Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 8 AS 617/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 AS 92/07
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 133/11 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin und Berufungsklägerin wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Rechtvorgängerin des Beklagten, der Jobcenter Arbeitsgemeinschaft M. GmbH (im Weiteren: Arge).
Die am ... 1981 geborene Klägerin ist ukrainische Staatsangehörige und besitzt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland. Sie besuchte von September 2001 bis Mitte 2004 eine Schule in A. und machte das Abitur. Nach dem Bezug von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz bis zum 31. Juli 2004 erhielt sie seit dem 1. August 2004 von der Landeshauptstadt M. laufende Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Am 1. September 2004 stellte sie bei der Arge einen Antrag auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Im Antrag gab sie an, sie wohne in der E. Straße ... in ... M ... Als Bankverbindung gab sie ein Konto bei der Stadtsparkasse M. an. Kontoinhaber seien sie und ihre Mutter. Sie sei bei der AOK Sachsen-Anhalt pflichtversichert und beziehe derzeit Sozialhilfeleistungen. Sie wohne zusammen in einem Haushalt mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter, die dann am ... 2004 starb. Gemeinsam bewohnten sie eine 68 qm große Wohnung, für die eine Gesamtmiete von 468,34 EUR/Mt. zu zahlen sei. Ihre Mutter beziehe ebenfalls Sozialhilfeleistungen und Wohngeld. Außer einem geringen Guthaben auf dem benannten Girokonto besitze sie keine Vermögenswerte. Nach dem Mietvertrag waren die Klägerin, ihre Mutter und die Großmutter Hauptmieter der seit dem Jahr 1998 gemieteten Wohnung.
Mit Bescheid vom 6. Dezember 2004 bewilligte die Arge für den Bewilligungszeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 monatliche Leistungen iHv 559,13 EUR (Regelleistung: 331,00 EUR, KdU: 128,13 EUR; entspricht den hälftigen Mietkosten, wobei der Heizkostenabschlag iHv 67,00 EUR um 18 % gemindert wurde).
Mit Schreiben vom 14. Januar 2005 lud die Arge die Klägerin am 20. Januar 2005 zu einer Informationsveranstaltung ein. Diese teilte telefonisch am 20. Januar 2005 mit, sie befinde sich z.Zt. in A. bzw. M. und suche einen Praktikumsplatz. Sie könne nicht sagen, wann sie nach M. zurückkehre.
Am 8. Februar 2005 sprach die Klägerin bei der Arge vor. Hierüber wurde folgender Vermerk gefertigt:
"p. Vspr., stellt sich ab sofort wieder zur Verfügung. Ausführlich örtl. Zuständigkeit nach § 36 SGB II erläutert. War bisher auf Suche nach Praktikumsplatz in Bayern, da ab WS 05 Studium Bioingenieurwesen in M. geplant. Soll in A. Antrag auf Alg II stellen, da dort MdE. gewöhnlicher Aufenthalt vorrangig. Kundin nochmals auf Sanktionserwartung hingewiesen bei Ablehnung von TM´s oder Maßnahmen mit Mehraufwandsentschädigung. Urlaub vom 140205 - 060205 zugestimmt, Termin zur BewA-Überarbeitung schr. Ausgehändigt ( H ...)"
Unter dem 4. März 2005 fertigte dieselbe Sachbearbeiterin folgenden Vermerk:
"tel. Info, kann zum Termin am 070305 nicht erscheinen, da sich immer noch in A. aufhält. Bisher keine Praktikumsstelle vorhanden, weiss nicht, wann zum Hauptwohnsitz zurückkehrt. Hält sich ausschließlich in Bayern auf. Zur Leistungseinstellung an LB, Kundin wurde auf Antragstellung am gewöhnlichen Aufenthalt hingewiesen."
Mit Verfügung vom 7. März 2005 stellte die Arge zum 31. März 2005 die weitere Leistungsauszahlung an die Klägerin ein. Ein Bescheid wurde hierüber nicht erteilt.
Mit Schreiben vom 16. März 2005 hörte die Arge die Klägerin zu einer beabsichtigten Rückforderung überzahlter Leistungen iHv 1.677,39 EUR für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2005 an. Er bat um Mitteilung des Aufenthaltsorts (M. oder A.) in diesem Zeitraum und wies darauf hin, dass die Leistungen zurückgefordert würden, wenn sie keine Angaben mache. Sie habe die Überzahlung verursacht, da sie unvollständige Angaben gemacht habe.
Daraufhin sprach die Klägerin bei der Arge vor und erklärte, sie halte sich in M. auf und sei dort jederzeit erreichbar. Mit Schreiben vom 29. März 2005 legte sie "Widerspruch" gegen das Schreiben vom 16. März 2005 ein. Sie habe sich die ganze Zeit in M. aufgehalten "mit Ausnahme lediglich einiger Tagen." Sie wolle zum Wintersemester 2005 ein Studium der Biotechnologie beginnen. Dazu sei ein mindestens sechswöchiges Vorpraktikum erforderlich. Vom 17. bis zum 22. Januar 2005 habe sie sich in A. aufgehalten, um einen Praktikumsplatz zu suchen. Ihr Wunschstudienort sei M., da sie in Bayern Abitur gemacht habe. Am 8. Februar 2005 habe sie Urlaub für den Zeitraum vom 14. Februar bis zum 6. März 2005 beantragt. Da sie noch bei weiteren Firmen habe nachfragen wollen, habe sie am 7. März 2005 telefonisch mitgeteilt, dass sie den Termin nicht wahrnehmen könne. Am 9. März 2005 sei sie nach M. zurückgekehrt. Sie habe sich auch in M. um einen Praktikumsplatz beworben. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2005 wurde der Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen.
Auf Einladung der Arge sprach die Klägerin am 8. April 2005 erneut vor und gab – ausweislich des hierüber gefertigten handschriftlichen Vermerks – an, sich nur wenige Tage in A. aufgehalten zu haben. Für die Wohnung in A. habe sie einen Mietvertrag, müsse aber die Miete iHv 225,00 EUR nur zahlen, wenn sie dort wohne. Wovon sie die Miete zahle, habe sie nicht angegeben. Auf die Bitte, mit dem Mietvertrag für die A. Wohnung und den Kontoauszügen der letzten drei Monate erneut vorzusprechen, habe sie erklärt, eine Veränderungsmitteilung ausfüllen zu wollen. In dieser erklärte sie, sie ziehe am 8. April 2005 um.
In der Folge wurden Kontoauszüge und der Mietvertrag für die Wohnung in der D. Straße ... in A. vorgelegt. Die 56 qm große Zweizimmerwohnung, die eine Warmmiete von 437,00 EUR kostet, hatten die Klägerin und Herr D. K. als Hauptmieter ab dem 1. Mai 2003 angemietet.
Mit E-Mail vom 3. Mai 2005 informierte die ARGE Stadt A. die Arge, die Klägerin habe ihren Hauptwohnsitz nach A. verlegt und am 13. April 2005 SGB II-Leistungen beantragt. Sie werde Leistungen erhalten, wenn wegen des Einkommens des Lebensgefährten noch ein Leistungsanspruch verbleibe.
Am 2. Juni 2005 stellte die Klägerin erneut einen Leistungsantrag bei der Arge und gab an, bis zum 31. Mai 2005 Leistungen von der ARGE A. bezogen zu haben. Sie absolviere vom 18. Mai bis zum 17. Juli 2005 ein Praktikum in M., für das sie eine monatliche Vergütung von 250,00 EUR erhalte. Ansonsten hätten sich keine Änderungen ergeben. Sie legte den Einstellungsbescheid der ARGE A. Stadt vom 13. Mai 2005 wegen Umzugs zum Monatsende Mai 2005 vor. Die Arge bewilligte mit Bescheid vom 4. April 2007 Leistungen für Juni und Juli 2005.
Unter dem 14. Juli 2005 teilte die Klägerin mit, sie werde am 18. Juli 2005 wieder nach A. verziehen. Bei dieser Gelegenheit wurde ihr ein Rücknahmebescheid vom selben Tag ausgehändigt, mit dem die Arge die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 1. Januar 2005 vollständig zurücknahm und die Erstattung von 1.677,39 EUR gemäß § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) forderte. Für die Leistungsgewährung sei diejenige Agentur für Arbeit zuständig sei, in deren Bezirk der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt (gA) habe. Sie habe ihren gA in A. gehabt, sodass sie gemäß § 36 SGB II keinen Anspruch gegen die Arge habe. Die Bewilligung sei fehlerhaft erfolgt, weil die Klägerin falsche bzw. unvollständige Angaben gemacht habe (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Denn sie habe nicht alle leistungserheblichen Tatsachen angegeben.
Am 9. August 2005 legte die nun anwaltlich vertretene Klägerin Widerspruch ein. Es sei im Ergebnis irrelevant, wer der zuständige Träger für die Leistungen nach dem SGB II sei. Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger gestellt worden seien, seien gemäß § 16 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Sie habe sich nur gelegentlich und nicht dauerhaft in A. aufgehalten. Da sie zuvor ihr Abitur in A. gemacht habe, sei es nicht ungewöhnlich, dass sie sich in Bayern um einen Praktikums- und Studienplatz beworben und auch die ehemalige WG-Wohnung nicht aufgegeben habe. Daraus lasse sich jedoch nicht folgern, dass sie dort dauerhaft wohnhaft gewesen sei. Ihr Hauptwohnsitz sei in M ...
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2006 wies die Arge den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Leistungsbewilligung ab dem 1. Januar 2005 gemäß § 45 Abs. 1 SGB X lägen vor, denn der Bewilligungsbescheid sei rechtswidrig. Die Klägerin könne sich gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht auf Vertrauen berufen, weil der Bewilligungsbescheid auf Angaben beruhe, die sie vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Denn sie habe es bereits im Leistungsantrag unterlassen anzugeben, dass sie in A. noch über ein WG-Zimmer verfüge, obwohl sie habe wissen müssen, dass sie alle Unterlagen vorlegen musste. Der weitere Wohnsitz sei erst nach mehreren Rücksprachen bekannt geworden. Ein Leistungsanspruch bestehe an dem Ort, an dem der Hilfesuchende gemäß § 30 SGB I seinen gA habe. Ein längerer Aufenthalt sei ein Indiz für einen gA. Die Klägerin habe bereits ihr Abitur in A. gemacht und verfügte dort über ein WG-Zimmer, welches sie über die Schulzeit hinaus nicht gekündigt habe. Sie habe nämlich vorgehabt, ein Studium aufzunehmen und in der Zwischenzeit ein Praktikum zu absolvieren. Bereits während ihrer Schulzeit habe sich die Klägerin nur noch besuchsweise in M. aufgehalten. Im Verwaltungsverfahren habe sie mehrfach mitgeteilt, dass sie sich gerade in Bayern aufhalte. Es sei daher von einem gA in A. auszugehen.
Am 9. Juni 2006 hat die Klägerin beim Sozialgericht M. (SG) Klage erhoben, die sie zunächst nicht begründet hat. Aufgrund der fehlerhaften Eintragung der Klage bei dem SG (Verwendung des Vornamens der Mutter) ist eine nachfolgend vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin übersandte Prozessvollmacht nicht zur Gerichtsakte gelangt. Nach dem das SG – aus seiner Sicht – mehrfach erfolglos die Übersendung der Vollmacht angemahnt hatte, hat es nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 15. März 2007 die Klage als unzulässig verworfen. Die Klage sei unzulässig, da sie von einer nicht vertretungsberechtigten Person erhoben worden sei. Trotz mehrfacher Aufforderung habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin keine ausreichende Vollmacht vorgelegt.
Am 21. März 2007 ist bei dem SG die Klagebegründung eingegangen. Sie habe im streitigen Zeitraum den gA in M. gehabt. Neben ihrer Wohnung in M. habe sie noch das WG-Zimmer in A. gemietet (gelassen) und sich gelegentlich "zu Besuch" dort aufgehalten. Eine Praktikumsstelle habe sie sich sowohl in M. als auch in Bayern gesucht. Die Arge hätte ihren Leistungsantrag an den zuständigen Sozialleistungsträger weiterleiten müssen. Es sei nicht mit dem Grundsatz von Treu und Glauben zu vereinbaren, wenn er zunächst Leistungen gewähre, diese aber im Nachhinein unter Hinweis auf die örtliche Unzuständigkeit zurückfordere. Denn der Hilfesuchende müsse die Leistungen zurückzahlen, habe aber keine Möglichkeit mehr, nachträglich Leistungen von dem zuständigen Träger zu erhalten. Im Übrigen wäre nach § 44 Abs. 3 SGB X für die Aufhebung und Erstattung die ARGE A. zuständig gewesen.
