Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
20
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 20 AS 5508/10
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Bemerkung
Die Kürzung des Sozialgeldes für Zeiten der Abwesenheit aus der Bedarfsgemeinschaft wegen der Ausübung des Umgangs mit dem getrennt lebenden Elternteil ist rechtswidrig.
Es ist als Folge der problematischen Rechtsfigur der Bedarfsgemeinschaft hinzunehmen
Es ist als Folge der problematischen Rechtsfigur der Bedarfsgemeinschaft hinzunehmen
I. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin im Zeitraum 1. Juli 2010 bis 31. Dezember 2010 Sozialgeld in Höhe von weiteren 28,67 EUR pro Monat zu gewähren.
II. Der Bescheid vom 15. Juni 2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21. Juni 2010 und 2. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2010 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
III. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Juli 2010 bis 31. Dezember 2010. Die am 1966 geborene Mutter der am 2005 geborenen Klägerin ist arbeitslos und beantragte bei dem Beklagten am 7. Dezember 2004 erstmals Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für sich und ihren damaligen Lebensgefährten Herrn Z. , den Vater der Klägerin. Seit März 2007 bewohnt die Klägerin zusammen mit ihrer Mutter eine ca. 60 m² große Wohnung in W ... Auf den Weiterbewilligungsantrag der Mutter der Klägerin vom 15. Juni 2010 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 15. Juni 2010 der Bedarfsgemeinschaft für die Monate Juli bis Dezember 2010 monatlich vorläufig 773,75 EUR. Davon entfielen 87,75 EUR auf die Klägerin. Mit Änderungsbescheid vom 21. Juni 2010 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft vorläufig monatlich 727,88 EUR für den selben Zeitraum. Davon entfielen 82,55 EUR auf die Klägerin. Die Mutter der Klägerin erhob am 12. Juli 2010 Widerspruch. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 2. August 2010 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft monatlich 753,33 EUR für den selben Zeitraum. Davon entfielen 67,33 EUR auf die Klägerin. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. August 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin und ihre Mutter haben am 26. August 2010 Klage vor dem Sozialgericht Dresden erhoben. Sie tragen im Wesentlichen vor, zwar halte sich die Klägerin in der Regel einmal im Monat bei ihrem Vater auf. Es handele sich hierbei aber nicht um vier volle Tage. Die Begrenzung der Zahlung der Regelleistung auf bestimmte Tage sei nicht zulässig. Der Vater der Klägerin habe durchgängig Leistungen nach dem SGB II bezogen. Die Klägerin beantragt: Der Bescheid vom 21. Juni 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2010 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die ungekürzte Regelleistung für nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige zu gewähren. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er trägt im Wesentlichen vor, an allen Tagen, an denen sich die Klägerin mehr als zwölf Stunden lang nicht im Haushalt der Mutter aufgehalten habe, sei sie nicht als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der Mutter leistungsberechtigt. Dies ergebe sich aus der vom Bundessozialgericht entwickelten Konstruktion der temporären Bedarfsgemeinschaft. Eine doppelte Gewährung der Regelleistung sei nach dieser Konstruktion nicht gewollt. Die Mutter der Klägerin hat ihre Klage am 15. November 2010 zurück genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von Sozialgeld in Höhe von weiteren 28,67 EUR im streitgegenständlichen Zeitraum. Der Bescheid vom 15. Juni 2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21. Juni 2010 und 2. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit er ihr diesen Anspruch versagt. