S 10 AS 3036/11 ER

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Düsseldorf (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
10
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 10 AS 3036/11 ER
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, den Antragstellern ab dem 01.08.2011 Leistungen nach dem SGB II in gesetzmäßiger Höhe bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens aber bis zum 30.01.2012, zu bewilligen. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlich erstattungsfähigen Kosten der Antragsteller.

Gründe:

I. Zwischen den Beteiligten ist der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (Zweites Sozialgesetzbuch) für Ausländer streitig, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Die Antragstellerin zu 1) beantragte bei dem Antragsgegner im Juni 2011 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB II für sich und ihr minderjähriges Kind. Die Antragstellerin zu 1) stammt gebürtig aus Litauen und befindet sich zum Zwecke der Arbeitsuche in Deutschland. Laut den Angaben des Melderegisters ist die Antragstellerin zu 1) im August 2006 nach Deutschland eingereist. In der Folgezeit hielt sie sich in N auf, wobei der Aufenthalt in der BRD immer wieder unterbrochen wurde (vgl. Melderegisterauskunft, Bl. 80 d.A.). Mit Bescheid vom 16.08.2011 lehnte der Antragsgegner die Bewilligung von Grundsicherungsleistungen unter der Begründung ab, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II (Zweites Sozialgesetzbuch) vorliegend eingreife. Die Antragstellerin zu 1) habe lediglich ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitsuche. Das Aufenthaltsrecht gemäß § 4a FreizügG/EU (Freizügigkeitsgesetz EU) finde vorliegend keine Anwendung, da sich die Antragstellerin zu 1) noch nicht seit 5 Jahren ununterbrochen in Deutschland aufhalte. Sodann haben die Antragsteller vor dem erkennenden Gericht um Rechtsschutz nachgesucht. Sie führt aus, dass Sie in der Zeit vom 01.07.2009 bis zum 11.01.2010 sehr wohl in Deutschland gelebt habe, da am 18.11.2009 in N ihr Sohn – und Antragsteller zu 2) – zur Welt gekommen sei.

Die Antragsteller beantragen,

den Antragsgegner im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes zu verpflichten, Leistungen nach dem SGB II auszuzahlen.

Der Antragsgegner beantragt schriftsätzlich,

den Antrag abzulehnen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin Bezug genommen.

II. Der Antrag ist begründet.

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung i.S.d. § 86 b Abs. 2 S. 2 setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Eine solche Unzumutbarkeit ist im Falle einer gegenwärtigen und dringenden Notlage, die eine solche Entscheidung unumgänglich macht, zu bejahen (LSG NRW, Beschluss v. 25.06.2007 – L 1 B 25/07 AS ER). Sowohl das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs als auch das Vorliegen eines Anordnungsgrundes sind nach § 86 b Abs. 2 S. 4 i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

1. Anordnungsanspruch

Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet haben bzw. die Altersgrenze nach § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Hilfebedürftig ist nach § 9 Abs. 1 SGB II, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht durch Aufnahme einer zumutbaren Arbeit oder aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

Die Antragstellerin zu 1) ist Berechtigte im Sinne von § 7 Abs. 1 SGB II. Sie hat das 15. Lebensjahr vollendet und noch nicht die Altersgrenze erreicht, ist erwerbsfähig und hat – im Zeitpunkt der Entscheidung – ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der BRD. Die Antragstellerin ist auch hilfebedürftig nach § 9 Abs. 1 SGB II. Sie verfügt nach Aktenlage über kein Einkommen und Vermögen. Der Anspruch des Antragstellers zu 2) ergibt sich dann aus § 23 SGB II.

Ob dem Anspruch der Antragstellerin zu 1) die Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II entgegensteht, ließ sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht abschließend feststellen.