Gegen den ihr nach dem Empfangsbekenntnis des Prozessbevollmächtigten am 22. März 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 23. April 2007, einem Montag, Berufung eingelegt. Sie hat sich auf ihre Klagebegründung bezogen und ergänzt, sie habe sich in der ersten Jahreshälfte 2005 weiter überwiegend in M. aufgehalten habe. Dort sei in der Zeit zwischen dem Abitur und dem Studium ihr Lebensmittelpunkt gewesen. Dies hätte das SG weiter aufklären müssen. Für das Gegenteil trage die Arge die Beweislast.
Auf Nachfrage der Berichterstatterin zu den Aufenthaltsorten im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2005 und der Äußerung von Zweifeln an dem behaupteten WG-Zimmer hat sie erklärt, es handele sich um eine Zwei-Zimmer-Wohnung, sodass vom Bestehen einer Wohngemeinschaft auszugehen sei.
Weiter hat sie erläutert, nach dem Abitur im Sommer 2004 in A. habe sie sich auf einen Studienplatz in Bayern beworben und von der TU M. die Zusage erhalten. Erst bei der Immatrikulation habe sie erfahren, dass sie die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfülle. Entgegen ihrer Planung habe sie ein sog. Parksemester einlegen müsse. Da sie "ihren Lebensmittelpunkt nach wie vor in M." gehabt habe, sei sie zurück zu ihrer Familie gezogen, auch weil sie ihrer Mutter bei der Pflege der Großmutter habe helfen wollen. Deren Tod im ... 2004 habe die alleinstehende Mutter nur schwer verarbeiten können und einen Bandscheibenvorfall erlitten, sodass sie ihr weiter zur Seite gestanden habe. Dies könnten ihre Mutter, ihr Bruder, der Onkel und die Tante und der Freund der Mutter als Zeugen bestätigen. Diese gingen im Haus der Familie "ein und aus". Die Familie treffe sich regelmäßig zu Festtagen und Familienfeiern. Bis auf die bereits genannten Abwesenheitszeiten habe sie sich im streitgegenständlichen Zeitraum in M. aufgehalten. Nach einer Praktikumsstelle habe sie sowohl in Bayern als auch im Großraum M. gesucht und diese dann in M. gefunden. Sie habe sich im April 2005 nur deshalb nach A. umgemeldet, weil die Arge weitere Leistungen verweigert habe.
Auf weitere Nachfrage der Berichterstatterin mit Schreiben vom 20. Januar 2010, woraus sich ergebe, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum KdU für die Wohnung in M. zu tragen gehabt habe, hat diese ausgeführt, selbstverständlich habe die Mutter "zunächst sämtliche Kosten der Wohnung getragen".
Auf Nachfrage hat die Landeshauptstadt M., Fachbereich Bürgerservice und Ordnungsamt, Pass- und Meldewesen, erklärt, die Klägerin sei seit ihrem Zuzug aus der Ukraine im Jahr 1998 durchgängig bis zum 13. April 2005 mit der Hauptwohnung in M. gemeldet gewesen. Seither sei ihr Hauptwohnsitz durchgängig in A ... Die Klägerin hat eine Girokontoauskunft der Stadtsparkasse A. für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2005 vorgelegt. Daraus ergeben sich Sollbuchungen zu Gunsten der Deutschen Telekom "Kundenbuch K. O. A." und ab Februar 2005 Sollbuchungen zu Gunsten der Arcor AG und Co. KG für "K. O. A.". Dazu hat sie erklärt, es handele sich um Rechnungen für den Telefonfestnetzanschluss und den Internetzugang für die Wohnung in A ... In der Zeit habe ein Anbieterwechsel stattgefunden.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts M. vom 15. März 2007 sowie den Bescheid des Beklagten vom 14. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Mai 2006 aufzuheben und den Betrag von 1.677,39 EUR zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er gehe weiterhin davon aus, dass der gA im Januar 2005 und den Folgemonaten in A. gewesen sei. Es sei zu vermuten, dass die Klägerin mit dem in A. lebenden Zeugen eine eheähnliche Gemeinschaft gebildet habe und nur vorübergehend abwesend gewesen sei. Ein Leistungsanspruch hätte daher aufgrund der bestehenden Bedarfsgemeinschaft allenfalls in A. bestanden. Den streitigen Betrag habe die Klägerin auf eigenen Wunsch im Zeitraum von Juli 2006 bis einschließlich Januar 2007 ratenweise zurückgezahlt.
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu ihren Wohn- und Lebensverhältnissen befragt. Wegen deren Angaben wird auf das Protokoll verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Sozialhilfeakte der Landeshauptsstadt M., den Verwaltungsvorgang der ARGE A. Stadt und die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden. Sie ist auch statthaft iSv § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung. Danach ist die Berufung ohne Weiteres zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500,00 EUR übersteigt. Hier ist eine Erstattungsforderung iHv 1.677,39 EUR im Streit.
Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr. 1 SGG als Rechtsnachfolger der Arge (Jobcenter Arbeitsgemeinschaft M. GmbH) beteiligtenfähig. Es steht insoweit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gleich. Denn es handelt sich um eine gemeinsame Einrichtung (§ 44b Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 3. August 2010, BGBl. I S. 1112), die mit Wirkung vom 1. Januar 2011 kraft Gesetzes als (teil-)rechtsfähige öffentlich-rechtliche Gesellschaft sui generis entstanden ist. Diese ist gemäß § 76 Abs. 3 Satz 1 SGB II als Rechtsnachfolger an die Stelle der bis dahin beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 18. Januar 2011, Az.: B 4 AS 99/10 R, juris RN 11).
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 14. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2006, mit dem die Arge den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 6. Dezember 2004 über die Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 vollständig zurückgenommen und die Erstattung der bereits ausgezahlten Leistungen für die Monate Januar bis März 2005 iHv 1.677,39 EUR verlangt hat.
Die Berufung ist unbegründet, denn das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Arge in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Er findet seine Rechtsgrundlage in § 45 Abs. 1 SGB X iVm § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III). Danach ist ein Leistungen bewilligender Verwaltungsakt, der schon im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen ist (rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt), auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegen.
Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Klägerin ist mit Schreiben vom 16. März 2005 zur beabsichtigten Aufhebung des Bewilligungsbescheides angehört worden. Sie hat sich dazu bei ihrer Vorsprache am 7. April 2005 sowie mit ihrem "Widerspruch" mit Schreiben vom 29. März 2005 geäußert und Stellung genommen. Die Jahresfrist gemäß § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X ab Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen ist ebenfalls gewahrt.
Die Arge war auch gemäß § 45 Abs. 5 iVm § 44 Abs. 3 SGB X die für die Rücknahme der ursprünglichen Bewilligung zuständige Behörde.
Bis zur Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsaktes kann nur die erlassende Behörde denselben zurücknehmen, bzw. im Widerspruchsverfahren die Widerspruchsbehörde. Nach Eintritt der Rechtskraft gelten gemäß § 44 Abs. 3 SGB X die allgemeinen Regelungen über die örtliche und auch die sachliche Zuständigkeit. Wenn zwischenzeitlich eine andere Behörde örtlich oder sachlich für den Erlass des ursprünglichen Bescheides zuständig geworden ist, entscheidet diese auch über die Rücknahme. Ausdrücklich trifft § 44 Abs. 3 SGB X nur eine Regelung für solche Fälle, in denen sich die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Behörde nach Erlass des zu überprüfenden Bescheids ändert. Die Regelung bestimmt, das prinzipiell für die Korrektur unanfechtbar gewordener Verwaltungsakte zu Gunsten oder zu Lasten des Betroffenen diejenige Behörde zuständig ist, die nach dem im Zeitpunkt der Entscheidung über die Korrektur des Verwaltungsaktes maßgeblichen Recht örtlich und sachlich zuständig ist. Die Regelung schränkt den früher geltenden verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsatz ein, wonach die Zuständigkeit für die Beseitigung (Aufhebung, Rücknahme, Widerruf) eines Verwaltungsaktes (actus contrarius) – vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Regelung – bei der Behörde liegt, die den (aufzuhebenden) Verwaltungsakt erlassen hat. Nunmehr ist diese für die Beseitigung des Verwaltungsaktes dann nicht mehr zuständig, wenn sie entweder zu keinem Zeitpunkt zuständig war, oder ihre Zuständigkeit nach Erlass des Verwaltungsaktes entfallen ist. Damit wird verhindert, dass eine andere Behörde über die Beseitigung eines Verwaltungsaktes zu entscheiden hat als die aktuell zur Regelung des Sachverhalts zuständige (vgl. BSG, Urteil vom 9. Juni 1999, Az.: B 6 KA 70/98 R, juris RN 21; BSG, Urteil vom 16. Mai 1995, Az.: 9 RV 1/94, juris RN 13; BSG, Urteil vom 17. Juli 1985, Az.: 1 RA 35/84, juris RN 25; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Mai 2002, Az.: L 2 RJ 4080/98, juris RN 25). Dies gilt nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ((BVerwG), Beschluss vom 25. August 1995, Az.: 5 B 141/95, juris RN 3) sogar – da das Gesetz insoweit keine Einschränkungen enthält – in dem Fall, dass der aufzuhebende Bescheid bereits von einer örtlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist. Dies entspreche dem Sinn der Vorschrift, die klarstelle, dass für das Rücknahmeverfahren als einem gegenüber dem Erlassverfahren selbstständigen Verwaltungsverfahren die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften gelten. So solle eine möglichst optimale Erledigung der Verwaltungsaufgabe durch den ortsnächsten Leistungsträger gewährleistet werden. Eine Prolongierung der zu Unrecht angenommenen örtlichen Zuständigkeit über den Zeitpunkt des Eintritts der Unanfechtbarkeit des fehlerhaft erlassenen Verwaltungsaktes hinaus kollidiere mit § 44 Abs. 3 SGB X.
Hier war nach § 45 Abs. 5 iVm § 44 Abs. 3 SGB X die Arge für die Rücknahmeentscheidung zuständig, weil sich die Klägerin im Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheides am 14. Juli 2005 nach zwischenzeitlichem Aufenthalt in A. bereits wieder in M. aufhielt, dort seit 19. Mai 2005 ein zweimonatiges Praktikum absolvierte und am 2. Juni 2005 einen weiteren Leistungsantrag bei der Arge gestellt hatte. Auf diesen hin wurden – wenngleich auch erst mit Bescheid vom 4. April 2007 – auch Leistungen bewilligt.
Die Arge war gemäß § 45 Abs. 1 SGB X zur Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 6. Dezember 2004 berechtigt. Dieser Bescheid, mit dem Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 bewilligt worden waren, war insgesamt – bezogen auf alle Monate des Bewilligungszeitraums – rechtswidrig. Die Klägerin hatte gegen die Arge keinen Leistungsanspruch nach dem SGB II. Denn diese war für die Gewährung von Leistungen an die Klägerin nicht örtlich zuständig iSv § 36 SGB II.
Bei dieser Norm handelt es sich um eine Anspruchsvoraussetzung im engeren Sinne mit der Folge, dass ihre Verletzung zur Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung führt.
§ 36 SGB II regelt umfassend die örtliche Zuständigkeit der Leistungsträger. Für den Hilfebedürftigen ist diese Regelung verbindlich und kann nicht abbedungen werden (vgl. Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 36 RN 1). Der Vorschrift kommt nach Auffassung des Senats über die formelle Regelung der örtlichen Zuständigkeit hinaus noch eine anspruchsvoraussetzungsregelnde Funktion zu. Sie enthält gegenüber der Grundvorschrift des § 7 Abs. 1 SGB II, die nur auf den gA in der Bundesrepublik Deutschland abstellt, eine ergänzende Bestimmung.
