Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 6 AS 3819/09
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. &8195;
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt im Überprüfungsverfahren höhere Leistungen für die Zeit vom 05.03.2009 bis zum 30.09.2009 unter Zugrundelegung höherer Leistungen für ihre Unterkunft.
Die am XXXXX 1979 geborene Kläger beantragte am 09.03.2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Sie gab an, allein eine zum 01.03.2009 angemietete 3,5-Zimmer-Wohnung mit 112 qm Grundfläche zum Preis von 615.- Euro Kaltmiete zuzüglich 75.- Euro Nebenkosten (und ca. 55.- Euro Stromkostenvorauszahlung) zu bewohnen. Der zugrundeliegende Mietvertrag nennt neben der Klägerin Herrn S.B. (geb. XXXXX 1986) als Mieter, ebenso die der Beklagten vorgelegte Bescheinigung des Vermieters. Nach § 24 Nr. 1 des Mietvertrages haften mehrere Personen als Mieter als Gesamtschuldner aus dem Mietvertrag. Zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen erklärte die Klägerin in einem Schreiben vom 23.03.2009 weiter, sie habe zuvor von Ersparnissen, "aber in erster Linie auf Kosten von Familie und Bekannten" gelebt.
Mit Bescheid vom 31.03.2009 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld II (Alg II) für die Zeit vom 05.03.2009 bis zum 30.09.2009 unter Zugrundelegung von Leistungen für die Unterkunft i.H.v. monatlich 454,67 Euro (für März 2009: 409,20 Euro). Mit Schreiben vom 31.03.2009 forderte sie die Klägerin zur Senkung der Unterkunftskosten auf und wies darauf hin, angemessen seien lediglich 325.- Euro.
Am 05.05.2009 beantragte die Klägerin die Berücksichtigung der vollen Unterkunftskosten mit der Begründung, dass Herr B. "nur im Mietvertrag erscheine", aber nicht bei ihr wohne, sondern eine eigene Wohnung in H. habe. Die Beklagte lehnte – nachdem sie mit Bescheid vom 06.06.2009 die Leistungshöhe für die Zeit ab Juli 2009 an die dann einschlägige Regelleistung angepasst hatte – den Antrag mit Bescheid vom 09.06.2009 ab. Mit einem weiteren Bescheid vom selben Tage erkannte sie Leistungen für die Unterkunft ab dem 01.07.2009 i.H.v. monatlich 413,12 Euro an.
Ihren am 15.06.2009 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, sie lebe allein und nicht in einer Bedarfsgemeinschaft mit Herrn B ... Im Übrigen sei die Beklagte verpflichtet, über einen Zeitraum von 6 Monaten die volle Miete zu übernehmen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 28.08.2009 mit der Begründung zurück, die Klägerin und Herr B. seien zu gleichen Teilen eine vertragliche Verpflichtung eingegangen, angesichts derer es unbeachtlich sei, ob und wie lange sich Herr B. tatsächlich in der Wohnung aufhalte.
Hiergegen richtet sich die am 21.12.2009 beim SG Lübeck erhobene Klage, die durch Beschluss vom 02.11.2009 an das erkennende Gericht verwiesen worden ist.
Die Klägerin führt aus, sie habe zum 01.03.2009 dringend eine Unterkunft benötigt, da ihr sonst Obdachlosigkeit gedroht habe. Herr B. habe den Mietvertrag nur deswegen unterschrieben, weil der Vermieter angesichts ihrer eigenen Arbeitslosigkeit darauf bestanden habe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.06.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2009 zu verurteilen, den Bescheid vom 31.03.2009 in der Fassung des weiteren Bescheides vom 09.06.2009 abzuändern und ihr höhere Leistungen unter Zugrundelegung von weiteren Kosten der Unterkunft i.H.v. monatlich 345.- Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer Auffassung.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte, sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
&8195;
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin ist durch die angefochtenen Entscheidungen nicht beschwert i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie hat keinen Anspruch auf Überprüfung des Bewilligungsbescheides vom 31.03.2009 und Zahlung höherer Leistungen.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
Keine dieser beiden Alternativen ist hier verwirklicht. Die Klägerin hat selbst dann keinen Anspruch auf höhere Leistungen, wenn ihr gesamter Vortrag als wahr unterstellt wird. Ein Rechtsfehler i.S.d. § 44 Abs. 1 Satz 1 1.Alt SGB X seitens der Beklagten ist weder dargetan noch ersichtlich.
