L 16 AS 526/09

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 542/09
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 526/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Beurteilung der Angemessenheit der Wohnung in einem Hausgrundstück und der besonderen Härte der Verwertung.
I. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 01.07.2009 und der Bescheid der Beklagten vom 21.05.2008 in der Gestalt des Widerspruchs-bescheides vom 01.10.2008 aufgehoben.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitig ist die Erstattung des Arbeitslosengeldes II einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 8.598,52 EUR für die Zeit von Dezember 2005 bis August 2006.

Der 1959 geborene Kläger wohnt in A-Stadt im Landkreis N ... Nach dem Bezug von Arbeitslosengeld I der Bundesagentur für Arbeit beantragte er am 14.02.2005 bei der Beklagten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch II (SGB II). Er gab hier u.a. an, er sei Eigentümer eines Hauses, die gesamte Grundstücksgröße betrage 200 m², die Wohnfläche (Dreizimmerwohnung) 100 m² und es gebe in diesem Haus eine Wohneinheit.

Mit Bescheid vom 18.03.2005 bewilligte die Beklagte Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 14.02. bis 31.07.2005. Ab 24.05.2005 war der Kläger wieder beschäftigt.

Am 11.10.2005 beantragte er bei der Beklagten die Fortzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, wobei er sich auf den ersten Antrag bezog. Mit Bescheid vom 18.11.2005 bewilligte die Beklagte wieder die Leistungen von Dezember 2005 bis Mai 2006. Im Dezember 2005 und im März 2006 erhielt der Kläger einen Heizkostenzuschuss. Am 09.05.2006 beantragte er erneut die Fortzahlung der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts, wobei er sich auch hier auf den ersten Antrag bezog und Änderungen verneinte. Die Beklagte bewilligte ihm mit Bescheid vom 11.05.2006 die Leistungen von Juni bis November 2006. Im vierten Antrag auf Leistungen vom 21.12.2006 machte der Kläger wieder Angaben zu seiner Wohnung und verneinte den Bezug von Mieteinnahmen.

Im März 2007 begann die Beklagte mit Ermittlungen über die Eigentums- und Wohnverhältnisse des Klägers. Laut dem Grundbuchnachweis ist er Eigentümer eines Grundstücks mit 100 m² (Flurstück-Nummer 199), eines Grundstücks mit 260 m² (Flurstück-Nummer 201/2) und eines Grundstücks mit 240 m² (Flurstück-Nummer 200). Auf diesen Grundstücken befinden sich ein Wohngebäude und Nebengebäude. Auf einem Grundstück ist eine Grundschuld ohne Brief in Höhe von 30.000 DM zu Gunsten der Sparkasse N. am 20.05.1997 eingetragen worden.

Die Beklagte bewilligte mit Bescheid vom 24.04.2007 die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von Februar bis Mai 2007 nunmehr als Darlehen.

Am 25.04.2007 stellte sie durch ihren Außendienst fest, dass sich auf einem Grundstück des Klägers ein 40 bis 50 Jahre altes Zweifamilienhaus mit Doppelgarage befinde. Die Erdgeschosswohnung werde vom Kläger, die Wohnung im Obergeschoss von einem Herrn H. bewohnt. Ein Teil des Grundstücks könne auch als Bauland genutzt werden.

Im fünften Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 08.05.2007 gab der Kläger nunmehr an, er habe monatliche Mieteinnahmen in Höhe von 300 EUR. Mit Bescheid vom 18.05.2007 bewilligte die Beklagte ihm Leistungen von Juni 2007 bis November 2007 als Darlehen. Nachdem der Kläger Mitte Juni 2007 eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hatte, beendete die Beklagte die Leistungen mit Ablauf des Monats August 2007.

Der Gutachterausschuss des Landratsamtes N. ermittelte aufgrund einer Ortsbesichtigung im Februar 2008 den Verkehrswert der Grundstücke einschließlich der Gebäude des Klägers mit 44.000 EUR, wobei er bei dem Wohnhaus Abschläge für Altersminderung, schlechte Marktlage und die Nähe zur Straße vornahm.