Es ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten, ob § 36 SGB II über die formelle Regelung der örtlichen Zuständigkeit hinaus auch eine Leistungsvoraussetzung enthält und einen Leistungsträger beispielsweise zur Leistungsablehnung wegen örtlicher Unzuständigkeit berechtigt. Während die überwiegende Meinung in den Kommentaren wohl zur Annahme einer bloßen Zuständigkeitsregel tendiert (vgl. Groth in Hohm: GK-SGB II, Losebl. Stand 03/11, § 36 RN 14; Link in Eicher/Spellbrink: SGB II, 2. Aufl. 2008, § 36 RN 3, 31 ff.; Schoch in LPK–SGB II, 3. Auflage 2009, § 36 RN 19), scheint sich – insbesondere in der neueren Rechtsprechung – die Auffassung, die jedoch zumeist nicht weiter begründet wird, durchzusetzen, dass bei örtlicher Unzuständigkeit iSv § 36 SGB II keine (endgültige) Leistungsverpflichtung des angegangenen Grundsicherungsträgers besteht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen (NW), Urteil vom 1. Dezember 2009, Az. L 6 AS 21/09, juris RN 9; LSG NW, Beschluss vom 22. Juni 2010, Az.: L 6 AS 872/10 B ER, juris RN 8; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Mai 2009, Az.: L 28 AS 653/09 B, juris RN 2 Bay. LSG, Beschluss vom 16. Dezember 2010, Az.: L 7 AS 841/10 B ER, juris RN 16; Bay. LSG, Urteil vom 17. Februar 2011, Az.: L 7 AS 49/08, juris RN 31; a.A: 2. Senat des LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 9. Juli 2009, Az.: L 2 AS 194/09 B ER, in www.sozialgerichtsbarkeit.de; Sächsisches LSG, Beschluss vom 1. November 2007, Az.: L 3 AS 60/07, juris RN 42).
Der Gesetzgeber hat sich zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit der Grundsicherungsträger für das Aufenthaltsprinzip – in dem hier streitigen Zeitraum ausschließlich in Form des gA nach § 30 Abs. 3 SGB I – als Anknüpfungsmerkmal entschieden und eine Alleinzuständigkeit der Träger am gA für alle Leistungen nach dem SGB II begründet, die ausnahmslos gilt. Nur ein – allerdings auch jeder – Wechsel des gA bewirkt zugleich einen Wechsel der Zuständigkeit der Leistungsträger. Dadurch ist gewährleistet, dass Träger über die Leistungen entscheiden, die mit den lokalen Verhältnissen am Arbeits- und am Wohnungsmarkt vertraut sind. Zugleich vermittelt die einmal begründete örtliche Zuständigkeit eine gewisse Beständigkeit, die Voraussetzung für ein stringentes Fallmanagement iS des Förderns und Forderns (§§ 1, 2 SGB II) ist. Denn kurzfristige Veränderungen des tatsächlichen Aufenthaltsorts führt nicht zu einem Trägerwechsel; dazu bedarf es schon der Verlagerung des Lebensmittelpunkts, idR durch einen Umzug. Sonstige abweichende Zuständigkeitsbestimmungen oder Zuständigkeitswechsel sind nicht vorgesehen.
Der Gesetzgeber hat damit hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit weder an die für die Arbeitslosenhilfe geltende Regelung in § 327 SGB III a.F., die prinzipiell an den Wohnsitz bei Eintritt der leistungsbegründenden Tatsachen anknüpfte, aber etliche Ausnahmen zuließ, noch an die für die Sozialhilfe geltende Regelung des § 97 BSHG, die im Grundsatz (für Leistungen außerhalb von Einrichtungen) vom tatsächlichen Aufenthaltsort ausging, orientiert.
Der durch die Anknüpfung an den gA vermittelte Effekt einer ortsnahen und damit bürgernahen, zugleich aber beständigen Leistungsverwaltung ist jedoch nur dann erreichbar, wenn die Regelung des § 36 SGB II nicht nur eine formelle Ordnungsvorschrift ist, sondern auch eine Leistungsvoraussetzung. Bliebe eine Antragstellung beim örtlich unzuständigen Träger ohne Konsequenz für die Leistungsgewährung, entfiele der dargestellte Vorteil der normativen Anknüpfung an den gA, denn nur der Träger vor Ort kann ohne größeren Aufwand in Kenntnis und unter Einbeziehung der lokalen Gegebenheiten sachgerecht über den geltend gemachten Leistungsanspruch entscheiden. Sowohl die Sachverhaltsaufklärung (z.B. Vorsprachen, Hausbesuche) als auch die Bestimmung der angemessenen KdU-Leistungen würden ungleich erschwert, wenn eine örtliche Unzuständigkeit folgenlos bliebe und beispielsweise ein örtlich unzuständige Träger (endgültig) über KdU aus einem fremden Zuständigkeitsbereich entscheiden müsste.
Die Interessen der Leistungsberechtigten sind hierdurch nicht in erheblichem Maße berührt, da im Konfliktfall die Berechtigung und Verpflichtung zur Erbringung von vorläufigen Leistungen nach § 43 SGB I und die nachwirkende Leistungsverpflichtung nach § 2 Abs. 3 SGB X unberührt bleiben (vgl. Seegmüller in Estelmann [Hrsg.]: SGB II, Loseblatt Stand 03/11, § 36 RN 4).
Ordnet man die Zuständigkeitsregelung des § 36 SGB II den Kategorien von Erbringungslast und Budgetlast zu, führt dies zum selben Ergebnis. Die Budgetverantwortung kann – insbesondere mangels eigenständiger Erstattungsvorschriften im SGB II – nur eingehalten werden, wenn allein der örtlich zuständige Träger verpflichtet ist, die Kosten der Leistungsgewährung aus seinem eigenen Haushalt bzw. Budget zu finanzieren (vgl. hierzu: Seegmüller, a.a.O., § 36 RN 5). Dies leuchtet für die den kommunalen Trägern obliegenden Leistungen für KdU sofort ein: Ein kommunaler Träger hat die Budgetlast für die KdU nur für die Leistungsberechtigten, die ihren gA in seinem Bereich haben. Besondere Erstattungsvorschriften gibt es nur für den Fall der vorläufigen oder der nachwirkenden Leistungserbringung (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB I iVm § 102 SGB X, § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X) bei örtlicher Unzuständigkeit.
Da Voraussetzung für eine rechtmäßige Leistungsgewährung auch die örtliche Zuständigkeit der Arge ist, war die Leistungsgewährung an die Klägerin rechtswidrig. Denn diese hatte im streitigen Zeitraum ihren gA nicht in deren Zuständigkeitsbereich.
§ 36 SGB II hatte in der hier maßgeblichen, bis zum 31. Juli 2006 gültigen Fassung folgenden Wortlaut:
"Für die Leistungen der Grundsicherung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 ist die Agentur für Arbeit zuständig, in deren Bezirk der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für die Leistungen der Grundsicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ist der kommunale Träger zuständig, in dessen Bezirk der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat."
Die mit Wirkung ab dem 1. August 2006 eingefügte Regelung des Satzes 3, nach der bei Nichtfeststellbarkeit eines gA derjenige Träger zuständig ist, in dessen Bereich sich der Hilfebedürftige tatsächlich aufhält, galt für den hier streitigen Zeitraum noch nicht. Denn maßgeblich kommt es im vorliegenden Anfechtungsfall auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes im Zeitpunkt seines Erlasses an. Sowohl der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 14. Juli 2005 als auch der Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2006 wurden vor Einfügung des Satzes 3 erlassen.
Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit ist daher allein der gA der Klägerin im streitigen Zeitraum. Der Begriff des gA ist im § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I legaldefiniert. Danach hat den gA jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilt. Zwar betrifft diese Definition unmittelbar lediglich die Regelung des § 30 Abs. 1 SGB I über den räumlichen Geltungsbereich der Vorschriften des Sozialgesetzbuches. Indes ist auch bei der Leistungsgewährung nach dem SGB II auf § 30 Abs. 3 SGB I zurückzugreifen (einhellige Auffassung, so bereits BVerwG für das BSHG: Urteil vom 18. März 1999, Az.: 5 C 11/98, RN 14 Juris; BSG, Urteil vom 24. März 2009, Az.: B 8/9b SO 17/07 R, Juris RN 18).
Der gA ist vom tatsächlichen und nur vorübergehenden Aufenthalt abzugrenzen. Zur Beantwortung der Frage, ob sich jemand nicht nur vorübergehend an einem Ort oder in einem Gebiet aufhält, kommt es maßgeblich auf die tatsächlichen Verhältnisses sowie auf eine vorausschauende Betrachtungsweise an. Dabei sind alle für die Beurteilung der künftigen Entwicklung bei Beginn eines streitigen Zeitraumes erkennbaren (subjektiven und objektiven) Umstände zu berücksichtigen. In erster Linie sind die objektiven Umstände und das zeitliche Moment – der Aufenthalt muss zukunftsoffen sein – zu berücksichtigen. Erst in zweiter Linie kommt es auf die subjektiven Vorstellungen des Hilfebedürftigen an. Generell muss am gA der Schwerpunkt der persönlichen Lebensverhältnisse liegen. Besteht die Absicht, an einem Ort nicht nur vorübergehend zu verweilen und stehen dem dauerhaften Verweilen keine objektiv erkennbaren Hinderungsgründe entgegen, so kann bereits mit dem Zuzug, d.h. am ersten Tag des Aufenthaltes an diesem Ort ein gA begründet werden (vgl. zum Vorstehenden: Link in Eicher/Spellbrink: SGB II, 2. Auflage 2008, § 36 RN 16, 18 ff.; Groth in Gemeinschaftskommentar – SGB II, Loseblatt, Stand 03/11, § 36 RN 10 f.).
Zur Feststellung, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen besteht, können letztlich eine Vielzahl von Indizien aus dem beruflichen, familiären oder gesellschaftlichen Bereich maßgeblich sein. Ausgangspunkt der Überlegungen wird – auch wenn der Wohnsitz iS des § 30 Abs. 3 S. 1 SGB I für die Frage der örtlichen Zuständigkeit nach § 36 SGB II unmittelbar bedeutungslos ist – sein, wo der erwerbsfähige Hilfebedürftige seine Wohnung unterhält. Ist die Nutzung der Wohnung zweifelhaft oder unterhält der Hilfesuchende keine oder mehrere Wohnungen, kommen für die Beantwortung der Frage nach dem gA weitere Indizien in Betracht. Aussagekräftig kann insbesondere sein, wo er seine Freunde oder Verwandte hat, zu denen er regelmäßige Kontakte unterhält, wo er gegebenenfalls eine Arbeitsstätte hat, wo der Hilfesuchende Ärzte oder sonstige Dienstleister häufig aufsucht, wo sich Kinder, für die ein Personensorgerecht besteht, aufhalten und wo sie zur Schule angemeldet sind, etc. (vgl. Groth a.a.O., RN 13).
Aufgrund der Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ist der Senat zur Überzeugung gelangt, dass diese im streitigen Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2005 ihren gA in A. und nicht in M. hatte.
Die Klägerin hatte ihren gA ursprünglich in M. gehabt, wo sie gemeinsam mit der Mutter und der Großmutter seit dem Jahr 1998 in einer Wohnung lebte. Mit dem Umzug und der Aufnahme des Schulbesuches in A. im September 2001 war spätestens mit dem Nachzug des Freundes im Mai 2002 und der gemeinsamen Anmietung der Wohnung in der K.-straße in A. eine Verlegung des gA dorthin erfolgt. Während der Zeit des Schulbesuchs, d.h. bis zum Juli 2004, hatte die Klägerin ihren gA in A ... Am Schulort bestand ihr Lebensmittelpunkt, zumal sie dort auch den Kernbereich ihrer persönlichen Beziehungen hatte und mit ihrem Freund zusammenlebte. Die Klägerin gehörte nicht zu den Wochenendpendlern; sie war nicht regelmäßig am Wochenende nach M. gefahren. Der Umstand, dass sie sich während der Schulferien – nicht ausschließlich aber überwiegend – in M. aufhielt, steht der Annahme des gA in A. nicht entgegen.
Zur Überzeugung des Senats hat die Klägerin auch nach Abschluss ihrer Schulausbildung ihren gA nicht nach M. (zurück-)verlegt. Dies wäre unzweifelhaft der Fall gewesen, wenn sie zum damaligen Zeitpunkt ihren Wohnsitz in A. aufgegeben hätte und endgültig – mit Gepäck und Möbeln – nach M. zurückgekehrt wäre. Dies ist jedoch nicht erfolgt, sodass zunächst sowohl die Beibehaltung des gA in A. als auch dessen Verlagerung nach M. denkbar erscheinen.
