Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
96
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 96 AS 6145/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum ab 6. März 2012 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 545,02 EUR für den Zeitraum 6. März bis 31. März 2012 und in Höhe von 628,87 EUR für die Monate April bis August 2012 zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Der Antragsgegner hat dem Antragsteller drei Viertel seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten. Dem Antragsteller wird mit Wirkung ab dem 6. März 2012 Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt G F B, S Str ..., B bewilligt.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten im Wege der Einstweiligen Anordnung um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum ab dem 6. März 2012. Der 31-jährige Antragsteller, welcher die italienische Staatsangehörigkeit besitzt, hält sich mindestens seit März 2010 in Deutschland auf. Von Mai 2010 bis August 2010 arbeitete er in einem italienischen Restaurant und verdiente in diesem Zeitraum insgesamt 1761,97 EUR. In den Monaten August 2010 und September 2010 arbeitete er in dem Restaurant "T G " und verdiente 469,32 EUR im August und 370,31 EUR. Der Antragsteller wohnt zur Untermiete in der H straße ... in B , die Bruttowarmmiete beträgt laut Untermietvertrag vom 1. Mai 2010 273,50 EUR. Aus den eingereichten Kontoauszügen ergeben sich Überweisungen an den Hauptmieter von zuletzt jeweils 254,87 EUR. Seit November 2010 bezieht der Antragsteller Leistungen beim Antragsgegner, zuletzt in Höhe von 617,38 EUR (364 EUR + 253,38 EUR) monatlich. Mit Bescheid vom 23. Februar 2012 lehnte der Beklagte den Weiterbewilligungsantrag vom 22. Februar 2012 ab. Der Antragsteller sei nicht weiterhin nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU als Arbeitnehmer anzusehen, da er nicht mindestens ein Jahr in Deutschland gearbeitet habe. Er halte sich daher allein zur Arbeitsuche in Deutschland auf und unterfalle damit dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Mit seinem Eilantrag vom 6. März 2012 wandte sich der Antragsteller an das Sozialgericht. Er ist der Auffassung ihm stünden Leistungen zu, da er seit Oktober 2010 einen Arbeitnehmerstatus habe. Darüber hinaus sei auch der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II europarechtswidrig. Der Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den Zeitraum ab 6. März 2012 zu gewähren. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen. Er ist der Auffassung, ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestehe nicht. Er verweist auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. Februar 2012 (Az: L 20 AS 2347/11), nach der § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II anwendbar sei.
II. Der Antrag ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Nach § 86 b Absatz 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, voraus. Der geltend gemachte (Leistungs-)Anspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86 b Absatz 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Absatz 2 Zivilprozessordnung). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind von den Gerichten im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes in der Regel nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfG v. 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, 96). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, scheidet eine rein summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache jedoch aus. Die Gerichte sind in diesen Fällen vielmehr gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG, Beschluss v. 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; Beschluss v. 25.02.2009 – 1 BvR 120/09). Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen des als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommenden § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II sind nach Lage der Akten erfüllt. Auch ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II – wie ihn der Antragsgegner annimmt – besteht nicht. Von den Ausschlusstatbeständen ist im Fall des Antragstellers letztlich nur der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II angesprochene Tatbestand von Interesse, da der Antragsteller kein Leistungsberechtigter nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist und sich länger als drei Monate in Deutschland aufhält. