S 4 AS 577/10

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 4 AS 577/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 27.11.2009 in Gestalt der Änderungsbescheide vom 05.02.2010, 18.03.2010 und 25.03.2010 sowie in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 22.04.2010 verurteilt, dem Kläger Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 30.06.2010 in Höhe von monatlich 265,00 EUR zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der von der Beklagten zu übernehmenden Kosten der Unterkunft im Zeitraum vom 01.01.2010 bis 30.06.2010.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger steht im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch - Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) bei der Beklagten. Er bewohnt eine in seinem Eigentum stehende 71 m² große Wohnung in Aachen. Hierfür erbringt der Kläger monatliche Schuldzinsen von 421,78 EUR. Hinzu treten monatliche Wohngeldzahlungen und Heizkosten. Nachdem die Beklagte zunächst Schuldzinsen in tatsächlicher Höhe übernommen hatte, senkte sie die dem Kläger gewährten Unterkunftskosten erstmalig im Juli 2009 ab, da die tatsächlichen Unterkunftskosten des Klägers die nach dem SGB II angemessenen Kosten überschritten. Sie berücksichtigte für den Zeitraum vom 01.07.2009 bis 31.12.2009 Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 238,50 EUR zuzüglich Betriebs- und Heizkosten.

Mit Bescheid vom 27.11.2009 bewilligte die Beklagte dem Kläger für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 30.06.2010 zunächst Kosten der Unterkunft in Höhe von 353,17 EUR monatlich. Hierbei berücksichtigte sie zunächst weiterhin zu übernehmende Schuldzinsen als Unterkunftskosten in Höhe von 238,50 EUR. Den hiergegen am 22.12.2009 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, er könne monatliche Unterkunfts- und Heizkosten in Höhe von insgesamt 925,01 EUR beanspruchen.

Mit Änderungsbescheid vom 05.02.2010 gewährte die Beklagte dem Kläger rückwirkend ab Januar 2010 Unterkunftskosten in Höhe von monatlich 386,47 EUR, wobei Schuldzinsen in Höhe von 238,50 EUR berücksichtigt wurden. Mit Änderungsbescheid vom 18.03.2010 reduzierte die Beklagte die dem Kläger gewährten Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 01.04.2010 bis 30.06.2010 auf 386,26 EUR und führte zur Begründung aus, die Angemessenheitsgrenze der Kaltmiete sei von 5,30 EUR auf 5,07 EUR gesenkt worden. Bei der Berechnung der angemessenen Miete sei jedoch ab April 2010 von einer qm-Fläche von 47 m² auszugehen. Die angemessene "Kaltmiete" belaufe sich daher ab April 2010 auf 238,29 EUR. Dies sei unter anderem vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen so beschlossen worden.

Den hiergegen am 20.03.2010 erhobenen weiteren Widerspruch begründete der Kläger damit, dass nach Ansicht des Sozialgerichts Aachen bei der Berechnung der angemessenen Unterkunftskosten von einem qm-Preis von 5,30 EUR auszugehen sei. Er begehre die Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten.

Mit Änderungsbescheid vom 25.03.2010 bewilligte die Beklagte dem Kläger Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 31.03.2010 in Höhe von insgesamt 394,72 EUR unter Berücksichtigung einer monatlichen Nebenkostenpauschale von 144,14 EUR. Für den Zeitraum vom 01.04.2010 bis 30.06.2010 reduzierte die Beklagte die monatlichen Unterkunftskosten auf 359,00 EUR und führte zur Begründung aus, die Angemessenheitsgrenze der Kaltmiete sei von 5,30 EUR auf 5,07 EUR gesenkt worden.

Mit Widerspruchsbescheiden vom 22.04.2010 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers als unbegründet zurück. Der Kläger könne, wie es bereits Gegenstand in einem Verfahren bei dem Sozialgericht Aachen zum Az.: S 5 AS 83/09 war, nicht die tatsächlichen Unterkunftskosten beanspruchen. Bei der Auswertung des Aachener Mietspiegels habe sich ergeben, dass eine qm-Miete von 5,07 EUR anstelle der zuvor berücksichtigten 5,30 EUR angemessen sei. Allerdings sei ab dem 01.04.2010 die Angemessenheit der Unterkunftskosten für einen Ein-Personen-Haushalt nach Ziffer 1.4.1. der Wohnraumförderungsbestimmungen auf 47 m² festzulegen. Hieraus ergäben sich angemessene Unterkunftskosten in Höhe von 238,29 EUR zuzüglich Betriebs- und Heizkosten. Das Bundessozialgericht (BSG) habe auch bislang erkennbar bei Berechnung der Angemessenheit der Unterkunftskosten auf die Wohnraumförderungsbestimmungen des Landes Nordrhein-Westfalen abgestellt.

