Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 33 (17) AS 201/08
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 24/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 14 AS 166/11 B
Datum
Kategorie
Urteil
Bemerkung
NZB als unzulässig verworfen
Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 24.07.2009 wird zurückgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht die Rückforderung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Streit.
Die 1946 geborene Klägerin steht bei dem Beklagten im Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Da sie in den Antragsformularen angab, mit ihrem Lebensgefährten, der eine Altersrente beziehe, zusammen zu leben, gewährte der Beklagte ihr ab Leistungsbeginn am 01.01.2005 hälftige Kosten der Unterkunft und Heizung.
Am 20.03.2007 erfuhr der Beklagte durch eine persönliche Vorsprache des Lebenspartners der Klägerin, dass auch dessen 1989 geborener Enkel seit 1994 in ihrem gemeinsamen Haushalt lebe. Mit Änderungsbescheid vom 29.03.2007 reduzierte der Beklagte die der Klägerin für Dezember 2006 bis Mai 2007 bewilligten Leistungen und berücksichtigte Kosten der Unterkunft auf ein Drittel. Ergänzend hörte er die Klägerin zur geplanten Rückforderung überzahlter Leistungen an. Diese teilte mit, dass sie sich bei Antragstellung ihrer Pflicht, den Enkel als Haushaltsangehörigen anzugeben, nicht bewusst gewesen sei.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 18.09.2007 hob der Beklagte seine Leistungsbescheide vom 16.12.2004, 02.06.2005, 08.12.2005, 11.05.2006 und 06.11.2006 auf und forderte 2.606,66 Euro überzahlte Leistungen für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.04.2007 zurück. Die Klägerin habe grob fahrlässig unterlassen, den weiteren Haushaltsangehörigen zu benennen.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 04.10.2007 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2008 zurück.
Die Klägerin hat am 26.06.2008 Klage beim Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben. Der Enkel des Lebensgefährten sei nicht ihr Angehöriger, die Tatsache, dass er im Haushalt lebe, für die Leistungsgewährung ohne Belang. Sie habe immer hälftige Miet- und Nebenkosten getragen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24.07.2009 abgewiesen. Im streitigen Zeitraum habe lediglich ein Anspruch der Klägerin auf ein Drittel der Unterkunftskosten bestanden, da die Aufteilung der Kosten bei Nutzung einer Unterkunft durch mehrere Personen nach der Kopfzahl erfolge. Auf die Vereinbarung der Klägerin mit ihrem Lebensgefährten komme es nicht an, da sich derartige Vereinbarungen nicht zu Lasten der Steuerzahler auswirken könnten. Die Überzahlung des Beklagten beruhe auf grober Fahrlässigkeit der Klägerin, so dass die Voraussetzungen des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Rückforderung vorlägen. Die Antragsformulare ließen klar erkennen, dass jede weitere Person im Haushalt anzugeben sei.
Gegen das ihr am 13.08.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17.08.2009 Berufung eingelegt. Ihre Leistungsanträge seien auch als Leistungsanträge für den Enkel des Lebensgefährten nach § 38 SGB II auszulegen gewesen. Berechne man Leistungen für die gesamte Bedarfsgemeinschaft einschließlich des Enkelsohnes, müsse nicht sie sondern der Beklagte im streitigen Zeitraum nachzahlen. Im Übrigen sei der Erstattungsbescheid unbestimmt und damit rechtswidrig. Setze sich eine Rückforderung aus mehreren Einzelpositionen zusammen, müssten diese bekanntgegeben werden, damit der Empfänger den zurückgeforderten Betrag nachvollziehen könne. Den Berechnungsbogen des Beklagten habe sie jedoch nicht mit dem Bescheid zusammen erhalten. Dieser liege ihr vielmehr allein aufgrund einer Akteneinsicht vor.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 24.07.2009 zu ändern und den Bescheid vom 29.03.2007 soweit er sich auf die Zeit von Dezember 2006 bis April 2007 beziehe sowie den Bescheid vom 18.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Im Übrigen gehe er davon aus, dass seine Sachbearbeiterin dem Bescheid vom 18.09.2007 wie in aller Regel den Berechnungsbogen beigefügt habe.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen; dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beteiligtenfähig. Nach § 76 Abs. 3 S. 1 SGB II ist die gemeinsame Einrichtung als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisher beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten. Der kraft Gesetzes eintretende Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II stellt keine unzulässige Klageänderung dar. Das Passivrubrum war entsprechend von Amts wegen zu berichtigen (vgl. BSG Urteil vom 18.01.2011 - B 4 AS 99/10 R Rn 11).
