L 5 B 218/07 AS

Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
LSG Sachsen-Anhalt
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dessau-Roßlau (SAN)
Aktenzeichen
S 12 AS 1420/06
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
L 5 B 218/07 AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführer wenden sich gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe (PKH) für zwei von ihnen geführte, inzwischen unstreitig beendete Klageverfahren beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG).

Die Kläger, eine Mutter mit ihren in den Jahren 1988 und 1993 geborenen Söhnen, den Beschwerdeführern, hatten bei dem Beklagten Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) beantragt. Mit an die Klägerin zu 1. adressiertem Bescheid bewilligte der Beklagte unter dem 30. November 2004 der Klägerin zu 1. und den mit ihr "in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen" – im weiteren waren die Namen der Kläger zu 2. und 3. aufgeführt – für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 30. April 2005 SGB II-Leistungen iHv 401,54 EUR monatlich. Aus dem beigefügten Berechnungsbogen war ersichtlich, dass die Kläger zu 2. und 3. ihren Bedarf iHv 395,52 EUR (Kläger zu 2.) bzw. 329,52 EUR (Kläger zu 3.) aus ihrem Einkommen aus Kindergeld- und Unterhaltsleistungen iHv 461,00 EUR (Kläger zu 2.) bzw. 403,00 EUR (Kläger zu 3.) selbst sicherstellen konnten. Der ihren Bedarf übersteigende Betrag iHv insgesamt 138,96 EUR wurde auf den Bedarf der Klägerin zu 1. iHv 540,50 EUR angerechnet. Der von der Klägerin zu 1. eingelegte Widerspruch, mit dem sie sich gegen die Anrechnung des Kindergelds als Einkommen wandte, blieb erfolglos. Mit Widerspruchsbescheid vom 31. Mai 2006 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.

Dagegen hatten die Kläger am 15. Juni 2006 bei dem SG Klage erhoben (Az.: S 12 AS 718/06) und die Bewilligung von PKH beantragt. Ausweislich der schriftsätzlich angekündigten Anträge begehrten sie die Aufhebung des Bewilligungsbescheides in Gestalt des Widerspruchsbescheides und die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von monatlichen Leistungen iHv 540,50 EUR. Zur Begründung hatten sie u.a. ausgeführt, die Kläger zu 2. und 3. seien durch die angegriffenen Bescheide beschwert, weil sie als Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Mutter, der Klägerin zu 1., behandelt würden. Ihnen werde dadurch eine faktische Unterhaltspflicht für ihre Mutter auferlegt, für die es im SGB II keine Grundlage gebe.

Mit Bescheid vom 30. Juni 2005 bewilligte der Beklagte für den Zeitraum vom 1. Mai bis zum 31. Oktober 2005 monatliche Leistungen iHv 406,88 EUR. Der Bescheid war wiederum an die Klägerin zu 1. adressiert und führte die Kläger zu 2. und 3. als Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auf. Aus dem Berechnungsbogen ergab sich wieder eine Anrechnung des den Bedarf übersteigenden Einkommens der Kläger zu 2. und 3. auf den Bedarf der Klägerin zu 1. Diesen Bescheid änderte der Beklagte – nachdem der Kläger zu 2. ab September 2005 ein Erwerbseinkommen erzielte – mit Bescheid vom 17. Oktober 2005 für die Monate September und Oktober 2005 und bewilligte Leistungen iHv 301,60 EUR/Mt. Der eingelegte Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 20. September 2006 zurückgewiesen.

Dagegen hatten die Kläger am 16. Oktober 2006 beim SG Klage erhoben (Az.: S 12 AS 1420/06) und die Bewilligung von PKH beantragt. Ausweislich der angekündigten Anträge begehrten sie die Aufhebung der Bewilligungsbescheide und die Verurteilung des Beklagten zu einer Leistungsgewährung an die Klägerin zu 1. iHv 542,29 EUR monat-lich. Auch insoweit machten sie geltend, es bestehe keine Bedarfsgemeinschaft der Kläger zu 2. und 3. mit der Klägerin zu 1.

Mit Beschlüssen vom 1. Juni 2007 gewährte das SG in beiden Klageverfahren der Klägerin zu 1. PKH ohne Ratenzahlung und ordnete ihren Prozessbevollmächtigten zur Wahrnehmung ihrer Interessen bei.

