L 2 AS 392/10 B ER

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
2
1. Instanz
SG Halle (Saale) (SAN)
Aktenzeichen
S 24 AS 4251/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 2 AS 392/10 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 20. September 2010 wird abgeändert und die Antragsgegnerin wird verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig längstens bis zu einer Entscheidung im Klageverfahren für den Zeitraum vom 1. Juli 2010 an bis zum 30. Juni 2011 Leistungen für die Bestreitung der Kosten der Unterkunft in Höhe von 260,00 EUR monatlich zu leisten.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin trägt 4/5 der außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt P ..., H ..., ohne Ratenzahlung bewilligt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin Leistungen für die Kosten der Unterkunft im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit vom 1. Juli 2010 an.

Die am ... 1975 geborene Antragstellerin lebte bis zur Trennung im Monat Oktober 2007 mit ihrem Mann und der am 1997 geborenen gemeinsamen Tochter in einer gemeinsamen Wohnung in L ... E. Beide waren als selbständige Schausteller im Saisonbetrieb erwerbstätig. Ab dem 23. Oktober 2007 mietete die Antragstellerin für sich die Wohnung in der K -M ...-Str ... in L. E. an. Es handelt sich um eine Zweizimmerwohnung mit Küche und Bad mit WC. Die Wohnfläche beträgt 51,00 qm. Der monatliche Mietpreis beträgt 260,00 EUR (Kaltmiete) zuzüglich jeweils 50,00 EUR als Vorauszahlungen für Betriebs- und Heizkosten.

Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin und ihrer Tochter Arbeitslosengeld II bis zum 31. Oktober 2008, wobei sie Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit berücksichtigte.

Am 17. Oktober 2008 ging bei der Antragsgegnerin ein auf die Antragstellerin bezogener anonymer Hinweis ein, in dem mitgeteilt wurde, diese verdiene gut als Schaustellerin und lebe zusammen mit dem Schausteller H M aus H. Die Antragstellerin teilte der Antragsgegnerin am 28. November 2008 mit, ihre selbständige Tätigkeit ruhe ab Ende Oktober 2008 und sie habe für die Zeit vom 24. November bis zum 23. Dezember 2008 bei dem Schaustellerbetrieb H M in H eine geringfügige Beschäftigung mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von ca. zehn Stunden und einem Verdienst von 100,00 EUR aufgenommen. In einem persönlichen Gespräch bei der Antragsgegnerin am 23. Dezember 2008 teilte die Antragstellerin mit, ihr Gewerbe ruhe derzeit, weil die Saison immer von März bis Oktober andauere. Weil sie dazu in E. keine Möglichkeit mehr habe (der bisherige Stellplatz bei Verwandten des Ehemanns sei weggefallen), seien ihr Wohnwagen und ihr Schaustellerwagen sowie das defekte Zugfahrzeug in H. (auf dem Grundstück des Herrn M.) abgestellt. Sie habe vom 24. November bis zum 23. Dezember 2008 in H ... als Aushilfe auf dem Weihnachtsmarkt im Stand von Herrn M ... gearbeitet. In der Zeit habe sie in dem Wohnwagen gewohnt. Weil ihr Fahrzeug defekt sei, habe sie nicht täglich von E ... nach H pendeln können. Herr M und sie würden nicht zusammen wohnen und hätten auch kein gemeinsames Gewerbe. Eine Freundin, Frau K , leere in E täglich den Briefkasten und informiere sie umgehend, wenn Post vorhanden sei.

Am 29. Dezember 2008 führten Mitarbeiter der Antragsgegnerin einen Hausbesuch in der Wohnung der Antragstellerin in E durch und stellten fest, dass die Wohnung ausgekühlt war und dass dort keine persönlichen Gegenstände oder Kleidungstücke der Antragstellerin in den Schränken und keine Hygieneartikel in Bad vorhanden waren.