Hiergegen hat der Kläger am 25.05.2010 vor dem Sozialgericht Klage erhoben.

Er ist nunmehr der Ansicht, dass ihm bei der Berechnung der von der Beklagten zu berücksichtigenden Schuldzinsen ein Betrag von monatlich 265,00 EUR zustehe. Bei der für die entsprechende Berechnung zugrunde gelegten Wohnungsgröße sei von einer angemessenen Wohnfläche von 50 m² für eine Ein-Personen-Haushalt auszugehen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 27.11.2009 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 05.02.2010, 18.03.2010, 25.03.2010 und in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 22.04.2010 zu verurteilen, ihm weitere Kosten der Unterkunft für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 30.06.2010 nach Maßgabe der ge- setzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf ihr Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagte verwiesen, die der Kammer vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.

Der Kläger wird durch die angefochtenen Bescheide im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Die Beklagte hat zu Unrecht den Widerspruch des Klägers gegen den Änderungsbescheid vom 18.03.2010 mit einem eigenen Widerspruchsbescheid beschieden. Denn die Änderungsbescheide vom 05.02.2010, 18.03.2010 und 25.03.2010 sind gemäß § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchsverfahren geworden. Der Kläger hat im Zeitraum vom 01.01.2010 bis 30.06.2010 einen Anspruch auf Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von 265,00 EUR zuzüglich Betriebs- und Heizkosten.

Nach § 19 Satz 1 Nr. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Gemäß § 22 Abs. 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft den der Besonderheit des Einzelfalls angemessenen Umfang übersteigen, sind sie nach Satz 2 als Bedarf des allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft so lange zu berücksichtigen, wie es dem allein stehenden Hilfebedürftigen oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.

Die Angemessenheit der Aufwendungen bestimmt sich nach dem Produkt aus der für den Leistungsempfänger abstrakt angemessenen Wohnungsgröße, dem Wohnungsstandard und der nach den örtlichen Verhältnissen angemessenen Miete pro m². Dabei müssen nicht beide Faktoren (Wohnungsgröße, Wohnungsstandard – ausgedrückt durch m²-Preis) je für sich betrachtet "angemessen" sein, solange jedenfalls das Produkt aus Wohnfläche (Quadratmeterzahl) und Standard (Mietpreis je m²) eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete ergibt (sogenannte "Produkttheorie", vgl. Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 19.02.2009, Az. B 4 AS 30/08 Rdnr. 13; BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az.: B 7b AS 18/06 R, Rdnr. 20).

Dabei konnte zur Bestimmung der angemessenen Wohnfläche bis zum 31.12.2009 auf die Werte in den landesrechtlichen Vorschriften zu § 5 Abs. 2 des Gesetzes zur Sicherung der Zweckbestimmung von Sozialwohnungen – Wohnungsbindungsgesetz (WoBindG) zurückgegriffen werden (BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az.: B 7b AS 18/06 R, Rdnr. 19; Urteil vom 19.02.2009, Az.: B 4 AS 30/08 Rdnr. 18). Abstrakt angemessen war hiernach für einen Ein-Personen-Haushalt grundsätzlich eine qm-Fläche von 45 m². Dies ergab sich aus den entsprechenden Anwendungen des § 5 WoBindG i. V. m. § 27 Wohnraumfördergesetz i. V. m. Ziffer 5.71 c der nordrhein-westfälischen Verwaltungsvorschriften zum WoBindG (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009, Az.: B 4 AS 27/09 R; Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG NRW), Urteil vom 09.01.2008, Az.: L 12 AS 77/06). Dies galt für den Kläger als Wohnungseigentümer gleichermaßen wie für Mieter einer unangemessenen Mietwohnung. Das BSG hat in seinem Urteil vom 22.09.2009 (vgl. Az.: B 4 AS 70/08 R, Rdnr. 13) klargestellt, dass die Angemessenheit der Unterkunftskosten bei Mietern und Eigentümern nach einheitlichen Kriterien erfolgt.

