L 6 AS 122/11 B ER und L 6 AS 123/11 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 10 AS 1139/10 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 122/11 B ER und L 6 AS 123/11 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 29.12.2010 werden zurückgewiesen. Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragsteller begehren die einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende, der Übernahme von Mietschulden sowie einer Erstausstattungsbeihilfe nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch ( SGB II).

Die Antragstellerin zu 1) beantragte am 09.09.2010 bei dem Antragsgegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende sowie eine Erstausstattungsbeihilfe für sich und ihren minderjährigen Sohn, den Antragsteller zu 2). Sie trenne sich von ihrem Lebensgefährten mit dem sie gemeinsam in P in einer Wohnung gelebt habe und ziehe zum 00.00.2010 nach T. Eine Erstausstattung der Wohnung werde benötigt, da sie bisher noch keinen eigenen Hausstand besessen bzw diesen 1994 an ihren Stiefbruder verschenkt habe. Bezüglich ihrer Einkommensverhältnisse überreichte die Antragstellerin einen Bescheid der Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit D, vom 06.07.2010 über den Bezug von Arbeitslosengeld in Höhe von 28,62 Euro täglich (Zeitraum 07.07.2010 bis 29.03.2011) sowie Gehaltsabrechnungen der Firma G für Juli 2010 (834,87 Euro netto) und August 2010 (369,90 Euro netto). Das Beschäftigungsverhältnis wurde zum 04.09.2010 gekündigt.

Im Rahmen einer Wohnungsbesichtigung am 08.09.2010 stellte der Antragsgegner fest, dass die Wohnung bis auf folgende Gegenstände vollständig eingerichtet sei: Esszimmertisch mit Stühlen, Spiegelschrank für Badezimmer, Deckenlampe für Badezimmer, Gardinen für 3 Zimmer und Küche. Die Antragstellerin erklärte, dass sich zwei Fernseher, ein Schuhschrank und ein Kleiderschrank in ihrem Eigentum befänden. Den Rest der vorhandenen Einrichtung habe sie leihweise und bis auf Widerruf von Bekannten erhalten, die daran derzeit keinen eigenen Bedarf hätten. Am 21.09.2010 legte die Antragstellerin einen Kaufvertrag vom 19.09.2010 mit Herrn I als Verkäufer über eine Couchgarnitur, eine Schlafcouch, ein Futonbett, einen Glas-Couchtisch, zwei Balkon-Liegesessel, einen Tisch aus wetterfestem Kunststoff und einen Wohnzimmerschrank zum Gesamtpreis von 670 Euro vor.

Der Antragsgegner bat die Antragstellerin um Übersendung einer Vielzahl von Unterlagen, u.a. Kontoauszügen sowie Kostenvoranschlägen für die fehlenden Ausstattungsgegenstände. Mit Bescheid vom 04.10.2010 lehnte der Antragsgegner Leistungen zunächst wegen fehlender Mitwirkung ab, mit Bescheid vom 14.10.2010 für die Zeit vom 01.08.2010 bis 31.10.2010 wegen fehlender Hilfebedürftigkeit. Er wies darauf hin, dass der Anspruch für die Zeit ab November 2010 nicht überprüft werden könne, da noch Unterlagen fehlten. Gegen diese Bescheide haben die Antragsteller am 19.10.2010 und 28.10.2010 Widerspruch eingelegt.

Am 21.12.2010 haben die Antragsteller beim Sozialgericht (SG) Münster den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt und dazu vorgetragen, ihnen stünde hinsichtlich der Hilfe zum Lebensunterhalt und der Übernahme der Kosten der Unterkunft ein Anspruch in Form von aufstockenden Leistungen zu. Der Antragsgegner hätte bei der Berechnung der Kosten der Unterkunft nicht lediglich die angemessenen Kosten zugrunde legen dürfen, da eine Kostensenkungsaufforderung zu keinem Zeitpunkt erfolgt sei. Die Erstausstattung sei nach § 23 Abs. 3 SGB II zu bewilligen. Durch die Trennung von ihrem vormaligen Lebensgefährten verfüge die Antragstellerin über keine Wohnungseinrichtung mehr. Ihr Rechtsanspruch habe sich nicht dadurch erfüllt, dass ihr Möbel leihweise zur Verfügung gestellt worden seien. Wegen der ausstehenden Zahlung des Antragstellers habe ihr Vermieter inzwischen Räumungsklage erhoben. Seit Dezember 2010 erziele sie geringfügiges Einkommen durch das Austragen von Zeitungen. Sonstiges Einkommen oder Vermögen sei nicht vorhanden.

