nach 19 Monaten nicht mehr fristgemäß. Auch Erstattungsansprüche seien nach § 111 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) spätestens 12 Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht worden sei, geltend zu machen. Das Sozialgericht Kassel hat die Beklagte mit Urteil vom 3. September 2008, der Beklagten zugestellt am 31. Oktober 2008, verurteilt, der Zentrum für Soziale Psychiatrie MG. gGmbH für die Bestattung der Frau OL. 1.556,07 EUR zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 24. Mai 2006 zu zahlen. Die Klage sei zulässig. Gegen die Zulässigkeit der Fortführung des Rechtsstreits in gewillkürter Prozessstandschaft bestünden keine rechtlichen Bedenken, da die Klägerin alleinige Gesellschafterin der "Zentrum für Soziale Psychiatrie MG. gGmbH" sei. Die Klage sei begründet. Anspruchsgrundlage sei § 15 BSHG bzw. seit 1. Januar 2005 § 74 SGB XII. Die einen anderen Sachzusammenhang regelnden §§ 18, 25 SGB XII kämen nicht zur Anwendung. Das Sozialgericht Kassel hat im Übrigen Bezug genommen auf die Entscheidungsgründe des vom Kläger zitierten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts und auf das Vorbringen des Klägers zum Fehlen einer Verwirkung.

Die Berufung der Beklagten ist am 28. November 2008 bei dem Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt eingegangen.

Die Berufungsklägerin und Beklagte trägt vor, dass im Zusammenhang mit dem Begriff der Zumutbarkeit der Zeitablauf zwischen Bestattung und Antrag der Kostenübernahme von Bedeutung sei. Dies gelte auch dann, wenn das Gesetz selbst keine Frist für die Geltendmachung des Anspruchs auf Kostenübernahme festlege. Werde aber die Kostenübernahme nicht binnen angemessener Frist beantragt, seien nach der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Schleswig, Beschluss vom 21. Juli 2008 – L 9 SO 10/07 PKH - regelmäßig Zweifel an der Unzumutbarkeit ihrer Tragung angezeigt. Angesichts des Ausnahmecharakters der in § 15 BSHG bzw. § 74 SGB XII konzipierten speziellen Kostenübernahmeanordnung führe der Zeitraum von 19 Monaten dazu, dass nicht mehr von einer Antragstellung binnen angemessener Frist gesprochen werden könne. In der Begleichung der Bestattungskosten am 31. Oktober 2002 selbst sei eine Leistungsbewilligung nach § 15 BSHG durch den Kläger als überörtlichen Sozialhilfeträger zu sehen. Das Klagebegehren sei daher ein Erstattungsbegehren nach § 102 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Der Anspruch unterliege daher der Ausschlussfrist von zwölf Monaten nach § 111 SGB X.

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 3. September 2008 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Der Berufungsbeklagte und Kläger ist der Rechtsauffassung, dass der Auffassung der Beklagten entgegen stehe, dass nach § 74 SGB XII die Geltendmachung des Anspruchs nicht ausdrücklich innerhalb angemessener Frist zu erfolgen habe. Die Einführung einer gesetzlich nicht vorgesehenen Frist führe dazu, dass die geltende Verjährungsfrist unterlaufen werde. Nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts komme im Rahmen der Zumutbarkeit der Frage besondere Bedeutung zu, ob ein Träger Bestattungskosten refinanzieren könne. In der bei der Unterbringung der Verstorbenen zuletzt angewendeten Pflegesatzvereinbarung sei die Refinanzierung von Bestattungskosten nicht berücksichtigt worden. Die finanzielle Situation eines Heimträgers sei infolgedessen mit der Situation eines Krankenhausträgers vergleichbar. Ein Rückgriff auf die Verbandsumlage sei nach §§ 10 ff. Hessisches Eigenbetriebsgesetz nicht möglich. Haushaltsrechtliche Erwägungen könnten für eine Pflicht zur Geltendmachung binnen angemessener Frist nicht angeführt werden, da Regelungen des Haushaltsrechts keine anspruchsvernichtende oder –begrenzende Wirkung hätten. Im Sozialhilferecht seien Mittel für die Erfüllung von in der Vergangenheit begründenden Ansprüchen bereitzustellen.