Nach Anhörung des Klägers am 28.03.2008 erließ die Beklagte am 31.05.2008 einen Bescheid über die Rücknahme der Entscheidungen über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, mit dem sie die Leistungen von März 2005 bis August 2006 in Höhe von 7.013,31 EUR sowie die Beiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 1.502,25 EUR, insgesamt 8.809,56 EUR, zurückforderte. Die Bescheide vom 18.03.2005, 18.11.2005 und 11.05.2006 seien rechtswidrig, weil der Kläger aufgrund seines Vermögens keinen Anspruch auf Leistungen gehabt habe. Er habe in den Leistungsanträgen angegeben, er verfüge über eine Wohnfläche von 100 m² und habe ferner die Erzielung von Mieteinnahmen verneint. Nach den Ermittlungen der Beklagten hätten seine Grundstücke eine Gesamtgröße von 600 m², außerdem erziele er Mieteinnahmen in Höhe von 300 EUR monatlich. Die selbst bewohnte Wohnung im Erdgeschosses werde nicht als Vermögen berücksichtigt, aber die vermietete Wohnung im Obergeschoss mit einem Wert von 19.040 EUR sowie das Grundstück (Flur-Nummer 201/2) mit einem Wert von 6.050 EUR. Das zu berücksichtigende Vermögen betrage demnach 25.090 EUR. Damit werde der zustehende Freibetrag für Vermögen in Höhe von 9.750 EUR bis 30.11.2005 und von 9.950 EUR ab 01.12.2005 überschritten. Hilfebedürftigkeit liege nicht vor. Die Bewilligungsentscheidungen würden auf zumindest grob fahrlässig unrichtig gemachten Angaben in den Leistungsanträgen beruhen.

Mit dem Widerspruch vom 29.05.2008 erklärte der Kläger, die Grundstücke seien nicht verwertbar, die Gebäude befänden sich in einem schlechten baulichen Zustand. Im Übrigen sei die Beklagte durch die Leistungsanträge seines Mieters über den Bezug der Miete informiert.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.10.2008 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Kläger sei aufgrund seines Vermögens nicht hilfebedürftig. Ihm stehe Vertrauensschutz in Bezug auf die Aufhebung der Leistungsbewilligung nicht zu, da er grob fahrlässig unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht habe. Tatsächlich verfüge er über eine Wohnfläche von 190 m². Er habe die Mieteinnahmen verschwiegen, die Grundstücke seien verwertbar.

Hiergegen hat der Kläger am 24.10.2008 beim Sozialgericht Regensburg (SG) Klage erhoben (S 8 AS 865/08). Die Nettomiete betrage lediglich 150 EUR, die zwei Wohnungen im Haus hätten jeweils nur 80 m² Wohnfläche, das von den Eltern geerbte Haus stelle seine Altersversorgung dar. Die Verwertung sei für ihn daher eine besondere Härte.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 19.06.2009 die Klage abgewiesen. Der Kläger sei wegen verwertbaren Vermögens nicht hilfebedürftig gewesen. Das Haus stelle ein verwertbares Vermögen dar, das mit dem Verkehrswert nach den Feststellungen des Gutachterausschusses zu berücksichtigen sei. Der Verkehrswert übersteige das Schonvermögen. Die Verwertung sei weder unwirtschaftlich, noch stelle sie eine besondere Härte dar. Vertrauensschutz stehe dem Kläger nicht zu, da er die tatsächliche Wohnfläche verschwiegen und die Rechtswidrigkeit der Bewilligungsbescheide gekannt habe.

Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 04.08.2009. In der Gemeinde A-Stadt gebe es zahlreiche unbewohnte, nicht veräußerbare Häuser; eine Beleihung der Grundstücke sei nicht möglich, die Hausbank des Klägers würde ihm einen Kredit verweigern, und der Verkehrswert und die Wohnflächen seien vom Gutachterausschuss zu hoch angesetzt worden. Er habe die Größe der Wohnfläche auch nicht verschwiegen, da die Vermietung der Beklagten bereits über die Anträge des Mieters bekannt sei, der auch Grundsicherungsleistungen erhalte. Eine Teilungserklärung nach dem Wohneigentumsgesetz sei nicht erfolgt.

Der Kläger beantragt, 1. den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 01.07.2009 aufzu- heben, 2. den Bescheid der Beklagten vom 21.05.2008 in Gestalt des Widerspruchsbe- scheides vom 01.10.2008 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Entgegen dem Kläger seien die Grundstücke verwertbar. Im Landkreis N. gebe es zahlreiche Unternehmen und somit eine Vielzahl an Arbeitsstellen, es handle sich um eine wirtschaftlich florierende Region. Der Wert der Grundstücke sei durch den Gutachterausschuss geklärt. Im Gutachten sei die Marktlage berücksichtigt worden. Der Kläger habe trotz klarer Fragen seine Wohnverhältnisse verschwiegen. Er müsse zur Abwendung der Hilfebedürftigkeit seine Grundstücke verkaufen. In der Gemeinde A-Stadt seien in den letzten Jahren zahlreiche Grundstücke verkauft worden.