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, Leistungen nach dem SGB II. Nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII haben, § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 2. März 2009 (BGBl. I, 416 – a. F.). Die Mutter der Klägerin erfüllte im streitgegenständlichen Zeitraum alle Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II. Die Klägerin lebte mit ihr im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum in einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Dies ergibt sich aus § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II, denn die Klägerin gehörte dem Haushalt ihrer Mutter an, da sie bei ihrer Mutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin sich an einzelnen Tagen im streitgegenständlichen Zeitraum im Rahmen der Umgangsrechtsausübung bei ihrem Vater aufgehalten hat. Zwar hat sie an diesen Tagen mit ihrem Vater eine zeitweise Bedarfsgemeinschaft im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts begründet (Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 14/06 R). Auch hat sie für diese Tage – in diesem Fall allerdings vertreten durch ihren Vater – bereits anderweitig anteilig Sozialgeld vom Beklagten bewilligt bekommen. Dies kann jedoch nicht dazu führen, dass das Sozialgeld der Klägerin – diesbezüglich vertreten durch ihre Mutter – entsprechend zu kürzen wäre. Denn das BSG hat ausdrücklich betont: "In der hier gegebenen Mangelsituation als Folge einer scheidungsbedingten Trennung einer Familie gilt es vor allem, eine Benachteiligung derjenigen Mitglieder der früheren Familie zu vermeiden, die von deren Nachwirkungen ebenfalls betroffen sind. Dies ist hier unter Umständen die frühere Ehefrau des Klägers und Mutter der beiden Töchter. Ihre Rechtsposition würde jedoch auch bei eigenem Alg-II-Bezug nicht nachteilig betroffen. Einem bedürftigen sorgeberechtigten Elternteil wird durch die Existenz einer zeitweiligen Bedarfsgemeinschaft der Kinder mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil nichts genommen, weil dessen eigene Leistungsansprüche aus §§ 20 - 22 SGB II nicht zu kürzen sind, sondern dessen individueller Anspruch aus § 23 SGB II während der Abwesenheit der Kinder ggf. sogar erhöht werden kann, weil die Kosten insoweit nicht aufzuteilen sind." (BSG, a. a. O., Rn. 28) Das BSG hat die Rechtsfigur der der zeitweisen Bedarfsgemeinschaft eingeführt, um dem Problem der Umgangskosten im Hinblick auf die besondere Förderungspflicht des Staates nach Art. 6 Abs. 1 GG gerecht zu werden. Über die Konstruktion einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft sollten die finanziellen Mehrbelastungen auf Seiten des umgangsberechtigten Elternteils (hier des Vaters) ausgeglichen werden. Diesem Ziel stünde es entgegen, wenn – wie vom Beklagten vorgenommen – dieser Ausgleich auf Seiten des Vaters zu einer entsprechenden Kürzung auf Seiten der Mutter einher ginge. Im Übrigen trifft es auch nicht zu, dass in der Bedarfsgemeinschaft der Mutter für die Tage der über 12-stündigen Abwesenheit der Klägerin jeweils Ersparnisse in Höhe von 1/30 des monatlichen Sozialgeldes angefallen wären. Eine Vielzahl der aus der Regelleistung – und damit auch aus dem Sozialgeld – nach § 20 Abs. 1 SGB II zu finanzierenden Bedarfe werden durch eine tageweise Abwesenheit der Klägerin im Haushalt ihrer Mutter nicht verringert. Dies betrifft insbesondere die Bedarfe für Hausrat und – im Alter der Klägerin auf Grund des Wachstums von besonderer Bedeutung – Bekleidung. An diesen Beispielen wird anschaulich, dass die Kürzung des Sozialgeldes der Klägerin seitens ihrer Angehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft ihrer Mutter mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz [GG] in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG) nicht in Einklang zu bringen ist. Denn im Rahmen der Ausübung des Umgangsrechts werden für die Klägerin u. a. bezüglich dieser beiden Bedarfe im Rahmen der beiden Bedarfsgemeinschaften, denen sie jeweils angehört, jeweils Kosten anfallen. Da ihr Vater für die Zeit des Umgangsrechts kindgerechten Hausrat (z. B. ein Kinderbett) und Bekleidung in seiner Wohnung vorhalten muss, entstehen ihm zusätzliche Kosten (a. A. möglicherweise BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 – B 14 AS 75/08 R, Rn. 17, ohne nähere Begründung), die ihm mit Hilfe der Rechtsfigur einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft ausgeglichen werden können. Dies führt jedoch nicht dazu, dass es im Haushalt der Mutter der Klägerin zu entsprechenden Einsparungen kommen würde. Vielmehr entstehen hinsichtlich dieser Bedarfe Kosten innerhalb beider Bedarfsgemeinschaften, denen die Klägerin angehört. Die Berechnungsweise des Beklagten lässt sich mit dem bedarfsdeckenden und pauschalierenden Charakter der Regelleistung nach dem SGB II (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008 – B 14 AS 22/07 R) nicht in Einklang bringen (a. A. LSG NRW, Urteil vom 21. April 