Die Antragstellerin zu 1) kann sich als litauische Staatsangehörige ab dem 01.05.2011 bei der Aufnahme einer Beschäftigung in Deutschland auf die Arbeitnehmerfreizügigkeit des Art. 45 AEU-Vertrag (= früher Art. 39 EG-Vertrag) berufen. Sie bedarf hierfür nicht mehr der Genehmigung gemäß § 284 SGB III durch die Bundesagentur für Arbeit.

Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind Ausländer von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Mehrere Gesichtspunkte sprechen dafür, dass diese Vorschrift im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist.

a) Fraglich ist bereits, ob der Tatbestand dieser Vorschrift erfüllt ist, insbesondere ob die Antragstellerin zu 1) nicht auch ein Aufenthaltsrecht in Deutschland hat, das unabhängig vom Zweck der Arbeitssuche besteht.

Die Antragstellerin zu 1) ist gemäß § 2 Abs. 1 und 2 Nr. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU zur Arbeitssuche in Deutschland aufenthaltsberechtigt. Dies gilt auch für Angehörige der mittel- und osteuropäischen Beitrittsstaaten (MOE-Staaten), für die gegenwärtig noch Übergangsregelungen bezüglich der Arbeitnehmerfreizügigkeit gelten (BayVGH, Beschluss vom 16.01.2009 Az. 19 C 08.3271).

Daneben enthält Art. 21 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU-Vertrag, früher: Art. 18 EG-Vertrag) ein von der Arbeitnehmerfreizügigkeit unabhängiges Freizügigkeitsrecht, das allein aus der Unionsbürgerschaft folgt. Danach hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in diesem Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Es handelt sich um ein unmittelbar anwendbares subjektiv-öffentliches Recht, das dem Unionsbürger unabhängig vom Zweck seiner Inanspruchnahme zusteht (LSG Bayern, Beschluss v. 22.12.2010, Az.: L 16 AS 767/10 B ER; BVerwG, Urteil vom 10.11.1999, Az. 6 C 30/98 = BVerwGE 110, 40, Rdnr. 45 bei juris; BayVGH, Beschluss vom 16.01.1999 Az. 19 C 08.3271, BayVBl 2009, 633, Rdnr. 4 bei juris mit Nachweisen aus der st. Rspr. des EuGH). Dies gilt auch für die Angehörigen der beigetretenen MOE-Staaten, weil insoweit keine Übergangsregelungen bestehen (BayVGH a.a.O.).

Nach Ansicht von Husmann läuft deshalb § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II schon tatbestandlich leer, weil Unionsbürgern neben der Arbeitnehmerfreizügigkeit immer auch ein nicht zweckgebundenes Aufenthaltsrecht nach Art. 21 Abs. 1 AEU-Vertrag zustehe (NZS 2009, 652, 656). Ob sich die Antragstellerin neben der Arbeitnehmerfreizügigkeit auf die allgemeine zweckungebundene Unionsbürgerfreizügigkeit berufen kann, hängt davon ab, ob die Unionsbürgerfreiheit in den Fällen, in denen die Betroffenen nicht über ausreichende Existenzmittel verfügen, eingeschränkt werden kann, wie es Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der "Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.04.2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten" (Unionsbürgerrichtlinie - UBRL, ABl. der EU vom 30.04.2004 L 158/77) vorsieht. Ob sich hieraus Zweifel ergeben, ob der Tatbestand des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im vorliegenden Fall erfüllt ist, kann letztlich dahinstehen, da die Anwendbarkeit dieser Vorschrift bereits aus anderen Gründen zweifelhaft ist

. b) Selbst wenn die Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ihrem eigenen Tatbestand nach erfüllt wäre, könnte ein Anspruch auf Arbeitslosengeld II gegeben sein, weil

1. der Anwendungsvorrang von entgegenstehendem Europarecht eingreifen oder

2. der Leistungsausschluss wegen eines Verstoßes gegen innerstaatliches Verfassungsrecht teilweise nichtig sein könnte.