Die tatsächlichen Aufwendungen i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II), in deren Höhe die Leistungen für Unterkunft zu erbringen sind, ergibt sich aus der entsprechenden Vereinbarung im Mietvertrag (Lang/Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., 2008, § 22, Rn. 15c) sowie aus den übrigen einschlägigen Vorschriften des bürgerlichen Rechts.
Der einschlägige Mietvertrag sah im vorliegenden Fall vor, dass neben der Klägerin auch Herr B. zur Zahlung des vereinbarten Mietzinses, der Nebenkosten sowie der Heizkostenvorauszahlung verpflichtet war, und zwar – wie sich aus § 24 des Mietvertrages ergibt – als Gesamtschuldner.
Vor diesem Hintergrund ist unbeachtlich, ob Herr B. seine auf Abschluss des Mietvertrages gerichtete Willenserklärung (d.h. die Unterschrift unter den Mietvertrag) möglicherweise nur zu dem Zweck abgegeben hat, der Klägerin die Begründung eines Mietverhältnisses zu ermöglichen, während er selbst nicht Partei des Mietvertrages werden wollte. Eine Willenserklärung ist nach § 116 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht deshalb nichtig, weil sich der Erklärende insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen. Die Erklärung ist nach § 116 Satz 2 BGB nur dann nichtig, wenn sie einem anderen (hier: dem Vermieter) gegenüber abzugeben ist und dieser den Vorbehalt kennt. Dies ist nach dem Vortrag der Klägerin aber gerade nicht der Fall. Vielmehr sollten – den Einlassungen der Klägerin zufolge – auf diese gerade Weise Zweifel des Vermieters an der Solvenz der Mietpartei zerstreut werden. Es kann daher keine Rede davon sein, der Vermieter habe gewusst, dass Herr B. nicht Mietpartei werden wollte. Auch als Scheingeschäft i.S.d. § 117 BGB wäre die auf Abschluss des Mietvertrags gerichtete Willenserklärung des Herrn B. nur dann nichtig gewesen, wenn sie mit Einverständnis des Empfängers, d.h. des Vermieters, nur zum Schein abgegeben worden wäre, § 117 Abs. 1 BGB. Dies kommt aus denselben Gründen nicht in Betracht.
Die somit festzustellende Stellung der Klägerin und des Herrn B. als Gesamtschuldner hatte zur Folge, dass der Vermieter nach § 421 Satz 1 BGB die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner (hier: der Klägerin und Herrn B.) ganz oder zu einem Teil fordern konnte. Die Klägerin konnte somit – was grundsätzlich für den klageweise geltend gemachten Anspruch spricht – dem Zahlungsverlangen des Vermieters nicht entgegenhalten, dass es noch einen anderen Schuldner gab. Aber auch dies verhilft der Klage nicht zum Erfolg, denn zugleich war Herr B. der Klägerin gegenüber nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB zum Ausgleich in Höhe des hälftigen Zahlungsanspruchs verpflichtet. Dieser interne Ausgleichsanspruch zwischen der Klägerin und Herrn B. stellte vorrangig einzusetzendes Vermögen i.S.d. § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB II dar und war auch insbesondere nicht etwa deswegen grundsicherungsrechtlich unbeachtlich, weil es sich nicht um sog. bereite Mittel gehandelt hätte: Der Ausgleichsanspruch zwischen den Gesamtschuldnern entsteht bereits mit der Begründung der Gesamtschuld und kann daher auch ohne eine vorherige Inanspruchnahme durch den Gläubiger als Befreiungsanspruch auf Leistung den Gläubiger geltend gemacht werden (Grüneberg, in: Palandt, BGB, 68. Aufl., 2009, § 426, Rn. 4 m.w.N.). Mit anderen Worten: Die Klägerin hatte kraft des Mietvertrages einen Anspruch darauf, dass Herr B. "seinen Anteil" des Mietzinses und der beiden Vorauszahlungen "rechtzeitig" übernahm.