Die Antragsteller haben beim SG zuletzt schriftsätzlich beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten

1.ihnen als Darlehen die aufgelaufenen Mietschulden für die Zeit September 2010 bis November 2010 in Höhe von 1560 Euro zu erstatten,

2.ihnen die beantragten Kosten für die Erstausstattung der Wohnung zu bewilligen,

3.ihnen Leistungen nach dem SGB II ab 09.08.2010 in Form der Hilfe zum Leben und in Höhe der Kosten der Unterkunft zu gewähren.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er hat ausgeführt, es läge weder ein Anordnungsanspruch noch ein Anordnungsgrund vor. Hinsichtlich der Regelleistungen könnten die Antragsteller ihren Bedarf sowohl laufend als auch für die Vergangenheit durch vorhandenes Einkommen decken. Ein Darlehen nach § 22 Abs. 5 SGB II könne nicht gewährt werden, weil kein laufender Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestehe. Darüber hinaus sei die Schuldenübernahme nicht gerechtfertigt, da die Antragsteller trotz ausreichenden Einkommens ihre Mietrückstände gezielt herbeigeführt und die Leistungen zur Sicherung einer nicht kostenangemessenen Unterkunft eingesetzt hätten. Die Erstausstattungsbeihilfe könne nicht gewährt werden, da lediglich eine Ersatzbeschaffung vorliege. Zudem sei kein Anordnungsgrund zu erkennen, der Ausgang des Widerspruchsverfahrens sei abzuwarten.

Das Sozialgericht hat den Antragstellern unter Fristsetzung zum 28.12.2010 aufgegeben darzulegen, wovon sie ihren Lebensunterhalt bestreiten, welches Einkommen erzielt werde, welche Zuwendungen sie von Dritten erhalten würden und welche Zahlungsverpflichtungen bestünden. Es seien Kontoauszüge ab August 2010 vorzulegen und die Angaben durch eine eidesstattliche Versicherung glaubhaft zu machen. Mit Schreiben vom 23.12.2010 hat der Bevollmächtigte der Antragsteller mitgeteilt, seine Kanzlei sei wegen Urlaubs bis zum 09.01.2011 geschlossen, er sei aber auf dem Handy erreichbar.

Das Sozialgericht hat den Eilantrag mit Beschluss vom 29.12.2010 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, die Voraussetzungen des § 86b Abs. 2 SGG seien nicht erfüllt. Die Antragsteller hätten nicht glaubhaft gemacht, dass eine gegenwärtige und dringende Notlage eine sofortige Entscheidung zur Abwendung wesentlicher Nachteile erfordere. Gegen die Eilbedürftigkeit spreche bereits, dass das Verfahren wegen des Urlaubs des Bevollmächtigten der Antragsteller nicht betrieben worden sei, obwohl das Sozialgericht konkrete Nachfragen gestellt und hierfür Fristen gesetzt habe. Hinsichtlich der begehrten laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt, der Übernahme der Kosten für Unterkunft und Heizung, insbesondere des Darlehens zur Übernahme der Mietschulden und der beantragten Kosten für die Erstausstattung fehle es jeweils auch an materiellen Anspruchsvoraussetzungen, mithin am Anordnungsanspruch. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf den angefochtenen Beschluss verwiesen. Zugleich hat das Sozialgericht die beantragte Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt.

Gegen den am 30.12.2010 zugestellen Beschluss hat der Bevollmächtigte der Antragsteller am 20.01.2011 Beschwerde eingelegt. Mit Schreiben vom 15.02.2011 hat er das Mandat niedergelegt und ausgeführt, er könne die Antragsteller nicht erreichen und verfüge daher nicht über notwendige Unterlagen und Informationen. Es sei ihm nicht möglich, deren Interessen wahrzunehmen.

Der Senat hat eine Meldeauskunft vom Bürgermeister der Stadt M vom 03.03.2011 eingeholt, wonach die Antragstellerin die Wohnung G-weg 0 in M-T vor dem 01.03.2011 ohne Abmeldung verlassen habe. Nach dem Ergebnis der örtlichen Ermittlung sei der derzeitige Aufenthalt unbekannt. Der Antragsgegner hat mit Schreiben vom 15.03.2011 als Ergebnis von telefonischen Anfragen und Ermittlungen seines Außendienstes mitgeteilt, dass sich der Antragsteller noch bis Ende März, die Antragstellerin hingegen nicht mehr dauerhaft in der Wohnung aufhalte.

