L 11 AS 105/10 B PKH

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
11
1. Instanz
SG Kiel (SHS)
Aktenzeichen
S 35 AS 255/10 ER
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 105/10 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Für die Frage, ob bei einer temporären Wohngemeinschaft ein zusätzlicher Wohnbedarf anzunehmen ist,
kommt es entscheidend auf die Umstände des Einzelfalles an. Ein höherer Wohnbedarf kann nur
ausnahmsweise anerkannt werden, wenn sonst die Wohnverhältnisse evident zum Besuch des Kindes/der
Kinder ungeeignet sind.
Der Eilantrag ist voreilig gestellt, wenn der Behörde keine Zeit gelassen wird, die Sach- und Rechtslage zu prüfen.
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Versagung von Prozess- kostenhilfe im Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 3. Juni 2010 wird zurückgewiesen.

Gründe:

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die von den Antrag-stellern beantragte und vom Sozialgericht Kiel mit Beschluss vom 3. Juni 2010 versagte Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das einstweilige Rechtsschutzverfahren S 35 AS 255/10 ER. In diesem begehrten sie die Nichtberücksichtigung von noch nicht gewährtem Kindergeld als Einkommen der Antragstellerin zu 4) und die Anerkennung eines höheren Unterkunftsbedarfs, weil der Sohn M der Antragstellerin zu 1) laut einer Bescheinigung des Jugendamtes seine Mutter alle zwei Wochen am Wochenende besucht sowie teilweise auch in den Ferien.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung war ebenfalls mit Beschluss vom 3. Juni 2010 abgelehnt worden. Insoweit ist Beschwerde nicht eingelegt worden.

Nach § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) ist den Beteiligten eines sozialgerichtlichen Verfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn - neben hier nicht zweifelhaften Voraussetzungen - die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

Hinreichende Erfolgsaussicht ist dann anzunehmen, wenn das Gericht aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage den Rechtsstandpunkt des Antragstellers für zumindest vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist. Dabei dürfen die Anforderungen an die tatsächlichen und rechtlichen Erfolgsaussichten nicht überspannt werden (vgl. Philippi in: Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 114 Rn. 19 m.w.N.). Es ist zu berücksichtigen, dass das Prozesskostenhilfeverfahren den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern &8195; lediglich zugänglich machen will. Dem genügt § 114 Satz 1 ZPO dadurch, dass er die Gewährung von Prozesskostenhilfe nicht erst bei sicherer, sondern bereits bei hinreichender Erfolgs¬aussicht vorsieht. Deren Feststellung soll mithin nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses anstelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das bedeutet andererseits zugleich, dass Prozesskostenhilfe verweigert werden darf, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 13.03.1990 – 2 BvR 94/88 u. a., BVerfGE 81, 341; BSG, Urt. v. 17.02.1998 B 13 RJ 83/97 R , SozR 3 1500 § 62 Nr. 19).

Es kann hier dahinstehen, ob eine isolierte Prozesskostenhilfebeschwerde nach rechtskräftiger Ablehnung eines Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung überhaupt noch möglich ist. Jedenfalls haben die Antragsteller hier keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe, weil es an einer hinreichenden Erfolgsaussicht in der Hauptsache gefehlt hat. Die am 4. Juni 2010 erhobene Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Kiel vom 3. Juni 2010 hat daher keinen Erfolg. Zutreffend hat nämlich das Sozialgericht Kiel in dem angegriffenen Beschluss ausgeführt, dass hinsichtlich der Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen der Antragstellerin zu 4) kein Anordnungsgrund vorliegt und die Antragsteller keinen Anspruch auf einen höheren Unterkunftsbedarf haben.

Nach Überprüfung der Sach- und Rechtslage macht der Senat sich diese Einschätzung zu eigen und verweist daher gemäß § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG auf die Gründe dieses Beschlusses.