Indes ist nach der Lebensplanung der Klägerin, die sie trotz mehrer unerwartet eintretender Ereignisse nicht änderte, von einer Beibehaltung des gA in A. auszugehen: Sie beabsichtigte, unmittelbar nach Beendigung der Schule bereits zum Wintersemester 2004/05, d.h. im Oktober 2004, ein Studium in Bayern aufzunehmen und ihren Wohnsitz in A. in der gemeinsamen Wohnung mit dem Freund beizubehalten. Um einen Studienplatz in M. hatte sie sich gar nicht beworben.
Soweit sie sich in der Zeit von Juli bis zum beabsichtigten Studienbeginn im Oktober 2004 in M. aufgehalten hatte, hatte dies demzufolge den Charakter eines vorübergehenden besuchsweisen Aufenthalts, der längstens wenige Monate dauern sollte. Denn es bestand die feste Absicht, wieder nach Bayern und nach A. zurückzukehren. Die bestehende Pflegebedürftigkeit ihrer Großmutter war für die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt kein Grund, ihre Pläne zu ändern.
Auch als sie Anfang Oktober 2004 erfahren hatte, dass der zu diesem Zeitpunkt geplante Studienbeginn nicht möglich war, führte dies nicht dazu, dass sie nunmehr ihren Wohnsitz in Bayern aufgab und endgültig in die mütterliche Wohnung nach M. zog. Dieser Umstand führte nach ihrer Planung lediglich dazu, dass sie "ein Urlaubssemester" einlegen musste, sich also ihr vorübergehender Aufenthalt in M. verlängerte. Inhaltlich blieb ihre Lebensplanung dieselbe. Wiederum führten auch der nachfolgende Tod der Großmutter ( ... 2004) und die Erkrankung der Mutter nicht zu einer Änderung der Pläne, die auf die langfristige Beibehaltung des gA in A. ausgerichtet waren. Auch ihr Freund blieb in der gemeinsamen Wohnung in A ... Entsprechend entrichtete die Klägerin weiterhin Telefon- und Internetgebühren für die Wohnung in A. (wechselte sogar Anfang 2005 den Anbieter) und behielt auch ihr Girokonto bei der Stadtsparkasse A. bei.
Gegen die Beibehaltung des gA in A. spricht auch nicht die dann geplante Verweildauer in M. für einen Zeitraum von annähernd einem Jahr. Der Aufenthalt kann auch dann noch ein vorübergehender sein, wenn er von vornherein auf eine längere Zeitspanne begrenzt sein sollte (vgl. BSG, Urteil vom 30. September 1996, Az.: 10 RKg 29/95, juris RN 16 f., zu einem Internatsaufenthalt von 2 ¾ Jahren).
Dass die Klägerin in der Folge einen Praktikumsplatz in der Umgebung sowohl von A. als auch von M. suchte, ist für die Beurteilung des gA unergiebig. Ihre Wohnung in A. behielt sie weiter bei. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihr schriftliches Vorbringen, sie habe in A. nur ein "WG-Zimmer" weiter nutzen können, nicht aufrecht erhalten und zum weiteren Wohnsitz eingeräumt, dass es sich um die gemeinsam mit ihrem Freund bewohnte Wohnung handelte.
Angesichts dieser Sachlage kommt es bei der Beurteilung des gA weder darauf an, ob die Klägerin mit ihrem Freund in A. als Partner in einer eheähnlichen Gemeinschaft iSv § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b) SGB II a.F. zusammengelebt hatten, oder ob sie sich – gemeinsam mit ihrem Freund, dessen Familie ebenfalls in M. lebt – zu den Familienfesten und Feiertagen, wann genau und wie lange in M. aufgehalten hatte. Unstreitig war sie auch länger (zumindest vom 17. bis 22. Januar und vom 14. Februar bis 9. März 2005) in A ... Eine Vernehmung der Zeugen konnte daher unterbleiben.
Auch die weiteren Voraussetzungen von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 und Abs. 3 SGB X iVm § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 2 SGB III für eine Rücknahme des Bewilligungsbescheides lagen vor.
Die Klägerin hat kein schutzwürdiges Vertrauen iSv § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X auf den Bestand des ursprünglichen Bewilligungsbescheides. Denn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X liegen vor. Danach kann sich ein Begünstigter auf Vertrauen nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Bei fehlendem Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X handelt es sich gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II iVm § 330 Abs. 2 SGB III um eine gebundene Entscheidung, d.h. die Behörde ist zur Aufhebung des Bewilligungsbescheides verpflichtet und darf keine Ermessenserwägungen anstellen.
Hier ist der Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X erfüllt. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Bewilligungsbescheid auf Angaben beruhte, die die Klägerin zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hatte, sodass sie sich auf Vertrauen nicht berufen kann.
Nach der Zielsetzung der Regelung soll sich nicht auf Vertrauensschutz berufen können, wer selbst schuldhaft eine wesentliche Ursache für die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes gesetzt hat. Passives Verschweigen von entscheidungsrelevanten Umständen kann im Sinne eines beredten Schweigens zu unrichtigen Angaben führen (vgl. Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 45 RN 49). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn nach § 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) eine gesetzliche Mitteilungspflicht zu den verschwiegenen Umständen bestanden hat, die nicht erfüllt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 9. April 1987, Az.: 5b RJ 36/86, juris RN 14). Erheblich ist eine fehlerhafte oder unterlassene Angabe dann, wenn sie kausal für die Rechtswidrigkeit geworden ist. Hieran fehlt es, wenn der Verwaltungsakt auf der Grundlage zutreffender und vollständiger Angaben genauso erlassen worden wäre.
Danach ist im vorliegenden Fall zumindest von grob fahrlässig unvollständigen Angaben auszugehen. Denn die Klägerin hatte bei Antragstellung keine Angaben zur Existenz eines weiteren Wohnsitzes gemacht. Als einzige Adresse hatte sie die Wohnung ihrer Mutter in der E. Straße ... in M. genannt. Zur telefonischen Erreichbarkeit hatte sie nur die M. er Festnetztelefonnummer erklärt und als Bankverbindung, auf die die bewilligten Leistungen überwiesen werden sollten, das bei der Stadtsparkasse M. geführte Girokonto, dessen Inhaber sie und ihre Mutter waren.
Indes verfügte die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2005 über den weiteren Wohnsitz in A. und über ein weiteres Girokonto bei der Stadtsparkasse A ... Beide hatte sie im Leistungsantrag nicht angegeben. Auch bei den im Zusatzblatt 3 geforderten Angaben zur Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens war nur das M. er Girokonto und nicht das Konto in A. vermerkt.
Zwar trifft es zu, dass im Antragsformular weitere Wohnsitze der Antragsteller nicht (ausdrücklich) abgefragt werden. Gleichwohl ist – soweit im Einzelfall mehrere Wohnsitze vorhanden sind – zu erwarten, dass diese bei Antragstellung entweder ungefragt offenbart werden oder zumindest eine Nachfrage erfolgt, ob die Existenz mehrerer Wohnsitze rechtliche Relevanz besitzt und daher anzugeben ist. Beides hat die Klägerin nicht gemacht. Durch die unvollständigen Angaben zum Wohnsitz hat sie den Eindruck erweckt, die entscheidungserheblichen Angaben zum Sachverhalt vollständig erklärt zu haben.
Selbst wenn man die Auffassung verträte, das Unterlassen der Angabe des weiteren Wohnsitzes sei unverschuldet, weil die Klägerin sich insoweit über die Leistungserheblichkeit geirrt habe, sind die Angaben zu den Konten unvollständig. Dass die Offenlegung aller Konten – insbesondere im Zusatzblatt zum Vermögen – von ihr verlangt war und dass dies zur Beurteilung des Leistungsanspruchs relevant war, musste die Klägerin wissen. Denn Leistungen nach dem SGB II sind – wie auch die zuvor bezogenen Leistungen nach dem BSHG – bedürftigkeitsabhängig.
Da die Klägerin die weitere Bankverbindung, die zweifellos Nachfragen des Leistungsträgers ausgelöst hätte, nicht offenbart hat, drängt sich der Verdacht auf, sie habe bewusst keine Informationen zum weiteren Wohnsitz preisgegeben, (zumindest) um Nachfragen hierzu oder Problemen bei der Leistungsbewilligung aus dem Weg zu gehen. Der Senat hat Zweifel an der Richtigkeit der Angabe der Klägerin, sie habe das Konto in A. wahrscheinlich "schlicht vergessen". Dies kann jedoch dahinstehen.
Denn jedenfalls die Unvollständigkeit und damit Fehlerhaftigkeit der Angaben zur Bankverbindung ist der Klägerin vorwerfbar. Soweit sie bei Antragstellung keine Angaben (zum weiteren Wohnsitz und) zum weiteren Girokonto gemacht hat, hat sie jedenfalls einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und damit nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss.
Die Unvollständigkeit der Angaben führte dazu, dass die Arge keinen Anlass zu Zweifeln an ihrer örtlichen Zuständigkeit iSv § 36 SGB II haben konnte. Sie hatte keinen Anhaltspunkt dafür, dass ein anderer Leistungsträger örtlich zuständig sein könnte. Die Möglichkeit, dass die Arge auf eine entsprechende Information seitens der Klägerin keinen Wert gelegt hätte, ist nach den vorstehenden Ausführungen auszuschließen.
Die Unvollständigkeit der Angaben ist erheblich, denn sie war kausal für die nachfolgende rechtwidrige Leistungsbewilligung in Unkenntnis der örtlichen Unzuständigkeit durch die Arge. Aufgrund der unvollständigen Angaben der Klägerin zum Wohnsitz und tatsächlichen Aufenthalt hat sie – ungeprüft und rechtlich fehlerhaft – einen gA in M. iSv § 36 SGB II zugrunde gelegt, obwohl die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt und gA im streitigen Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2005 in A. hatte. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid war daher rechtswidrig und die Arge gemäß § 45 Abs. 1 SGB X zur Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 6. Dezember 2004 berechtigt.
Seiner Aufhebung steht auch der Regelungsgehalt des § 42 SGB X nicht entgegen. Danach ist die Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes allein wegen formeller Fehler ausgeschlossen. Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 SGB X nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
Diese der Verfahrensökonomie dienende Vorschrift beschränkt das Recht der Verwaltung, formfehlerhafte Verwaltungsakte aufzuheben, die wegen ihrer sachlichen Richtigkeit genauso im Anschluss wieder erlassen werden müssten. Ein Zuständigkeitsmangel ist gemäß § 42 S. 1 SGB X nur dann unbeachtlich, wenn von der eigentlich zuständigen Behörde keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 20. Februar 1992, Az.: 5 C 66/88, Juris RN 26; Schütze, a.a.O., § 42 RN 7; Steinwedel in Kasseler Kommentar, SGB X, § 42 RN 10).
Die Vorschrift ist auf den vorliegenden Fall schon deshalb nicht anwendbar, weil § 36 SGB II – wie oben ausgeführt – nicht nur eine formelle Ordnungsvorschrift darstellt, sondern auch materielle Leistungsvoraussetzungen regelt. Wie bei Fehlern der sachlichen Zuständigkeit gilt daher § 42 SGB X hier nicht (vgl. Schütze, a.a.O., § 42 RN 5).
Im Übrigen hätte eine Entscheidung über den Leistungsantrag der Klägerin durch die zuständige Behörde (ARGE A. Stadt) zu einer abweichenden Leistungsbewilligung in beiden Verfügungssätzen – sowohl wegen der Regelleistung als auch wegen der KdU – geführt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Die Revision wird nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Die Rechtsnatur von § 36 SGB II ist obergerichtlich nicht geklärt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin und Berufungsklägerin wendet sich gegen einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Rechtvorgängerin des Beklagten, der Jobcenter Arbeitsgemeinschaft M. GmbH (im Weiteren: Arge).
Die am ... 1981 geborene Klägerin ist ukrainische Staatsangehörige und besitzt eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland. Sie besuchte von September 2001 bis Mitte 2004 eine Schule in A. und machte das Abitur. Nach dem Bezug von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz bis zum 31. Juli 2004 erhielt sie seit dem 1. August 2004 von der Landeshauptstadt M. laufende Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG).