Eine interne (d.h. zwischen der Klägerin und Herrn B. erfolgte) Abrede, wonach die Klägerin im Innenverhältnis allein für die Ansprüche des Vermieters aufkommen sollte, braucht die Beklagte nicht gegen sich gelten zu lassen. Das Gericht brauchte nicht (etwa durch Vernehmung des Herrn B. als Zeugen) zu ermitteln, ob die Klägerin und Herr B. eine solche Abrede tatsächlich getroffen haben. Auch wenn dem so wäre, müsste eine – zumal verdeckte – Abrede mit Herrn B. als Fall des kollusiven Zusammenwirkens (zur Geltung dieser Rechtsfigur auch im Anwendungsbereich von § 22 SGB II vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.05.2009, L 11 AS 177/09 B PKH; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11.12.2008, L 13 AS 36/08; weiterhin zur Geltung im Sozialrecht auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung: BSG, Urteil vom 23.06.2010, B 6 KA 7/09 R; SG Düsseldorf, Urteil vom 14.07.2010, S 2 KA 61/08) zulasten der Beklagten gewertete werden und könnte diese nicht binden. Wer bösgläubig, d.h. zurechenbar sowohl in Kenntnis des zu erwartenden Leistungsbezugs als auch unangemessener tatsächlicher Kosten der Unterkunft einen Mietvertrag über eine deutlich unangemessene Unterkunft abschließt, hat auch angesichts § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II keinen Anspruch auf Übernahme der unangemessenen Kosten (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009, B 4 AS 19/09 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 28, Rn. 17). Die Klägerin hat die Wohnung, die bereits in Anbetracht ihrer Wohnfläche von 112 qm für eine alleinstehende Person deutlich unangemessen war, zum 01.03.2009, mithin nur wenige Tage vor Stellung des Antrags auf Leistungen nach dem SGB II angemietet, nachdem sie in den Monaten zuvor – so ihre Äußerung gegenüber der Beklagten im Schreiben vom 23.03.2009 – von Ersparnissen, "aber in erster Linie auf Kosten von Familie und Bekannten" gelebt hatte. Angesichts dieser Ausgangslage ist es der Klägerin verwehrt, mittels einer Abrede mit Herrn B. (die sie der Beklagten gegenüber erst verspätet und dem Vermieter gegenüber offenbar überhaupt nicht offengelegt hat) Unterkunftskosten einzufordern, die beinahe doppelt so hoch waren wie die für eine alleinstehende Person einschlägige Regelleistung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt im Überprüfungsverfahren höhere Leistungen für die Zeit vom 05.03.2009 bis zum 30.09.2009 unter Zugrundelegung höherer Leistungen für ihre Unterkunft.
Die am XXXXX 1979 geborene Kläger beantragte am 09.03.2009 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Sie gab an, allein eine zum 01.03.2009 angemietete 3,5-Zimmer-Wohnung mit 112 qm Grundfläche zum Preis von 615.- Euro Kaltmiete zuzüglich 75.- Euro Nebenkosten (und ca. 55.- Euro Stromkostenvorauszahlung) zu bewohnen. Der zugrundeliegende Mietvertrag nennt neben der Klägerin Herrn S.B. (geb. XXXXX 1986) als Mieter, ebenso die der Beklagten vorgelegte Bescheinigung des Vermieters. Nach § 24 Nr. 1 des Mietvertrages haften mehrere Personen als Mieter als Gesamtschuldner aus dem Mietvertrag. Zu ihren wirtschaftlichen Verhältnissen erklärte die Klägerin in einem Schreiben vom 23.03.2009 weiter, sie habe zuvor von Ersparnissen, "aber in erster Linie auf Kosten von Familie und Bekannten" gelebt.
Mit Bescheid vom 31.03.2009 bewilligte die Beklagte Arbeitslosengeld II (Alg II) für die Zeit vom 05.03.2009 bis zum 30.09.2009 unter Zugrundelegung von Leistungen für die Unterkunft i.H.v. monatlich 454,67 Euro (für März 2009: 409,20 Euro). Mit Schreiben vom 31.03.2009 forderte sie die Klägerin zur Senkung der Unterkunftskosten auf und wies darauf hin, angemessen seien lediglich 325.- Euro.
Am 05.05.2009 beantragte die Klägerin die Berücksichtigung der vollen Unterkunftskosten mit der Begründung, dass Herr B. "nur im Mietvertrag erscheine", aber nicht bei ihr wohne, sondern eine eigene Wohnung in H. habe. Die Beklagte lehnte – nachdem sie mit Bescheid vom 06.06.2009 die Leistungshöhe für die Zeit ab Juli 2009 an die dann einschlägige Regelleistung angepasst hatte – den Antrag mit Bescheid vom 09.06.2009 ab. Mit einem weiteren Bescheid vom selben Tage erkannte sie Leistungen für die Unterkunft ab dem 01.07.2009 i.H.v. monatlich 413,12 Euro an.