Mit Wirkung zum 31.12.2009 ist diese Verwaltungsvorschrift auf der Grundlage des neuen Gesetzes zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen (WFNG NRW) vom 08.12.2009 erlassenen Wohnraumnutzungsbestimmungen (WNB) gemäß Runderlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 12.12.2009 außer Kraft getreten (vgl. Ziff. 19 WNB). Nach Ziffer 8.2 WNB sind für alleinstehende Personen 50 m² Wohnfläche angemessen im Sinne des § 18 Abs. 2 WFNG NRW. Dieser Wert ist bei der Berechnung der angemessenen Unterkunftskosten zu Grunde zu legen (vgl. hierzu: Sozialgericht (SG) Aachen, Beschluss vom 25.02.2010, Az.: S 6 AS 250/10 ER; SG Duisburg, Beschluss vom 02.06.2010, Az.: S 27 AS 433/10 ER; SG Duisburg, Beschluss vom 27.04.2010, Az.: S 35 AS 1592/10 ER; offen gelassen von LSG NRW, Urteil vom 15.04.2010, Az.: L 7 AS 519/10 B, www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Demgegenüber sahen bereits die Wohnraumförderbestimmungen (WFB) auf Grundlage des Runderlasses des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 26.01.2006 für den Bereich des Baus neuer Sozialwohnungen Richtwerte für barrierefreie Ein-Zimmer-Wohnungen in Höhe von 47 m² vor. Auch die mit Runderlass des Ministeriums für Bau und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 28.01.2010 neu gefassten WFB sehen unter Ziffer 1.4.1 für barrierefreie Ein-Zimmer-Wohnungen eine qm-Fläche von 47 m² vor. Auf Grundlage der neu gefassten WFB vom 28.01.2010 bewilligte die Beklagte dem Kläger die Unterkunftskosten ab dem Monat April 2010.

Bei der Frage der Angemessenheit einer Wohnung für Empfänger existenzsichernder Leistungen sind jedoch die Regelungen zur Belegung von Sozialwohnungen, mithin die in den WNB geregelten m²-Richtwerte für den Wohnungsberechtigungsschein, sachnäher als die Vorschriften zum Bau von Sozialwohnungen. Das BSG hat sich in seinem Urteil vom 17.12.2009, Az. B 4 AS 27/09 R, anders als von der Beklagten im Widerspruchsverfahren dargestellt, sich gegen die Anwendung der WFB zur Berechnung der angemessenen Miete im Rahmen der Produkttheorie ausgesprochen. Das BSG führt hierzu unter Rdnr. 16 Folgendes aus: "Die angemessene Größe der Wohnung eines Hilfebedürftigen nach dem SGB II in Nordrhein-Westfalen hat das LSG nach Ziff 5.7.1.b) der VV-WoBindG (Runderlass des Ministeriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport, Ministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8.3.2002, 396, 400 ) zutreffend mit 60 qm bestimmt. Soweit das LSG darauf hinweist, dass in dem Runderlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 26.01.2006 ( IV A 2 - 2010 - 02/06 - Anlage 1 WFB: Städtebauliche und technische Fördervoraussetzungen, unter Ziff. 1.4.1) für "barrierefrei" zu errichtende Neubauwohnungen eine Wohnungsgröße von 62 qm für Zwei-Zimmer-Wohnungen angegeben wird, ändert dieses hieran nichts. Unabhängig davon, ob es sich insoweit, wie das LSG ausführt, lediglich um eine Bestimmung handelt, die bei der Neuschaffung von Mietwohnraum zu beachten ist, ist diese Vorschrift bereits deswegen außer Betracht zu lassen, weil sie die Größe der Wohnung lediglich mit der Anzahl der Zimmer verknüpft. Dieses ist jedoch nicht der für Leistungen nach dem SGB II zu Grunde zu legende Maßstab für die Wohnungsgröße ( vgl BSG, urteil vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R ). Entscheidend kommt es insoweit vielmehr auf die Anzahl der Personen an, die die Wohnung bewohnen. Nur danach richtet sich die angemessene Wohnungsgröße. Der Runderlass aus dem Jahre 2006 trifft insoweit keine Regelung, sodass weiterhin die Regelungen aus dem Jahre 2002 anzuwenden sind."