Am 1. September 2004 stellte sie bei der Arge einen Antrag auf Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Im Antrag gab sie an, sie wohne in der E. Straße ... in ... M ... Als Bankverbindung gab sie ein Konto bei der Stadtsparkasse M. an. Kontoinhaber seien sie und ihre Mutter. Sie sei bei der AOK Sachsen-Anhalt pflichtversichert und beziehe derzeit Sozialhilfeleistungen. Sie wohne zusammen in einem Haushalt mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter, die dann am ... 2004 starb. Gemeinsam bewohnten sie eine 68 qm große Wohnung, für die eine Gesamtmiete von 468,34 EUR/Mt. zu zahlen sei. Ihre Mutter beziehe ebenfalls Sozialhilfeleistungen und Wohngeld. Außer einem geringen Guthaben auf dem benannten Girokonto besitze sie keine Vermögenswerte. Nach dem Mietvertrag waren die Klägerin, ihre Mutter und die Großmutter Hauptmieter der seit dem Jahr 1998 gemieteten Wohnung.
Mit Bescheid vom 6. Dezember 2004 bewilligte die Arge für den Bewilligungszeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 monatliche Leistungen iHv 559,13 EUR (Regelleistung: 331,00 EUR, KdU: 128,13 EUR; entspricht den hälftigen Mietkosten, wobei der Heizkostenabschlag iHv 67,00 EUR um 18 % gemindert wurde).
Mit Schreiben vom 14. Januar 2005 lud die Arge die Klägerin am 20. Januar 2005 zu einer Informationsveranstaltung ein. Diese teilte telefonisch am 20. Januar 2005 mit, sie befinde sich z.Zt. in A. bzw. M. und suche einen Praktikumsplatz. Sie könne nicht sagen, wann sie nach M. zurückkehre.
Am 8. Februar 2005 sprach die Klägerin bei der Arge vor. Hierüber wurde folgender Vermerk gefertigt:
"p. Vspr., stellt sich ab sofort wieder zur Verfügung. Ausführlich örtl. Zuständigkeit nach § 36 SGB II erläutert. War bisher auf Suche nach Praktikumsplatz in Bayern, da ab WS 05 Studium Bioingenieurwesen in M. geplant. Soll in A. Antrag auf Alg II stellen, da dort MdE. gewöhnlicher Aufenthalt vorrangig. Kundin nochmals auf Sanktionserwartung hingewiesen bei Ablehnung von TM´s oder Maßnahmen mit Mehraufwandsentschädigung. Urlaub vom 140205 - 060205 zugestimmt, Termin zur BewA-Überarbeitung schr. Ausgehändigt ( H ...)"
Unter dem 4. März 2005 fertigte dieselbe Sachbearbeiterin folgenden Vermerk:
"tel. Info, kann zum Termin am 070305 nicht erscheinen, da sich immer noch in A. aufhält. Bisher keine Praktikumsstelle vorhanden, weiss nicht, wann zum Hauptwohnsitz zurückkehrt. Hält sich ausschließlich in Bayern auf. Zur Leistungseinstellung an LB, Kundin wurde auf Antragstellung am gewöhnlichen Aufenthalt hingewiesen."
Mit Verfügung vom 7. März 2005 stellte die Arge zum 31. März 2005 die weitere Leistungsauszahlung an die Klägerin ein. Ein Bescheid wurde hierüber nicht erteilt.
Mit Schreiben vom 16. März 2005 hörte die Arge die Klägerin zu einer beabsichtigten Rückforderung überzahlter Leistungen iHv 1.677,39 EUR für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2005 an. Er bat um Mitteilung des Aufenthaltsorts (M. oder A.) in diesem Zeitraum und wies darauf hin, dass die Leistungen zurückgefordert würden, wenn sie keine Angaben mache. Sie habe die Überzahlung verursacht, da sie unvollständige Angaben gemacht habe.
Daraufhin sprach die Klägerin bei der Arge vor und erklärte, sie halte sich in M. auf und sei dort jederzeit erreichbar. Mit Schreiben vom 29. März 2005 legte sie "Widerspruch" gegen das Schreiben vom 16. März 2005 ein. Sie habe sich die ganze Zeit in M. aufgehalten "mit Ausnahme lediglich einiger Tagen." Sie wolle zum Wintersemester 2005 ein Studium der Biotechnologie beginnen. Dazu sei ein mindestens sechswöchiges Vorpraktikum erforderlich. Vom 17. bis zum 22. Januar 2005 habe sie sich in A. aufgehalten, um einen Praktikumsplatz zu suchen. Ihr Wunschstudienort sei M., da sie in Bayern Abitur gemacht habe. Am 8. Februar 2005 habe sie Urlaub für den Zeitraum vom 14. Februar bis zum 6. März 2005 beantragt. Da sie noch bei weiteren Firmen habe nachfragen wollen, habe sie am 7. März 2005 telefonisch mitgeteilt, dass sie den Termin nicht wahrnehmen könne. Am 9. März 2005 sei sie nach M. zurückgekehrt. Sie habe sich auch in M. um einen Praktikumsplatz beworben. Mit Widerspruchsbescheid vom 12. August 2005 wurde der Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen.
Auf Einladung der Arge sprach die Klägerin am 8. April 2005 erneut vor und gab – ausweislich des hierüber gefertigten handschriftlichen Vermerks – an, sich nur wenige Tage in A. aufgehalten zu haben. Für die Wohnung in A. habe sie einen Mietvertrag, müsse aber die Miete iHv 225,00 EUR nur zahlen, wenn sie dort wohne. Wovon sie die Miete zahle, habe sie nicht angegeben. Auf die Bitte, mit dem Mietvertrag für die A. Wohnung und den Kontoauszügen der letzten drei Monate erneut vorzusprechen, habe sie erklärt, eine Veränderungsmitteilung ausfüllen zu wollen. In dieser erklärte sie, sie ziehe am 8. April 2005 um.
In der Folge wurden Kontoauszüge und der Mietvertrag für die Wohnung in der D. Straße ... in A. vorgelegt. Die 56 qm große Zweizimmerwohnung, die eine Warmmiete von 437,00 EUR kostet, hatten die Klägerin und Herr D. K. als Hauptmieter ab dem 1. Mai 2003 angemietet.
Mit E-Mail vom 3. Mai 2005 informierte die ARGE Stadt A. die Arge, die Klägerin habe ihren Hauptwohnsitz nach A. verlegt und am 13. April 2005 SGB II-Leistungen beantragt. Sie werde Leistungen erhalten, wenn wegen des Einkommens des Lebensgefährten noch ein Leistungsanspruch verbleibe.
Am 2. Juni 2005 stellte die Klägerin erneut einen Leistungsantrag bei der Arge und gab an, bis zum 31. Mai 2005 Leistungen von der ARGE A. bezogen zu haben. Sie absolviere vom 18. Mai bis zum 17. Juli 2005 ein Praktikum in M., für das sie eine monatliche Vergütung von 250,00 EUR erhalte. Ansonsten hätten sich keine Änderungen ergeben. Sie legte den Einstellungsbescheid der ARGE A. Stadt vom 13. Mai 2005 wegen Umzugs zum Monatsende Mai 2005 vor. Die Arge bewilligte mit Bescheid vom 4. April 2007 Leistungen für Juni und Juli 2005.
Unter dem 14. Juli 2005 teilte die Klägerin mit, sie werde am 18. Juli 2005 wieder nach A. verziehen. Bei dieser Gelegenheit wurde ihr ein Rücknahmebescheid vom selben Tag ausgehändigt, mit dem die Arge die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 1. Januar 2005 vollständig zurücknahm und die Erstattung von 1.677,39 EUR gemäß § 50 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) forderte. Für die Leistungsgewährung sei diejenige Agentur für Arbeit zuständig sei, in deren Bezirk der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt (gA) habe. Sie habe ihren gA in A. gehabt, sodass sie gemäß § 36 SGB II keinen Anspruch gegen die Arge habe. Die Bewilligung sei fehlerhaft erfolgt, weil die Klägerin falsche bzw. unvollständige Angaben gemacht habe (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X). Denn sie habe nicht alle leistungserheblichen Tatsachen angegeben.
Am 9. August 2005 legte die nun anwaltlich vertretene Klägerin Widerspruch ein. Es sei im Ergebnis irrelevant, wer der zuständige Träger für die Leistungen nach dem SGB II sei. Anträge, die bei einem unzuständigen Leistungsträger gestellt worden seien, seien gemäß § 16 Abs. 2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil (SGB I) unverzüglich an den zuständigen Leistungsträger weiterzuleiten. Sie habe sich nur gelegentlich und nicht dauerhaft in A. aufgehalten. Da sie zuvor ihr Abitur in A. gemacht habe, sei es nicht ungewöhnlich, dass sie sich in Bayern um einen Praktikums- und Studienplatz beworben und auch die ehemalige WG-Wohnung nicht aufgegeben habe. Daraus lasse sich jedoch nicht folgern, dass sie dort dauerhaft wohnhaft gewesen sei. Ihr Hauptwohnsitz sei in M ...
Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2006 wies die Arge den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Leistungsbewilligung ab dem 1. Januar 2005 gemäß § 45 Abs. 1 SGB X lägen vor, denn der Bewilligungsbescheid sei rechtswidrig. Die Klägerin könne sich gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X nicht auf Vertrauen berufen, weil der Bewilligungsbescheid auf Angaben beruhe, die sie vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Denn sie habe es bereits im Leistungsantrag unterlassen anzugeben, dass sie in A. noch über ein WG-Zimmer verfüge, obwohl sie habe wissen müssen, dass sie alle Unterlagen vorlegen musste. Der weitere Wohnsitz sei erst nach mehreren Rücksprachen bekannt geworden. Ein Leistungsanspruch bestehe an dem Ort, an dem der Hilfesuchende gemäß § 30 SGB I seinen gA habe. Ein längerer Aufenthalt sei ein Indiz für einen gA. Die Klägerin habe bereits ihr Abitur in A. gemacht und verfügte dort über ein WG-Zimmer, welches sie über die Schulzeit hinaus nicht gekündigt habe. Sie habe nämlich vorgehabt, ein Studium aufzunehmen und in der Zwischenzeit ein Praktikum zu absolvieren. Bereits während ihrer Schulzeit habe sich die Klägerin nur noch besuchsweise in M. aufgehalten. Im Verwaltungsverfahren habe sie mehrfach mitgeteilt, dass sie sich gerade in Bayern aufhalte. Es sei daher von einem gA in A. auszugehen.
Am 9. Juni 2006 hat die Klägerin beim Sozialgericht M. (SG) Klage erhoben, die sie zunächst nicht begründet hat. Aufgrund der fehlerhaften Eintragung der Klage bei dem SG (Verwendung des Vornamens der Mutter) ist eine nachfolgend vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin übersandte Prozessvollmacht nicht zur Gerichtsakte gelangt. Nach dem das SG – aus seiner Sicht – mehrfach erfolglos die Übersendung der Vollmacht angemahnt hatte, hat es nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 15. März 2007 die Klage als unzulässig verworfen. Die Klage sei unzulässig, da sie von einer nicht vertretungsberechtigten Person erhoben worden sei. Trotz mehrfacher Aufforderung habe der Prozessbevollmächtigte der Klägerin keine ausreichende Vollmacht vorgelegt.
Am 21. März 2007 ist bei dem SG die Klagebegründung eingegangen. Sie habe im streitigen Zeitraum den gA in M. gehabt. Neben ihrer Wohnung in M. habe sie noch das WG-Zimmer in A. gemietet (gelassen) und sich gelegentlich "zu Besuch" dort aufgehalten. Eine Praktikumsstelle habe sie sich sowohl in M. als auch in Bayern gesucht. Die Arge hätte ihren Leistungsantrag an den zuständigen Sozialleistungsträger weiterleiten müssen. Es sei nicht mit dem Grundsatz von Treu und Glauben zu vereinbaren, wenn er zunächst Leistungen gewähre, diese aber im Nachhinein unter Hinweis auf die örtliche Unzuständigkeit zurückfordere. Denn der Hilfesuchende müsse die Leistungen zurückzahlen, habe aber keine Möglichkeit mehr, nachträglich Leistungen von dem zuständigen Träger zu erhalten. Im Übrigen wäre nach § 44 Abs. 3 SGB X für die Aufhebung und Erstattung die ARGE A. zuständig gewesen.
Gegen den ihr nach dem Empfangsbekenntnis des Prozessbevollmächtigten am 22. März 2007 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 23. April 2007, einem Montag, Berufung eingelegt. Sie hat sich auf ihre Klagebegründung bezogen und ergänzt, sie habe sich in der ersten Jahreshälfte 2005 weiter überwiegend in M. aufgehalten habe. Dort sei in der Zeit zwischen dem Abitur und dem Studium ihr Lebensmittelpunkt gewesen. Dies hätte das SG weiter aufklären müssen. Für das Gegenteil trage die Arge die Beweislast.