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 18.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Der Beklagte hat die Leistungsbewilligung für den streitigen Zeitraum Januar 2005 bis April 2007 zu Recht teilweise zurückgenommen und die Erstattung der in dieser Zeit zu viel erbrachten Leistungen verlangt.
Die Berechtigung zur Rücknahme der Leistungsbewilligung folgt aus § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 geltenden alten Fassung (a.F.) i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn er auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
Die Bewilligung hälftiger Kosten der Unterkunft anstelle lediglich eines Drittels ist im streitigen Zeitraum aufgrund grob fahrlässig unvollständiger Angaben der Klägerin rechtswidrig erfolgt.
Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II a.F. werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Teilen sich mehrere Personen eine Wohnung, so sind die tatsächlichen Unterkunftskosten des Einzelnen im Regelfall zu ermitteln, indem die tatsächlichen Wohnkosten nach Kopfzahlen aufgeteilt werden (BSG Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R Rn 24 - SGb 2010, 226). Da die Klägerin gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und dessen Enkel in einer Wohnung lebte, stand ihr ein Drittel der Unterkunftskosten zu. Gründe, die einen Ausnahmefall mit anderer Aufteilung rechtfertigen könnten (vgl zB BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R Rn 19: zeitweilige alleinige Nutzung der Wohnung) sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist die individuelle Aufteilung der Wohnkosten zwischen den Wohnungsnutzern - hier die Absprache hälftiger Kostentragung - unbeachtlich. Eine solche Absprache kann lediglich im Innenverhältnis der Wohnungsnutzenden, nicht aber gegenüber dem Leistungsträger Wirkung entfalten, weil hier ansonsten eine unzulässige Ausdehnung von Kosten auf die Allgemeinheit stattfände. Eine interne Regelung kann dann keine Außenwirkung haben, wenn sie sich zu Lasten der Steuerzahler auswirkt, die die steuerfinanzierten Leistungen des SGB II erwirtschaften müssen.
Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, ihr müssten die Unterkunftskosten des Enkels des Lebensgefährten zugutekommen, ist dies unzutreffend. Unabhängig davon, dass ein etwaiger Anspruch des Enkels nach Aktenlage (eigener Antrag gestellt, wohl zurückgenommen, wohl Bezug von BAföG-Leistungen) höchst fraglich ist, stünde dieser allein dem Enkel selbst, keinesfalls aber der Klägerin zu. Zu keinem Zeitpunkt im Laufe des Verwaltungs- und erstinstanzlichen Klageverfahrens hat die Klägerin erkennen lassen, dass sie einen etwaigen Leistungsanspruch des Enkels in dessen Namen geltend machen wolle. Einer solchen - erstmalig im Berufungsverfahren vorgetragenen - Annahme widerspricht bereits, dass die Klägerin den Enkel zu keinem Zeitpunkt überhaupt in den Antragsformularen erwähnt hat. Die (nunmehrige) Berufung der Klägerin auf die Vermutungsregel des § 38 SGB II scheitert im Übrigen daran, dass diese Vorschrift lediglich für Handlungen im Verwaltungs- nicht aber im Gerichtsverfahren Geltung entfaltet (BSG Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 54/08 R Rn 22 - BSGE 104, 48).