Mit einem Bescheid vom 5. Februar 2009 lehnte die Antragsgegnerin gegenüber der Antragstellerin eine Leistungsgewährung für die Zeit ab dem 1. November 2008 mit der Begründung ab, der gewöhnliche Aufenthaltsort der Antragstellerin sei nicht (mehr) in L. E ... Hiergegen erhob die Antragstellerin am 12. Februar 2009 Widerspruch und führte aus: Während ihrer Arbeit auf dem Weihnachtsmarkt in H ... habe sie in ihrem Wohnwagen in H gelebt. Zum Zeitpunkt des Hausbesuches habe sie ihre persönlichen Gegenstände noch nicht wieder in die Wohnung in L.E. geräumt gehabt. Auch während der Schaustellersaison sei sie regelmäßig in ihrer Wohnung, um dort Wäsche zu waschen, die Hausordnung zu erledigen und nach der Post zu sehen. Ab Ende Oktober 2008 ruhe der Schaustellerbetrieb. Die neue Saison beginne eventuell im April 2009. Die Arbeit auf dem Weihnachtsmarkt in H. habe sie sich gesucht, um überhaupt etwas Geld für den Lebensunterhalt zu haben. Ihre Mietschulden stiegen und die Vermieterin drohe mit Kündigung des Mietverhältnisses.

Bei einem erneuten Hausbesuch in der Wohnung der Antragstellerin in E. am 23. Februar 2009 befanden sich in allen Schränken Kleidungstücke und persönliche Gegenstände und im Bad die üblichen Hygieneartikel. Im Kühlschrank befanden sich Joghurtbecher und alkoholische Getränke, aber keine sonstigen Lebensmittel. Die Wohnung war beheizt.

Den Widerspruch der Klägerin wies die Antragstellerin mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2009 als unbegründet zurück; das Klageverfahren ist noch anhängig.

Die Vermieterin der Wohnung in L. E. kündigte das Mietverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 3. März 2009 wegen bestehender Mietrückstände fristlos gekündigt, wies in dem Schreiben aber auch darauf hin, dass die Kündigung durch Ausgleich des Rückstands gegenstandslos werde.

Die Antragstellerin stellte am 10. März 2009 beim Sozialgericht Halle (SG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Gegen den Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2009 erhob sie Klage. Das SG lehnte den einstweiligen Rechtsschutzantrag mit Beschluss vom 5. Mai 2009 ab, wogegen die Antragstellerin am 4. Juni 2009 Beschwerde erhob (L 2 AS 194/09 B ER).

Die Beigeladene bewilligte der Antragstellerin mit Bescheid vom 2. Juni 2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (inklusive Mehrbedarfe aber ohne Leistungen für Unterkunft und Heizung) für den Zeitraum vom 13. Mai bis zum 30. November 2009 in Höhe von monatlich 351,00 EUR.

Der Berichterstatter führte im Beschwerdeverfahren L 2 AS 194/09 B ER am 2. Juli 2009 einen Erörterungstermin mit den Beteiligten durch. Die Antragstellerin gab im Wesentlichen an: Sie lebe während der Saison in ihrem Wohnwagen. Herr M habe seinen eigenen Wohnwagen. Sie führe dem Herrn M , der in der Saison stark mit seinem Schaustellerbetrieb beschäftigt sei, auf den Märkten den Haushalt, wofür sie Lebensmittel erhalte. Ihr derzeit nicht genutzter Schaustellerwagen und das defekte Zugfahrzeug seien noch auf dem Gelände des Herrn M in H. abgestellt. Dort stehe auch ihr Wohnwagen in den Zeiten zwischen zwei Märkten. Sie übernachte dann aber nicht dort, sondern fahre nach L. E ... Dort in ihrer Wohnung sei sie während der laufenden Saison etwa alle 14 Tage. Sie fahre dort meist mit einem von Herrn M. geliehenen Fahrzeug hin; manchmal fahre auch Herr M sie. Im Januar 2009 sei sie alleine für drei Wochen in Urlaub gefahren. Die Reise hätten Freunde ihr geschenkt. Eine Lebensgemeinschaft mit Herrn M bestehe nicht. Die Wohnung in L. E. wolle sie behalten. Sie sehe dort ihren Lebensmittelpunkt.