Auf Nachfrage der Berichterstatterin zu den Aufenthaltsorten im Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2005 und der Äußerung von Zweifeln an dem behaupteten WG-Zimmer hat sie erklärt, es handele sich um eine Zwei-Zimmer-Wohnung, sodass vom Bestehen einer Wohngemeinschaft auszugehen sei.
Weiter hat sie erläutert, nach dem Abitur im Sommer 2004 in A. habe sie sich auf einen Studienplatz in Bayern beworben und von der TU M. die Zusage erhalten. Erst bei der Immatrikulation habe sie erfahren, dass sie die Zulassungsvoraussetzungen nicht erfülle. Entgegen ihrer Planung habe sie ein sog. Parksemester einlegen müsse. Da sie "ihren Lebensmittelpunkt nach wie vor in M." gehabt habe, sei sie zurück zu ihrer Familie gezogen, auch weil sie ihrer Mutter bei der Pflege der Großmutter habe helfen wollen. Deren Tod im ... 2004 habe die alleinstehende Mutter nur schwer verarbeiten können und einen Bandscheibenvorfall erlitten, sodass sie ihr weiter zur Seite gestanden habe. Dies könnten ihre Mutter, ihr Bruder, der Onkel und die Tante und der Freund der Mutter als Zeugen bestätigen. Diese gingen im Haus der Familie "ein und aus". Die Familie treffe sich regelmäßig zu Festtagen und Familienfeiern. Bis auf die bereits genannten Abwesenheitszeiten habe sie sich im streitgegenständlichen Zeitraum in M. aufgehalten. Nach einer Praktikumsstelle habe sie sowohl in Bayern als auch im Großraum M. gesucht und diese dann in M. gefunden. Sie habe sich im April 2005 nur deshalb nach A. umgemeldet, weil die Arge weitere Leistungen verweigert habe.
Auf weitere Nachfrage der Berichterstatterin mit Schreiben vom 20. Januar 2010, woraus sich ergebe, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum KdU für die Wohnung in M. zu tragen gehabt habe, hat diese ausgeführt, selbstverständlich habe die Mutter "zunächst sämtliche Kosten der Wohnung getragen".
Auf Nachfrage hat die Landeshauptstadt M., Fachbereich Bürgerservice und Ordnungsamt, Pass- und Meldewesen, erklärt, die Klägerin sei seit ihrem Zuzug aus der Ukraine im Jahr 1998 durchgängig bis zum 13. April 2005 mit der Hauptwohnung in M. gemeldet gewesen. Seither sei ihr Hauptwohnsitz durchgängig in A ... Die Klägerin hat eine Girokontoauskunft der Stadtsparkasse A. für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2005 vorgelegt. Daraus ergeben sich Sollbuchungen zu Gunsten der Deutschen Telekom "Kundenbuch K. O. A." und ab Februar 2005 Sollbuchungen zu Gunsten der Arcor AG und Co. KG für "K. O. A.". Dazu hat sie erklärt, es handele sich um Rechnungen für den Telefonfestnetzanschluss und den Internetzugang für die Wohnung in A ... In der Zeit habe ein Anbieterwechsel stattgefunden.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts M. vom 15. März 2007 sowie den Bescheid des Beklagten vom 14. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9. Mai 2006 aufzuheben und den Betrag von 1.677,39 EUR zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er gehe weiterhin davon aus, dass der gA im Januar 2005 und den Folgemonaten in A. gewesen sei. Es sei zu vermuten, dass die Klägerin mit dem in A. lebenden Zeugen eine eheähnliche Gemeinschaft gebildet habe und nur vorübergehend abwesend gewesen sei. Ein Leistungsanspruch hätte daher aufgrund der bestehenden Bedarfsgemeinschaft allenfalls in A. bestanden. Den streitigen Betrag habe die Klägerin auf eigenen Wunsch im Zeitraum von Juli 2006 bis einschließlich Januar 2007 ratenweise zurückgezahlt.
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung zu ihren Wohn- und Lebensverhältnissen befragt. Wegen deren Angaben wird auf das Protokoll verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Sozialhilfeakte der Landeshauptsstadt M., den Verwaltungsvorgang der ARGE A. Stadt und die Sitzungsniederschrift der mündlichen Verhandlung ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erhoben worden. Sie ist auch statthaft iSv § 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG in der bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung. Danach ist die Berufung ohne Weiteres zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500,00 EUR übersteigt. Hier ist eine Erstattungsforderung iHv 1.677,39 EUR im Streit.
Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr. 1 SGG als Rechtsnachfolger der Arge (Jobcenter Arbeitsgemeinschaft M. GmbH) beteiligtenfähig. Es steht insoweit einer juristischen Person des öffentlichen Rechts gleich. Denn es handelt sich um eine gemeinsame Einrichtung (§ 44b Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 3. August 2010, BGBl. I S. 1112), die mit Wirkung vom 1. Januar 2011 kraft Gesetzes als (teil-)rechtsfähige öffentlich-rechtliche Gesellschaft sui generis entstanden ist. Diese ist gemäß § 76 Abs. 3 Satz 1 SGB II als Rechtsnachfolger an die Stelle der bis dahin beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 18. Januar 2011, Az.: B 4 AS 99/10 R, juris RN 11).
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid vom 14. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Mai 2006, mit dem die Arge den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 6. Dezember 2004 über die Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 vollständig zurückgenommen und die Erstattung der bereits ausgezahlten Leistungen für die Monate Januar bis März 2005 iHv 1.677,39 EUR verlangt hat.
Die Berufung ist unbegründet, denn das SG hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Arge in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Er findet seine Rechtsgrundlage in § 45 Abs. 1 SGB X iVm § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung (SGB III). Danach ist ein Leistungen bewilligender Verwaltungsakt, der schon im Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen ist (rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt), auch mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 SGB X vorliegen.
Der angegriffene Bescheid ist formell rechtmäßig. Die Klägerin ist mit Schreiben vom 16. März 2005 zur beabsichtigten Aufhebung des Bewilligungsbescheides angehört worden. Sie hat sich dazu bei ihrer Vorsprache am 7. April 2005 sowie mit ihrem "Widerspruch" mit Schreiben vom 29. März 2005 geäußert und Stellung genommen. Die Jahresfrist gemäß § 45 Abs. 4 S. 2 SGB X ab Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen ist ebenfalls gewahrt.
Die Arge war auch gemäß § 45 Abs. 5 iVm § 44 Abs. 3 SGB X die für die Rücknahme der ursprünglichen Bewilligung zuständige Behörde.
Bis zur Unanfechtbarkeit eines Verwaltungsaktes kann nur die erlassende Behörde denselben zurücknehmen, bzw. im Widerspruchsverfahren die Widerspruchsbehörde. Nach Eintritt der Rechtskraft gelten gemäß § 44 Abs. 3 SGB X die allgemeinen Regelungen über die örtliche und auch die sachliche Zuständigkeit. Wenn zwischenzeitlich eine andere Behörde örtlich oder sachlich für den Erlass des ursprünglichen Bescheides zuständig geworden ist, entscheidet diese auch über die Rücknahme. Ausdrücklich trifft § 44 Abs. 3 SGB X nur eine Regelung für solche Fälle, in denen sich die örtliche oder sachliche Zuständigkeit der Behörde nach Erlass des zu überprüfenden Bescheids ändert. Die Regelung bestimmt, das prinzipiell für die Korrektur unanfechtbar gewordener Verwaltungsakte zu Gunsten oder zu Lasten des Betroffenen diejenige Behörde zuständig ist, die nach dem im Zeitpunkt der Entscheidung über die Korrektur des Verwaltungsaktes maßgeblichen Recht örtlich und sachlich zuständig ist. Die Regelung schränkt den früher geltenden verwaltungsverfahrensrechtlichen Grundsatz ein, wonach die Zuständigkeit für die Beseitigung (Aufhebung, Rücknahme, Widerruf) eines Verwaltungsaktes (actus contrarius) – vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Regelung – bei der Behörde liegt, die den (aufzuhebenden) Verwaltungsakt erlassen hat. Nunmehr ist diese für die Beseitigung des Verwaltungsaktes dann nicht mehr zuständig, wenn sie entweder zu keinem Zeitpunkt zuständig war, oder ihre Zuständigkeit nach Erlass des Verwaltungsaktes entfallen ist. Damit wird verhindert, dass eine andere Behörde über die Beseitigung eines Verwaltungsaktes zu entscheiden hat als die aktuell zur Regelung des Sachverhalts zuständige (vgl. BSG, Urteil vom 9. Juni 1999, Az.: B 6 KA 70/98 R, juris RN 21; BSG, Urteil vom 16. Mai 1995, Az.: 9 RV 1/94, juris RN 13; BSG, Urteil vom 17. Juli 1985, Az.: 1 RA 35/84, juris RN 25; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15. Mai 2002, Az.: L 2 RJ 4080/98, juris RN 25). Dies gilt nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts ((BVerwG), Beschluss vom 25. August 1995, Az.: 5 B 141/95, juris RN 3) sogar – da das Gesetz insoweit keine Einschränkungen enthält – in dem Fall, dass der aufzuhebende Bescheid bereits von einer örtlich unzuständigen Behörde erlassen worden ist. Dies entspreche dem Sinn der Vorschrift, die klarstelle, dass für das Rücknahmeverfahren als einem gegenüber dem Erlassverfahren selbstständigen Verwaltungsverfahren die allgemeinen Zuständigkeitsvorschriften gelten. So solle eine möglichst optimale Erledigung der Verwaltungsaufgabe durch den ortsnächsten Leistungsträger gewährleistet werden. Eine Prolongierung der zu Unrecht angenommenen örtlichen Zuständigkeit über den Zeitpunkt des Eintritts der Unanfechtbarkeit des fehlerhaft erlassenen Verwaltungsaktes hinaus kollidiere mit § 44 Abs. 3 SGB X.
Hier war nach § 45 Abs. 5 iVm § 44 Abs. 3 SGB X die Arge für die Rücknahmeentscheidung zuständig, weil sich die Klägerin im Zeitpunkt des Erlasses des Aufhebungsbescheides am 14. Juli 2005 nach zwischenzeitlichem Aufenthalt in A. bereits wieder in M. aufhielt, dort seit 19. Mai 2005 ein zweimonatiges Praktikum absolvierte und am 2. Juni 2005 einen weiteren Leistungsantrag bei der Arge gestellt hatte. Auf diesen hin wurden – wenngleich auch erst mit Bescheid vom 4. April 2007 – auch Leistungen bewilligt.
Die Arge war gemäß § 45 Abs. 1 SGB X zur Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 6. Dezember 2004 berechtigt. Dieser Bescheid, mit dem Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2005 bewilligt worden waren, war insgesamt – bezogen auf alle Monate des Bewilligungszeitraums – rechtswidrig. Die Klägerin hatte gegen die Arge keinen Leistungsanspruch nach dem SGB II. Denn diese war für die Gewährung von Leistungen an die Klägerin nicht örtlich zuständig iSv § 36 SGB II.
Bei dieser Norm handelt es sich um eine Anspruchsvoraussetzung im engeren Sinne mit der Folge, dass ihre Verletzung zur Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung führt.
§ 36 SGB II regelt umfassend die örtliche Zuständigkeit der Leistungsträger. Für den Hilfebedürftigen ist diese Regelung verbindlich und kann nicht abbedungen werden (vgl. Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Auflage 2008, § 36 RN 1). Der Vorschrift kommt nach Auffassung des Senats über die formelle Regelung der örtlichen Zuständigkeit hinaus noch eine anspruchsvoraussetzungsregelnde Funktion zu. Sie enthält gegenüber der Grundvorschrift des § 7 Abs. 1 SGB II, die nur auf den gA in der Bundesrepublik Deutschland abstellt, eine ergänzende Bestimmung.
