Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
4
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 2005/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Einarmigen Personen mit Verletzung der verbliebenen rechten Hand steht regelmäßig ein wichtiger Grund i. S. v. § 31 Abs. 1 S. 2 SGB II zur Seite
Der Bescheid des Beklagten vom 21. März 2011 in der Ge-stalt des Widerspruchsbescheids vom 28. September 2011 wird aufgehoben. Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kos-ten des Verfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin, die im Bezug laufender Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II steht, wendet sich gegen die Absenkung von Arbeitslosengeld II um 100 v.H. für die Zeit vom ... 2011 bis zum ...i 2011.
Die 1959 geborene Klägerin, eine Schwerbehinderte zu deren Gunsten ein Grad der Behinderung (GdB) von seit dem ...l 1975 von 50 v.H. und seit dem ... 1991 von 60 v.H. wegen des angeborenen Fehlens des linkem Unterarms und der linken Hand sowie wegen psychovegetativer Dysregulation festgestellt worden ist (vgl. Bescheide des Versorgungsamts Karlsruhe vom ... 1975 und vom ... 1991), unterzog sich am ... 2010 stationär der rechtsseitigen Medianus Neurolyse im Kreiskrankenhaus Mühlacker.
Mit Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt vom ... 2011 gab der Be-klagte der Klägerin auf, pro Monat mindestens jeweils zwei Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige oder geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und Nachweise darüber bis zum 01. des Folgemonats der Behörde vorzulegen. In der Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt wurde die Klägerin über die Rechtsfolgen unterlassener Eigenbemühungen und des Nachweises der Vorlage selbiger belehrt. Am ... 2011 sprach die Klägerin persönlich bei der Mitarbeiterin V. des Beklagten vor. Dort wurde ihr die wiederholte Nichteinhaltung der Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt vom ... 2011 vorgehalten.
Mit Absenkungsbescheid vom ... 2011 verfügte der Beklagte den Wegfall des Arbeitslosengeldes II zu Gunsten der Klägerin für die Zeit vom ...l 2011 bis zum ... 2011. Von der Absenkung betroffen sei die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Zur Begründung hieß es, die Klägerin habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen ihre in der Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt vom ... 2011 festgelegten Pflichten nicht erfüllt, da sie Eigenbemühungen nicht nachgewiesen habe. Gründe, die dieses Verhalten erklärten oder als wichtig im Sinne der Vorschriften des SGB XII anzuerkennen seien, seien trotz Aufforderung nicht angegeben oder nachgewiesen worden. Auf Antrag könne die Klägerin in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen - insbesondere in Form von Lebensmittelgutscheinen - erhalten. Dem Absenkungsbescheid, der im Übrigen nur als Entwurf (Bl. 500) aktenkundig war, fehlte darüber hinaus ein Postabgangsvermerk.
Am ... 2011 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.
Das Sozialgericht hat in der Klageerhebung zugleich eine wirksame Widerspruchser-hebung erkannt und den Beklagten zur Durchführung des Widerspruchsverfahrens aufgefordert. Daraufhin hat der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Absenkungsbescheid vom ... 2011 mit Widerspruchsbescheid vom ... 2011 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es, die Klägerin habe ihre Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt vom ... 2011 - nämlich Nachweise über Eigenbemühungen vorzulegen - nicht eingehalten. Ein wichtiger Grund für dieses Verhalten stehe der Klägerin nicht zur Seite. Nachdem der Klägerin das Arbeitslosengeld II in vorangegangenen Absenkungsverfahren zunächst um 30 v.H. und sodann um 60 v.H. jeweils bezogen auf drei Monate abgesenkt worden sei, sei nun für den streitgegenständlichen Zeitraum von April 2011 bis Juni 2011 eine Absenkung der Regelleistung um 100 v.H. zu verhängen gewesen.
Die Klägerin trägt im Klageverfahren vor, sie habe sich in Folge ihrer erheblichen ge-sundheitlichen Einschränkungen nicht um Arbeitsstellen bewerben können. Dement-sprechend habe sie auch keine Eigenbemühungen gegenüber dem Beklagten nach-zuweisen gehabt.
Die Klägerin beantragt,
den Absenkungsbescheid vom ... 2011 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheids vom ... 2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Anhörung der von der Klägerin als behandelnde Ärzte benannten Mediziner im Wege schriftlicher sachverständiger Zeugenaussagen.
Geäußert hat sich der Neurologe R ..., N ... mit Aussage vom ... 2011. Da-rin führt der er aus, die Klägerin am ... 2011 in seiner Praxis untersucht und behandelt zu haben. An ihrer rechten Hand sei noch eine leichte Schwäche und bestehende Kribbelparästhesien festzustellen gewesen.
Der Radiologe Dr. S ..., M ..., hat dem Gericht unter dem ... 2011 mitgeteilt, die Klägerin sei seit 1989 bei ihm regelmäßig zur Diagnostik beider Mammae erschienen. Am ... 2010 sei die letzte Mammographie durchgeführt worden. Am ... 2011 sei ein MRT der Halswirbelsäule durchgeführt worden. Dabei sei eine Dehydrierung aller zervikalen Discusfächer bei Instabilität mit reaktiver Uncovertebralarthrose zu beschreiben gewesen, betont bei den Halswirbeln 5-6 und 6-7. Es habe eine grenzwertige Weite der entsprechenden Neuroforamen sowie eine Wurzelkompression von C6 und C7 bestanden.