Der Entscheidung des BSG vom 17.12.2010 ist nach Ansicht der Kammer eindeutig zu entnehmen, dass, anders als von der Beklagten vertreten, auch nach höchstrichterlicher Rechtsprechung die WFB kein geeigneter Maßstab für die Berechnung der angemessenen Wohnfläche darstellen. Die Kammer schließt sich nach eigener Prüfung dieser Ansicht im vollen Umfang an. Auch der 9. Senat des LSG NRW hat unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung zur Anwendbarkeit der WFB vom 03.02.2004 in der Fassung vom 26.01.2006 diese Ansicht bestätigt (vgl. Urteil vom 29.04.2010, Az.: L 9 AS 58/08, Rdnr. 26 in: jurisweb, m. w. N.).

Die Kammer verkennt nicht, dass die Anwendung der WNB und Anhebung der qm-Flächen in einem Ein-Personen-Haushalt von 45 m² auf 50 m² zu dem Ergebnis führt, dass durch die Neuregelung höhere Unterkunftskosten von Hilfeempfänger beansprucht werden können, wenngleich bis zum 31.12.2009 eine qm-Fläche von 45 m² für eine Ein-Personen-Haushalt als angemessen angesehen worden war (vgl. Urteil des LSG NRW, vom 29.04.2010, Az.: L 9 AS 58/08, m. w. N.). Dieses Ergebnis ist jedoch nach Ansicht der Kammer im Hinblick auf die Einführung der WNB durch das zuständige Ministeriums hinzunehmen. Soweit gegen dieses Ergebnis angeführt wird, dass auch nach Inkrafttreten der WNB die bis zum 31.12.2009 geltenden Regelungen des § 5 WoBindG i. V. m. § 27 Wohnraumfördergesetz i. V. m. Ziffer 5.71 c der nordrhein-westfälischen Verwaltungsvorschriften zum WoBindG bei der Berechnung der qm-Fläche zu berücksichtigten seien, da dem Gesetzgeber bei der Frage der Angemessenheit der Unterkunft die Situation im Zeitpunkt der Einführung des SGB II zum 01.01.2005 vor Augen gestanden haben dürfte und sich unter Berücksichtigung der Regelungsziele des SGB II keine Anhaltspunkte dafür ergäben, dass er für den Bereich des SGB II eine sich am Wohnbauförderungsrecht orientierende Dynamisierung beabsichtigt habe (vgl. LSG NRW, Urteil vom 29.04.2010, Az.: 9 AS 58/08, Rdnr. 27 in: jurisweb), folgt dem die Kammer nicht. Denn der über den 31.12.2009 hinausgehenden Anwendung der nordrhein-westfälischen Verwaltungsvorschriften zum WoBindG steht die Regelung der Ziffer 19 WNB entgegen, welche das außer Kraft treten dieser Verwaltungsvorschriften zum 31.12.2009 bestimmt. Für eine Anwendung dieser Verwaltungsvorschriften ab dem 01.01.2010 ist nach Ansicht der Kammer deswegen kein Raum mehr.

In einem weiteren Schritt ist zu ermitteln, welche Miete für eine abstrakt als angemessen eingestufte Wohnung auf dem für den Hilfebedürftigen maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzuwenden ist. Dabei ist nicht nur auf die tatsächlich am Markt angebotenen Wohnungen abzustellen, sondern auch auf vermietete Wohnungen (vgl. Urteil des BSG vom 19.02.2009, Az.: B 4 AS 30/08 Rdnr. 24). Zur Ermittlung dieser Miethöhe ist – sofern vorhanden – auf den örtlichen Mietspiegel und nicht auf die Wohngeldtabelle abzustellen, da Mietspiegel die örtlichen Verhältnisse genauer wiedergeben als die Wohngeldtabelle (vgl. BSG, Urteil vom 07.11.2006, Az.: B 7b AS 18/06 R, Rdnr. 23, SG Aachen, Urteil vom 17.03.2009, Az.: S 11 AS 157/08 m. w. N.). Zur Berechnung dieser sich aus dem Mietspiegel ergebenden Werte hat die Kammer Mittelwerte aus den verschiedenen Baualtersgruppen einer Wohnung in einfacher und mittleren Wohnlage gebildet und von den so ermittelten Werten wiederum einen Mittelwert gebildet (so auch SG Aachen, a. a. O.). Wenngleich nach der Rechtsprechung des BSG lediglich Wohnungen im "unteren Mietpreisniveau" zu berücksichtigen sind (vgl. Urteil des BSG vom 19.02.2009, Az.: B 4 AS 30/08 Rdnr. 25, m. w. N.), wird durch Berücksichtigung auch der Werte für Wohnungen in mittlerer Wohnlage dem Umstand Rechnung getragen, dass diese Gruppe das am Markt am häufigsten vertretene Segment ausmacht. Wohnungen ab dem Baujahr 2003 finden gleichermaßen keine Berücksichtigung wie Wohnung in guter Wohnlage, da es sich hierbei nicht um Wohnungen handelt, die den von der Rechtsprechung des BSG geforderten Wohnungen im "unteren Mietpreisniveau" widerspiegeln. Für Wohnungen im Stadtgebiet Aachen ergeben sich folgende Quadratmeterwerte pro Euro aus dem Mietspiegel (gültig vom 01.01.2009 bis 31.12.2010):