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind Ausländer – und daran anschließend ihre Familienangehörigen – von Leistungen ausgeschlossen, wenn sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Der Antragsteller hält sich aktuell in Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitssuche auf. Ein Arbeitnehmerstatus des Antragstellers lässt sich auch nicht aus § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU herleiten. Dort ist geregelt, dass das Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer – also gewissermaßen der Arbeitnehmerstatus – auch in Zeiten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit erhalten bleibt, wenn zuvor ein Jahr der Beschäftigung vorgelegen hat. Auf diese Fortgeltung des Arbeitnehmerstatus kann sich der Antragsteller hier nicht berufen, da er nicht ein Jahr lang in Deutschland beschäftigt gewesen ist. Auch aus § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU ergibt sich vorliegend kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer. Danach bleibt das Recht Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung während der Dauer von sechs Monaten unberührt. Ausgehend von einem Arbeitnehmerstatus des Antragstellers bis einschließlich Oktober 2010 konnte der Antragsteller aus dieser Vorschrift ein Aufenthaltsrecht als Abreitnehmer nur bis April 2011 herleiten. Der Antragsteller hat jedoch einen Leistungsanspruch, obwohl er unter den Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II fällt. Denn dieser Leistungsausschluss ist nicht mit – unmittelbar anwendbaren und Anwendungsvorrang genießendem – Europarecht, nämlich mit Art. 4 VO 883/2004 vereinbar (vgl. Urteil des SG Berlin vom 24. Mai 2011, Az: S 149 AS 17644/09, dort S. 9, Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14. Juli 2011, Az: L 7 AS 107/11 B ER). Danach haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Gemäß Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 i.V.m. Anhang X VO 883/2004 gilt dieser Gleichbehandlungs¬grundsatz auch für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Die Verordnung gilt nach Art. 2 VO 883/2004 jedenfalls für alle Unionsbürger und damit auch für den Antragsteller. Die Kammer ist auch unter Berücksichtigung der Argumente des 20. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg in seiner Entscheidung vom 29. Februar 2012 (Az: L 20 AS 2347/11 B ER) nicht der Auffassung, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II anwendbar ist. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 i.V.m. Anhang X VO 883/2004 besagt eindeutig, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 VO 883/2004 auch im Bereich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II Anwendung findet (so auch noch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg aaO). Die in der Entscheidung des Landessozialgerichts angeführten Widersprüchlichkeiten zu Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie erlauben eine Abweichung vom eindeutigen Wortlaut der VO 883/2004 jedoch nach Auffassung der Kammer nicht. Dabei ist zunächst zu beachten, dass der Wortlaut grundsätzlich die Grenze der Auslegungsmöglichkeiten darstellt. Darüber hinaus sind gemäß § 288 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) Verordnungen in vollem Umfang verbindlich und gelten in jedem Mitgliedsstaat unmittelbar. Eine Richtlinie ist jedoch gemäß Artikel 288 AEUV zunächst nur für die Mitgliedsstaaten, an die sie sich richtet, und nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Bei Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie handelt es sich nicht um ein solches verbindliches Ziel, sondern lediglich um die Option für die Mitgliedsstaaten – abweichend von dem in Art. 24 Abs. 1 formulierten Ziel der Gleichbehandlung – im Bereich einzelner Fürsorgeleistungen gewisse zeitliche Einschränkungen vorzunehmen. Insgesamt ist also das für die Mitgliedstaaten verbindliche Ziel der Gleichbehandlung aus Art. 24 der Unionsbürgerrichtlinie etwas weniger weitreichend als die Gleichbehandlung, die Art. 4 VO 883/2004 Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 i.V.m. Anhang X schon verbindlich und unmittelbar gültig anordnet. Diese Inkongruenz – ein wirklicher Widerspruch besteht wohl auf rein europarechtlicher Ebene noch nicht – kann jedoch nach Auffassung der Kammer zu keiner einschränkenden Auslegung des eindeutigen Wortlautes der VO 883/2004 führen. Ein eindeutiger Widerspruch hingegen besteht tatsächlich zwischen dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und Art. 4 i.V.m. Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 i.V.m. Anhang X VO 883/2004. Der Vorrang des Europarechts besagt jedoch, dass dieser Widerspruch nicht durch eine einschränkende Auslegung des Europarechts gelöst werden kann, sondern zur Unanwendbarkeit der Vorschrift führt, die im Widerspruch zum unmittelbar anwendbaren Europarecht steht (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Rs 6-64 - "Costa/E.N.E.L.", EuGHE 1964, 1141; BVerfG, Beschluss vom 8. April 1987, Az: 2 BvR 687/85, juris, dort Rz 58). Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob der von der Bundesregierung in Bezug auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II erklärte Vorbehalt zum Europäischen Fürsorgeabkommen wirksam ist und – auch ohne ein entsprechendes Transformationsgesetz – eine Anwendbarkeit des Leistungsausschlusses auch auf Angehörige der Unterzeichnerstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens grundsätzlich ermöglicht. Die Höhe des Leistungsanspruchs des Antragstellers errechnet sich wie folgt: Dem Antragsteller steht ein Anspruch auf Regelleistung in Höhe von 374 EUR zu (§ 20 Abs. 2 und 5 SGB II i.V.m. der Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe vom 20. Oktober 2011). Die Höhe des Anspruchs auf Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 SGB II) lässt sich im vorliegenden Eilverfahren nicht mit letzter Gewissheit bestimmen. Der eingereichte Mietvertrag weist einen Betrag 273,50 EUR aus, der Antragsteller hat jedoch zuletzt nur jeweils 254,87 EUR überwiesen. Das Gericht legt daher für im Eilverfahren ohnehin nur vorläufig zu bewilligenden Leistungen einen Wert von 254,87 EUR zu Grunde. Es ergibt sich ein monatlicher Gesamtanspruch in Höhe von 628,87 EUR. Für den Zeitraum 6. März 2012 bis 31. März 2010 ergibt sich ein Anspruch in Höhe von 628,87 EUR / 30 - 26 = 545,02 EUR (§ 41 Abs. 1 SGB II). Der erforderliche Anordnungsgrund, d. h. die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Antragsteller, ergibt sich vorliegend aus dem existenzsichernden Charakter der Leistungen nach dem SGB II und der Tatsache, dass der Antragsteller keine Vermögen oder Einkommen hat, aus dem er seinen Lebensunterhalt auch nur übergangsweise bestreiten könnte. Nach alledem war dem Antrag für den aus dem Tenor ersichtlichen Zeitraum stattzugeben. Der Antrag war im Übrigen jedoch abzulehnen. Die Leistungen sind vorliegend ohne zeitliche Begrenzung beantragt worden und auch auf gerichtliche Anregung zur Präzisierung des Leistungszeitraumes ist eine solche Begrenzung "nach hinten" nicht erfolgt. Dem Antragsteller waren vorliegend entsprechend § 41 Abs. 1 S. 3 SGB II Leistungen jedoch nicht für länger als für einen Zeitraum von sechs Monaten zuzusprechen. Für den nach dem 31. August 2012 liegenden Zeitraum war der Antrag daher abzulehnen. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Die Teilabweisung war vorliegend nicht mit mehr als einem Viertel zu bewerten, da der Streitgegenstand hier vornehmlich die Frage war, ob dem Antragsteller überhaupt Leistungen zu gewähren sind. Dem Antragsteller war Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Aus den oben dargelegten Gründen bot die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass ein Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe bestand.
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten im Wege der Einstweiligen Anordnung um die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum ab dem 6. März 2012. Der 31-jährige Antragsteller, welcher die italienische Staatsangehörigkeit besitzt, hält sich mindestens seit März 2010 in Deutschland auf. Von Mai 2010 bis August 2010 arbeitete er in einem italienischen Restaurant und verdiente in diesem Zeitraum insgesamt 1761,97 EUR. In den Monaten August 2010 und September 2010 arbeitete er in dem Restaurant "T G " und verdiente 469,32 EUR im August und 370,31 EUR. Der Antragsteller wohnt zur Untermiete in der H straße ... in B , die Bruttowarmmiete beträgt laut Untermietvertrag vom 1. Mai 2010 273,50 EUR. Aus den eingereichten Kontoauszügen ergeben sich Überweisungen an den Hauptmieter von zuletzt jeweils 254,87 EUR. Seit November 2010 bezieht der Antragsteller Leistungen beim Antragsgegner, zuletzt in Höhe von 617,38 EUR (364 EUR + 253,38 EUR) monatlich. Mit Bescheid vom 23. Februar 2012 lehnte der Beklagte den Weiterbewilligungsantrag vom 22. Februar 2012 ab. Der Antragsteller sei nicht weiterhin nach § 2 Abs. 3 FreizügG/EU als Arbeitnehmer anzusehen, da er nicht mindestens ein Jahr in Deutschland gearbeitet habe. Er halte sich daher allein zur Arbeitsuche in Deutschland auf und unterfalle damit dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Mit seinem Eilantrag vom 6. März 2012 wandte sich der Antragsteller an das Sozialgericht. Er ist der Auffassung ihm stünden Leistungen zu, da er seit Oktober 2010 einen Arbeitnehmerstatus habe. Darüber hinaus sei auch der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II europarechtswidrig. Der Antragsteller beantragt, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für den Zeitraum ab 6. März 2012 zu gewähren. Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen. Er ist der Auffassung, ein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II bestehe nicht. Er verweist auf die Entscheidung des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 29. Februar 2012 (Az: L 20 AS 2347/11), nach der § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II anwendbar sei.