In der mündlichen Verhandlung am 5. Juni 2007 schlossen die Beteiligten im Verfahren S 12 AS 718/06 einen Vergleich ab. Am selben Tag wurde das Verfahren S 12 AS 1420/06 erörtert und am 14. Juni 2007 von den Klägern in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Mit am 27. Juni 2007 beim SG eingegangenen Schreiben beantragten die Kläger, das Rubrum der PKH-Beschlüsse vom 1. Juni 2006 zu ändern. PKH sei lediglich der Klägerin zu 1. bewilligt worden, obwohl alle drei Kläger PKH beantragt hätten. Vorsorglich werde für die Kläger zu 2. und 3. Beschwerde eingelegt.

Mit Beschlüssen vom 5. und 6. Juli 2007 hat das SG die Beschlüsse vom 1. Juni 2007 geändert. Es hat der Klägerin zu 1. PKH gewährt und die PKH-Anträge der Kläger zu 2. und 3. abgelehnt. Erfolgsaussichten hätten nur für die Klägerin zu 1. bestanden. Die Kläger zu 2. bis 3. seien nicht aktiv legitimiert, da sie keine Bedarfsgemeinschaft mit der Klägerin zu 1. gebildet hätten. Da sie ihren Lebensunterhalt aus ihrem Einkommen selbst hätten sicherstellen können, hätten sie keine Leistungen von dem Beklagten erhalten. Zur Wahrnehmung der Interessen der Klägerin zu 1. hätte es nur ihrer Klageerhebung bedurft.

Dagegen haben die Kläger zu 2. und 3. in beiden Verfahren am 1. August 2007 Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt, sie seien durch die belastenden Verwaltungsakte des Beklagten betroffen, weil das ihnen zustehende Kindergeld auf den Leistungsanspruch der Klägerin zu 1. angerechnet worden sei. Sie hätten daher ein eigenes rechtliches Interesse, gegen die Bescheide vorzugehen.

Das SG hat den Beschwerden nicht abgeholfen und sie dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.

Die Kläger zu 2. und 3. beantragen sinngemäß,

die Beschlüsse des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 5. und 6. Juni 2007 aufzuheben und ihnen für die Verfahren des ersten Rechtszugs Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt S. aus L ... W ... zu gewähren.

Der Beklagte hat sich in dem Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und die Prozesskostenhilfebeihefte ergänzend Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats waren.

II.

Die Beschwerden sind form- und fristgerecht iSv § 173 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden. Sie sind insbesondere statthaft nach § 73a Abs. 1 SGG iVm § 127 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) in der hier maßgeblichen, bis zum 31. März 2008 geltenden Fassung. Danach war die Beschwerde gegen die Ablehnung von PKH grundsätzlich zulässig, soweit nicht der maßgebliche Beschwerdewert von 500,00 EUR unterschritten wurde.

Der Senat hält seine in den Schreiben vom 27. Oktober 2010 geäußerten Bedenken zum Erreichen des Beschwerdewerts nicht aufrecht. Da die Kläger zu 2. und 3. selbst vortragen, keine eigenen Leistungsansprüche gegen den Beklagten zu haben, und sie in beiden Verfahren keinen eigenständigen Leistungsantrag gestellt hatten, konnte es ihnen in den Klageverfahren nur um die Aufhebung der angegriffenen Bewilligungsbescheide im Wege der Anfechtungsklage gehen. Da sich insoweit die Klagen jedoch nicht auf eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt richteten, kommt es auf das Erreichen des Beschwerdewerts nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG nicht an. Eine Berufung wäre uneingeschränkt zulässig gewesen; dasselbe gilt für die PKH-Beschwerde.

Die Beschwerden sind jedoch unbegründet. Die Kläger zu 2. und 3. haben keinen Anspruch auf PKH für die Klageverfahren gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm §§ 114 f. Zivilprozessordnung (ZPO). Danach erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Bei der Prüfung der hinreichenden Aussicht auf Erfolg im Rahmen der PKH erfolgt lediglich eine vorläufige Prüfung vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlichen Rahmens der Artikel 3 Abs. 1, 20 Abs. 3 und 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG). Hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer: SGG, 9. Aufl. 2008, § 73a RN 7 f. m.w.N.). Aus Gründen der Waffengleichheit zwischen den Beteiligten sind keine überspannten Anforderungen zu stellen (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 7. April 2000, Az.: 1 BvR 81/00, NJW 2000 S. 1936). Die Gewährung von PKH kommt jedoch nicht in Betracht, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 17. Februar 1989, Az.: B 13 RJ 83/97 R, SozR 1500 § 72 Nr. 19).