Baualter, einfache Wohnlage: - bis 1960: 3,35 Euro bis 5,30 Euro - 1961 bis 1971: 4,00 Euro bis 5,30 Euro - 1972 bis 1982: 3,40 Euro bis 5,45 Euro - 1983 bis 1993: 3,40 Euro bis 4,65 Euro - 1994 bis 2002: 4,65 Euro bis 7,00 Euro

Baualter, mittlere Wohnlage: - bis 1960: 4,15 EUR bis 6,05 EUR - 1961 bis 1971: 4,30 EUR bis 6,00 EUR - 1972 bis 1982: 4,40 EUR bis 6,20 EUR - 1983 bis 1993: 3,60 EUR bis 6,40 EUR - 1994 bis 2002: 4,40 EUR bis 7,20 EUR

Durchschnitt gesamt: 5,07 EUR pro/m².

Dies ergibt grundsätzlich einen Anspruch des Klägers auf Übernahme von Schuldzinsen in Höhe von monatlich 253,50 EUR (5,07 EUR x 50 m²). Hinzu treten monatliche Wohngeldzahlungen und Heizkosten. Die Beklagte berechnete die dem Kläger gewährten Kosten der Unterkunft jedoch zunächst in ihren Bescheiden vom 27.11.2009 und 05.02.2010 unter Berücksichtigung einer Quadratmetermiete von 5,30 EUR. Hieran ist sie festzuhalten. Hieraus ergibt sich im streitigen Zeitraum ein Anspruch des Klägers auf Übernahme von monatlichen Unterkunftskosten in Höhe von 265,00 EUR (5,30 EUR X 50 m²) zuzüglich Wohngeldzahlungen und Heizkosten. Die Beklagte hat zu Unrecht in dem Zeitraum vom 01.04.2010 bis 30.06.2010 den von der Kammer berechneten Durchschnittswert bei ihrer Berechnung eingestellt. Es kann dahin stehen, ob dieser Vorgehensweise bereits die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II entgegensteht und die Beklagte nach erneuten Feststellung der Unangemessenheit der Schuldzinsen, den Kläger zunächst erneut zur Kostensenkung hätte auffordern müssen. Denn einer derartigen Änderung im laufenden Bewilligungszeitraum zu Lasten des Klägers steht bereits die Regelung des § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) entgegen. Hiernach kann ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden, wenn eine Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse eingetreten ist. Dies ist bei der von der Beklagten eingeführten neuen Berechnungsmethode für die Kosten der Unterkunft ab dem 01.04.2010 jedoch nicht gegeben. Denn eine Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse ist hiernach nicht eingetreten. Vielmehr hatte der Mietspiegel für die Stadt Aachen bereits ab 01.01.2009 Geltung erlangt. Dies hat die Beklagte jedoch erst bei der Erstellung eines Konzeptes im laufenden Bewilligungszeitraum bei der Ermittlung der als angemessen angesehen Werte berücksichtigt. Die Umsetzung eines von der Beklagten entwickelten Konzeptes durch die Beklagte selbst stellt keine Änderung im Sinne des § 48 SGB X dar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Berufung war gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen. Das Gericht misst der Frage der Anwendung der WNB im Rahmen der Ermittlung der angemessenen Kosten der Unterkunft nach dem SGB II grundsätzliche Bedeutung bei.
Rechtskraft
Aus
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