L 6 AS 1118/10 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 29 AS 145/10
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 1118/10 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 25.05.2010 wird zurückgewiesen. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Streitig ist, ob den Klägern Prozesskostenhilfe (PKH) für das von ihnen geführte Klageverfahren zu bewilligen ist.

Die Klägerin zu 1) bezieht mit ihren 5 Kindern, den Klägern zu 2) bis 6) als Bedarfsgemeinschaft von dem Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Der Beklagte gewährte zuletzt mit Bescheid vom 17.06.2009 Leistungen für den Zeitraum vom 01.07.2009 bis 31.12.2009. Mit Änderungsbescheid vom 24.06.2009 minderte er die Leistungen für den den genannten Zeitraum monatlich um 75 Euro mit der Begründung, der in dieser Höhe als Teil des Elterngeldes gezahlte Geschwisterbonus sei auf die laufenden Leistungen anzurechnen. Den Widerspruch der Kläger vom 17.07.2009 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 11.12.2009 zurück. Nach § 10 Abs. 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) bleibe das Elterngeld bis zu einer Höhe von insgesamt 300 Euro im Monat als Einkommen unberücksichtigt. Da die Klägerin insgesamt 375 Euro Elterngeld erhalte, seien 75 Euro anzurechnen. Das anzurechnende Einkommen müsse nach § 11 Abs. 3a SGB II in voller Höhe berücksichtigt werden.

Gegen den Änderungsbescheid vom 24.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.09.2009 haben die Kläger am 12.01.2010 Klage beim Sozialgericht (SG) Dortmund erhoben und einen Antrag auf Gewährung von PKH gestellt. Sie begehren Leistungen ohne Anrechnung des Geschwisterbonus nach § 2 Abs. 4 S. 1 BEEG, hilfsweise Leistungen unter Anrechnung lediglich des um die Versicherungspauschale einkommensbereinigten Geschwisterbonus. Sie sind der Auffassung, dass auch der Geschwisterbonus nach § 10 Abs. 1 BEEG anrechnungsfrei bleibe. Das BEEG wolle einen bestimmten Betrag, auch Sockel- oder Basisbetrag genannt, als direkte Hilfe für einkommensschwache Familien bereitstellen. § 10 BEEG habe geschaffen werden müssen, da die Mindesthöhe des Elterngeldes nach § 2 Abs. 5 S. 1 BEEG auf 300 Euro festgelegt worden sei. Hieraus müsse geschlossen werden, dass der Gesetzgeber generell den Mindestbetrag anrechnungsfrei habe stellen wollen. Bei dem Geschwisterbonus handele es sich um einen solchen Mindestbetrag. Im Übrigen sei der Geschwisterbonus auch als zweckbestimmte Einnahme nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 a SGB II unberücksichtigt. Der Sockelbetrag des Elterngeldes sowie des Geschwisterbonus honoriere die Erziehungs- und Betreuungsleistung der Eltern. Mehr noch als beim Basiselterngeld solle der Basisgeschwisterbonus die erzieherische Mehrleistung und den Willen, ein weiteres Kind zu bekommen, belohnen. Jedenfalls sei der Basisgeschwisterbonus um die Versicherungspauschale zu bereinigen. Dem stehe § 11 Abs. 3a SGB II nicht entgegen. Hier werde vorgeschrieben, dass der Teil, der den anrechnungsfreien Betrag des Elterngeldes übersteige, voll zu berücksichtigen sei und finde daher gerade auf den Geschwisterbonus keine Anwendung.

Das SG hat die Gewährung von PKH mit Beschluss vom 25.05.2010 abgelehnt. Es hat ausgeführt, dass der Wortlaut des § 10 Abs. 1 BEEG eindeutig einen Betrag von insgesamt 300 Euro nenne, der anrechnungsfrei bleibe. Die Vorschrift lasse sich nicht dahingehend auslegen, dass der Gesetzgeber entgegen der konkreten Betragsbenennung sämtliche im BEEG aufgeführten Mindestbeiträge habe anrechnungsfrei stellen wollen. Wie zu verfahren sei, wenn für mehrere Kinder Leistungen nach dem BEEG gewährt würden, bestimme im Übrigen § 10 Abs. 4 BEEG, der weitere anrechnungsfreie Beträge nur im Falle der Leistungen bei Mehrlingsgeburten vorsehe. Auch auf Grund dieser Vorschrift bleibe für eine ergänzende Auslegung des § 10 Abs. 1 BEEG kein Raum.