Zur Überzeugung des Senats hat die Klägerin es auch mindestens grob fahrlässig im Sinn von § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X unterlassen, Angaben zur Mitnutzung der Wohnung durch den Enkel des Lebensgefährten zu machen. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat. In einem solchen Maße hat die erforderliche Sorgfalt verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchtet, wobei das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen ist (BSG Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R Rn 23 m.w.N. - SozR 3-1300 § 45 Nr. 45). Diesbezüglich hat der Senat keinen Zweifel, dass es sich der Klägerin hätte aufdrängen müssen, den Beklagten über alle Nutzer der Wohnung und damit auch den Enkel des Lebensgefährten zu informieren. Die von der Klägerin mehrfach ausgefüllten Antragsformulare ließen an vielen Stellen leicht erkennen, dass alle im Haushalt lebenden Personen und damit nicht nur Angehörige des Lebenspartners anzugeben seien.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der angefochtene Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 18.09.2007 auch hinreichend bestimmt. Aus dem Verfügungssatz des an die Klägerin als Adressatin gerichteten Bescheides vom 18.09.2007 geht klar hervor, welche Bewilligungsbescheide für welchen Zeitraum aufgehoben werden und welcher konkrete Betrag zu erstatten ist. Die Klägerin konnte somit unmittelbar erkennen, welches Verhalten der Beklagte von ihr forderte. Dies genügt den Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes iSv § 33 SGB X, für die erforderlich ist, dass der Verwaltungsakt vollständig, klar und unzweideutig erkennen lässt, was die Behörde regelt (BSG Urteil vom 30.08.2001 - B 4 RA 114/00 Rn 25 - SozR 3-2600 § 149 Nr. 6). Dem Bestimmtheitserfordernis ist Genüge getan, wenn der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts - wie hier - in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers (ggf unter Rückgriff auf die Begründung des Verwaltungsakts, die ihm beigefügten Unterlagen, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen, vgl. LSG NRW Urteil vom 25.01.2011 - L 6 AS 37/10 m.w.N., insb. BSG Urteil vom 06.02.2007 - B 8 KN 3/06 R Rn 38 - Breith 2008, 240; auch BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R Rn 16) in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten (BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R Rn 16 - SozR 4-4200 § 31 Nr. 3).
Dass der Berechnungsbogen des Beklagten dem Bescheid vom 18.09.2007 nicht nachweislich beigefügt war, ist ohne Relevanz. Allein der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts obliegt dem Erfordernis hinreichender Bestimmtheit, nicht hingegen dessen Gründe (BSG Urteil vom 06.02.2007 - B 8 KN 3/06 R Rn 38 - Breith 2008, 240). Entsprechend ist die Berechnung des Gesamtbetrages der Rückforderung nicht eine Frage der inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit des Verwaltungsaktes im Sinne von § 33 SGB X, sondern der hinreichenden Begründung im Sinne von § 35 SGB X (LSG NRW Urteil vom 25.01.2011 - L 6 AS 37/10). Diese Begründung kann gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Hier hat die Klägerin spätestens mit Akteneinsicht Kenntnis von der Berechnung des Erstattungsbetrages erlangt.
Hat der Beklagte zu Recht die Leistungsbewilligung nach § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II a.F. i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X aufgehoben, ist die Klägerin nach § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X zur Erstattung der zu viel erbrachten Leistungen verpflichtet. Zweifel an der Höhe der Rückforderungssumme sind weder von der Klägerin geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage als gegeben angesehen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten steht die Rückforderung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Streit.
Die 1946 geborene Klägerin steht bei dem Beklagten im Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II. Da sie in den Antragsformularen angab, mit ihrem Lebensgefährten, der eine Altersrente beziehe, zusammen zu leben, gewährte der Beklagte ihr ab Leistungsbeginn am 01.01.2005 hälftige Kosten der Unterkunft und Heizung.