Mit Beschluss vom 9. Juli 2009 verpflichtete der Senat die Antragsgegnerin vorläufig, der Antragstellerin Kosten der Unterkunft in Höhe von 260 EUR monatlich bis zum 31. Dezember 2009 zu leisten. Zur Begründung führte der Senat aus: Er gehe davon aus, dass die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in L E. habe. Dort halte sie sich überwiegend auf, wenn sie nicht ihrem Gewerbe nachgehe. Dort hätten auch soziale Bezugspunkte bestanden, so wohne dort auch ihre Tochter.

Die Antragsgegnerin bewilligte mit Bescheid vom 5. Februar 2010 weiter vorläufig auf der Basis des Beschlusses des Senates vom 9. Juli 2009 Leistungen für Kosten der Unterkunft vom 1. Januar 2010 bis 30. Juni 2010 in Höhe von 260 EUR monatlich.

Die Antragstellerin befand sich vom 6. Januar bis 27. Januar 2010 im Urlaub in K ... zusammen mit Herr M – nach ihrer Angabe in Einzelzimmern, diese Ortsabwesenheit hatte die Beigeladene genehmigt. Die Reise hatte ihr Herr M geschenkt.

Am 28. Mai 2010 stellte die Antragstellerin einen Antrag auf Weiterbewilligung der SGB II-Leistungen bei der Antragsgegnerin.

Mit Bescheid vom 5. Juli 2010 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab und führte zur Begründung aus: Sie könne keine Leistungen erhalten, da sie sich nicht im Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin aufhalte. Hiergegen legte die Antragstellerin am 15. Juli 2010 Widerspruch ein. Die Beigeladene bewilligte der Antragstellerin durchgehende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes, zuletzt mit Änderungsbescheid vom 17. Juni 2010 in Höhe von 359 EUR monatlich für die Zeit vom 1. Juli 2010 bis 31. November 2010.

Am 26. Juli 2010 hat die Antragstellerin einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz beim SG gestellt. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Sie habe unverändert ihren Wohnsitz in E , welcher ihren Lebensmittelpunkt darstelle. Die Antragsgegnerin hat darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin einen Antrag auf Förderung eines LKW-Führerscheines in H (bei der Beigeladenen) gestellt habe. Auch Eingliederungsvereinbarungen habe sie mit der Beigeladenen abgeschlossen und inzwischen einen Prozessbevollmächtigten aus H gewählt. Bei unangemeldeten Hausbesuchen am 29. Juli und 3. August 2010 sei die Antragstellerin in E nicht angetroffen worden.

Die Antragstellerin hat erläutert: Die Vermieterin sei bereit, die Kündigung des Mietverhältnisses wieder rückgängig zu machen, wenn die Mietzahlungen nachgezahlt würden.

Im Anschluss an den Erörterungstermin vor dem SG am, 19. August 2010 hat ein Hausbesuch bei der Antragstellerin stattgefunden. Der Außendienst vermerkte folgende Beobachtungen bei dem Außentermin: Klingel und Briefkasten seien nicht (nach dem beigefügten Foto ist der Name sehr verblasst und nicht gut lesbar) beschriftet. Die Wohnung sei vollständig mit Möbeln ausgestattet und die Antragstellerin sei Besitzerin eines Hundes. Auf einem Teppich im Wohnzimmer hätten sich auffälligerweise zwei große Büschel Hundehaare befunden, während in der übrigen Wohnung keine Hundehaare zu sehen gewesen seien. Hundefutter sei nicht vorhanden gewesen und der Hund habe aus einer länglichen Schale (in Form einer Frischhaltedose) getrunken. Im Kühlschrank hätten sich – teilweise geöffnete - Dauer-Lebensmittel befunden. Auf dem Herd habe die Antragstellerin Nudeln gekocht und die Waschmaschine und der Fernseher seien eingeschaltet gewesen. Die Zahnpastatube in dem Badezimmer sei nicht geöffnet gewesen. Die Antragstellerin habe angegeben, sie putze in H als Haushaltshilfe den Wohnwagen des Herrn M ..., wofür sie inzwischen 100 EUR pro Monat erhalte. Herr M hole die Antragstellerin ab, damit sie ihrer Nebentätigkeit nachgehen könne, da ihr PKW derzeit kaputt sei. Ihr Gewerbe übe sie zur Zeit nicht aus. Nach der Einschätzung der Mitarbeiter der Antragsgegnerin habe die Wohnsituation den Anschein erweckt, dass ein tatsächlicher Aufenthalt nur gestellt und hergerichtet worden sei. Bei dem Hausbesuch hätte sich ein PKW mit einem Werbeslogan von Herrn M. vor dem Haus befunden, ein weiterer PKW, der nach Aussage von Nachbarn, der Antragstellerin gehören solle, habe vor dem Haus geparkt. Das SG hat im Erörterungstermin vom 7. September 2010 die Mitarbeiter der Antragsgegnerin Herr S und Frau V., die den Hausbesuch am 19. August 2010 durchgeführt haben, als Zeugen vernommen. Für weitere Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll vom 7. September 2010 verwiesen.