Auch könne den Klägern nicht in der Ansicht zugestimmt werden, der Geschwisterbonus sei keine Einkommensersatzleistung, sondern diene der Honorierung der Erziehungs- und Betreuungsleistung. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers sollte der Geschwisterbonus vielmehr dem Umstand Rechnung tragen, dass Elternteile, die bereits ein Kind oder mehrere Kinder haben, nach deren Geburt vielfach Einkommensbeschränkungen hinnehmen mussten mit der Folge, dass das Elterngeld für das hinzugekommene Kind geringer ausfiel (BT-Drs 16/1889 S. 21). Zweck des Geschwisterbonus sei also der Ausgleich von Einkommensbeschränkungen. Dadurch, dass die Leistungen nach dem BEEG auch Empfängern von Leistungen nach dem SGB II zustehen, ändere sich die Zweckbestimmung nicht. Hätte der Gesetzgeber dies so gesehen, wäre die Vorschrift des § 10 Abs. 1 BEEG überflüssig, weil dann eine Anrechnung als Einkommen insgesamt, also auch mit dem 300 Euro übersteigenden Betrag gem. § 11 Abs. 3a SGB II nicht in Betracht käme. Im Übrigen handele es sich bei § 11 Abs. 3a SGB II um eine Einkommen in Form von Elterngeld betreffende Sondervorschrift, die als lex specialis zu den sonstigen Vorschriften des § 11 SGB II über die Anrechnung von Einkommen zu verstehen sei. Daher komme auch aufgrund der betragsmäßigen Festlegung des Freibetrages die Berücksichtigung weiterer Absetzbeträge wie z.B. die Versicherungspauschale nicht in Betracht.

Gegen den ihnen am 07.06.2010 zugestellten Beschluss haben die Kläger am 24.06.2010 Beschwerde eingelegt und sich auf ihr bisheriges Vorbringen bezogen. Ergänzend haben sie vorgetragen, dass der Freibetrag des § 10 Abs. 1 BEEG eingeführt worden sei, weil das Elterngeld als Sozialleistung nicht der Grund habe sein sollen, dass Leistungen nach dem SGB II aufgrund übersteigenden Einkommens wegfielen. Dieser Grundidee des Elterngeldes widerspreche es, wenn der Mindestbetrag des § 2 Abs. 5 S. 1 BEEG, nicht jedoch der Geschwisterbonus anrechnungsfrei gestellt werde. Zunächst habe der Gesetzgeber beabsichtigt, einen Geschwisterzuschlag nur in Fallgestaltungen, in denen die Erwerbseinschränkung ausnahmsweise ausgleichsbedürftig sei, einzuführen (BT-Drs. 16/1889, S. 21). Nachträglich jedoch habe man sich für einen grundsätzlich zu zahlenden Mindestbonus in Höhe von 75 Euro entschieden. Es sei offensichtlich nicht beachtet worden, dass aufgrund des ohne jedwede Absetzung (§ 11 Abs. 3a SGB II) grundsätzlich zu zahlenden Mindestgeschwisterbonus der Anspruch nach dem SGB II wegen übersteigenden Einkommens nun doch wegfallen könne. Insofern müsse es sich bei der Formulierung des § 10 Abs. 1 BEEG um einen redaktionellen Fehler bei der Abfassung des Gesetzes handeln.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der von dem Beklagten beigezogenen Verwaltungsakten verwiesen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht (SG) den Antrag der Kläger auf Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) abgelehnt.

Voraussetzung für die Gewährung von PKH ist nach § 73 a Abs.1 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) unter anderem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 07.05.1997, 1 BvR 296/94 = NJW 1997, 2745) den Standpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 9. Aufl. 2008, § 73 a Rn 7a; st. Rspr. LSG NRW, z.B. Beschluss vom 23.03.2010, L 6 B 141/09 AS). Der Erfolg braucht nicht sicher zu sein, muss aber nach den bisherigen Umständen eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich haben. Ist ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte, ist der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe abzulehnen (vgl. BSG, Beschluss vom 17.02.1998, B 13 RJ 83/97 R = SozR 3-1750 § 114 Nr. 5; BVerfG, Beschluss vom 14.04.2003, 1 BvR 1998/02 = NJW 2003, 296; BVerfG, Beschluss vom 29.09.2004, 1 BvR 1281/04 = NJW-RR 2005, 140). Dies ist hier der Fall. Nach den aktenkundigen Unterlagen ist der mit der Klage angefochtene Änderungsbescheid des Beklagten vom 24.06.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.12.2009 nicht rechtswidrig. Zu Recht hat das SG darauf hingewiesen, dass der Wortlaut des § 10 Abs. 1 BEEG konkret einen anrechnungsfreien Betrag von 300 Euro benennt, dass diese eindeutige Regelung einer ergänzenden Auslegung nicht zugänglich ist und dass die Berücksichtigung von Absetzbeträgen nicht in Betracht kommt. Auf die Begründung des Sozialgerichts, die sich der Senat nach Überprüfung zu eigen macht, wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen (§ 142 Abs. 2 S. 3 SGG).