Ihren am 15.06.2009 erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, sie lebe allein und nicht in einer Bedarfsgemeinschaft mit Herrn B ... Im Übrigen sei die Beklagte verpflichtet, über einen Zeitraum von 6 Monaten die volle Miete zu übernehmen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 28.08.2009 mit der Begründung zurück, die Klägerin und Herr B. seien zu gleichen Teilen eine vertragliche Verpflichtung eingegangen, angesichts derer es unbeachtlich sei, ob und wie lange sich Herr B. tatsächlich in der Wohnung aufhalte.
Hiergegen richtet sich die am 21.12.2009 beim SG Lübeck erhobene Klage, die durch Beschluss vom 02.11.2009 an das erkennende Gericht verwiesen worden ist.
Die Klägerin führt aus, sie habe zum 01.03.2009 dringend eine Unterkunft benötigt, da ihr sonst Obdachlosigkeit gedroht habe. Herr B. habe den Mietvertrag nur deswegen unterschrieben, weil der Vermieter angesichts ihrer eigenen Arbeitslosigkeit darauf bestanden habe.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.06.2009 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28.08.2009 zu verurteilen, den Bescheid vom 31.03.2009 in der Fassung des weiteren Bescheides vom 09.06.2009 abzuändern und ihr höhere Leistungen unter Zugrundelegung von weiteren Kosten der Unterkunft i.H.v. monatlich 345.- Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bleibt bei ihrer Auffassung.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte, sowie die beigezogene Verwaltungsakte verwiesen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
&8195;
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Klägerin ist durch die angefochtenen Entscheidungen nicht beschwert i.S.d. § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Sie hat keinen Anspruch auf Überprüfung des Bewilligungsbescheides vom 31.03.2009 und Zahlung höherer Leistungen.
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X) ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind.
Keine dieser beiden Alternativen ist hier verwirklicht. Die Klägerin hat selbst dann keinen Anspruch auf höhere Leistungen, wenn ihr gesamter Vortrag als wahr unterstellt wird. Ein Rechtsfehler i.S.d. § 44 Abs. 1 Satz 1 1.Alt SGB X seitens der Beklagten ist weder dargetan noch ersichtlich.
Die tatsächlichen Aufwendungen i.S.d. § 22 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch – Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II), in deren Höhe die Leistungen für Unterkunft zu erbringen sind, ergibt sich aus der entsprechenden Vereinbarung im Mietvertrag (Lang/Link, in: Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl., 2008, § 22, Rn. 15c) sowie aus den übrigen einschlägigen Vorschriften des bürgerlichen Rechts.
Der einschlägige Mietvertrag sah im vorliegenden Fall vor, dass neben der Klägerin auch Herr B. zur Zahlung des vereinbarten Mietzinses, der Nebenkosten sowie der Heizkostenvorauszahlung verpflichtet war, und zwar – wie sich aus § 24 des Mietvertrages ergibt – als Gesamtschuldner.
Vor diesem Hintergrund ist unbeachtlich, ob Herr B. seine auf Abschluss des Mietvertrages gerichtete Willenserklärung (d.h. die Unterschrift unter den Mietvertrag) möglicherweise nur zu dem Zweck abgegeben hat, der Klägerin die Begründung eines Mietverhältnisses zu ermöglichen, während er selbst nicht Partei des Mietvertrages werden wollte. Eine Willenserklärung ist nach § 116 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) nicht deshalb nichtig, weil sich der Erklärende insgeheim vorbehält, das Erklärte nicht zu wollen. Die Erklärung ist nach § 116 Satz 2 BGB nur dann nichtig, wenn sie einem anderen (hier: dem Vermieter) gegenüber abzugeben ist und dieser den Vorbehalt kennt. Dies ist nach dem Vortrag der Klägerin aber gerade nicht der Fall. Vielmehr sollten – den Einlassungen der Klägerin zufolge – auf diese gerade Weise Zweifel des Vermieters an der Solvenz der Mietpartei zerstreut werden. Es kann daher keine Rede davon sein, der Vermieter habe gewusst, dass Herr B. nicht Mietpartei werden wollte. Auch als Scheingeschäft i.S.d. § 117 BGB wäre die auf Abschluss des Mietvertrags gerichtete Willenserklärung des Herrn B. nur dann nichtig gewesen, wenn sie mit Einverständnis des Empfängers, d.h. des Vermieters, nur zum Schein abgegeben worden wäre, § 117 Abs. 1 BGB. Dies kommt aus denselben Gründen nicht in Betracht.