Die Antragstellerin hat die Jahresverbrauchsrechnung von Strom bei den Stadtwerken L. E (SLE) für den Abrechnungszeitraum 4. September 2008 bis 4. September 2009 vorgelegt. Danach hat die Antragstellerin 279 kWh verbraucht, im Vorjahreszeitraum hat der Verbrauch bei 925 kWh gelegen. Der künftige Vorauszahlungsbetrag belaufe sich auf 13,00 EUR monatlich. Aus den vorgelegten Kontoauszügen ergibt sich, dass die Antragstellerin auch bei Dipl med M ..., einem Arzt in H , in Behandlung war.

Mit Beschluss vom 20. September 2010 hat das SG den Antrag auf einstweilige Anordnung abgelehnt. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die Antragstellerin habe keinen Anordnungsanspruch für die Kosten der Unterkunft glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin habe weder ihren gewöhnlichen noch ihren tatsächlichen Aufenthalt in E ... Der Stromverbrauch widerspreche der Darstellung der Antragstellerin, dass sie sich unter der Woche meist in E. aufhalte. Es bestehe auch keine Veranlassung für die Antragstellerin, sich in E. aufzuhalten, da sie derzeit keinen Kontakt zu ihrer Tochter habe. Die Antragstellerin arbeite für Herrn M ..., der in H ... wohne und sie an Wochenenden zu Märkten mitnehme. Die Antragstellerin habe in H verschiedene Leistungen beantragt. Sie habe einen Prozessbevollmächtigten aus H beauftragt. In E halte sich die Antragstellerin nach der Überzeugung des Gerichts nur manchmal auf.

Gegen diesen ihr am 21. September 2010 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 11. Oktober 2010 Beschwerde erhoben sowie Prozesskostenhilfe beantragt und ihre Anträge wie folgt begründet: Der Umstand, dass sie seit Sommer 2009 nur telefonischen Kontakt zu ihrer Tochter halte, spreche nicht gegen den Aufenthaltsort. Ihr könne auch nicht vorgehalten werden, dass sie Leistungen in H beantrage, weil sich die Antragsgegnerin geweigert habe, für sie zuständig zu sein. Sie sei bei der Wahl ihres Prozessbevollmächtigten frei, die Gründe für diese Wahl müsse sie nicht offenlegen. Sie müsse sich häufiger auch in H aufhalten (Anträge bei der Beigeladenen stellen, Sozialgerichte haben hier ihren Sitz), weshalb die Wahl eines Rechtsanwaltes in H ... sinnvoll sei. Die vorgelegte Stromrechnung habe nur Verbrauchswerte bis zum 4. September 2009 ausgewiesen. Über diesen Zeitraum sei schon mit dem Beschluss des Senates vom 9. Juli 2009 entschieden worden.

Die Antragstellerin hat auf Anfrage mitgeteilt, dass ihr noch keine weiteren Rechnungen für Jahresverbrauchswerte 2010 vorlägen. Als weitere behandelnde Ärzte hat die Antragstellerin als Zahnärztin Frau E. B. aus E. und als Gynäkologin Frau Dr. Ch ... T. in H ... (bei E ...) angegeben. Die Vermieterin der Antragstellerin hat am 16. November 2010 eine Aufstellung über noch offene Mietforderungen vorgelegt (Juli bis November 2010 je 325 EUR zzgl. Verzugszinsen von 5 %). Danach sehe sie sich gezwungen fristlos zu kündigen, wenn keine Zahlung eingehe.

