Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 33 AS 1866/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 942/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 26.05.2010 geändert und den Antragstellern Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H ab dem 12.05.2010 bewilligt.
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
Die Antragstellerin zu 1), die polnische Staatsangehörige und Mutter des 1996 geborenen Antragstellers zu 2) ist, übte vom 01.08.2007 bis 30.12.2008 ein angemeldetes Gewerbe als Prostituierte in der Bundesrepublik Deutschland aus. Ob sie sich nach der Abmeldung des Gewerbes in der Bundesrepublik Deutschland oder in Polen aufgehalten hat, ist zwischen den Beteiligten streitig. Am 15.03.2010 beantragten die Antragsteller Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II), was die Antragsgegnerin im Hinblick darauf, dass die Antragstellerin zu 1) weder als Arbeitnehmerin noch als Selbständige in der Bundesrepublik Deutschland freizügigkeitsberechtigt sei, ablehnte.
Den Antrag der Antragsteller auf vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung der Grundsicherungsleistungen hat das angerufene Sozialgericht (SG) Köln mit Beschluss vom 26.05.2010 ebenso wie Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Die gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe gerichtete Beschwerde ist zulässig und begründet. Das SG hat zu Unrecht die hinreichende Erfolgsaussicht des Antrags im Sinne der §§ 73 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), 114 Zivilprozessordnung (ZPO) verneint.
Auch wenn die vom SG im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vertretene Auffassung vertretbar erscheint, dass aufgrund der Bestimmung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörige von den Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sind, ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden sei (ebenso z. B. Hessisches LSG Beschl. v. 13.09.2007 - L 9 AS 44/07 ER - = www.juris.de), hätte es im Hinblick auf die damit verbundenen offenen Rechtsfragen und in Anbetracht der Rechtsprechung des LSG NW (vgl. Beschl. des Senats v. 17.02.2010 - L 19 B 392/09 AS ER -; LSG NW Beschl. v. 25.03.2010 - L 7 AS 327/10 B ER - und L 7 B 172/09 AS ER ) die Möglichkeit eines Erfolges des Antrages nicht verneinen dürfen. Dass die Antragstellerin zu 1), die über eine unbefristete Arbeitserlaubnis und eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU verfügt, die Voraussetzungen für die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II grundsätzlich erfüllt, hat auch das SG zu Recht nicht in Zweifel gezogen. Ob sie als Angehörige der Europäischen Union (EU) gleichwohl aufgrund der Bestimmung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von dem Leistungsanspruch ausgenommen ist, ist dagegen entgegen der Auffassung des SG bisher nicht hinreichend geklärt und auch durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) v. 12.03.2009 - C 22 und 23/08 - nicht abschließend geklärt (vgl. etwa die Besprechung von Schreiber, info also 2009, 195).
Fraglich ist zunächst schon, ob der Aufenthalt eines EU-Angehörigen zwecks Arbeitssuche nach Aufgabe einer selbständigen Tätigkeit - sei es bei durchgehendem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland oder nach einer Wiedereinreise - überhaupt unter die Ausschlussorm des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II fällt (ablehnend für den Fall einer vorherigen Beschäftigung Bayrisches LSG Beschl. v. 12.03.2008 - L 7 B 1104/07 AS ; LSG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 08.06.2009 - L 10 AS 617/09 B ER - u. Beschl. v. 14.11.2006 - L 14 B 963/06 AS ER ; Schreiber a. a. O. 197, der dies auch aus der genannten Entscheidung des EuGH ableitet). Ferner erscheint es zweifelhaft, ob es sich bei der Grundsicherungsleistung nach dem SGB II, die eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung im Sinne des Art. 4 Abs. 2 a VO (EWG) 1408/71 ist (Beschl. des Senats v. 30.03.2007 - L 19 B 102/06 AS ; Fuchs NZS 2007, 1, 4), um Sozialhilfe im Sinne des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG handelt (kritisch Strick NJW 2005, 2282, 2184 f.; bejahend wohl Hailbronner ZFSH/SGB 2009, 195, 201; offengelassen vom erkennenden Senat Beschl. v. 16.04.2007 - L 19 B 13/07 AS ER = www.juris.de). Diese Frage ist zwar von den nationalen Gerichten zu beantworten, der EuGH hat aber darauf hingewiesen, dass "eine Voraussetzung wie die in § 7 Abs. 1 SGB II enthaltene, wonach der Betroffene erwerbsfähig sein muss, ein Hinweise darauf sein könnte, dass die Leistung den Zugang zur Beschäftigung erleichtern soll" (Urt. v. 04.06.2009 - C-22 u. 23/08 Rn 44). Die Zulässigkeit der vom SG vorgenommenen Trennung zwischen Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (Kapitel 3 Abschn. 1 SGB II) einerseits und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Kapitel 3 Abschn. 2 SGB II) andererseits erscheint fraglich, weil in der Regel entsprechende Leistungen nur gemeinsam in Anspruch genommen werden und das Erfordernis der Erwerbsfähigkeit untypisch für reine Leistungen der Sozialhilfe ist. Sind die Grundsicherungsleistungen aber als Leistungen zu qualifizieren, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, können sie EU-Angehörigen nicht vorenthalten werden (EuGH wie zuvor Rn 40).