Die Antragstellerin hat am 14.03.2011 bei dem Antragsgegner vorgesprochen und im Wesentlichen erklärt, sie wohne nach wie vor in der Wohnung G-weg 0 in M, halte sich aber häufig bei ihrem Bekannten in P auf. Wieso eine Abmeldung nach "unbekannt" erfolgt sei, sei ihr nicht nachvollziehbar. Ein Wohnungswechsel sei spätestens zu Anfang April 2011 vorgesehen. Voraussichtlich werde sie nach P umziehen, eine Wohnung habe sie aber dort noch nicht. Der Antragsteller sei weiterhin in ihrem Haushalt wohnhaft und werde bei einem Wohnungswechsel auch mit ihr umziehen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen.

II.

Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet.

Das SG hat zu Recht den Antrag auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Grundsicherungsleistungen, zur Gewährung eines Darlehens für aufgelaufene Mietschulden und zur Zahlung von Leistungen für eine Erstausstattung der Wohnung abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 S. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt somit voraus, dass ein materieller Anspruch besteht, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird (sog. Anordnungsanspruch) und dass der Erlass einer gerichtlichen Entscheidung besonders eilbedürftig ist (sog. Anordnungsgrund). Eilbedarf besteht, wenn dem Betroffenen ohne die Eilentscheidung eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Rechten droht, die durch die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden kann (vgl BVerfG Beschluss vom 12.05.2005 - 1 BvR 569/05 Rn 23 - Breith 2005, 803; BVerfG Beschluss vom 16.05.1995 - 1 BvR 1087/91 Rn 28 - BVerfGE 93, 1). Der vom Antragsteller geltend gemachte (Anordnungs-)Anspruch und die Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 S. 4 SGG in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO)). Für die Glaubhaftmachung genügt es, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund überwiegend wahrscheinlich sind (vgl. BSG, Beschluss vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr. 4).

Hiervon ausgehend sind die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht erfüllt. Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch nicht hinreichend glaubhaft gemacht. Es fehlt bereits an einem hinreichend substantiierten Vortrag der Antragsteller zu der von ihnen behaupteten Hilfebedürftigkeit im Zeitraum ab Eilantragstellung Ende Dezember 2010. Hilfebedürftigkeit im Sinn von § 9 SGB II ist gem. § 19 SGB II Voraussetzung für die begehrte Regelleistung sowie für die Kosten der Unterkunft. Trotz entsprechender Aufforderung durch das Sozialgericht haben die Antragsteller weder genaue Angaben zu ihren aktuellen wirtschaftlichen Verhältnissen (Einkommen, Vermögen, Verbindlichkeiten) gemacht noch diese wie angefordert durch Kontoauszüge belegt und durch eine eidesstattliche Versicherung untermauert. Auch im Beschwerdeverfahren konnte der Bevollmächtigte der Antragsteller die notwendigen Unterlagen und Informationen nicht beibringen.

Einer Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen darlehensweisen Gewährung der Mietschulden gem. § 22 Abs. 5 SGB II steht entgegen, dass die Antragsteller nicht im laufenden Bezug von Kosten der Unterkunft stehen und auch ein Anspruch hierauf nicht erkennbar ist. Darüber hinaus ist eine Sicherung der Unterkunft nicht (mehr) möglich, nachdem die Antragsteller aus der Wohnung, für die eine Mietschuldenübernahme begehrt worden ist, ausgezogen sind.

Auch die Voraussetzungen für eine vorläufige Entscheidung zugunsten der Antragsteller im Hinblick auf die begehrte Erstausstattung der Wohnung liegen nicht vor. Auch hier mangelt es an einem ausreichenden (glaubhaften) Vortrag dazu, dass die Antragsteller hilfebedürftig im Sinn von § 9 SGB II sind bzw dass sie jedenfalls den geltend gemachten Ausstattungsbedarf nicht aus eigenen Kräften und Mitteln decken können (§ 23 Abs. 3 S. 3 SGB II). Hinzu kommt, dass die Wohnung im Zeitpunkt der Besichtigung im September 2010 bereits weitgehend mit Möbeln und notwendigen Gebrauchsgegenständen ausgestattet war. Eine Auskunft dazu, ob zum jetzigen Zeitpunkt noch Gegenstände fehlen, haben die Antragsteller nicht erteilt. Schließlich spricht gegen eine Gewährung dieser Leistung auf die Beschwerde hin, dass die Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner erklärt haben, aus der derzeitigen Wohnung spätestens Anfang April auszuziehen.

Zu Recht hat das Sozialgericht auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe abgelehnt, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg geboten hat (§§ 73a SGG i.V.m. § 114 ZPO).

Soweit sich die Antragsteller gegen die Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wenden, folgt die Kostenentscheidung aus der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Soweit sich die Beschwerde gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe richtet, werden Kosten im Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 73a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO).

Die Entscheidung ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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