Es ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten, ob § 36 SGB II über die formelle Regelung der örtlichen Zuständigkeit hinaus auch eine Leistungsvoraussetzung enthält und einen Leistungsträger beispielsweise zur Leistungsablehnung wegen örtlicher Unzuständigkeit berechtigt. Während die überwiegende Meinung in den Kommentaren wohl zur Annahme einer bloßen Zuständigkeitsregel tendiert (vgl. Groth in Hohm: GK-SGB II, Losebl. Stand 03/11, § 36 RN 14; Link in Eicher/Spellbrink: SGB II, 2. Aufl. 2008, § 36 RN 3, 31 ff.; Schoch in LPK–SGB II, 3. Auflage 2009, § 36 RN 19), scheint sich – insbesondere in der neueren Rechtsprechung – die Auffassung, die jedoch zumeist nicht weiter begründet wird, durchzusetzen, dass bei örtlicher Unzuständigkeit iSv § 36 SGB II keine (endgültige) Leistungsverpflichtung des angegangenen Grundsicherungsträgers besteht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen (NW), Urteil vom 1. Dezember 2009, Az. L 6 AS 21/09, juris RN 9; LSG NW, Beschluss vom 22. Juni 2010, Az.: L 6 AS 872/10 B ER, juris RN 8; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Mai 2009, Az.: L 28 AS 653/09 B, juris RN 2 Bay. LSG, Beschluss vom 16. Dezember 2010, Az.: L 7 AS 841/10 B ER, juris RN 16; Bay. LSG, Urteil vom 17. Februar 2011, Az.: L 7 AS 49/08, juris RN 31; a.A: 2. Senat des LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 9. Juli 2009, Az.: L 2 AS 194/09 B ER, in www.sozialgerichtsbarkeit.de; Sächsisches LSG, Beschluss vom 1. November 2007, Az.: L 3 AS 60/07, juris RN 42).
Der Gesetzgeber hat sich zur Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit der Grundsicherungsträger für das Aufenthaltsprinzip – in dem hier streitigen Zeitraum ausschließlich in Form des gA nach § 30 Abs. 3 SGB I – als Anknüpfungsmerkmal entschieden und eine Alleinzuständigkeit der Träger am gA für alle Leistungen nach dem SGB II begründet, die ausnahmslos gilt. Nur ein – allerdings auch jeder – Wechsel des gA bewirkt zugleich einen Wechsel der Zuständigkeit der Leistungsträger. Dadurch ist gewährleistet, dass Träger über die Leistungen entscheiden, die mit den lokalen Verhältnissen am Arbeits- und am Wohnungsmarkt vertraut sind. Zugleich vermittelt die einmal begründete örtliche Zuständigkeit eine gewisse Beständigkeit, die Voraussetzung für ein stringentes Fallmanagement iS des Förderns und Forderns (§§ 1, 2 SGB II) ist. Denn kurzfristige Veränderungen des tatsächlichen Aufenthaltsorts führt nicht zu einem Trägerwechsel; dazu bedarf es schon der Verlagerung des Lebensmittelpunkts, idR durch einen Umzug. Sonstige abweichende Zuständigkeitsbestimmungen oder Zuständigkeitswechsel sind nicht vorgesehen.
Der Gesetzgeber hat damit hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit weder an die für die Arbeitslosenhilfe geltende Regelung in § 327 SGB III a.F., die prinzipiell an den Wohnsitz bei Eintritt der leistungsbegründenden Tatsachen anknüpfte, aber etliche Ausnahmen zuließ, noch an die für die Sozialhilfe geltende Regelung des § 97 BSHG, die im Grundsatz (für Leistungen außerhalb von Einrichtungen) vom tatsächlichen Aufenthaltsort ausging, orientiert.
Der durch die Anknüpfung an den gA vermittelte Effekt einer ortsnahen und damit bürgernahen, zugleich aber beständigen Leistungsverwaltung ist jedoch nur dann erreichbar, wenn die Regelung des § 36 SGB II nicht nur eine formelle Ordnungsvorschrift ist, sondern auch eine Leistungsvoraussetzung. Bliebe eine Antragstellung beim örtlich unzuständigen Träger ohne Konsequenz für die Leistungsgewährung, entfiele der dargestellte Vorteil der normativen Anknüpfung an den gA, denn nur der Träger vor Ort kann ohne größeren Aufwand in Kenntnis und unter Einbeziehung der lokalen Gegebenheiten sachgerecht über den geltend gemachten Leistungsanspruch entscheiden. Sowohl die Sachverhaltsaufklärung (z.B. Vorsprachen, Hausbesuche) als auch die Bestimmung der angemessenen KdU-Leistungen würden ungleich erschwert, wenn eine örtliche Unzuständigkeit folgenlos bliebe und beispielsweise ein örtlich unzuständige Träger (endgültig) über KdU aus einem fremden Zuständigkeitsbereich entscheiden müsste.
Die Interessen der Leistungsberechtigten sind hierdurch nicht in erheblichem Maße berührt, da im Konfliktfall die Berechtigung und Verpflichtung zur Erbringung von vorläufigen Leistungen nach § 43 SGB I und die nachwirkende Leistungsverpflichtung nach § 2 Abs. 3 SGB X unberührt bleiben (vgl. Seegmüller in Estelmann [Hrsg.]: SGB II, Loseblatt Stand 03/11, § 36 RN 4).
Ordnet man die Zuständigkeitsregelung des § 36 SGB II den Kategorien von Erbringungslast und Budgetlast zu, führt dies zum selben Ergebnis. Die Budgetverantwortung kann – insbesondere mangels eigenständiger Erstattungsvorschriften im SGB II – nur eingehalten werden, wenn allein der örtlich zuständige Träger verpflichtet ist, die Kosten der Leistungsgewährung aus seinem eigenen Haushalt bzw. Budget zu finanzieren (vgl. hierzu: Seegmüller, a.a.O., § 36 RN 5). Dies leuchtet für die den kommunalen Trägern obliegenden Leistungen für KdU sofort ein: Ein kommunaler Träger hat die Budgetlast für die KdU nur für die Leistungsberechtigten, die ihren gA in seinem Bereich haben. Besondere Erstattungsvorschriften gibt es nur für den Fall der vorläufigen oder der nachwirkenden Leistungserbringung (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB I iVm § 102 SGB X, § 2 Abs. 3 Satz 2 SGB X) bei örtlicher Unzuständigkeit.
Da Voraussetzung für eine rechtmäßige Leistungsgewährung auch die örtliche Zuständigkeit der Arge ist, war die Leistungsgewährung an die Klägerin rechtswidrig. Denn diese hatte im streitigen Zeitraum ihren gA nicht in deren Zuständigkeitsbereich.
§ 36 SGB II hatte in der hier maßgeblichen, bis zum 31. Juli 2006 gültigen Fassung folgenden Wortlaut:
"Für die Leistungen der Grundsicherung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 ist die Agentur für Arbeit zuständig, in deren Bezirk der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Für die Leistungen der Grundsicherung nach § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 ist der kommunale Träger zuständig, in dessen Bezirk der erwerbsfähige Hilfebedürftige seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat."
Die mit Wirkung ab dem 1. August 2006 eingefügte Regelung des Satzes 3, nach der bei Nichtfeststellbarkeit eines gA derjenige Träger zuständig ist, in dessen Bereich sich der Hilfebedürftige tatsächlich aufhält, galt für den hier streitigen Zeitraum noch nicht. Denn maßgeblich kommt es im vorliegenden Anfechtungsfall auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes im Zeitpunkt seines Erlasses an. Sowohl der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 14. Juli 2005 als auch der Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2006 wurden vor Einfügung des Satzes 3 erlassen.
Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit ist daher allein der gA der Klägerin im streitigen Zeitraum. Der Begriff des gA ist im § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I legaldefiniert. Danach hat den gA jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort nicht nur vorübergehend verweilt. Zwar betrifft diese Definition unmittelbar lediglich die Regelung des § 30 Abs. 1 SGB I über den räumlichen Geltungsbereich der Vorschriften des Sozialgesetzbuches. Indes ist auch bei der Leistungsgewährung nach dem SGB II auf § 30 Abs. 3 SGB I zurückzugreifen (einhellige Auffassung, so bereits BVerwG für das BSHG: Urteil vom 18. März 1999, Az.: 5 C 11/98, RN 14 Juris; BSG, Urteil vom 24. März 2009, Az.: B 8/9b SO 17/07 R, Juris RN 18).
Der gA ist vom tatsächlichen und nur vorübergehenden Aufenthalt abzugrenzen. Zur Beantwortung der Frage, ob sich jemand nicht nur vorübergehend an einem Ort oder in einem Gebiet aufhält, kommt es maßgeblich auf die tatsächlichen Verhältnisses sowie auf eine vorausschauende Betrachtungsweise an. Dabei sind alle für die Beurteilung der künftigen Entwicklung bei Beginn eines streitigen Zeitraumes erkennbaren (subjektiven und objektiven) Umstände zu berücksichtigen. In erster Linie sind die objektiven Umstände und das zeitliche Moment – der Aufenthalt muss zukunftsoffen sein – zu berücksichtigen. Erst in zweiter Linie kommt es auf die subjektiven Vorstellungen des Hilfebedürftigen an. Generell muss am gA der Schwerpunkt der persönlichen Lebensverhältnisse liegen. Besteht die Absicht, an einem Ort nicht nur vorübergehend zu verweilen und stehen dem dauerhaften Verweilen keine objektiv erkennbaren Hinderungsgründe entgegen, so kann bereits mit dem Zuzug, d.h. am ersten Tag des Aufenthaltes an diesem Ort ein gA begründet werden (vgl. zum Vorstehenden: Link in Eicher/Spellbrink: SGB II, 2. Auflage 2008, § 36 RN 16, 18 ff.; Groth in Gemeinschaftskommentar – SGB II, Loseblatt, Stand 03/11, § 36 RN 10 f.).
Zur Feststellung, wo der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen besteht, können letztlich eine Vielzahl von Indizien aus dem beruflichen, familiären oder gesellschaftlichen Bereich maßgeblich sein. Ausgangspunkt der Überlegungen wird – auch wenn der Wohnsitz iS des § 30 Abs. 3 S. 1 SGB I für die Frage der örtlichen Zuständigkeit nach § 36 SGB II unmittelbar bedeutungslos ist – sein, wo der erwerbsfähige Hilfebedürftige seine Wohnung unterhält. Ist die Nutzung der Wohnung zweifelhaft oder unterhält der Hilfesuchende keine oder mehrere Wohnungen, kommen für die Beantwortung der Frage nach dem gA weitere Indizien in Betracht. Aussagekräftig kann insbesondere sein, wo er seine Freunde oder Verwandte hat, zu denen er regelmäßige Kontakte unterhält, wo er gegebenenfalls eine Arbeitsstätte hat, wo der Hilfesuchende Ärzte oder sonstige Dienstleister häufig aufsucht, wo sich Kinder, für die ein Personensorgerecht besteht, aufhalten und wo sie zur Schule angemeldet sind, etc. (vgl. Groth a.a.O., RN 13).
Aufgrund der Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung ist der Senat zur Überzeugung gelangt, dass diese im streitigen Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2005 ihren gA in A. und nicht in M. hatte.
Die Klägerin hatte ihren gA ursprünglich in M. gehabt, wo sie gemeinsam mit der Mutter und der Großmutter seit dem Jahr 1998 in einer Wohnung lebte. Mit dem Umzug und der Aufnahme des Schulbesuches in A. im September 2001 war spätestens mit dem Nachzug des Freundes im Mai 2002 und der gemeinsamen Anmietung der Wohnung in der K.-straße in A. eine Verlegung des gA dorthin erfolgt. Während der Zeit des Schulbesuchs, d.h. bis zum Juli 2004, hatte die Klägerin ihren gA in A ... Am Schulort bestand ihr Lebensmittelpunkt, zumal sie dort auch den Kernbereich ihrer persönlichen Beziehungen hatte und mit ihrem Freund zusammenlebte. Die Klägerin gehörte nicht zu den Wochenendpendlern; sie war nicht regelmäßig am Wochenende nach M. gefahren. Der Umstand, dass sie sich während der Schulferien – nicht ausschließlich aber überwiegend – in M. aufhielt, steht der Annahme des gA in A. nicht entgegen.
Zur Überzeugung des Senats hat die Klägerin auch nach Abschluss ihrer Schulausbildung ihren gA nicht nach M. (zurück-)verlegt. Dies wäre unzweifelhaft der Fall gewesen, wenn sie zum damaligen Zeitpunkt ihren Wohnsitz in A. aufgegeben hätte und endgültig – mit Gepäck und Möbeln – nach M. zurückgekehrt wäre. Dies ist jedoch nicht erfolgt, sodass zunächst sowohl die Beibehaltung des gA in A. als auch dessen Verlagerung nach M. denkbar erscheinen.