Besteht demzufolge eine bisher ungeklärte Rechtslage, die auch nach der Rechtsprechung des LSG NW (Beschl. v. 17.02.2010 -L 19 B 392/09 AS ER- u. v. 25.03.2010 - L 7 AS 327/10 B ER u. L 7 B 172/09 AS ER) zu einer vorläufigen Zuerkennung von Leistungen an EU-Angehörige sowohl der alten wie der neuen Beitrittsländer geführt hat, sind die Erfolgsaussichten im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung als hinreichend anzusehen. Da die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes infolge der Mittellosigkeit der Antragsteller als unzweifelhaft anzusehen ist und sie auch infolgedessen nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung auch nur teilweise zu tragen, ist Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen.
Dagegen ist die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren über die Ablehnung derselben abzulehnen, weil für das Prozesskostenhilfeverfahren selbst sowie ein nachfolgendes Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe nicht zu gewähren ist (Beschl. des Senats v. 16.11.2009 - L 19 322/09 AS ; LSG NW Beschl. v. 25.08.2010 - L 12 AS 299/10 B m.w.N.).
Die Nichterstattungsfähigkeit der Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Gründe:
Die Antragstellerin zu 1), die polnische Staatsangehörige und Mutter des 1996 geborenen Antragstellers zu 2) ist, übte vom 01.08.2007 bis 30.12.2008 ein angemeldetes Gewerbe als Prostituierte in der Bundesrepublik Deutschland aus. Ob sie sich nach der Abmeldung des Gewerbes in der Bundesrepublik Deutschland oder in Polen aufgehalten hat, ist zwischen den Beteiligten streitig. Am 15.03.2010 beantragten die Antragsteller Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II), was die Antragsgegnerin im Hinblick darauf, dass die Antragstellerin zu 1) weder als Arbeitnehmerin noch als Selbständige in der Bundesrepublik Deutschland freizügigkeitsberechtigt sei, ablehnte.
Den Antrag der Antragsteller auf vorläufige Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Gewährung der Grundsicherungsleistungen hat das angerufene Sozialgericht (SG) Köln mit Beschluss vom 26.05.2010 ebenso wie Prozesskostenhilfe abgelehnt.
Die gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe gerichtete Beschwerde ist zulässig und begründet. Das SG hat zu Unrecht die hinreichende Erfolgsaussicht des Antrags im Sinne der §§ 73 a Abs. 1 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), 114 Zivilprozessordnung (ZPO) verneint.
Auch wenn die vom SG im einstweiligen Rechtsschutzverfahren vertretene Auffassung vertretbar erscheint, dass aufgrund der Bestimmung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, wonach Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt, und ihre Familienangehörige von den Leistungen nach dem SGB II ausgenommen sind, ein Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht worden sei (ebenso z. B. Hessisches LSG Beschl. v. 13.09.2007 - L 9 AS 44/07 ER - = www.juris.de), hätte es im Hinblick auf die damit verbundenen offenen Rechtsfragen und in Anbetracht der Rechtsprechung des LSG NW (vgl. Beschl. des Senats v. 17.02.2010 - L 19 B 392/09 AS ER -; LSG NW Beschl. v. 25.03.2010 - L 7 AS 327/10 B ER - und L 7 B 172/09 AS ER ) die Möglichkeit eines Erfolges des Antrages nicht verneinen dürfen. Dass die Antragstellerin zu 1), die über eine unbefristete Arbeitserlaubnis und eine Freizügigkeitsbescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU verfügt, die Voraussetzungen für die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II grundsätzlich erfüllt, hat auch das SG zu Recht nicht in Zweifel gezogen. Ob sie als Angehörige der Europäischen Union (EU) gleichwohl aufgrund der Bestimmung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II von dem Leistungsanspruch ausgenommen ist, ist dagegen entgegen der Auffassung des SG bisher nicht hinreichend geklärt und auch durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) v. 12.03.2009 - C 22 und 23/08 - nicht abschließend geklärt (vgl. etwa die Besprechung von Schreiber, info also 2009, 195).