Zum Sach- und Streitstand im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der von der Beklagten übersandten Verwaltungsakten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung am 28. April 2010 gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Sozialgericht hat die Beklagte zu Unrecht zur Erstattung der Bestattungskosten verurteilt.

Zwar ist die Klage zulässig. Ihr steht nicht die fehlende Prozessführungsbefugnis entgegen, da neben dem rechtlichen Interesse des Klägers an der Rechtsdurchsetzung nunmehr zu Gunsten der "S. gGmbH" auch prozessökonomische Erwägungen das Vorgehen im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft rechtfertigen. Zum Zeitpunkt der Klageerhebung war die Klägerin nämlich noch selbst Betreiberin des Heimes, in dem die Verstorbene zuletzt wohnte. Da bei der hier statthaften Kombination einer Anfechtungs- und unechten Leistungsklage grundlegende Bedenken gegen eine Verpflichtung im Über-Unterordnungs-Verhältnis zu Gunsten Dritter nicht durchgreifen, weil das Gericht ohne die Verpflichtung zum Erlass eines Verwaltungsaktes "durchentscheiden" kann, sieht es der Senat als hinreichend an, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Rechtsnachfolge durch die "Zentrum für Soziale Psychiatrie MG. gGmbH" alleiniger Gesellschafter derselben und zu diesem Zeitpunkt der Rechtsstreit schon anhängig war; insoweit kann man es als Nebenpflicht aus dem vom Kläger angeführten Spaltungsplan ansehen, noch selbst für die gerichtliche Klärung zu sorgen, ob ein übergegangener Anspruch tatsächlich bestand. Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob ein Interesse des Klägers an der Geltendmachung der Forderung zugunsten der Gesellschaft auch dann noch für eine gewillkürte Prozessstandschaft hinreichend ist, wenn er künftig von Anfang an nicht Anspruchsinhaber sein kann und eine rechtliche Beziehung zur Trägergesellschaft nur noch mittelbar über die "S. GmbH (Holding)" bestehen kann.

Die Klage ist indes unbegründet. Als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs kommt allein § 15 BSHG in Betracht. Hiernach sind vom zuständigen Sozialhilfeträger die Kosten einer Bestattung zu übernehmen, soweit dem hierzu Verpflichteten nicht zugemutet werden kann, die Kosten zu tragen. Ist vor dem 1. Januar 2005 ein Anspruch nach § 15 BSHG entstanden, so wurde durch das Inkrafttreten von § 74 SGB XII nach den allgemeinen Grundsätzen des intertemporalen Verwaltungsrechts dieser weder vernichtet noch ersetzt. Nach diesen Grundsätzen ist bei der Beurteilung eines Anspruches grundsätzlich auf den Zeitpunkt seiner Entstehung abzustellen (vgl. IS., SGb 1993, 593ff.; BSG, Urteil vom 27. August 2008 - B 11 AL 11/07 R – juris). Ein Rechtssatz ist nämlich grundsätzlich nur auf solche Sachverhalte anwendbar, die zeitlich nach seinem Inkrafttreten verwirklicht werden, so dass sich die Entstehung und der Fortbestand sozialrechtlicher Ansprüche bzw. Rechtsverhältnisse grundsätzlich nach dem Recht beurteilen, das zur Zeit der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände gegolten hat, soweit nicht später in Kraft getretenes Recht ausdrücklich etwas anderes bestimmt. Das bloße Außerkrafttreten des § 15 BSHG steht der späteren Geltendmachung eines bereits entstandenen Anspruchs nicht entgegen, da mit dem Inkrafttreten des SGB XII die Anspruchsüberleitung ungeregelt blieb. Entgegen der Auffassung der Beklagten wird § 15 BSHG auch nicht durch die Erstattungsregelungen der §§ 102ff. SGB X verdrängt. Davon kann bereits deshalb nicht ausgegangen werden, da vorliegend eine "In-Sich-Leistungsbewilligung" in Gestalt der Erstattung der Bestattungskosten nach § 15 BSHG durch den Kläger in seiner Funktion als überörtlicher Sozialhilfeträger an sich selbst als Heimträger weder erkennbar noch rechtlich möglich ist.