Indes ist nach der Lebensplanung der Klägerin, die sie trotz mehrer unerwartet eintretender Ereignisse nicht änderte, von einer Beibehaltung des gA in A. auszugehen: Sie beabsichtigte, unmittelbar nach Beendigung der Schule bereits zum Wintersemester 2004/05, d.h. im Oktober 2004, ein Studium in Bayern aufzunehmen und ihren Wohnsitz in A. in der gemeinsamen Wohnung mit dem Freund beizubehalten. Um einen Studienplatz in M. hatte sie sich gar nicht beworben.
Soweit sie sich in der Zeit von Juli bis zum beabsichtigten Studienbeginn im Oktober 2004 in M. aufgehalten hatte, hatte dies demzufolge den Charakter eines vorübergehenden besuchsweisen Aufenthalts, der längstens wenige Monate dauern sollte. Denn es bestand die feste Absicht, wieder nach Bayern und nach A. zurückzukehren. Die bestehende Pflegebedürftigkeit ihrer Großmutter war für die Klägerin zum damaligen Zeitpunkt kein Grund, ihre Pläne zu ändern.
Auch als sie Anfang Oktober 2004 erfahren hatte, dass der zu diesem Zeitpunkt geplante Studienbeginn nicht möglich war, führte dies nicht dazu, dass sie nunmehr ihren Wohnsitz in Bayern aufgab und endgültig in die mütterliche Wohnung nach M. zog. Dieser Umstand führte nach ihrer Planung lediglich dazu, dass sie "ein Urlaubssemester" einlegen musste, sich also ihr vorübergehender Aufenthalt in M. verlängerte. Inhaltlich blieb ihre Lebensplanung dieselbe. Wiederum führten auch der nachfolgende Tod der Großmutter ( ... 2004) und die Erkrankung der Mutter nicht zu einer Änderung der Pläne, die auf die langfristige Beibehaltung des gA in A. ausgerichtet waren. Auch ihr Freund blieb in der gemeinsamen Wohnung in A ... Entsprechend entrichtete die Klägerin weiterhin Telefon- und Internetgebühren für die Wohnung in A. (wechselte sogar Anfang 2005 den Anbieter) und behielt auch ihr Girokonto bei der Stadtsparkasse A. bei.
Gegen die Beibehaltung des gA in A. spricht auch nicht die dann geplante Verweildauer in M. für einen Zeitraum von annähernd einem Jahr. Der Aufenthalt kann auch dann noch ein vorübergehender sein, wenn er von vornherein auf eine längere Zeitspanne begrenzt sein sollte (vgl. BSG, Urteil vom 30. September 1996, Az.: 10 RKg 29/95, juris RN 16 f., zu einem Internatsaufenthalt von 2 ¾ Jahren).
Dass die Klägerin in der Folge einen Praktikumsplatz in der Umgebung sowohl von A. als auch von M. suchte, ist für die Beurteilung des gA unergiebig. Ihre Wohnung in A. behielt sie weiter bei. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin ihr schriftliches Vorbringen, sie habe in A. nur ein "WG-Zimmer" weiter nutzen können, nicht aufrecht erhalten und zum weiteren Wohnsitz eingeräumt, dass es sich um die gemeinsam mit ihrem Freund bewohnte Wohnung handelte.
Angesichts dieser Sachlage kommt es bei der Beurteilung des gA weder darauf an, ob die Klägerin mit ihrem Freund in A. als Partner in einer eheähnlichen Gemeinschaft iSv § 7 Abs. 3 Nr. 3 Buchst. b) SGB II a.F. zusammengelebt hatten, oder ob sie sich – gemeinsam mit ihrem Freund, dessen Familie ebenfalls in M. lebt – zu den Familienfesten und Feiertagen, wann genau und wie lange in M. aufgehalten hatte. Unstreitig war sie auch länger (zumindest vom 17. bis 22. Januar und vom 14. Februar bis 9. März 2005) in A ... Eine Vernehmung der Zeugen konnte daher unterbleiben.
Auch die weiteren Voraussetzungen von § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 und Abs. 3 SGB X iVm § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II und § 330 Abs. 2 SGB III für eine Rücknahme des Bewilligungsbescheides lagen vor.
Die Klägerin hat kein schutzwürdiges Vertrauen iSv § 45 Abs. 2 S. 1 SGB X auf den Bestand des ursprünglichen Bewilligungsbescheides. Denn die Voraussetzungen des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X liegen vor. Danach kann sich ein Begünstigter auf Vertrauen nicht berufen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die er vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Bei fehlendem Vertrauensschutz nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X handelt es sich gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 1 SGB II iVm § 330 Abs. 2 SGB III um eine gebundene Entscheidung, d.h. die Behörde ist zur Aufhebung des Bewilligungsbescheides verpflichtet und darf keine Ermessenserwägungen anstellen.
Hier ist der Tatbestand des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X erfüllt. Der Senat ist davon überzeugt, dass der Bewilligungsbescheid auf Angaben beruhte, die die Klägerin zumindest grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unvollständig gemacht hatte, sodass sie sich auf Vertrauen nicht berufen kann.
Nach der Zielsetzung der Regelung soll sich nicht auf Vertrauensschutz berufen können, wer selbst schuldhaft eine wesentliche Ursache für die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes gesetzt hat. Passives Verschweigen von entscheidungsrelevanten Umständen kann im Sinne eines beredten Schweigens zu unrichtigen Angaben führen (vgl. Schütze in: von Wulffen, SGB X, 7. Auflage 2010, § 45 RN 49). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn nach § 60 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) eine gesetzliche Mitteilungspflicht zu den verschwiegenen Umständen bestanden hat, die nicht erfüllt wurde (vgl. BSG, Urteil vom 9. April 1987, Az.: 5b RJ 36/86, juris RN 14). Erheblich ist eine fehlerhafte oder unterlassene Angabe dann, wenn sie kausal für die Rechtswidrigkeit geworden ist. Hieran fehlt es, wenn der Verwaltungsakt auf der Grundlage zutreffender und vollständiger Angaben genauso erlassen worden wäre.
Danach ist im vorliegenden Fall zumindest von grob fahrlässig unvollständigen Angaben auszugehen. Denn die Klägerin hatte bei Antragstellung keine Angaben zur Existenz eines weiteren Wohnsitzes gemacht. Als einzige Adresse hatte sie die Wohnung ihrer Mutter in der E. Straße ... in M. genannt. Zur telefonischen Erreichbarkeit hatte sie nur die M. er Festnetztelefonnummer erklärt und als Bankverbindung, auf die die bewilligten Leistungen überwiesen werden sollten, das bei der Stadtsparkasse M. geführte Girokonto, dessen Inhaber sie und ihre Mutter waren.
Indes verfügte die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum vom 1. Januar 2005 bis zum 31. März 2005 über den weiteren Wohnsitz in A. und über ein weiteres Girokonto bei der Stadtsparkasse A ... Beide hatte sie im Leistungsantrag nicht angegeben. Auch bei den im Zusatzblatt 3 geforderten Angaben zur Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens war nur das M. er Girokonto und nicht das Konto in A. vermerkt.
Zwar trifft es zu, dass im Antragsformular weitere Wohnsitze der Antragsteller nicht (ausdrücklich) abgefragt werden. Gleichwohl ist – soweit im Einzelfall mehrere Wohnsitze vorhanden sind – zu erwarten, dass diese bei Antragstellung entweder ungefragt offenbart werden oder zumindest eine Nachfrage erfolgt, ob die Existenz mehrerer Wohnsitze rechtliche Relevanz besitzt und daher anzugeben ist. Beides hat die Klägerin nicht gemacht. Durch die unvollständigen Angaben zum Wohnsitz hat sie den Eindruck erweckt, die entscheidungserheblichen Angaben zum Sachverhalt vollständig erklärt zu haben.
Selbst wenn man die Auffassung verträte, das Unterlassen der Angabe des weiteren Wohnsitzes sei unverschuldet, weil die Klägerin sich insoweit über die Leistungserheblichkeit geirrt habe, sind die Angaben zu den Konten unvollständig. Dass die Offenlegung aller Konten – insbesondere im Zusatzblatt zum Vermögen – von ihr verlangt war und dass dies zur Beurteilung des Leistungsanspruchs relevant war, musste die Klägerin wissen. Denn Leistungen nach dem SGB II sind – wie auch die zuvor bezogenen Leistungen nach dem BSHG – bedürftigkeitsabhängig.
Da die Klägerin die weitere Bankverbindung, die zweifellos Nachfragen des Leistungsträgers ausgelöst hätte, nicht offenbart hat, drängt sich der Verdacht auf, sie habe bewusst keine Informationen zum weiteren Wohnsitz preisgegeben, (zumindest) um Nachfragen hierzu oder Problemen bei der Leistungsbewilligung aus dem Weg zu gehen. Der Senat hat Zweifel an der Richtigkeit der Angabe der Klägerin, sie habe das Konto in A. wahrscheinlich "schlicht vergessen". Dies kann jedoch dahinstehen.
Denn jedenfalls die Unvollständigkeit und damit Fehlerhaftigkeit der Angaben zur Bankverbindung ist der Klägerin vorwerfbar. Soweit sie bei Antragstellung keine Angaben (zum weiteren Wohnsitz und) zum weiteren Girokonto gemacht hat, hat sie jedenfalls einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und damit nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchten muss.
Die Unvollständigkeit der Angaben führte dazu, dass die Arge keinen Anlass zu Zweifeln an ihrer örtlichen Zuständigkeit iSv § 36 SGB II haben konnte. Sie hatte keinen Anhaltspunkt dafür, dass ein anderer Leistungsträger örtlich zuständig sein könnte. Die Möglichkeit, dass die Arge auf eine entsprechende Information seitens der Klägerin keinen Wert gelegt hätte, ist nach den vorstehenden Ausführungen auszuschließen.
Die Unvollständigkeit der Angaben ist erheblich, denn sie war kausal für die nachfolgende rechtwidrige Leistungsbewilligung in Unkenntnis der örtlichen Unzuständigkeit durch die Arge. Aufgrund der unvollständigen Angaben der Klägerin zum Wohnsitz und tatsächlichen Aufenthalt hat sie – ungeprüft und rechtlich fehlerhaft – einen gA in M. iSv § 36 SGB II zugrunde gelegt, obwohl die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt und gA im streitigen Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. März 2005 in A. hatte. Der ursprüngliche Bewilligungsbescheid war daher rechtswidrig und die Arge gemäß § 45 Abs. 1 SGB X zur Rücknahme des Bewilligungsbescheides vom 6. Dezember 2004 berechtigt.
Seiner Aufhebung steht auch der Regelungsgehalt des § 42 SGB X nicht entgegen. Danach ist die Aufhebung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes allein wegen formeller Fehler ausgeschlossen. Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 40 SGB X nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
Diese der Verfahrensökonomie dienende Vorschrift beschränkt das Recht der Verwaltung, formfehlerhafte Verwaltungsakte aufzuheben, die wegen ihrer sachlichen Richtigkeit genauso im Anschluss wieder erlassen werden müssten. Ein Zuständigkeitsmangel ist gemäß § 42 S. 1 SGB X nur dann unbeachtlich, wenn von der eigentlich zuständigen Behörde keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 20. Februar 1992, Az.: 5 C 66/88, Juris RN 26; Schütze, a.a.O., § 42 RN 7; Steinwedel in Kasseler Kommentar, SGB X, § 42 RN 10).
Die Vorschrift ist auf den vorliegenden Fall schon deshalb nicht anwendbar, weil § 36 SGB II – wie oben ausgeführt – nicht nur eine formelle Ordnungsvorschrift darstellt, sondern auch materielle Leistungsvoraussetzungen regelt. Wie bei Fehlern der sachlichen Zuständigkeit gilt daher § 42 SGB X hier nicht (vgl. Schütze, a.a.O., § 42 RN 5).
Im Übrigen hätte eine Entscheidung über den Leistungsantrag der Klägerin durch die zuständige Behörde (ARGE A. Stadt) zu einer abweichenden Leistungsbewilligung in beiden Verfügungssätzen – sowohl wegen der Regelleistung als auch wegen der KdU – geführt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG
Die Revision wird nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da die Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Die Rechtsnatur von § 36 SGB II ist obergerichtlich nicht geklärt.
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