Am 20.03.2007 erfuhr der Beklagte durch eine persönliche Vorsprache des Lebenspartners der Klägerin, dass auch dessen 1989 geborener Enkel seit 1994 in ihrem gemeinsamen Haushalt lebe. Mit Änderungsbescheid vom 29.03.2007 reduzierte der Beklagte die der Klägerin für Dezember 2006 bis Mai 2007 bewilligten Leistungen und berücksichtigte Kosten der Unterkunft auf ein Drittel. Ergänzend hörte er die Klägerin zur geplanten Rückforderung überzahlter Leistungen an. Diese teilte mit, dass sie sich bei Antragstellung ihrer Pflicht, den Enkel als Haushaltsangehörigen anzugeben, nicht bewusst gewesen sei.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 18.09.2007 hob der Beklagte seine Leistungsbescheide vom 16.12.2004, 02.06.2005, 08.12.2005, 11.05.2006 und 06.11.2006 auf und forderte 2.606,66 Euro überzahlte Leistungen für den Zeitraum vom 01.01.2005 bis 30.04.2007 zurück. Die Klägerin habe grob fahrlässig unterlassen, den weiteren Haushaltsangehörigen zu benennen.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin vom 04.10.2007 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.06.2008 zurück.
Die Klägerin hat am 26.06.2008 Klage beim Sozialgericht (SG) Duisburg erhoben. Der Enkel des Lebensgefährten sei nicht ihr Angehöriger, die Tatsache, dass er im Haushalt lebe, für die Leistungsgewährung ohne Belang. Sie habe immer hälftige Miet- und Nebenkosten getragen.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 24.07.2009 abgewiesen. Im streitigen Zeitraum habe lediglich ein Anspruch der Klägerin auf ein Drittel der Unterkunftskosten bestanden, da die Aufteilung der Kosten bei Nutzung einer Unterkunft durch mehrere Personen nach der Kopfzahl erfolge. Auf die Vereinbarung der Klägerin mit ihrem Lebensgefährten komme es nicht an, da sich derartige Vereinbarungen nicht zu Lasten der Steuerzahler auswirken könnten. Die Überzahlung des Beklagten beruhe auf grober Fahrlässigkeit der Klägerin, so dass die Voraussetzungen des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) für die Rückforderung vorlägen. Die Antragsformulare ließen klar erkennen, dass jede weitere Person im Haushalt anzugeben sei.
Gegen das ihr am 13.08.2009 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17.08.2009 Berufung eingelegt. Ihre Leistungsanträge seien auch als Leistungsanträge für den Enkel des Lebensgefährten nach § 38 SGB II auszulegen gewesen. Berechne man Leistungen für die gesamte Bedarfsgemeinschaft einschließlich des Enkelsohnes, müsse nicht sie sondern der Beklagte im streitigen Zeitraum nachzahlen. Im Übrigen sei der Erstattungsbescheid unbestimmt und damit rechtswidrig. Setze sich eine Rückforderung aus mehreren Einzelpositionen zusammen, müssten diese bekanntgegeben werden, damit der Empfänger den zurückgeforderten Betrag nachvollziehen könne. Den Berechnungsbogen des Beklagten habe sie jedoch nicht mit dem Bescheid zusammen erhalten. Dieser liege ihr vielmehr allein aufgrund einer Akteneinsicht vor.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 24.07.2009 zu ändern und den Bescheid vom 29.03.2007 soweit er sich auf die Zeit von Dezember 2006 bis April 2007 beziehe sowie den Bescheid vom 18.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Im Übrigen gehe er davon aus, dass seine Sachbearbeiterin dem Bescheid vom 18.09.2007 wie in aller Regel den Berechnungsbogen beigefügt habe.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der vom Beklagten beigezogenen Verwaltungsakte verwiesen; dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
Das beklagte Jobcenter ist gemäß § 70 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beteiligtenfähig. Nach § 76 Abs. 3 S. 1 SGB II ist die gemeinsame Einrichtung als Rechtsnachfolger an die Stelle der bisher beklagten Arbeitsgemeinschaft getreten. Der kraft Gesetzes eintretende Beteiligtenwechsel wegen der Weiterentwicklung der Organisation des SGB II stellt keine unzulässige Klageänderung dar. Das Passivrubrum war entsprechend von Amts wegen zu berichtigen (vgl. BSG Urteil vom 18.01.2011 - B 4 AS 99/10 R Rn 11).
Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 18.09.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.06.2008 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz - SGG).
Der Beklagte hat die Leistungsbewilligung für den streitigen Zeitraum Januar 2005 bis April 2007 zu Recht teilweise zurückgenommen und die Erstattung der in dieser Zeit zu viel erbrachten Leistungen verlangt.
Die Berechtigung zur Rücknahme der Leistungsbewilligung folgt aus § 40 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II in der bis zum 31.03.2011 geltenden alten Fassung (a.F.) i.V.m. § 330 Abs. 2 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III), § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn er auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.
Die Bewilligung hälftiger Kosten der Unterkunft anstelle lediglich eines Drittels ist im streitigen Zeitraum aufgrund grob fahrlässig unvollständiger Angaben der Klägerin rechtswidrig erfolgt.
Nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II a.F. werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Teilen sich mehrere Personen eine Wohnung, so sind die tatsächlichen Unterkunftskosten des Einzelnen im Regelfall zu ermitteln, indem die tatsächlichen Wohnkosten nach Kopfzahlen aufgeteilt werden (BSG Urteil vom 18.02.2010 - B 14 AS 73/08 R Rn 24 - SGb 2010, 226). Da die Klägerin gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten und dessen Enkel in einer Wohnung lebte, stand ihr ein Drittel der Unterkunftskosten zu. Gründe, die einen Ausnahmefall mit anderer Aufteilung rechtfertigen könnten (vgl zB BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R Rn 19: zeitweilige alleinige Nutzung der Wohnung) sind nicht ersichtlich. Insbesondere ist die individuelle Aufteilung der Wohnkosten zwischen den Wohnungsnutzern - hier die Absprache hälftiger Kostentragung - unbeachtlich. Eine solche Absprache kann lediglich im Innenverhältnis der Wohnungsnutzenden, nicht aber gegenüber dem Leistungsträger Wirkung entfalten, weil hier ansonsten eine unzulässige Ausdehnung von Kosten auf die Allgemeinheit stattfände. Eine interne Regelung kann dann keine Außenwirkung haben, wenn sie sich zu Lasten der Steuerzahler auswirkt, die die steuerfinanzierten Leistungen des SGB II erwirtschaften müssen.
Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, ihr müssten die Unterkunftskosten des Enkels des Lebensgefährten zugutekommen, ist dies unzutreffend. Unabhängig davon, dass ein etwaiger Anspruch des Enkels nach Aktenlage (eigener Antrag gestellt, wohl zurückgenommen, wohl Bezug von BAföG-Leistungen) höchst fraglich ist, stünde dieser allein dem Enkel selbst, keinesfalls aber der Klägerin zu. Zu keinem Zeitpunkt im Laufe des Verwaltungs- und erstinstanzlichen Klageverfahrens hat die Klägerin erkennen lassen, dass sie einen etwaigen Leistungsanspruch des Enkels in dessen Namen geltend machen wolle. Einer solchen - erstmalig im Berufungsverfahren vorgetragenen - Annahme widerspricht bereits, dass die Klägerin den Enkel zu keinem Zeitpunkt überhaupt in den Antragsformularen erwähnt hat. Die (nunmehrige) Berufung der Klägerin auf die Vermutungsregel des § 38 SGB II scheitert im Übrigen daran, dass diese Vorschrift lediglich für Handlungen im Verwaltungs- nicht aber im Gerichtsverfahren Geltung entfaltet (BSG Urteil vom 02.07.2009 - B 14 AS 54/08 R Rn 22 - BSGE 104, 48).