Im Übrigen wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten der Beklagten und des SG sowie auf die Sitzungsniederschriftbezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig (§§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Berufung ist begründet.

Die Beklagte hat zu Unrecht die Leistungsbewilligungen in den Bescheiden vom 18.03.2005, 18.11.2005 und 11.05.2006 aufgehoben und vom Kläger die im Zeitraum vom Dezember 2005 bis August 2006 gezahlten Leistungen (Arbeitslosengeld II und die Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung) in Höhe von insgesamt 8.178 52 EUR (nach Verrechnung mit einer Überzahlung von 211,04 EUR) zurückgefordert.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung und Rückforderung des Arbeitslosengeldes II sind §§ 40 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch II (SGB II), 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch III (SGB III) und § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 i.V.m. § 50 Absatz 1 Sozialgesetzbuch X (SGB X). Gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II gilt für die Aufhebung von Verwaltungsakten § 330 Abs. 1, 2, 3 S. 1 und 4 SGB III. Diese Vorschrift enthält eine von § 45 SGB X, der die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes regelt, abweichende Sonderregelung, die die Beklagte bei der Rücknahme eines derartigen Verwaltungsaktes davon befreit, Ermessen auszuüben. Es geht hier um die Fälle, in denen sich der Begünstigte nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen kann, weil der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Damit ist ein Vertrauensschutz auf den Bestand des rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes ausgeschlossen (§ 45 Abs. 2 SGB X).

Im vorliegenden Fall hat der Kläger zwar im Zusatzblatt 1 zum Antrag vom 14.02.2005 unzutreffende Angaben zu seinem Haus gemacht. Er hat auch im Zusatzblatt 3 die Frage nach dem Eigentum an unbebauten Grundstücken verneint. In den folgenden Anträgen auf Leistungsfortzahlung hat er sich auf die zuerst gemachten Angaben bezogen und diese damit bestätigt. Im vierten Antrag vom 21.12.2006 hat er unzutreffend die Frage nach Mieteinnahmen verneint.

Die Rücknahme der Leistungsbewilligung ist aber zu Unrecht erfolgt, weil der Kläger im streitigen Zeitraum dennoch hilfebedürftig gewesen ist. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Person nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe auch nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

Gemäß § 12 Abs. 1 SGB II sind als Vermögen alle verwertbaren Vermögensgegenstände zu berücksichtigen. § 12 Abs. 3 S. 1 Nr. 4 SGB II sieht jedoch vor, dass ein selbstgenutztes Hausgrundstück von angemessener Größe oder eine entsprechende Eigentumswohnung nicht als Vermögen zu berücksichtigen ist (Schonvermögen). Zweck dieser Regelung ist nicht der Schutz der Immobilie als Vermögensgegenstand, sondern der Schutz der Wohnung im Sinne der Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen und als räumlicher Lebensmittelpunkt (z.B. Bundessozialgericht - BSG - vom 07.11.2006, BSGE 97, 203 ff. zum selbstgenutzten Wohneigentum). Die angemessene Größe einer Eigentumswohnung ist danach bundeseinheitlich nach den Vorgaben des 2. Wohnbauförderungsgesetzes (WoBauG) zu bestimmen. Der dort enthaltene Grenzwert von 120 m² ist bei einer Bewohnerzahl von weniger als vier grundsätzlich um 20 m² pro Person bis zu einer Mindestgröße von 80 m² zu mindern. Für Familienheime gilt bei einem Haushalt mit vier Personen eine Wohnfläche bis zu 130 m² nicht als unangemessen groß. Bei einer geringeren Familiengröße sind je Person Abschläge von 20 m² vorzunehmen bis zu einer Angemessenheitsgröße, die über der Mindestgröße für Eigentumswohnungen liegt (BSG vom 19.09.2008, info also 2009, 87 ff.). In diesem Urteil hat das BSG (bei einem Zweipersonenhaushalt) ein Hausgrundstück mit einer Größe von ca. 92 m² noch als angemessen bezeichnet. Der Senat ist im Anschluss an das Urteil des BSG vom 07.11.2006 (a.a.O.) - dieses Urteil betrifft das Wohnen in einer Eigentumswohnung - der Ansicht, dass die Angemessenheitsgrenze, wie hier, auch bei einem Einpersonenhaushalt in einem eigenen Haus nicht wesentlich zu reduzieren ist, also bei ca. 90 m² anzusetzen ist.