Die Voraussetzungen des § 15 BSHG liegen nicht vor.

Der Kläger war nach §§ 10, 12 Abs. 3 des Hessischen Friedhofs- und Bestattungsgesetzes (HFBG) i.d.F. des Gesetzes v. 22. Dezember 1964 (GVBl. I 225) zur Bestattung und damit ordnungsrechtlich zur Kostentragung verpflichtet. Die ordnungsrechtliche Bestattungs- und Kostentragungspflicht steht der Geltendmachung des Anspruches nach § 15 BSHG ebenso wenig entgegen wie die Eigenschaft des Klägers als Körperschaft des Öffentlichen Rechts (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2004 – 5 C 2/03 – juris, m.w.N. auch zur Gegenauffassung).

Dem Kläger ist es auch zumutbar, die Bestattungskosten zu tragen.

Der Begriff der Zumutbarkeit gemäß § 15 BSHG ist ein der vollen gerichtlichen Prüfung unterliegender unbestimmter Rechtsbegriff, der eine umfassende Interessenabwägung erfordert. Er ist nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalles ausfüllungsbedürftig; dabei können auch Maßstäbe und Umstände eine Rolle spielen, die als solche im Allgemeinen sozialhilferechtlich unbeachtlich sind, denen aber vor dem Hintergrund des Zwecks des § 15 BSHG Rechnung getragen werden muss (BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2004 – 5 C 2/03 – juris; ebenso BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 23/08 R – juris, zu § 74 SGB XII). In die Abwägung fließen mit hohem Gewicht subjektive Momente aus der Sphäre des Kostenverpflichteten, insbesondere die persönliche Nähe zum Verstorbenen, objektive Gesichtspunkte aus seiner Sphäre wie auch seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ein (vgl. Schellhorn in: Schellhorn u.a., SGB XII, 17. Aufl., § 74 Rdnr. 10). Begrenzend wirken der Nachranggrundsatz, der Normzweck, ohne Verzögerung eine würdige Bestattung der mittellosen Person sicherzustellen, wie auch sonstige öffentliche Interessen, die anerkanntermaßen bei dem Vollzug des Sozialhilferechts zu berücksichtigen sind. Trifft die Kostentragungspflicht eine juristische Person, kann das Kriterium der besonderen personalen Nähe und zwischenmenschlichen Beziehung versagen; es rücken die Verpflichtungen und Aufgaben der juristischen Person gegenüber dem Verstorbenen in den Vordergrund (BVerwG a.a.O.).