2008 – L 20 AS 112/06, Rn. 47). Ebenso wenig, wie eine Kürzung der Regelleistung für die Dauer des Aufenthaltes in einem Krankenhaus wegen der dort gestellten Vollverpflegung in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008, a. a. O.), kann dies für die Dauer des Aufenthaltes bei dem umgangsberechtigten Elternteil der Fall sein. Dass dies dazu führt, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum als Mitglied zweier Bedarfsgemeinschaften insgesamt ein Höheres Sozialgeld erhält, als sich aus § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II a. F. unmittelbar ergibt, ist als vom BSG bei der Schaffung der Rechtsfigur der zeitweisen Bedarfsgemeinschaft erwartetes Umsetzungsproblem der Praxis "hinzunehmen als Folge der problematischen Rechtsfigur der Bedarfsgemeinschaft" (BSG, Urteil vom 7. November 2006, a. a. O., Rn. 28). Die Höhe des Anspruches des Klägerin als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ihrer Mutter auf Sozialgeld bemisst sich nach § 28 SGB II a. F. Der Bedarf der Klägerin ergibt sich zum einen aus dem ihr gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II a. F. zustehenden Sozialgeld in Höhe von 215 EUR. Zum anderen gehören dazu die der Klägerin gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zustehenden Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 198 EUR. Von dem sich danach ergebenden Bedarf in Höhe von monatlich 413 EUR war monatlich gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II Kindergeld in Höhe von 184 EUR und nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II Unterhaltsvorschuss in Höhe von 133 EUR abzuziehen, so dass ein monatlicher Anspruch in Höhe von 96 EUR verbleibt. Der Beklagte hat der Klägerin ausweislich des letzten maßgeblichen Änderungsbescheides vom 2. August 2010 im streitgegenständlichen Zeitraum monatlich 67,33 EUR gewährt. Damit hat die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung von Sozialgeld in Höhe von weiteren 28,67 EUR monatlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Berufung, die der Zulassung bedarf, da der Wert des Beschwerdegegenstandes weniger als 750 EUR beträgt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Soweit ersichtlich liegt noch keine höchstrichterliche Entscheidung dazu vor, ob die Rechtsfigur der zeitweisen Bedarfsgemeinschaft zu einer Kürzung des Sozialgeldes des Kindes als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit dem Elternteil, der das Umgangsrecht gewährt, führen kann.
II. Der Bescheid vom 15. Juni 2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21. Juni 2010 und 2. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2010 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
III. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Juli 2010 bis 31. Dezember 2010. Die am 1966 geborene Mutter der am 2005 geborenen Klägerin ist arbeitslos und beantragte bei dem Beklagten am 7. Dezember 2004 erstmals Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für sich und ihren damaligen Lebensgefährten Herrn Z. , den Vater der Klägerin. Seit März 2007 bewohnt die Klägerin zusammen mit ihrer Mutter eine ca. 60 m² große Wohnung in W ... Auf den Weiterbewilligungsantrag der Mutter der Klägerin vom 15. Juni 2010 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 15. Juni 2010 der Bedarfsgemeinschaft für die Monate Juli bis Dezember 2010 monatlich vorläufig 773,75 EUR. Davon entfielen 87,75 EUR auf die Klägerin. Mit Änderungsbescheid vom 21. Juni 2010 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft vorläufig monatlich 727,88 EUR für den selben Zeitraum. Davon entfielen 82,55 EUR auf die Klägerin. Die Mutter der Klägerin erhob am 12. Juli 2010 Widerspruch. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 2. August 2010 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft monatlich 753,33 EUR für den selben Zeitraum. Davon entfielen 67,33 EUR auf die Klägerin. Mit Widerspruchsbescheid vom 16. August 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin und ihre Mutter haben am 26. August 2010 Klage vor dem Sozialgericht Dresden erhoben. Sie tragen im Wesentlichen vor, zwar halte sich die Klägerin in der Regel einmal im Monat bei ihrem Vater auf. Es handele sich hierbei aber nicht um vier volle Tage. Die Begrenzung der Zahlung der Regelleistung auf bestimmte Tage sei nicht zulässig. Der Vater der Klägerin habe durchgängig Leistungen nach dem SGB II bezogen. Die Klägerin beantragt: Der Bescheid vom 21. Juni 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2010 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die ungekürzte Regelleistung für nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige zu gewähren. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er trägt im Wesentlichen vor, an allen Tagen, an denen sich die Klägerin mehr als zwölf Stunden lang nicht im Haushalt der Mutter aufgehalten habe, sei sie nicht als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der Mutter leistungsberechtigt. Dies ergebe sich aus der vom Bundessozialgericht entwickelten Konstruktion der temporären Bedarfsgemeinschaft. Eine doppelte Gewährung der Regelleistung sei nach dieser Konstruktion nicht gewollt. Die Mutter der Klägerin hat ihre Klage am 15. November 2010 zurück genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von Sozialgeld in Höhe von weiteren 28,67 EUR im streitgegenständlichen Zeitraum. Der Bescheid vom 15. Juni 2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21. Juni 2010 und 2. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit er ihr diesen Anspruch versagt. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, Leistungen nach dem SGB II. Nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII haben, § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der Fassung des Gesetzes vom 2. März 2009 (BGBl. I, 416 – a. F.). Die Mutter der Klägerin erfüllte im streitgegenständlichen Zeitraum alle Voraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 4 SGB II. Die Klägerin lebte mit ihr im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum in einer Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Dies ergibt sich aus § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II, denn die Klägerin gehörte dem Haushalt ihrer Mutter an, da sie bei ihrer Mutter ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin sich an einzelnen Tagen im streitgegenständlichen Zeitraum im Rahmen der Umgangsrechtsausübung bei ihrem Vater aufgehalten hat. Zwar hat sie an diesen Tagen mit ihrem Vater eine zeitweise Bedarfsgemeinschaft im Sinne der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts begründet (Urteil vom 7. November 2006 – B 7b AS 14/06 R). Auch hat sie für diese Tage – in diesem Fall allerdings vertreten durch ihren Vater – bereits anderweitig anteilig Sozialgeld vom Beklagten bewilligt bekommen. Dies kann jedoch nicht dazu führen, dass das Sozialgeld der Klägerin – diesbezüglich vertreten durch ihre Mutter – entsprechend zu kürzen wäre. Denn das BSG hat ausdrücklich betont: "In der hier gegebenen Mangelsituation als Folge einer scheidungsbedingten Trennung einer Familie gilt es vor allem, eine Benachteiligung derjenigen Mitglieder der früheren Familie zu vermeiden, die von deren Nachwirkungen ebenfalls betroffen sind. Dies ist hier unter Umständen die frühere Ehefrau des Klägers und Mutter der beiden Töchter. Ihre Rechtsposition würde jedoch auch bei eigenem Alg-II-Bezug nicht nachteilig betroffen. Einem bedürftigen sorgeberechtigten Elternteil wird durch die Existenz einer zeitweiligen Bedarfsgemeinschaft der Kinder mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil nichts genommen, weil dessen eigene Leistungsansprüche aus §§ 20 - 22 SGB II nicht zu kürzen sind, sondern dessen individueller Anspruch aus § 23 SGB II während der Abwesenheit der Kinder ggf. sogar erhöht werden kann, weil die Kosten insoweit nicht aufzuteilen sind." (BSG, a. a. O., Rn. 28) Das BSG hat die Rechtsfigur der der zeitweisen Bedarfsgemeinschaft eingeführt, um dem Problem der Umgangskosten im Hinblick auf die besondere Förderungspflicht des Staates nach Art. 6 Abs. 1 GG gerecht zu werden. Über die Konstruktion einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft sollten die finanziellen Mehrbelastungen auf Seiten des umgangsberechtigten Elternteils (hier des Vaters) ausgeglichen werden. Diesem Ziel stünde es entgegen, wenn – wie vom Beklagten vorgenommen – dieser Ausgleich auf Seiten des Vaters zu einer entsprechenden Kürzung auf Seiten der Mutter einher ginge. Im Übrigen trifft es auch nicht zu, dass in der Bedarfsgemeinschaft der Mutter für die Tage der über 12-stündigen Abwesenheit der Klägerin jeweils Ersparnisse in Höhe von 1/30 des monatlichen Sozialgeldes angefallen wären. Eine Vielzahl der