Bei dem Begriff der angemessen Größe handelt es sich nach der genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt. Es ist bei der Konkretisierung des Rechtsbegriffs im Grundsatz (auch nach der Rechtsprechung des 11 b. Senates des BSG) bundeseinheitlich auf die Vorgabe des außer Kraft getretenen 2. WoBauG vom 19.08.1994 abzustellen, wobei eine Differenzierung nach der Bewohnerzahl angebracht ist. Gemäß der Entscheidung des BSG vom 16.05.2007 (BSGE 98, 243) werden diese rechtlichen Vorgaben auch bei einem selbstgenutzten Hausgrundstück beachtet. Bei der Beurteilung der Angemessenheit muss die gesamte Fläche des Hauses und nicht nur die vom Arbeitslosen bewohnte Fläche berücksichtigt werden. Solange eine Teilung des Hauses nicht vorliegt, ist das Hausgrundstück in seiner Gesamtheit zu bewerten (Mecke in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage, § 12, Rn. 72 m.w.N. der Rechsprechung). Der Senat geht nach den Ermittlungen der Beklagten (Verkehrswertmitteilung des Gutachterausschusses, Baupläne) davon aus, dass die gesamte Wohnfläche 2x81,50 m² beträgt, also hier für den Kläger ein unangemessen großen Haus vorhanden ist.

Seinen Angaben im ersten Leistungsantrag und den Feststellungen des Gutachterausschusses ist zu entnehmen, dass die Wohnung des Klägers die zulässige Höchstgrenze übersteigt. Die vermietete Wohnung ist ihm zuzurechnen, weil ein geteiltes Wohneigentum nicht vorliegt (§ 8 Wohneigentumsgesetz). Damit kann auch dahinstehen, ob und inwieweit die Grundstücksgröße in die Angemessenheitsprüfung einzubeziehen ist (BSG vom 16.05.2007, a.a.O.).

Entgegen der Beklagten kann von einer wirtschaftlichen Verwertbarkeit des Vermögens nicht ausgegangen werden. Es handelt sich hier um einen rein wirtschaftlichen Begriff, der sich sowohl nach den tatsächlichen als auch nach den rechtlichen Verhältnissen beurteilt. Tatsächlich nicht verwertbar sind Vermögensbestandteile, für die in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden sein wird, sei es, dass Gegenstände dieser Art nicht (mehr) marktgängig sind oder dass z.B. ein Grundstück in Folge sinkender Immobilienpreise über den Marktwert hinaus belastet ist. Rechtlich nicht verwertbar ist ein Vermögensgegenstand, für den Verfügungsbeschränkungen bestehen, deren Aufhebung der Hilfebedürftige nicht erreichen kann (BSG vom 16.05.2007, a.a.O.). Der Hilfebedürftige kann danach zwischen mehreren Verwertungsarten wählen, die den Hilfebedarf decken. Es ist nicht die Aufgabe des Grundsicherungsträgers, ihm konkrete Verwertungsmöglichkeiten aufzuzeigen oder nachzuweisen. Das BSG hat mit Urteil vom 30.08.2010 (SGb 2010, 593) diese Rechtsprechung konkretisiert: Nicht verwertbar sind danach Vermögensgegenstände, für die in absehbarer Zeit kein Käufer zu finden sein wird, etwa weil Gegenstände dieser Art nicht (mehr) marktgängig sind oder weil sie - wie beispielsweise Grundstücke in Folge sinkender Immobilienpreise - über den Marktwert belastet sind. Eine generelle Unverwertbarkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB II liegt vor, wenn völlig ungewiss ist, wann eine für die Verwertbarkeit notwendige Bedingung eintritt (BSG vom 06.12.2007, BSGE 99, 248). Maßgebend für die Prognose, dass ein rechtliches Verwertungshindernis wegfällt, ist im Regelfall der sechsmonatige Bewilligungszeitraum (BSG vom 27.01.200), SozR 4-4200 § 12 Nr. 12).