Fraglich ist zunächst schon, ob der Aufenthalt eines EU-Angehörigen zwecks Arbeitssuche nach Aufgabe einer selbständigen Tätigkeit - sei es bei durchgehendem Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland oder nach einer Wiedereinreise - überhaupt unter die Ausschlussorm des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II fällt (ablehnend für den Fall einer vorherigen Beschäftigung Bayrisches LSG Beschl. v. 12.03.2008 - L 7 B 1104/07 AS ; LSG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 08.06.2009 - L 10 AS 617/09 B ER - u. Beschl. v. 14.11.2006 - L 14 B 963/06 AS ER ; Schreiber a. a. O. 197, der dies auch aus der genannten Entscheidung des EuGH ableitet). Ferner erscheint es zweifelhaft, ob es sich bei der Grundsicherungsleistung nach dem SGB II, die eine besondere beitragsunabhängige Geldleistung im Sinne des Art. 4 Abs. 2 a VO (EWG) 1408/71 ist (Beschl. des Senats v. 30.03.2007 - L 19 B 102/06 AS ; Fuchs NZS 2007, 1, 4), um Sozialhilfe im Sinne des Art. 24 Abs. 2 RL 2004/38/EG handelt (kritisch Strick NJW 2005, 2282, 2184 f.; bejahend wohl Hailbronner ZFSH/SGB 2009, 195, 201; offengelassen vom erkennenden Senat Beschl. v. 16.04.2007 - L 19 B 13/07 AS ER = www.juris.de). Diese Frage ist zwar von den nationalen Gerichten zu beantworten, der EuGH hat aber darauf hingewiesen, dass "eine Voraussetzung wie die in § 7 Abs. 1 SGB II enthaltene, wonach der Betroffene erwerbsfähig sein muss, ein Hinweise darauf sein könnte, dass die Leistung den Zugang zur Beschäftigung erleichtern soll" (Urt. v. 04.06.2009 - C-22 u. 23/08 Rn 44). Die Zulässigkeit der vom SG vorgenommenen Trennung zwischen Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (Kapitel 3 Abschn. 1 SGB II) einerseits und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (Kapitel 3 Abschn. 2 SGB II) andererseits erscheint fraglich, weil in der Regel entsprechende Leistungen nur gemeinsam in Anspruch genommen werden und das Erfordernis der Erwerbsfähigkeit untypisch für reine Leistungen der Sozialhilfe ist. Sind die Grundsicherungsleistungen aber als Leistungen zu qualifizieren, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern sollen, können sie EU-Angehörigen nicht vorenthalten werden (EuGH wie zuvor Rn 40).
Besteht demzufolge eine bisher ungeklärte Rechtslage, die auch nach der Rechtsprechung des LSG NW (Beschl. v. 17.02.2010 -L 19 B 392/09 AS ER- u. v. 25.03.2010 - L 7 AS 327/10 B ER u. L 7 B 172/09 AS ER) zu einer vorläufigen Zuerkennung von Leistungen an EU-Angehörige sowohl der alten wie der neuen Beitrittsländer geführt hat, sind die Erfolgsaussichten im Rahmen der Prozesskostenhilfebewilligung als hinreichend anzusehen. Da die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes infolge der Mittellosigkeit der Antragsteller als unzweifelhaft anzusehen ist und sie auch infolgedessen nicht in der Lage sind, die Kosten der Prozessführung auch nur teilweise zu tragen, ist Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung zu bewilligen.
Dagegen ist die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren über die Ablehnung derselben abzulehnen, weil für das Prozesskostenhilfeverfahren selbst sowie ein nachfolgendes Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe nicht zu gewähren ist (Beschl. des Senats v. 16.11.2009 - L 19 322/09 AS ; LSG NW Beschl. v. 25.08.2010 - L 12 AS 299/10 B m.w.N.).
Die Nichterstattungsfähigkeit der Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
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