aus der Regelleistung – und damit auch aus dem Sozialgeld – nach § 20 Abs. 1 SGB II zu finanzierenden Bedarfe werden durch eine tageweise Abwesenheit der Klägerin im Haushalt ihrer Mutter nicht verringert. Dies betrifft insbesondere die Bedarfe für Hausrat und – im Alter der Klägerin auf Grund des Wachstums von besonderer Bedeutung – Bekleidung. An diesen Beispielen wird anschaulich, dass die Kürzung des Sozialgeldes der Klägerin seitens ihrer Angehörigkeit zur Bedarfsgemeinschaft ihrer Mutter mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz [GG] in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG) nicht in Einklang zu bringen ist. Denn im Rahmen der Ausübung des Umgangsrechts werden für die Klägerin u. a. bezüglich dieser beiden Bedarfe im Rahmen der beiden Bedarfsgemeinschaften, denen sie jeweils angehört, jeweils Kosten anfallen. Da ihr Vater für die Zeit des Umgangsrechts kindgerechten Hausrat (z. B. ein Kinderbett) und Bekleidung in seiner Wohnung vorhalten muss, entstehen ihm zusätzliche Kosten (a. A. möglicherweise BSG, Urteil vom 2. Juli 2009 – B 14 AS 75/08 R, Rn. 17, ohne nähere Begründung), die ihm mit Hilfe der Rechtsfigur einer zeitweisen Bedarfsgemeinschaft ausgeglichen werden können. Dies führt jedoch nicht dazu, dass es im Haushalt der Mutter der Klägerin zu entsprechenden Einsparungen kommen würde. Vielmehr entstehen hinsichtlich dieser Bedarfe Kosten innerhalb beider Bedarfsgemeinschaften, denen die Klägerin angehört. Die Berechnungsweise des Beklagten lässt sich mit dem bedarfsdeckenden und pauschalierenden Charakter der Regelleistung nach dem SGB II (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008 – B 14 AS 22/07 R) nicht in Einklang bringen (a. A. LSG NRW, Urteil vom 21. April 2008 – L 20 AS 112/06, Rn. 47). Ebenso wenig, wie eine Kürzung der Regelleistung für die Dauer des Aufenthaltes in einem Krankenhaus wegen der dort gestellten Vollverpflegung in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008, a. a. O.), kann dies für die Dauer des Aufenthaltes bei dem umgangsberechtigten Elternteil der Fall sein. Dass dies dazu führt, dass die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum als Mitglied zweier Bedarfsgemeinschaften insgesamt ein Höheres Sozialgeld erhält, als sich aus § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II a. F. unmittelbar ergibt, ist als vom BSG bei der Schaffung der Rechtsfigur der zeitweisen Bedarfsgemeinschaft erwartetes Umsetzungsproblem der Praxis "hinzunehmen als Folge der problematischen Rechtsfigur der Bedarfsgemeinschaft" (BSG, Urteil vom 7. November 2006, a. a. O., Rn. 28). Die Höhe des Anspruches des Klägerin als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ihrer Mutter auf Sozialgeld bemisst sich nach § 28 SGB II a. F. Der Bedarf der Klägerin ergibt sich zum einen aus dem ihr gemäß § 28 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 SGB II a. F. zustehenden Sozialgeld in Höhe von 215 EUR. Zum anderen gehören dazu die der Klägerin gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II zustehenden Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 198 EUR. Von dem sich danach ergebenden Bedarf in Höhe von monatlich 413 EUR war monatlich gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II Kindergeld in Höhe von 184 EUR und nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II Unterhaltsvorschuss in Höhe von 133 EUR abzuziehen, so dass ein monatlicher Anspruch in Höhe von 96 EUR verbleibt. Der Beklagte hat der Klägerin ausweislich des letzten maßgeblichen Änderungsbescheides vom 2. August 2010 im streitgegenständlichen Zeitraum monatlich 67,33 EUR gewährt. Damit hat die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung von Sozialgeld in Höhe von weiteren 28,67 EUR monatlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Die Berufung, die der Zulassung bedarf, da der Wert des Beschwerdegegenstandes weniger als 750 EUR beträgt (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG), war zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG. Soweit ersichtlich liegt noch keine höchstrichterliche Entscheidung dazu vor, ob die Rechtsfigur der zeitweisen Bedarfsgemeinschaft zu einer Kürzung des Sozialgeldes des Kindes als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit dem Elternteil, der das Umgangsrecht gewährt, führen kann.
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