II. Der Antrag ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Nach § 86 b Absatz 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn die Regelung zur Abwehr wesentlicher Nachteile oder aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, voraus. Der geltend gemachte (Leistungs-)Anspruch (Anordnungsanspruch) und die besonderen Gründe für die Notwendigkeit der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Anordnungsgrund) sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen (§ 86 b Absatz 2 Satz 4 SGG in Verbindung mit § 920 Absatz 2 Zivilprozessordnung). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind von den Gerichten im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes in der Regel nur summarisch zu prüfen (vgl. BVerfG v. 29.07.2003 - 2 BvR 311/03 - NVwZ 2004, 95, 96). Können ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Beeinträchtigungen entstehen, die durch das Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären, scheidet eine rein summarische Prüfung der Erfolgsaussichten der Hauptsache jedoch aus. Die Gerichte sind in diesen Fällen vielmehr gemäß Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gehalten, die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes auf eine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage zu stützen. Scheidet eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren aus, ist auf der Grundlage einer an der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes orientierten Folgenabwägung zu entscheiden. Die grundrechtlichen Belange der Antragsteller sind dabei umfassend in die Abwägung einzustellen (BVerfG, Beschluss v. 12.05.2005 - 1 BvR 569/05; Beschluss v. 25.02.2009 – 1 BvR 120/09). Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen des als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommenden § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II sind nach Lage der Akten erfüllt. Auch ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II – wie ihn der Antragsgegner annimmt – besteht nicht. Von den Ausschlusstatbeständen ist im Fall des Antragstellers letztlich nur der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II angesprochene Tatbestand von Interesse, da der Antragsteller kein Leistungsberechtigter nach dem Asylbewerberleistungsgesetz ist und sich länger als drei Monate in Deutschland aufhält. Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind Ausländer – und daran anschließend ihre Familienangehörigen – von Leistungen ausgeschlossen, wenn sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergibt. Der Antragsteller hält sich aktuell in Deutschland allein zum Zwecke der Arbeitssuche auf. Ein Arbeitnehmerstatus des Antragstellers lässt sich auch nicht aus § 2 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 FreizügG/EU herleiten. Dort ist geregelt, dass das Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer – also gewissermaßen der Arbeitnehmerstatus – auch in Zeiten unfreiwilliger Arbeitslosigkeit erhalten bleibt, wenn zuvor ein Jahr der Beschäftigung vorgelegen hat. Auf diese Fortgeltung des Arbeitnehmerstatus kann sich der Antragsteller hier nicht berufen, da er nicht ein Jahr lang in Deutschland beschäftigt gewesen ist. Auch aus § 2 Abs. 3 S. 2 FreizügG/EU ergibt sich vorliegend kein Aufenthaltsrecht als Arbeitnehmer. Danach bleibt das Recht Aufenthaltsrecht nach § 2 Abs. 1 FreizügG/EU bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung während der Dauer von sechs Monaten unberührt. Ausgehend von einem Arbeitnehmerstatus des Antragstellers bis einschließlich Oktober 2010 konnte der Antragsteller aus dieser Vorschrift ein Aufenthaltsrecht als Abreitnehmer nur bis April 2011 herleiten. Der Antragsteller hat jedoch einen Leistungsanspruch, obwohl er unter den Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II fällt. Denn dieser Leistungsausschluss ist nicht mit – unmittelbar anwendbaren und Anwendungsvorrang genießendem – Europarecht, nämlich mit Art. 4 VO 883/2004 vereinbar (vgl. Urteil des SG Berlin vom 24. Mai 2011, Az: S 149 AS 17644/09, dort S. 9, Hessisches Landessozialgericht, Beschluss vom 14. Juli 2011, Az: L 7 AS 107/11 B ER). Danach haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates wie die Staatsangehörigen dieses Staates. Gemäß Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 i.V.m. Anhang X VO 883/2004 gilt dieser Gleichbehandlungs¬grundsatz auch für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Die Verordnung gilt nach Art. 2 VO 883/2004 jedenfalls für alle Unionsbürger und damit auch für den Antragsteller. Die Kammer ist auch unter Berücksichtigung der Argumente des 20. Senats des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg in seiner Entscheidung vom 29. Februar 2012 (Az: L 20 AS 2347/11 B ER) nicht der Auffassung, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II anwendbar ist. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 i.V.m. Anhang X VO 883/2004 besagt eindeutig, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 VO 883/2004 auch im Bereich der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II Anwendung findet (so auch noch das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg aaO). Die in der Entscheidung des Landessozialgerichts angeführten Widersprüchlichkeiten zu Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie erlauben eine Abweichung vom eindeutigen Wortlaut der VO 883/2004 jedoch nach Auffassung der Kammer nicht. Dabei ist zunächst zu beachten, dass der Wortlaut grundsätzlich die Grenze der Auslegungsmöglichkeiten darstellt. Darüber hinaus sind gemäß § 288 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) Verordnungen in vollem Umfang verbindlich und gelten in jedem Mitgliedsstaat unmittelbar. Eine Richtlinie ist jedoch gemäß Artikel 288 AEUV zunächst nur für die Mitgliedsstaaten, an die sie sich richtet, und nur hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel. Bei Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie handelt es sich nicht um ein solches verbindliches Ziel, sondern lediglich um die Option für die Mitgliedsstaaten – abweichend von dem in Art. 24 Abs. 1 formulierten Ziel der Gleichbehandlung – im Bereich einzelner Fürsorgeleistungen gewisse zeitliche Einschränkungen vorzunehmen. Insgesamt ist also das für die Mitgliedstaaten verbindliche Ziel der Gleichbehandlung aus Art. 24 der Unionsbürgerrichtlinie etwas weniger weitreichend als die Gleichbehandlung, die Art. 4 VO 883/2004 Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 i.V.m. Anhang X schon verbindlich und unmittelbar gültig anordnet. Diese Inkongruenz – ein wirklicher Widerspruch besteht wohl auf rein europarechtlicher Ebene noch nicht – kann jedoch nach Auffassung der Kammer zu keiner einschränkenden Auslegung des eindeutigen Wortlautes der VO 883/2004 führen. Ein eindeutiger Widerspruch hingegen besteht tatsächlich zwischen dem Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II und Art. 4 i.V.m. Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 i.V.m. Anhang X VO 883/2004. Der Vorrang des Europarechts besagt jedoch, dass dieser Widerspruch nicht durch eine einschränkende Auslegung des Europarechts gelöst werden kann, sondern zur Unanwendbarkeit der Vorschrift führt, die im Widerspruch zum unmittelbar anwendbaren Europarecht steht (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Juli 1964, Rs 6-64 - "Costa/E.N.E.L.", EuGHE 1964, 1141; BVerfG, Beschluss vom 8. April 1987, Az: 2 BvR 687/85, juris, dort Rz 58). Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob der von der Bundesregierung in Bezug auf die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II erklärte Vorbehalt zum Europäischen Fürsorgeabkommen wirksam ist und – auch ohne ein entsprechendes Transformationsgesetz – eine Anwendbarkeit des Leistungsausschlusses auch auf Angehörige der Unterzeichnerstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens grundsätzlich ermöglicht. Die Höhe des Leistungsanspruchs des Antragstellers errechnet sich wie folgt: Dem Antragsteller steht ein Anspruch auf Regelleistung in Höhe von 374 EUR zu (§ 20 Abs. 2 und 5 SGB II i.V.m. der Bekanntmachung über die Höhe der Regelbedarfe vom 20. Oktober 2011). Die Höhe des Anspruchs auf Leistungen für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs. 1 SGB II) lässt sich im vorliegenden Eilverfahren nicht mit letzter Gewissheit bestimmen. Der eingereichte Mietvertrag weist einen Betrag 273,50 EUR aus, der Antragsteller hat jedoch zuletzt nur jeweils 254,87 EUR überwiesen. Das Gericht legt daher für im Eilverfahren ohnehin nur vorläufig zu bewilligenden Leistungen einen Wert von 254,87 EUR zu Grunde. Es ergibt sich ein monatlicher Gesamtanspruch in Höhe von 628,87 EUR. Für den Zeitraum 6. März 2012 bis 31. März 2010 ergibt sich ein Anspruch in Höhe von 628,87 EUR / 30 - 26 = 545,02 EUR (§ 41 Abs. 1 SGB II). Der erforderliche Anordnungsgrund, d. h. die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile für die Antragsteller, ergibt sich vorliegend aus dem existenzsichernden Charakter der Leistungen nach dem SGB II und der Tatsache, dass der Antragsteller keine Vermögen oder Einkommen hat, aus dem er seinen Lebensunterhalt auch nur übergangsweise bestreiten könnte. Nach alledem war dem Antrag für den aus dem Tenor ersichtlichen Zeitraum stattzugeben. Der Antrag war im Übrigen jedoch abzulehnen. Die Leistungen sind vorliegend ohne zeitliche Begrenzung beantragt worden und auch auf gerichtliche Anregung zur Präzisierung des Leistungszeitraumes ist eine solche Begrenzung "nach hinten" nicht erfolgt. Dem Antragsteller waren vorliegend entsprechend § 41 Abs. 1 S. 3 SGB II Leistungen jedoch nicht für länger als für einen Zeitraum von sechs Monaten zuzusprechen. Für den nach dem 31. August 2012 liegenden Zeitraum war der Antrag daher abzulehnen. Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG. Die Teilabweisung war vorliegend nicht mit mehr als einem Viertel zu bewerten, da der Streitgegenstand hier vornehmlich die Frage war, ob dem Antragsteller überhaupt Leistungen zu gewähren sind. Dem Antragsteller war Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Aus den oben dargelegten Gründen bot die Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg, so dass ein Anspruch auf Gewährung von Prozesskostenhilfe bestand.
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