Zu Nr. 1:

Das Europäische Fürsorgeabkommen kann der Anwendung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II im vorliegenden Fall nicht entgegenstehen. Zwar ist das Europäische Fürsorgeabkommen auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II grundsätzlich anwendbar (BSG, Urteil vom 19.10.2010, Az. B 14 AS 23/10 R). Es kann jedoch im vorliegenden Fall schon deshalb nicht herangezogen werden, weil Litauen dieses Abkommen nicht ratifiziert hat.

In Rechtsprechung und Literatur ist nicht geklärt, ob der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gegen die in Art. 45 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEU-Vertrag) garantierte Arbeitnehmerfreizügigkeit, gegen das in Art. 18 AEU-Vertrag gewährleistete Verbot der Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit oder gegen die Freizügigkeit der Unionsbürger nach Art. 21 AEU-Vertrag verstößt. Die Vorschrift geht zurück auf Art. 24 Abs. 2 UBRL. Nach dieser Vorschrift ist der Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während eines längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie gibt Unionsbürgern, die sich in einem anderen Mitgliedstaat zum Zweck der Arbeitssuche aufhalten, ein zeitlich unbegrenztes Aufenthaltsrecht, solange die Unionsbürger nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass für sie eine begründete Aussicht besteht, eingestellt zu werden.

Der Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist also dann europarechtskonform, wenn es sich beim Arbeitslosengeld II um "Sozialhilfe" im Sinne des Art. 24 Abs. 2 UBRL handelt und diese Vorschrift ihrerseits mit dem höherrangigen Primärrecht der EU in Einklang steht.

Das LSG NRW (Beschluss vom 25.03.2010 - L 7 B 172/09 AS ER) führt dazu aus:

In Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II, die einen Leistungsausschluss ohne entsprechende Öffnungsklausel insbesondere für Alt-Unionsbürger normiert, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist. (vgl. u. a. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 23.07.2008 - L 7 AS 3031/08 ER-B; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 08.06.2009 - B 34 AS 790/09 B ER; SG Reutlingen, Urteil vom 29.04.2008 - S 2 AS 295 2/07; LSG NRW, Beschluss vom 16.07.2008 - L 19 B 111/08 AS ER; Brühl/Schoch in LPK, § 7 Rn. 20 ff.; Schreiber info also 2008, 3 ff. und 2009,, 195 ff.; Kunkel/Frey, ZFSH 07/2008, 387 ff.; Husmann, NZS 2009, 547 ff., 652 ff.; Hailbronner, ZFSH 2009, 195 ff.; Dr. Piepenstock, jurisPR-SozR, 23/09 Anm. 1). Diese Frage lässt sich im Eilverfahren nicht abschließend klären. Eine Vorlagepflicht der deutschen Gerichte an den Europäischen Gerichtshof, der für die Auslegung der hier in Betracht kommenden Art. 39 und 12 EGV zuständig ist, besteht indes nur für das Hauptsacheverfahren, nach h. M. aber nicht für das einstweilige Rechtsschutzverfahren. Unter Berücksichtigung der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung und des existenzsichernden Charakters der Leistungen nach dem SGB II ist nach der oben dargestellten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts deshalb eine Folgenabwägung vorzunehmen.