In Anwendung dieser Grundsätze spricht mit maßgeblichem Gewicht für die Zumutbarkeit die Nähe des Klägers zur Aufgabe der Tragung von Bestattungskosten als Sozialhilfeleistung. Der Kläger nahm zum Zeitpunkt des Anfalls der Bestattungskosten nämlich nicht nur die Aufgabe des Heimträgers wahr, sondern zugleich die Aufgabe des überörtlichen Trägers der Sozialhilfe (§ 2 Hessisches Ausführungsgesetz zum BSHG). Der Kläger ist eine Körperschaft des Öffentlichen Rechts, der kraft Gesetzes sowohl die Trägerschaft der Vorgängereinrichtungen des Heimes, in dem die Verstorbene zuletzt gelebt hat (vgl. § 25 des Gesetz über die Mittelstufe der Verwaltung und den Landeswohlfahrtsverband Hessen vom 7. Mai 1953 i.V.m. Anlage 2 c)) als auch die Aufgabe als überörtlicher Träger der Sozialhilfe übertragen wurde. Beide Aufgaben sind kraft Gesetzes zugewiesene öffentliche Aufgaben ein und derselben Körperschaft. Insoweit ist die vorliegende Konstellation grundsätzlich anders gelagert, als in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall, in dem der Körperschaft einer Universität keinerlei Sachnähe zur Finanzierung von Bestattungskosten mittelloser Personen zuerkannt werden konnte. Auch wenn das Bundesverwaltungsgericht davon ausging, dass das Kriterium der personalen Nähe bei Einrichtungen regelmäßig "versage", so vermag der Senat die Augen nicht davor zu verschließen, dass die Verstorbene fast 45 Jahre ihres Lebens in Einrichtungen des Klägers verbracht hat. Jedenfalls kann nicht davon gesprochen werden, dass den Kläger die Bestattungspflicht nach § 12 Abs. 3 HFBG gleichsam zufällig oder bei Gelegenheit traf. Der Senat verkennt dabei nicht, dass die Aufgabenwahrnehmung der Heimträgerschaft in einem Eigenbetrieb von der Aufgabenwahrnehmung als überörtlicher Sozialhilfeträger zu trennen ist und die Zuständigkeit nach dem BSHG allein bei der Beklagten lag. Soweit bei der Prüfung der Zumutbarkeit dem Kriterium der "Nähe" nach einhelliger Ansicht eine herausgehobene Bedeutung zukommt, ist damit aber eine personale Nähe oder Sachnähe gemeint, die nach dem Normzweck der Bestimmung von Risiko- und Verantwortungssphären dient. Genauso wie eine natürliche Person insoweit als Einheit betrachtet wird, gebietet Art. 3 Abs. 1 GG eine ebensolche Betrachtungsweise bei einer juristischen Person. Lediglich die Facetten, die eine Nähe oder Ferne ausmachen, sind bei einer juristischen Person andere als bei einer natürlichen. So ist z.B. Gebietskörperschaften als Verpflichteten nach § 12 Abs. 4 HFBG bereits wegen der "Nähe" zu ihren Einwohnern die Tragung der Kosten grundsätzlich zumutbar (VG Gießen, Urteil vom 14. Dezember 1999 - 4 E 23/96 – juris). Die Aussagen des Bundesverwaltungsgerichts zu den Refinanzierungsmöglichkeiten können nur begrenzt auf die Situation des Klägers übertragen werden. Bei der Ermittlung der Pflegesätze nach dem Sozialgesetzbuch Elftes Buch – Soziale Pflegeversicherung – (SGB XI) wird grundsätzlich von einer marktwirtschaftlichen Wettbewerbssituation ausgegangen, die Sicherstellung einer ausreichenden und wirtschaftlichen Versorgung der Versicherten wird in erster Linie von einem funktionierenden Wettbewerb unter den Pflegeeinrichtungen erwartet (vgl. zum Folgenden LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 1. April 2009 - L 27 P 7/08 - juris). Pflegesätze sind die Entgelte der Heimbewohner oder ihrer Kostenträger für die voll- oder teilstationären Pflegeleistungen des Pflegeheims sowie für medizinische Behandlungspflege und soziale Betreuung (§ 84 Abs. 1 SGB XI). Die Pflegesätze müssen leistungsgerecht sein (§ 84 Abs. 2 S. 1 SGB XI) und es einem Pflegeheim bei wirtschaftlicher Betriebsführung ermöglichen, seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen (§ 84 Abs. 2 S. 4 SGB XI). Das Pflegeheim darf Gewinne erzielen, es muss aber auch das Verlustrisiko tragen (§ 84 Abs. 2 Satz 5 SGB XI). Die gerichtliche Prüfdichte bei Überprüfung der Pflegesätze bzw. der Schiedsstellenvereinbarung ist reduziert; der Ermittlung des Marktpreises kommt Gewicht zu (vgl. LSG Berlin-Brandenburg a.a.O.). Die Pflegesatzgestaltung nach dem SGB XI ist mithin erheblich flexibler und marktorientierter als beispielsweise das DRG-System der Krankenhausvergütung, in dem von vornherein kein Platz für die Berücksichtigung der Beerdigungskosten wäre. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass der Kläger Abgabenbegünstigter ist. Nach § 20 Abs. 2 des Gesetzes über die Mittelstufe der Verwaltung und den Landeswohlfahrtsverband Hessen erhebt der Landeswohlfahrtsverband eine Verbandsumlage, soweit die Einnahmen und Erträge nicht ausreichen; die Umlage zielt auf den Haushaltsausgleich. Auch insoweit ist die Refinanzierung von Bestattungskosten für den Kläger einfacher sicherzustellen als einem gewöhnlichen Krankenhausträger. Unbeachtlich ist insoweit der Einwand des Klägers, dass die Verbandsumlage nicht der Finanzierung der in einem Eigenbetrieb anfallenden Erstattungskosten dient. Der Eigenbetrieb ist zwar als Sondervermögen des Klägers zu verwalten (§ 10 Abs. 1 Hessisches Eigenbetriebsgesetz), es ist aber nicht ausgeschlossen, dass ein Verlustausgleich auch aus Mitteln der Verbandsumlage erfolgen kann.