Die Antragstellerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 20. September 2010 aufzuheben und die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig für die Zeit ab 1. Juli 2010 Leistungen für die Bestreitung der Kosten der Unterkunft in Höhe von 325,00 EUR zu leisten.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie meint, sie sei nicht für die Erbringung von Leistungen für die Antragstellerin zuständig. Diese habe ihren Lebensmittelpunkt nicht in L E ...

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

II.

Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist nach § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Ein gesetzlicher Ausschluss der Beschwerde greift nicht ein.

Die zulässige Beschwerde ist auch ganz überwiegend begründet. Die Antragstellerin hat Anspruch auf vorläufige Leistungsgewährung von Kosten der Unterkunft vom 1. Juli 2010 bis 30. Juni 2011 in Höhe von 260 EUR monatlich.

Das Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin ist als Regelungsverfügung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG auszulegen. Das Gericht der Hauptsache kann auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Hier kommt allein eine Regelungsanordnung in Betracht. Die Anordnung kann erlassen werden, wenn ein Antragsteller glaubhaft macht, dass ein geltend gemachtes Recht gegenüber dem Antragsgegner besteht (Anordnungsanspruch) und dass er ohne den Erlass der begehrten Anordnung bei Abwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens (hier des anhängigen Klageverfahrens) wesentliche Nachteile erleiden würde (Anordnungsgrund).

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsgrund für den geltend gemachten Anspruch seit 1. Juli 2010 glaubhaft gemacht. Einer Begrenzung auf einen Anspruch erst ab Eingang des einstweiligen Rechtsschutzantrages am 26. Juli 2010 bedarf es nicht. Zwar ist bei einem Begehren, das sich auf Geldleistungen für einen in der Vergangenheit liegenden Leistungszeitraum richtet, ein Anordnungsgrund in der Regel zu verneinen. Eine Verpflichtung zur Leistungserbringung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren für zurückliegende Zeiträume vor Eingang des Rechtschutzantrags kommt nur in Betracht, wenn eine vorgetragene Nichtleistung für die Vergangenheit noch andauernde Auswirkungen für Gegenwart und Zukunft begründet. Dies kann z. B. der Fall sein, wenn für den Antragsteller Zwangsvollstreckungsmaßnahmen wegen rückständiger Schulden zu erwarten sind und diese Schulden kausal auf die Nichtgewährung der Leistungen zurückzuführen sind (Keller: in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Komm. zum SGG, 9. Auflage, § 86b Rdnr. 29a am Ende und 35a mit weiteren Nachweisen). Eine solche Konstellation ist hier glaubhaft gemacht worden. Es sind seit Juli 2010 Mietschulden aufgelaufen, weshalb die Vermieterin das Mietverhältnis gekündigt hat und eine Räumungsklage droht.

Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch für die Kosten der Unterkunft seit 1. Juli 2010 in Höhe von 260 EUR monatlich glaubhaft gemacht. Insoweit ist die Antragsgegnerin als zuständiger Leistungsträger zu verpflichten.