Der Kläger hätte nicht die Möglichkeit gehabt, zur Vermeidung von Hilfebedürftigkeit die Grundstücke innerhalb von sechs Monaten entweder ganz oder zum Teil zu veräußern. Von einer offensichtlichen Unwirtschaftlichkeit der Verwertung ist auszugehen, wenn der auf dem Markt erzielbare Gegenwert in einem deutlichen Missverhältnis zum wirklichen Wert steht (BSG vom 16.05.2007, a.a.O., BSG vom 06.09.2007, BSGE 99, 77). Die Verwertung einer Immobilie kann unwirtschaftlich sein, wenn bei einer Veräußerung wesentlich weniger als der zum Erwerb des Grundstücks und zur Erstellung des Hauses aufgewendete Gesamtbetrag erzielt werden könnte. Gewisse Verluste, insbesondere unter dem Aspekt veränderter Marktpreise und des bisher in Anspruch genommenen Wohnwertes, sind jedoch zumutbar. Eine absolute Wertdifferenzgrenze lässt sich bei Immobilien nicht ziehen (BSG vom 16.05.2007, a.a.O.).

Bei dem Wertansatz für das Grundvermögen und bei der Feststellung der Hilfebedürftigkeit geht der Senat von den Feststellungen des Gutachterausschusses zur Ermittlung von Grundstückswerten beim Landratsamt N vom 03.04.2008 aus. Der Ausschuss hat die Grundstücke des Klägers mit den Flur-Nummern 199, 200 und 200/2, auf denen sich ein Wohnhaus mit Stall, Nebengebäude, Hofraum sowie Gebäude- und Freiflächen befinden, insgesamt mit 44.000 EUR bewertet, wobei er hohe Abschläge für die Altersminderung, die schlechte Marktlage, die Nähe zur Staatsstraße und die Lärm- und Schmutzbelastung gemacht hat. Die Beklagte hat zwar im Bescheid vom 21.05.2008 den Wert für die Grundstücke Flurnummern 199 und 200 in Höhe von 38.080 EUR und für das Grundstück mit der Flurnummer 201/2 von 6.050 EUR jeweils um die Hälfte gemindert. Im Widerspruchsbescheid dagegen ist sie von einem gesamten Immobilienvermögen des Klägers in Höhe von 44.000 EUR ausgegangen.

Trotz des relativ geringen Werts der drei Grundstücke ist der Senat aber davon überzeugt, dass die Grundstücke nicht innerhalb von sechs Monaten zu veräußern gewesen wären, da gravierende Umstände gegen einen Käufermarkt sprechen. Dies sind die nicht zusammenhängende Lage der Flächen und der erhebliche und kostenaufwändige Sanierungsbedarf des Hauses, wie aus den vorgelegten Fotografien und den Feststel-ungen des Gutachtenausschusses hervorgeht. Gegen eine zur baldigen Verwertung führende Nachfrage spricht zusätzlich, dass die obere Wohnung vermietet ist und, dass das Mietverhältnis auch bei einem Verkauf des Grundstücks bestehen bleibt (§ 556 Bürgerliches Gesetzbuch). Nach den Ermittlungen des Senats im Internetportal (www.immobilienscout24.de) ist offensichtlich davon auszugehen, dass ein Häusermarkt in A-Stadt überwiegend für Häuser in gutem Zustand besteht. Gegen eine Verwertung als Wohngrundstück oder als Bauland sprechen zusätzlich die ungünstige Lage, kleine Flächen und die Nähe zur Staatsstraße, die der Gutachterausschuss als Nachteil erwähnt hat. Für diese Umstände trägt hier bei der Aufhebung und Rückforderung von Leistungsbewilligungen die Beklagte die objektive Beweislast.

Auch wenn der Kläger in den hier maßgebenden Anträgen vom 11.10.2005 und 09.05.2006 die Vermietung der Wohnung im Obergeschoss nicht angegeben hat, kann die Miete bei der Aufhebung der Leistungsbewilligung und Rückforderung der Leistung als Einkommen (§ 11 Abs. 1 SGB II) nicht berücksichtigt werden, weil ihm nach seinem Bildungs- und Kenntnisstand nicht wenigstens grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 i.V.m. Nr. 3 SGB X). Denn in diesen Anträgen hat die Beklagte, ebenso wie in dem in Bezug genommenen Erstantrag vom 14.02.2005, nach Einkünften aus Vermietung nicht ausdrücklich gefragt. Bezüglich der fehlenden Angabe der Vermietung hat der Kläger die erforderliche Sorgfalt nicht in besonders schwerem Maße verletzt.

Da die Entscheidung über die Aufhebung der Bewilligung und die Rückforderung von Arbeitslosengeld II aufzuheben ist, ist die Beklagte auch nicht befugt, Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nach § 40 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 335 Abs. 1 Satz 1 und § 1 Abs. 5 SGB III zurückzufordern.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten (§ 193 SGG).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1, 2 SGG).
Rechtskraft
Aus
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