Im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen ist zu ergänzen:

Hinsichtlich der Anrechnung des Kindergeldes hat das Sozialgericht zutreffend ausgeführt, dass die Möglichkeit der Durchführung eines Eilverfahrens von vornherein auf die Fälle beschränkt sei, in denen in einem Rechtsverhältnis zwischen der Behörde und dem Bürger ein dringender Regelungsbedarf bestehe, eine endgültige Regelung aber in der gebotenen Kürze der Zeit nicht möglich oder nicht erfolgt sei. Daraus folge, dass sich der Hilfesuchende in einer existenzbedrohlichen Notlage befinden müsse, die ein kurzfristiges Eingreifen erforderlich mache. Außerdem müsse der Behörde eine je nach Einzelfall und Eilbedürfnis unterschiedlich lange Bearbeitungszeit zugestanden werden, innerhalb derer ein gerügter Fehler behoben werden könne. Dieses Erfordernis, sich vor der Zuhilfenahme gerichtlichen Eilrechtsschutzes an die Behörde zu wenden, verfolge keinen Selbstzweck, sondern solle eine außergerichtliche Lösung ernsthaft ermöglichen. Daran fehle es, wenn – wie hier – nach einer überschlägigen Probeberechnung, die ohne Vorliegen der Verwaltungsakte erfolgt und bei der die Prüfung der Angaben der Antragstellerin zu 1) hinsichtlich des Kindergeldes nicht möglich gewesen sei, mittels anwaltlicher Hilfe umgehend gerichtlicher Eilrechtsschutz beantragt werde, ohne eine endgültige Bescheiderteilung oder wenigstens eine Prüfung nach Aktenlage abzuwarten. Die Antragstellerin zu 1) hatte auf ihre mündliche Vorsprache am 3. Mai 2010 aufgrund einer überschlägigen Probeberechnung am selben Tag einen Betrag von 412,28 EUR erhalten. In der Überschlagsberechnung wurde das Kindergeld für die Antragstellerin zu 4) als deren Einkommen berücksichtigt, obwohl die Antragstellerin zu 1) offenbar angegeben hatte, dass dieses noch nicht gezahlt werde. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vom selben Tage auch hinsichtlich des Kindergeldes war verfrüht. Hierfür bestand keinerlei Anlass. Dem Prozessbevollmächtigten der Antragsteller ist nicht darin zu folgen, dass bei dem Vortrag der Antragstellerin zu 1), sie

erhalte noch kein Kindergeld für die Antragstellerin zu 4), dieses nicht berücksichtigt werden könne. Vielmehr hat der Antragsgegner diese Angaben zunächst zu überprüfen. Es ist nicht zu beanstanden, wenn in einem solchen Fall zunächst das Kindergeld als gewährt berücksichtigt wird, denn es ist nicht ausgeschlossen, dass darüber bereits entschieden, ein Bescheid aber noch nicht zugegangen ist. Außerdem kann sich das Kindergeld bereits im Auszahlungsverfahren befinden und somit kurzfristig zugehen. Das rechtfertigt es, das Kindergeld zunächst in die Berechnung einzustellen und dann den Sachverhalt zu klären. Danach kann es –falls erforderlich – kurzfristig nachgezahlt werden. Dass der Eilantrag insoweit voreilig war, folgt auch daraus, dass der Antragsgegner dies umgehend getan hat. Er hat umgehend, nämlich am 5. Mai 2010, telefonisch abgeklärt , dass die Bearbeitung des Kindergeldantrages tatsächlich noch nicht abgeschlossen ist, weil noch Unterlagen angefordert worden sind. Daraufhin wurde mit Bescheid vom 5. Mai 2010 ein Erstattungsanspruch bei der Familienkasse Schleswig-Holstein angemeldet, eine Neuberechnung des Anspruches der Antragsteller vorgenommen und der fehlende Betrag nachgezahlt.

Ein Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ergibt sich auch nicht daraus, dass die Frage der Erhöhung der Unterkunftskosten im Rahmen einer temporären Wohngemeinschaft noch nicht einheitlich entschieden ist.