Diese Folgenabwägung geht zugunsten des Antragstellers aus. Danach war dem Antragsteller die Regelleistung einstweilen und vorläufig zu bewilligen. Dabei hat der Senat maßgeblich berücksichtigt, dass die Anspruchsvoraussetzungen insoweit nach derzeitigem Stand unstreitig vorliegen und der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II für einen italienischen Staatsangehörigen als Alt-Unionsbürger unter Berücksichtigung des primären EU-Rechts erheblichen Bedenken begegnen. Diese folgen aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) insbesondere in den Verfahren D (Urteil vom 23.03.2004 - C-138/02) und W, L (Urteil vom 04.06.2009 - C-22/08 und C-23/08). Nach der Rechtsprechung des EuGH darf der Mitgliedsstaat die Gewährung einer Beihilfe davon abhängig machen, dass das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitsuchenden zum Arbeitsmarkt dieses Staates festgestellt wird. Diese kann sich u. a. aus der Feststellung ergeben, dass der Betroffene während eines angemessenen Zeitraums tatsächlich eine Beschäftigung in dem betreffenden Mitgliedsstaat gesucht hat. Folglich können sich die Staatsangehörigen der Mitgliedsstaaten, die auf Arbeitsuche in einem anderen Mitgliedsstaat sind und tatsächlich Verbindungen mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates hergestellt haben, auf Art. 39 Abs. 2 EG berufen, um eine finanzielle Leistung in Anspruch zu nehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern soll (EuGH, Urteil vom 04.06.2009, Rn. 38 ff.; Urteil vom 23.03.2004, Rn. 69 f jeweils zitiert nach juris). Zudem hat der EuGH darauf hingewiesen, dass es angesichts der Einführung der Unionsbürgerschaft und angesichts der Auslegung, die das Recht auf Gleichbehandlung erfahren hat, nicht mehr möglich sei, eine finanzielle Leistung, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedsstaats erleichtern soll, vom Anwendungsbereich des Diskriminierungsverbots des Art. 39 EG, der eine Ausprägung des Art. 12 EG sei, auszunehmen.

Die erkennende Kammer schließt sich diesen Ausführungen an.

Zu Nr. 2: Bedenklich erscheint zudem der zeitlich unbeschränkte völlige Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II, der durch den gleich formulierten Ausschluss von Sozialhilfe in § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII (dort eingefügt mit Wirkung vom 07.12.2006) flankiert wird, im Hinblick auf das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums, das vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (GG) in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG abgeleitet wird (BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 Az. 1 BvL 1/09, NJW 2010, 505, Rdnr. 133 bei juris m.w.N.). Da es sich bei Art. 1 Abs. 1 GG um kein Grundrecht nur für Deutsche, sondern um ein Menschenrecht handelt, gilt es auch für Ausländer, die sich in Deutschland aufhalten, vor allem wenn dieser Aufenthalt - wie im Fall der Antragstellerin - rechtmäßig ist. Zwar gesteht das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber bei der Bestimmung der zur Gewährleistung dieses Existenzminimums zu erbringenden Leistungen einen Gestaltungsspielraum zu. Es fragt sich aber, ob nicht der zeitlich unbegrenzte Ausschluss jeglicher Leistungen für Ausländer, die sich rechtmäßig zur Arbeitssuche in Deutschland aufhalten, in den von Art. 19 Abs. 2 GG für unantastbar erklärten Wesensgehalt dieses Grundrechts eingreift. Ob der zeitlich unbefristete Ausschluss von Leistungen an arbeitsuchende Unionsbürger mit der Begründung gerechtfertigt werden kann, dass diese auf die Inanspruchnahme entsprechender Leistungen in ihrem Heimatland verwiesen werden könnten (so LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 26.02.2010, Az. L 15 AS 30/10 B ER Rdnr. 30), dürfte zumindest zweifelhaft sein (vgl. LSG Bayern, Beschluss vom 22.12.2010, Az.: L 16 AS 767/10 B ER).

Ferner ist im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) zweifelhaft, ob eine durch sachliche Gründe zu rechtfertigende Ungleichbehandlung darin liegt, dass Ausländer, die vollziehbar ausreisepflichtig sind, wenigstens das "reduzierte" Existenzminimum nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) erhalten (§ 1 Abs. 1 Nr. 5 AsylbLG), dagegen Ausländer, die die Unionsbürgerschaft besitzen und sich legal in Deutschland aufhalten, gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII ohne zeitliche Begrenzung von jeglichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen sind.

c) Aufgrund der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht abschließend beurteilbaren Rechtslage ist der Anordnungsanspruch - in Anlehnung an die zitierten Ausführungen des LSG NRW (vgl. aaO) - im vorliegenden Fall aufgrund einer Folgenabwägung zu bejahen, da die Folgen der Nichtgewährung von Grundsicherungsleistungen die Antragstellerin härter treffen würden, als die Folgen der Gewährung von Leistungen den Antragsgegner im Hinblick auf das bestehende Rückforderungsrisiko.