Der Senat geht davon aus, dass die Antragstellerin im gesamten Zeitraum auch ab 1. Juli 2010 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in L. E. hatte und hat. An den Grundlagen der Entscheidung des Senates vom 9. Juli 2009 hat sich nichts Wesentliches geändert, auch wenn inzwischen feststeht, dass die Antragstellerin zumindest seit Sommer 2009 keinen Kontakt mehr zu ihrer Tochter hat, weshalb die Wohnung nicht zur Kontaktpflege mit der Tochter dient. Insofern bestehen auch an der örtlichen Zuständigkeit der Antragsgegnerin nach § 36 Abs. 1 SGB II im einstweiligen Rechtsschutzverfahren weiterhin keine durchgreifenden Zweifel. Für die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts ist von der Legaldefinition des § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) auszugehen. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat danach jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Eine Abwesenheit von längerer Dauer hebt den gewöhnlichen Aufenthalt nur dann auf, wenn keine Absicht besteht, an den früheren Aufenthaltsort zurückzukehren und der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse verlagert wird. Regelmäßig ist bei nur einem Wohnsitz dieser auch der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts (Link in Eicher/Spellbrink, SGB II; 2. Aufl., § 36 Rn. 30). Bei in der Saison berufsbedingt herumreisenden Schaustellern ist der gewöhnliche Aufenthalt an dem Ort anzunehmen, zu dem sie eine feste Beziehung unterhalten und an den sie auch regelmäßig aus Gründen wiederkehren, die nicht unmittelbar mit ihrer Tätigkeit als Schausteller zusammenhängen. Derartige Gründe können z. B. das Vorhandensein einer festen Wohnung und die Notwendigkeit, von dem Ort aus Bankgeschäfte oder behördliche Angelegenheiten zu erledigen sei (so nach Auffassung des Senats zutreffend das VG Oldenburg, Urteil vom 3. Juni 2005 – 13 A 3042/04 – zitiert nach juris). Nach diesen Kriterien hat die Antragstellerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt in L ... E ... Dort hält sie sich nach ihrem glaubhaften Vortrag zumindest überwiegend auf, wenn sie nicht ihrem Gewerbe nachgeht oder sich in H aufhält. Es ist durchaus glaubhaft, dass dies ihr Rückzugsort, ist auch wenn sie sich häufig an anderen Orten aufhält. Dies würde selbst dann gelten, wenn sie sich unabhängig von ihrer Schaustellertätigkeit häufig bei einem Freund aufhalten sollte. Es wäre insoweit auch unerheblich, wenn sie eine Liebesbeziehung zu Herrn M unterhalten hätte oder noch unterhalten würde und sich teilweise bei ihm aufhalten sollte. Dies wirkt sich auf den Leistungsanspruch nicht aus, solange keine Einstandsgemeinschaft mit gemeinsamer Wohnung vorliegt und bedarf deshalb keiner weiteren Prüfung oder Erörterung. Die Antragstellerin verfügt in E. über eine komplett eingerichtete Wohnung. Dies bestätigen auch die erstinstanzlich vernommenen Zeugen Frau V ... und Herr S. Diese Wohnung ist mit einem Kühlschrank, einer Waschmaschine, einem Fernseher einem DVD-Player, Pflanzen usw. voll ausgestattet. Es finden sich auch persönliche Gegenstände und Kleidung. Der Zeuge S hat dies auf den Punkt gebracht "die Wohnung war normal ausgestattet". Es gibt Strom- und Wasserverbrauch, wenn dieser auch gering ist. Die Antragstellerin muss sich nicht permanent – oder auch nur die überwiegende Zeit in ihrer Wohnung aufhalten – um dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt zu haben. Es reicht aus, wenn dies der Rückzugsort ist, wenn sie nicht unterwegs ist und sie keinen neuen Lebensmittelpunkt gefunden hat. Auch ein Montagearbeiter, der für mehrere Monate ins Ausland entsandt wird, behält seinen gewöhnlichen Aufenthalt an seinem bisherigen Wohnort. Nach den bisherigen Erkenntnissen spricht sehr viel dafür, dass die Wohnung in E ein solcher Rückzugsort für die Klägerin ist. Dies ist ihre Postanschrift, es liegt dem Senat kein offizielles Schreiben mit einer anderen Anschrift vor. Sie unterhält hier nach ihren glaubhaften Angaben auch noch soziale Beziehungen und besucht einen Teil ihrer behandelnden Ärzte in L ... E ... und Umgebung. Die Verlagerung ihrer Aktivitäten für Anträge usw. zur Beigeladenen ist schon insofern kein entgegenstehendes Indiz, als dies der Vereinbarung der Beteiligten für eine vorläufige Regelung der Leistungsbeziehungen entspricht. Danach sollte die Beigeladene vorläufig die Regelleistung erbringen und die Leistungsträger sollten ggf. später einen Ausgleich untereinander vornehmen. Aus dieser Absprache folgt auch, dass die Antragstellerin sich für Förderanträge usw. an die Beigeladene wenden muss. Die Antragsgegnerin hat keine Tatsachen ermittelt, dass inzwischen woanders ihr gewöhnlicher Aufenthalt ist, oder auch nur ein weiterer Wohnsitz begründet wurde.