Höchstrichterlich entschieden ist, dass minderjährige Kinder, die wegen Unterbringung in einer Einrichtung eine so genannte temporäre Bedarfsgemeinschaft mit den Eltern oder einem Elternteil bilden, Anspruch auf Sozialgeld für die Tage haben, an denen sie sich mehr als 12 Stunden bei dem bedürftigen Elternteil aufhalten (Bundessozialgericht, Urteil vom 2. Juli 2009 B 14 AS 75/08 R; Landessozialgericht Baden-Württemberg,

Urteil vom 20. Mai 2010 – L 7 AS 5263/08).

Bislang nicht höchstrichterlich entschieden ist die Frage, ob und in welchem Umfang eine temporäre Bedarfsgemeinschaft auch im Bereich der Kosten der Unterkunft zu berücksichtigen ist (vgl. zum Meinungsstand: Sozialgericht Fulda, Urteil vom 27. Januar 2010 – S 10 AS 53/09, recherchiert bei juris, Rn. 25f; Sozialgericht Berlin, Urteil vom 22. April 2010 S 128 AS 11433/08, recherchiert bei juris, Rn. 20). Allerdings führt das – entgegen der Ansicht des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller – nicht dazu, dass wegen der insoweit noch offenen Frage Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, denn auch insoweit kommt es auf die Erfolgssichten an. Diese sind wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht gegeben.

Der Senat folgt nicht der Auffassung, dass ein Unterkunftsbedarf sich ausschließlich danach richtet, wie viele Personen eine Wohnung ausschließlich oder ganz überwiegend nutzen (Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. Dezember 2008 – L 25 B 2022/08 ER). Andererseits ist nicht grundsätzlich zusätzlicher Wohnbedarf vorzuhalten, wenn eine oder mehrere Kinder sich in Einrichtungen befinden und vorübergehend bei den Eltern oder dem Elternteil wohnen. Anderenfalls könnte der Elternteil oder die Eltern in einer wesentlich zu großen Wohnung wohnen, in der mehrere Zimmer im Wesentlichen ungenutzt bleiben, weil die Kinder sich nur zeitweise dort aufhalten (vgl. insoweit Sozialgericht Berlin, Urteil vom 22. April 2010 – S 128 AS 11433/08, recherchiert bei juris, Rn. 22). Vielmehr bedarf es der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles. Kriterien für die Bestimmung einer angemessenen Wohnungsgröße können insoweit insbesondere der zeitliche Umfang der Ausübung des Umgangsrechts, das Alter der Kinder, individuell erhöhte Raumbedarfe, gegebenenfalls auch

die Entfernung zum Haushalt des Elternteils usw. sein (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Juni 2008 – L 20 B 225/07 AS ER).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Senat der Auffassung, dass nur ausnahmsweise ein höherer Bedarf der Kosten der Unterkunft aufgrund einer höheren Wohnfläche berücksichtigt werden kann. So kann insbesondere bei Alleinerziehenden die Wohnung so gestaltet sein, dass ein an den Wochenenden oder während der Ferienzeiten anwesendes Kind nicht angemessen untergebracht werden kann. Das Umgangs- und Elternrecht des Hilfebedürftigen kann dann eine Rolle spielen, wenn er eine Wohnung bewohnt, die evident für Besuche durch ein oder mehrere Kinder nicht geeignet ist. Dann kann z. B. im Einzelfall im Anwendungsbereich des § 22 SGB II ein erforderlicher Umzug in eine größere Wohnung bejaht werden. Allerdings verbleibt es grundsätzlich dabei, dass staatliche Leistungen zur Existenzsicherung im Rahmen familienrechtlicher Beziehungen nicht dazu bestimmt sind, die fehlende Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen in allen Bereichen zu ersetzen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 14/06 R). Die Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums müssen die Ausübung des Umgangsrechts bei Bedürftigkeit ermöglichen, aber nicht optimieren. Ermöglicht wird das Umgangs- und Elternrecht, wenn bei der zeitweiligen Aufnahme eines Kindes bzw. eines weiteren Kindes keine unzumutbaren Verhältnisse entstehen (vgl. Sozialgericht Berlin, Urteil vom 22. April 2010 – S 128 AS 11433/08, a.a.O., Rn. 23).