Der Vortrag der Kläger im Beschwerdeverfahren vermag nicht zu einem anderen Ergebnis zu führen. Die Vorschrift des § 10 Abs. 1 BEEG kann nicht im Rahmen richterlicher Rechtsfortbildung in dem von den Klägern gewünschten Sinn korrigiert werden. Die (richterliche) Korrektur einer Gesetzesvorschrift, die wie § 10 Abs. 1 BEEG einen klaren Wortlaut aufweist, setzt voraus, dass nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes sowie den Absichten des Gesetzgebers eine planwidrige Gesetzeslücke besteht (BSG, Urteil vom 25.02.2010, B 10 LW 1/09 R Rn 18, 19). Eine derartige planwidrige Gesetzeslücke lässt sich den Gesetzesmaterialien zur Einführung des BEEG nicht entnehmen. Dabei ist nach dem Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens nicht auszuschließen, dass der Gesetzgeber - wie die Kläger meinen - keine bewusste Entscheidung dazu getroffen hat, ob der Geschwisterbonus bei Leistungen nach dem SGB II anrechnungsfrei oder anrechenbar sein solle. Die im Gesetzgebungsprozess stets als anrechnungsfrei benannten 300 Euro entsprachen von Beginn an dem Mindestelterngeld, wohingegen die Vorschrift betreffend den Geschwisterbonus erst im Laufe des Verfahrens als pauschaler Mindestzuschlag ausgestaltet worden ist. Dass mit dieser Änderung eine Überlegung zur Höhe des vorher festgelegten anrechnungsfreien Betrag verbunden gewesen ist, ergibt sich aus den Materialien nicht. Auch wenn es an einer solchen Überlegung gemangelt hat, ist nicht erkennbar, dass die jetzige Regelung den Plänen des Gesetzgebers widerspricht und daher im Wege richterlicher Rechtsfortbildung korrigiert werden kann. Aus keiner der Drucksachen und Plenarprotokolle ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber den Empfängern von Arbeitslosengeld II den Bezug des gesamten zwingend zu zahlenden Mindestelterngeldes (einschließlich des Geschwisterbonus) anrechnungsfrei und damit leistungserhöhend zur Verfügung stellen wollte. Vielmehr ist durchgehend der konkrete Betrag von "300 Euro" genannt, der nicht als Einkommen für andere Sozialleistungen zählen solle. Ebensowenig lässt sich den Gesetzesmaterialien entnehmen, dass der Freibetrag von 300 Euro eingeführt worden ist, um zu vermeiden, dass das Elterngeld der Grund für den Wegfall von Leistungen nach dem SGB II sein könne. Tatsächlich führen die Gesetzesmaterialien als Grund für die Anrechnungsfreiheit des Betrages von 300 Euro an, dass dieser notwendig sei, "damit das Elterngeld bei allen Familien auch tatsächlich zu einer Erhöhung des verfügbaren Haushaltsnettoeinkommens führt" (BT-Drs. 16/1889 S. 17). Konkrete Gründe, warum den Empfängern von Grundsicherungsleistungen ein höheres Haushaltsnettoeinkommen zur Verfügung stehen solle, werden nicht genannt. Entsprechend ist auch im Gesetzgebungsprozess sogar die Anrechnungsfreiheit des Mindestelterngeldes gerügt worden, weil dies dem mit dem Elterngeld verfolgten Lohnersatzprinzip widerspreche (Plenarprotokoll 16/40 vom 22.06.2006, S. 3711).

Auch aus den mit der Einführung eines pauschalen Geschwisterbonus verbundenen gesetzgeberischen Überlegungen lässt sich keine Zielsetzung dergestalt erkennen, dass dieser Betrag den Empfängern von Leistungen nach dem SGB II komplett verbleiben soll. Die Änderung eines zunächst nur fallweise zu gewährenden rein lohnersatzbezogenen Zuschlags in einen pauschalen Bonus basierte auf den Zielen, die Berechnung zu vereinfachen (BT-Drs. 16/2785 S. 39) und unmittelbar zu ermöglichen, einen Ausgleich für Schwierigkeiten von Mehrfachmüttern und -vätern, bei mehreren Kindern ein konstant hohes Nettoeinkommen zu erzielen, zu schaffen und auch einen Anreiz für alleinverdienende Väter zu geben, verstärkt Elterngeld in Anspruch zu nehmen (BT-Drs 16/2785 S. 32). Diese Erwägungen bezogen sich - wie auch die überwiegende Zielrichtung des Elterngeldes in seiner Gesamtheit - auf die Kompensierung der Lohneinbußen von vor der Geburt des Kindes erwerbstätigen Eltern. Diese sollten in der Anfangsphase der Kindererziehung bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage unterstützt und ihnen durch Vermeidung von Gehaltseinbußen - auch im Verhältnis zu kinderlosen Paaren bzw. Frauen - auf Dauer geholfen werden, die wirtschaftliche Existenz zu sichern (BT-Drs. 16/2785 S. 2).

Fehlt es an einer konkreten Zielsetzung des Gesetzgebers, die die Auslegung einer Vorschrift entgegen ihrem Wortlaut gebietet, so ist für richterliche Rechtsfortbildung kein Raum. Entsprechend obliegt die Beurteilung der Frage, ob Empfängern von Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II nicht nur ein Betrag von 300 Euro monatlich vom Elterngeld sondern im Falle mehrerer zeitnah aufeinander folgender Kinder von 375 Euro anrechnungsfrei verbleiben muss, nicht den Gerichten, sondern ist eine sozialpolitische Entscheidung allein des Gesetzgebers.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Diese Entscheidung kann nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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