Die somit festzustellende Stellung der Klägerin und des Herrn B. als Gesamtschuldner hatte zur Folge, dass der Vermieter nach § 421 Satz 1 BGB die Leistung nach seinem Belieben von jedem der Schuldner (hier: der Klägerin und Herrn B.) ganz oder zu einem Teil fordern konnte. Die Klägerin konnte somit – was grundsätzlich für den klageweise geltend gemachten Anspruch spricht – dem Zahlungsverlangen des Vermieters nicht entgegenhalten, dass es noch einen anderen Schuldner gab. Aber auch dies verhilft der Klage nicht zum Erfolg, denn zugleich war Herr B. der Klägerin gegenüber nach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB zum Ausgleich in Höhe des hälftigen Zahlungsanspruchs verpflichtet. Dieser interne Ausgleichsanspruch zwischen der Klägerin und Herrn B. stellte vorrangig einzusetzendes Vermögen i.S.d. § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 SGB II dar und war auch insbesondere nicht etwa deswegen grundsicherungsrechtlich unbeachtlich, weil es sich nicht um sog. bereite Mittel gehandelt hätte: Der Ausgleichsanspruch zwischen den Gesamtschuldnern entsteht bereits mit der Begründung der Gesamtschuld und kann daher auch ohne eine vorherige Inanspruchnahme durch den Gläubiger als Befreiungsanspruch auf Leistung den Gläubiger geltend gemacht werden (Grüneberg, in: Palandt, BGB, 68. Aufl., 2009, § 426, Rn. 4 m.w.N.). Mit anderen Worten: Die Klägerin hatte kraft des Mietvertrages einen Anspruch darauf, dass Herr B. "seinen Anteil" des Mietzinses und der beiden Vorauszahlungen "rechtzeitig" übernahm.
Eine interne (d.h. zwischen der Klägerin und Herrn B. erfolgte) Abrede, wonach die Klägerin im Innenverhältnis allein für die Ansprüche des Vermieters aufkommen sollte, braucht die Beklagte nicht gegen sich gelten zu lassen. Das Gericht brauchte nicht (etwa durch Vernehmung des Herrn B. als Zeugen) zu ermitteln, ob die Klägerin und Herr B. eine solche Abrede tatsächlich getroffen haben. Auch wenn dem so wäre, müsste eine – zumal verdeckte – Abrede mit Herrn B. als Fall des kollusiven Zusammenwirkens (zur Geltung dieser Rechtsfigur auch im Anwendungsbereich von § 22 SGB II vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.05.2009, L 11 AS 177/09 B PKH; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 11.12.2008, L 13 AS 36/08; weiterhin zur Geltung im Sozialrecht auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung: BSG, Urteil vom 23.06.2010, B 6 KA 7/09 R; SG Düsseldorf, Urteil vom 14.07.2010, S 2 KA 61/08) zulasten der Beklagten gewertete werden und könnte diese nicht binden. Wer bösgläubig, d.h. zurechenbar sowohl in Kenntnis des zu erwartenden Leistungsbezugs als auch unangemessener tatsächlicher Kosten der Unterkunft einen Mietvertrag über eine deutlich unangemessene Unterkunft abschließt, hat auch angesichts § 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II keinen Anspruch auf Übernahme der unangemessenen Kosten (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.2009, B 4 AS 19/09 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 28, Rn. 17). Die Klägerin hat die Wohnung, die bereits in Anbetracht ihrer Wohnfläche von 112 qm für eine alleinstehende Person deutlich unangemessen war, zum 01.03.2009, mithin nur wenige Tage vor Stellung des Antrags auf Leistungen nach dem SGB II angemietet, nachdem sie in den Monaten zuvor – so ihre Äußerung gegenüber der Beklagten im Schreiben vom 23.03.2009 – von Ersparnissen, "aber in erster Linie auf Kosten von Familie und Bekannten" gelebt hatte. Angesichts dieser Ausgangslage ist es der Klägerin verwehrt, mittels einer Abrede mit Herrn B. (die sie der Beklagten gegenüber erst verspätet und dem Vermieter gegenüber offenbar überhaupt nicht offengelegt hat) Unterkunftskosten einzufordern, die beinahe doppelt so hoch waren wie die für eine alleinstehende Person einschlägige Regelleistung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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