Hier ist nichts dafür ersichtlich, dass solche unzumutbaren Verhältnisse bei Aufnahme von M entstehen könnten. Die Antragsteller zu 1) bis 4) bewohnen eine ca. 90 qm große Wohnung mit vier Zimmern. Die Antragsteller zu 1) und 2) bewohnen ein 18 qm großes Zimmer. Der am 28. Oktober 1995 geborene An-

tragsteller zu 3) bewohnt ein 18 qm großes Zimmer. Für die am 28. März 2010 geborene Antragstellerin zu 4) ist ein 8 qm großes Zimmer vorgesehen. Der von den Antragstellern eingereichte Grundriss der Wohnung weist ein viertes Zimmer aus, welches für M vorgesehen ist. Dieses hat eine Größe von 12 qm. Nach der hier zugrunde zu legenden Verwaltungsvorschrift zur Sicherung von Bindungen in der sozialen Wohnraumförderung nach Wohnungsbindungsgesetz und Wohnraumförderungsgesetz vom 17. Juni 2004 (Amtsblatt für Schleswig-Holstein, S. 548) ist gemäß Punkt 8.5.1 für einen 4 Personen-Haushalt eine Wohnfläche von 85 qm bei vier Wohnräumen vorgesehen. Darüber geht die Wohnung hier hinaus. Sie weist aber vier Zimmer aus. Nach der von den Antragstellern vorgelegten Nutzung der Wohnung ist ein Zimmer zur alleinigen Nutzung für M vorgesehen. Einer größeren Wohnung bedarf es daher nicht. Damit ist auch Rechnung getragen, dass laut einer Mitteilung der Einrichtung, in der M sich in der Regel aufhält, ein Rückzugsbereich für ihn zwingend erforderlich sei wegen der häufigen Auseinandersetzungen zwischen seiner Mutter und ihm. Im Übrigen können sich in der Regel bei einer 4 Zimmer-Wohnung die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft so einrichten, dass eine fünfte Person an den Wochenenden und vereinzelt in den Ferien aufgenommen werden kann. Das zeigt die von den Antragstellern hier vorgenommene Aufteilung der Wohnung. Im Übrigen ist fraglich, ob die am 28. März 2010 geborene Antragstellerin zu 4) tatsächlich bereits durchgehend ein eigenes Zimmer benötigt.

Der zusätzliche Bedarf der Antragsteller rührt auch nicht daher, dass sie eine größere Wohnung brauchen, sondern daher, dass die Wohnung mit einer monatlichen Bruttokaltmiete von 620,00 EUR und Heizungskosten von 90,00 EUR zu teuer ist und die Antragsteller sich nicht darum bemüht haben, eine Wohnung zu der angemessenen Miete für einen 4 Personen-Haushalt in Höhe von ca. 578,00 EUR anzumieten. Diese zu hohe Miete kann

aber nicht auf den Antragsgegner abgewälzt werden, weil M an jedem zweiten Wochenende und teilweise in den Ferien zu Besuch ist. Hinsichtlich der von dem Antragsgegner anerkannten angemessenen Miete für einen 4 Personen-Haushalt ergeben sich bei der hier im summerischen Verfahren gebotenen Prüfung keine Bedenken.

Weiterhin ist nichts dafür ersichtlich, dass von einem 5 Per¬sonen-Haushalt auszugehen ist, weil M in absehbarer Zeit aus der stationären Einrichtung ausscheiden und wieder zu Hause wohnen könnte. Nach telefonischer Auskunft der Landeshauptstadt Kiel ist zwar grundsätzlich eine Rückführung von M in die Familie geplant, die zeitliche Perspektive sei jedoch unklar. Weil das Rückführungsziel vollkommen offen sei, könne noch keine Prognose erstellt werden, wann M zurück zu seiner Mutter gehen könne. In den folgenden zwei Jahren sei an eine Rückführung jedoch nicht zu denken. Mangels alsbaldiger Rückführung kann hier somit gegenwärtig nicht von einem 5 Per¬sonen-Haushalt ausgegangen werden.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).

Dr.
Rechtskraft
Aus
Saved