Zur Überzeugung des Senats hat die Klägerin es auch mindestens grob fahrlässig im Sinn von § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X unterlassen, Angaben zur Mitnutzung der Wohnung durch den Enkel des Lebensgefährten zu machen. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach der Legaldefinition des § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 3 SGB X vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maß verletzt hat. In einem solchen Maße hat die erforderliche Sorgfalt verletzt, wer schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt und daher nicht beachtet, was im gegebenen Fall jedem einleuchtet, wobei das Maß der Fahrlässigkeit insbesondere nach der persönlichen Urteils- und Kritikfähigkeit, dem Einsichtsvermögen des Beteiligten sowie den besonderen Umständen des Falles zu beurteilen ist (BSG Urteil vom 08.02.2001 - B 11 AL 21/00 R Rn 23 m.w.N. - SozR 3-1300 § 45 Nr. 45). Diesbezüglich hat der Senat keinen Zweifel, dass es sich der Klägerin hätte aufdrängen müssen, den Beklagten über alle Nutzer der Wohnung und damit auch den Enkel des Lebensgefährten zu informieren. Die von der Klägerin mehrfach ausgefüllten Antragsformulare ließen an vielen Stellen leicht erkennen, dass alle im Haushalt lebenden Personen und damit nicht nur Angehörige des Lebenspartners anzugeben seien.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der angefochtene Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 18.09.2007 auch hinreichend bestimmt. Aus dem Verfügungssatz des an die Klägerin als Adressatin gerichteten Bescheides vom 18.09.2007 geht klar hervor, welche Bewilligungsbescheide für welchen Zeitraum aufgehoben werden und welcher konkrete Betrag zu erstatten ist. Die Klägerin konnte somit unmittelbar erkennen, welches Verhalten der Beklagte von ihr forderte. Dies genügt den Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit eines Verwaltungsaktes iSv § 33 SGB X, für die erforderlich ist, dass der Verwaltungsakt vollständig, klar und unzweideutig erkennen lässt, was die Behörde regelt (BSG Urteil vom 30.08.2001 - B 4 RA 114/00 Rn 25 - SozR 3-2600 § 149 Nr. 6). Dem Bestimmtheitserfordernis ist Genüge getan, wenn der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts - wie hier - in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers (ggf unter Rückgriff auf die Begründung des Verwaltungsakts, die ihm beigefügten Unterlagen, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen, vgl. LSG NRW Urteil vom 25.01.2011 - L 6 AS 37/10 m.w.N., insb. BSG Urteil vom 06.02.2007 - B 8 KN 3/06 R Rn 38 - Breith 2008, 240; auch BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R Rn 16) in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten (BSG Urteil vom 17.12.2009 - B 4 AS 30/09 R Rn 16 - SozR 4-4200 § 31 Nr. 3).
Dass der Berechnungsbogen des Beklagten dem Bescheid vom 18.09.2007 nicht nachweislich beigefügt war, ist ohne Relevanz. Allein der Verfügungssatz eines Verwaltungsakts obliegt dem Erfordernis hinreichender Bestimmtheit, nicht hingegen dessen Gründe (BSG Urteil vom 06.02.2007 - B 8 KN 3/06 R Rn 38 - Breith 2008, 240). Entsprechend ist die Berechnung des Gesamtbetrages der Rückforderung nicht eine Frage der inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit des Verwaltungsaktes im Sinne von § 33 SGB X, sondern der hinreichenden Begründung im Sinne von § 35 SGB X (LSG NRW Urteil vom 25.01.2011 - L 6 AS 37/10). Diese Begründung kann gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X bis zur letzten Tatsacheninstanz eines sozialgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden. Hier hat die Klägerin spätestens mit Akteneinsicht Kenntnis von der Berechnung des Erstattungsbetrages erlangt.
Hat der Beklagte zu Recht die Leistungsbewilligung nach § 40 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB II a.F. i.V.m. § 330 Abs. 2 SGB III und § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 SGB X aufgehoben, ist die Klägerin nach § 50 Abs. 1 S. 1 SGB X zur Erstattung der zu viel erbrachten Leistungen verpflichtet. Zweifel an der Höhe der Rückforderungssumme sind weder von der Klägerin geltend gemacht noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage als gegeben angesehen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
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