Selbst wenn im einstweiligen Rechtsschutzverfahren noch nicht alle Tatsachen diesbezüglich erhoben werden konnten, ist im Rahmen einer Folgenabwägung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren dem Anspruch stattzugeben. Das Bundesverfassungsgericht hat hervorgehoben, dass im Bereich der Existenzsicherung, wenn eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich ist, eine umfassende Güter und Folgenabwägung vorgenommen werden müsse (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05). So gibt es zur Zeit keine stichhaltigen Anhaltspunkte für einen Leistungsmissbrauch durch die Antragstellerin. Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass sich tatsächlich jemand anders in der Wohnung in E ... aufhält und diese also untervermietet ist, oder dass die Miete an die Vermieterin indirekt der Antragstellerin zufließt, sie also selbst von den Leistungen der Antragsgegnerin profitieren würde. Vielmehr deutet alles darauf hin, dass das Geld an fremde Vermieter weitergeleitet wird, die Antragstellerin hiervon also nicht direkt profitiert, sondern nur in Form der Aufrechterhaltung ihres Mietverhältnisses. Selbst die Antragsgegnerin oder die Beigeladene nehmen zur Zeit nicht an, dass die Antragstellerin in einer eheähnlichen Gemeinschaft mit Herrn M ... in H in dessen Wohnung lebt. Hierfür gibt es bisher auch auch keine stichhaltigen Anhaltspunkte durch Hausbesuche o. ä ... Auf der anderen Seite droht die Antragstellerin unwiderruflich ihre Wohnung in E zu verlieren. Dieser Nachteil wäre im Hauptsacheverfahren nicht mehr zu korrigieren.

Demgegenüber ist es unerheblich, ob die Antragstellerin – was der Senat durchaus für denkbar hält – den Eindruck, dass die Wohnung ständig bewohnt wird, vor Hausbesuchen verstärkt hat, indem sie bewusst Maschinen in Gang gesetzt oder eventuell sogar Hundehaare auf dem Teppich drapiert hat. Hierauf kommt es jedoch nicht an. Denn die Antragstellerin selbst gibt an, sich häufig an anderen Orten aufzuhalten. Es ist dann folgerichtig, dass der Verbrauch von Wasser und Strom niedrig ist. Aktuelle Verbrauchswerte für 2010 liegen noch nicht vor. Auch sieht eine Wohnung in der täglich ein Hund lebt anders aus, als eine solche in, der nur von Zeit zu Zeit ein Hund lebt. Wie oben dargestellt kommt es allein auf die Häufigkeit des Aufenthaltes in der Wohnung jedoch gar nicht an. Der Eindruck der Zeugen, dass die Antragstellerin "manche Dinge gestellt hat" mag insofern nicht falsch sein, ist für die rechtliche Bewertung jedoch unerheblich.

Die Antragstellerin ist erwerbsfähig im Sinne des § 8 SGB II. Sie ist auch hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II. Die ihr von der Beigeladenen bewilligten laufenden Leistungen umfassen nicht die Mittel für die Kosten der Unterkunft. Der von der Antragstellerin angegebene Verdienst aus der Beschäftigung im Schaustellerbetrieb des Herrn M ... von 100,00 EUR im Monat reicht nicht aus, um die laufenden Kosten der Unterkunft zu bezahlen. Erkenntnisse darüber, dass die Antragstellerin tatsächliche höhere Einkünfte hat, liegen nicht vor. Selbst wenn die Einkünfte immer noch bei 400 EUR monatlich liegen würden, beträfe eine dann notwendige Einkommensanrechnung jedenfalls die Kosten der Unterkunft nicht. Das Vorhandensein verwertbaren Vermögens hat die Antragstellerin glaubhaft verneint.