2. Anordnungsgrund

Die Eilbedürftigkeit der Sache ergibt sich - neben der durch die übersandten Kontoauszüge glaubhaft gemachten Vermögenslosigkeit der Antragsteller - bereits aus der drohenden Räumungsklage. Die Vermieter der Antragstellerin zu 1) haben dieser aufgrund der rückständigen Mieten für die Monate August und September 2011 bereits mit Schriftsatz vom 06.09.2011 fristlos das Mietverhältnis gekündigt und diese aufgefordert, die Wohnung bis zum 20.09.2011 zu räumen. Bei erfolglosem Ablauf der Frist wurde der Antragstellerin zu 1) die Räumungsklage angedroht. Insoweit ist vorliegend darauf hinzuweisen, dass die Kündigung des Wohnraummietverhältnisses gemäß §§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, 569 Abs. 3 Nr. 2 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) dann unwirksam wird, wenn der Vermieter spätestens bis zum Ablauf von zwei Monaten nach Eintritt der Rechtshängigkeit des Räumungsanspruchs hinsichtlich der fälligen Miete und der fälligen Entschädigung nach § 546a Abs. 1 BGB befriedigt wird oder sich eine öffentliche Stelle zur Befriedigung verpflichtet. Insoweit steht der Antragsgegner in der Pflicht.

Hinsichtlich der Auszahlung der Mietkaution besteht z.Zt. allerdings kein Eilbedürfnis, da sich die außerordentliche Kündigung des Wohnraummietverhältnisses bereits nicht auf die rückständige (?) Kautionszahlung bezieht. Insoweit wurde seitens der Antragsteller kein Eilbedürfnis glaubhaft gemacht.

Die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners war in Anlehnung an die Vorschrift des § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II auf einen sechsmonatigen Leistungszeitraum zu beschränken. Die Vorläufigkeit der Leistungsgewährung ergibt sich aus der Natur des einstweiligen Rechtsschutzes.

Bei der Verpflichtung des Antragsgegners zur Leistungsgewährung für den Zeitraum vom 01.08.2011 bis zum 31.01.2012 ist davon auszugehen, dass den Antragstellern - vorbehaltlich einer nach Entscheidung eintretenden tatsächlichen Änderung der Verhältnisse - Regelleistungen i.H.v. monatlich 364,00 EUR gemäß § 20 Abs. 2 S. 1 SGB II n.F. für die Antragstellerin zu 1) und Sozialgeld i.H.v. 213,00 EUR gemäß § 23 S. 1 Nr. 1, 1. TS SGB II i.V.m. § 77 Abs. 4 Nr. 2 SGB II für den Antragsteller zu 2) sowie die angemessenen Kosten der Unterkunft (vgl. Bl. 46 d. VA) i.H.v. z.Zt. monatlich 492,00 EUR inklusive Betriebs- und Heizkosten zustehen. Von den Regelsätzen der Antragsteller sind bei dem Antragsteller zu 2) Einkommen aus Kindergeld i.H.v. 184,00 EUR und bei der Antragstellerin zu 1) Leistungen nach dem UVG i.H.v. 133,00 EUR in Abzug zu bringen. Insgesamt beläuft sich der (vollstreckungsfähige) Betrag bei summarischer Prüfung der Sachlage – unter Außerachtlassung eines Mehrbedarfszuschlags für Alleinerziehende – auf insgesamt 752,00 EUR.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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