Weitere Umstände, die zugunsten des Klägers für eine Unzumutbarkeit der Kostentragung sprechen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch die von der Beklagten angeführte verzögerte Geltendmachung des Anspruches im Rahmen der Zumutbarkeitsprüfung zu Lasten des Klägers zu berücksichtigen ist. Zwar existiert kein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal der Antragstellung binnen angemessener Frist. Die Berücksichtigung des Zeitablaufs folgt entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht bereits aus der Anwendung des Verwirkungsgedankens über § 242 BGB analog. Dem schlichten Zuwarten durch den Kläger, aus welchem Grunde auch immer, fehlt nämlich das für die Verwirkung erforderlich Umstandsmoment. Ob der Kostenverpflichtete die Erstattung zeitnah geltend macht, ist aber ein im Rahmen der Gesamtabwägung der Zumutbarkeitsprüfung zu berücksichtigender und zu gewichtender Umstand. Insoweit gibt es keine abstrakt festzulegende Frist. Wird aber die Kostenübernahme nicht binnen angemessener Frist nach Klärung der Kostentragungspflicht beantragt, sind regelmäßig Zweifel an der Unzumutbarkeit ihrer Tragung angezeigt (im Ergebnis ebenso: LSG Schleswig, Beschluss vom 21. Juli 2008 – L 9 SO 10/07 PKH; Mergler/Zink, § 74 SGB XII Rdnr. 26; Schellhorn in: Schellhorn u.a., SGB XII, 17. Aufl., § 74 Rdnr. 4, jeweils mit unterschiedlicher Begründung). Dies folgt aus dem Zweck der Regelung. Kann ein Verpflichteter über längere Zeit sogar nach Veranlassung und Finanzierung der Bestattung ohne "gefühlte" wirtschaftliche Belastung in Vorlage treten, so liegt die Kostenübernahme nicht im öffentlichen Interesse. Der Zweck des § 15 BSHG besteht nämlich gerade darin, die Würde des Begräbnisses nicht durch wirtschaftliche Probleme des Verpflichteten zu gefährden, d.h. die Beerdigung insbesondere nicht aus wirtschaftlichen Gründen zu verzögern. Da die Bedürftigkeit des Verpflichteten nicht Voraussetzung des Anspruches ist, kommt es insoweit auf das Zeitmoment im Rahmen der Zumutbarkeit an.

Die Kostenentscheidung folgt für das erstinstanzliche Urteil wie für die Entscheidung über die Berufung aus § 193 SGG. Die beanspruchte Leistung nach § 15 BSHG ist eine Sozialleistung im Sinne des § 11 SGB I, der Kläger klagt daher als Leistungsempfänger im Sinne des § 183 SGG, so dass entgegen der Auffassung des Sozialgerichts die Gerichtskostenpflicht nach § 197a SGG ausscheidet (vgl. auch BSG, Beschluss vom 11. Juni 2008 – B 8 SO 45/07 B – juris, zum Nothelferanspruch nach § 25 SGB XII).

Die Zulassung der Revision beruht auf § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Insbesondere die genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Urteil vom 29. Januar 2004 – 5 C 2/03 – juris) hat noch nicht zu einer abschließenden Klärung der Rechtsfrage geführt, wann gerade aufgrund der Aufgabennähe einer juristischen Person des Öffentlichen Rechts die Tragung der Bestattungskosten zumutbar ist.
Rechtskraft
Aus
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