Einem Leistungsanspruch der Antragstellerin steht auch nicht entgegen, dass sie in der Saison für die Antragsgegnerin nicht durchgehend in der Wohnung in L E erreichbar ist. SGB II-Leistungen erhält nach § 7 Abs. 4a SGB II nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb der in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 definierten zeit- und ortnahen Bereichs aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend. Hier war dem für die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin zuständigen Ansprechpartner seit der erstmaligen Antragstellung im Oktober 2007 bekannt, dass die Antragstellerin im Saisonbetrieb als Schaustellerin mit wechselnden Arbeitsorten tätig ist. Dies wurde zur Grundlage der Leistungsgewährung gemacht. Nach der Gesamtschau ist zumindest von einer konkludenten Zustimmung auszugehen. Diese erstreckt sich auch auf die aktuelle Mitarbeit im Fahrgeschäft des Herrn M. Die Antragstellerin hat plausibel dargelegt, dass diese Tätigkeit die Zielrichtung hat, die entsprechenden Kontakte aufrecht zu halten, um nach Schaffung der Voraussetzungen hierfür (Reparatur des Zugfahrzeuges) wieder selbständig als Schaustellerin tätig zu sein.

Die Antragstellerin hat auch einen Anspruch auf Leistungen für Unterkunft und Heizung gem. § 22 SGB II in Höhe der Grundmiete.

Auch bei Personen, die ein Reisegewerbe ausüben, ist ein grundsätzliches Bedürfnis nach einer festen Wohnung als eigentlichem Lebensmittelpunkt anzuerkennen. Die Angemessenheit der Kosten für die von der Antragstellerin angemietete Unterkunft in L ... E. wird von der Antragsgegnerin nicht angezweifelt. Selbst wenn das Mietverhältnis zwischenzeitlich durch die Vermieterin gekündigt worden, wozu widersprüchliche Angaben vorliegen, kann das Ziel, die Wohnung nicht zu verlieren noch erreicht werden. Denn nach dem Vortrag der Antragstellerin hat die Vermieterin jedenfalls angekündigt, bei Ausgleich des Mietrückstandes und Zahlung der laufenden Miete das Mietverhältnis fortsetzen zu wollen. Da die Antragstellerin nach der Überzeugung des Senates in der Wohnung tatsächlich wohnt, müsste selbst bei Kündigung des Mietvertrages der Vermieterin eine Nutzungsentschädigung in Höhe der Miete gezahlt werden.

Grundsätzlich ist hier von einem Anspruch auf Übernahme der vollen tatsächlichen Aufwendungen als Kosten der Unterkunft im Sinne des § 22 SGB II auszugehen. Gründe für eine Unangemessenheit hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen. Allerdings hält es der Senat im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens, in dem es um die Abwendung wesentlicher Nachteile geht, für geboten, die Verpflichtung der Antragsgegnerin auf die Kosten in Höhe der monatlichen Kaltmiete von 260,00 EUR zu beschränken. Die Antragstellerin, die derzeit zur pauschalen Abdeckung des Lebensbedarfs ausreichende Leistungen von der Beigeladenen erhält, kann bis zum Ausgang des Klageverfahrens darauf verwiesen werden, die daneben anfallenden Pauschalen für Heizung und Nebenkosten von noch 65,00 EUR monatlich aus ihrem Einkommen aus der geringfügigen Beschäftigung abzudecken.

Der Senat hält es für geboten, die Leistungsverpflichtung der Antragstellerin in zweifacher Hinsicht zeitlich zu begrenzen. Die vorläufige Verpflichtung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes kann sich zum einen nur auf die Zeit bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren erstrecken. Zum anderen ist auf einen Sechsmonatszeitraum ab dem Entscheidungsdatum abzustellen. Der Senat hält es zur Vermeidung eines neuerlichen einstweiligen Rechtsschutzverfahrens jedoch für geboten den Leistungsausspruch nicht auf den Zeitraum 1. Juli 2010 bis 31. Dezember 2010 zu begrenzen. Nach Ablauf dieses Zeitraumes wird die Antragsgegnerin zu prüfen haben, ob sie die Kosten der Unterkunft bei unveränderten Verhältnissen nicht weitergewährt, um ein neuerliches einstweiliges Rechtsschutzverfahren zu vermeiden.

Dem Antrag auf Prozesskostenhilfe ist stattzugeben. Die hinreichende Erfolgsaussicht liegt vor. Die Antragstellerin ist auch prozessarm.

Die Kostenentscheidung erfolgt entsprechend § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde anfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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