Die Klagen der Kläger zu 2. und 3. hatten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im vorgenannten Sinne. Die von ihnen begehrte Aufhebung der angegriffenen Bewilligungsbescheide im Wege der Anfechtungsklage war unbegründet.

Mit der Anfechtungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts erreicht werden. Sie ist begründet, wenn der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt. Hauptanwendungsfall von Anfechtungsklagen ist die Eingriffsverwaltung, in der mittels Hoheitsakt in Rechte oder in den Rechtskreis des Bürgers eingegriffen wird. In sozialgerichtlichen Verfahren, in denen es zumeist – wie auch hier – um Akte der Leistungsverwaltung geht, sind reine Anfechtungsklagen selten. Üblicherweise will ein Kläger meist mehr als nur die Beseitigung einer Verwaltungsentscheidung im gerichtlichen Verfahren erreichen.

Vorliegend kann dahinstehen, ob die von den Klägern zu 2. und 3. angegriffenen Bewilligungsbescheide, die Verwaltungsakte darstellen, im Hinblick auf den sie betreffenden Inhalt möglicherweise objektiv (teilweise) nicht der Rechtslage entsprachen. Zweifel bestehen insoweit, als die angegriffenen Bescheide jeweils keine eigenständige, gestaltende Regelung für die Kläger zu 2. und 3. beinhalten, die über die – von den Klägern zu 2. und 3. ausdrücklich nicht angegriffene – konkludente Ablehnung ihrer Leistungsanträge hinausgeht.

Denn jedenfalls verletzen die Bescheide die Kläger zu 2. und 3. nicht in ihren Rechten. Ein rechtwidriger Eingriff in ihre Rechtssphäre ist nach Lage des Falles nicht ersichtlich. Die angegriffenen Bewilligungsbescheide berühren ihre Rechte nicht.

Soweit in den Begründungen der angegriffenen Bescheide ausgeführt wird, die Kläger zu 2. und 3. bildeten gemeinsam mit der Klägerin zu 1. eine Bedarfsgemeinschaft, entspricht dies (objektiv) nicht der gesetzlichen Regelung in § 9 Abs. 2 SGB II, nach der minderjährige unverheiratete Kinder, die ihren Bedarf aus eigenem Einkommen und/oder Vermögen decken können, aus der Bedarfsgemeinschaft mit ihren Eltern ausscheiden. Indes erwächst aus dieser rechtlich fehlerhaften Begründung des Bescheids keine eigenständige Beschwer für die Kläger zu 2. und 3., weil sie rechtlich ohne Auswirkungen auf sie ist. Die Einkommensanrechnung des Kindergelds beim Kindergeldberechtigten erfolgt gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II unabhängig vom Bestehen einer Bedarfsgemeinschaft.

Denn grundsätzlich wirken sich bei gebundenen Verwaltungsakten bloße Begründungsmängel nicht auf die Rechtmäßigkeit der Regelung (Verfügungssatz) aus und rechtfertigen nicht die Aufhebung des Bescheids (vgl. BSG, Urteil vom 29. Juni 2000, Az.: B 11 AL 85/99 R, juris RN 20; unter Bezugnahme auf Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 19. August 1988, Az.: 8 C 29/87, juris RN 12f.).

Im vorliegenden Fall gibt es – abgesehen von der rechtmäßigen Ablehnung des jeweiligen Leistungsantrags – keine von den Bescheiden ausgehende Verletzung subjektiver Rechte der Kläger zu 2. und 3, die eine eigenständige Belastung darstellen könnte. Ihnen werden weder Verbindlichkeiten auferlegt noch Rechte entzogen. Es gibt daher keinen rechtlichen Grund für die von ihnen im Wege der Anfechtungsklage verfolgte Kassation der Bescheide. Da ihnen die Durchführung der Klageverfahren weder einen rechtlichen noch einen wirtschaftlichen Vorteil bringen konnte, bestanden keine hinreichenden Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung durch die Kläger zu 2. und 3. Die Ablehnung von PKH ist nicht zu beanstanden und die Beschwerden waren daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidungen beruhen auf § 127 Abs. 4 ZPO.

Der Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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