Der Chirurg und Unfallchirurg Dr. K ..., Krankenhaus M ..., hat dem Gericht unter dem ... 2011 berichtet, die Klägerin am ..., ... und ... 2010 sowie am ... 2010 und am ... 2010 sowie am ... 2011 behandelt zu haben. Bei den Untersuchungen von Januar 2011 bis einschließlich Juni 2011 sei der Verdacht auf ein Sulcus ulnaris Syndrom rechts geäußert worden. Im Bereich des 4. und 5. Fingers rechts seien Sensibilitätsminderungen und Schmerzen festzustellen gewesen, vor allem im 5. Finger. Die Narbe am rechten Handgelenk nach der Operation am ... 2010 sei reizlos gewesen.
Darüber hinaus hat die Klägerin dem Gericht eine auf den ... 2012 datierende ärztliche Bescheinigung des Orthopäden Dr. Dr. D ...l, M ..., vorgelegt, in der dieser über die im Kreiskrankenhaus M ... am ... 2010 stationär durchgeführte rechtsseitige Medianus Neurolyse der Klägerin berichtet. Darin führt Dr. Dr. D ... aus, eine AU -Ausstellung von zwei bis drei Wochen sei bei einer solchen Maßnahme üblich. Dies gelte insbesondere, wenn wie vorliegend, die Patientin nur über den rechten Arm verfüge. Offensichtlich hätten bei der Klägerin aber weiterhin Beschwerden bestanden, dies ergebe sich aus ihm vorliegenden Arztberichten des Kreiskrankenhauses M ... vom ... 2010 und ... 2011. Selbst der Neurologe R ... bestätige am ... 2011 noch ein leichtes sensibles CTS. Grad unter dem Aspekt der Einhändigkeit ergebe sich dadurch im vorliegenden Fall eine deutlich verlängerte AU-Zeit.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Behördenakte (1 Band), den Inhalt der beigezogenen Schwerbehindertenakte (2 Bände) und den Inhalt der Prozessakte (S 4 AS 2005/11) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache Erfolg.
Der Absenkungsbescheid des Beklagten vom ... 2011 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheids vom ... 2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Beklagte hat das der Klägerin in den Monaten April, Mai und Juni 2011 zustehende Arbeitslosengeld II zu Unrecht um 100 v.H. abgesenkt.
Gemäß § 31 Abs. 1 SGB II verletzen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Pflichten, gegenüber dem Grundsicherungsträger, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis sich weigern, in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemü-hungen nachzuweisen. Bei einer Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 SGB II mindert sich gemäß § 31a Abs. 1 SGB II das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 v.H. des für die erwerbsfähige leistungsfähige Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. Bei einer ersten wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 SGB II mindert sich das Arbeitslosengeld II um 60 v.H. des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs. Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 SGB II entfällt das Arbeitslosengeld II sodann vollständig (§ 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II). Eine wiederholte Pflichtverletzung liegt nur vor, wenn bereits zuvor eine Minderung festgestellt wurde. Sie liegt nicht vor, wenn der Beginn des vorangegangenen Minderungszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt. Dies alles gilt gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II indes nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.
Danach steht zur Überzeugung des Gerichts zwar fest, dass die Klägerin entgegen der Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt vom ... 2011 dem Beklagten Eigenbemühungen nicht nachgewiesen hat. Hierfür hat der Klägerin aber ein wichtiger Grund im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II zur Seite gestanden. Wichtige Gründe im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II können alle Umstände des Einzelfalls sein, die unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Hilfebedürftigen in Abwägung mit etwa entgegenstehenden Belangen der Allgemeinheit das Verhalten des Hilfebedürftigen rechtfertigen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 09. November 2010, B 4 AS 27/10 R, JURIS). Ob dies der Fall ist, unterliegt als unbestimmtem Rechtsbegriff ohne einen Beurteilungsspielraum des Leistungsträgers in vollem Umfang von Amts wegen der gerichtlichen Kontrolle. Die dem Leistungsberechtigten auferlegte Nachweispflicht setzt nicht voraus, dass der Leistungsberechtigte einen objektiv vorliegenden wichtigen Grund als solchen erkennt und sein Verhalten hiernach ausgerichtet hat. Bei der Kasuistik wichtiger Gründe im Vordergrund stehen persönliche, insbesondere gesundheitliche oder familiäre Gründe (vgl. näher Berlit, in LPK SGB II, 4. Auflage 2011, § 31 Rn. 65 und Rn. 67 m.w.N. der Rechtsprechung).
An diesem Prüfungsmaßstab orientiert, nimmt das erkennende Gericht zunächst die Besonderheit in den Blick, dass es sich bei der Klägerin um eine schwerbehinderte Einhänderin handelt, der es seit Geburt am linken Unterarm und der linken Hand fehlt und die darüber hinaus dauernd an psychovegetativer Dysregulation leidet (vgl. zuletzt den Versorgungsamtsbescheid vom ... 1991). Weiter berücksichtigt das Gericht, dass sich die Klägerin an der noch erhaltenen rechten Hand am ... 2010 einem grundsicherungsrechtlich nicht duldungspflichtigen operativen Eingriff unterzogen hat, dessen Folgen für die Klägerin noch am ... 2011 in relevanter Weise spürbar gewesen sind (leichte Schwäche der rechten Hand bei fortbestehenden Kribbelparästhesien). Dies ist für das Gericht aufgrund der sachverständigen Zeu-genaussage des Neurologen R ... vom ... 2011 und derjenigen des Chirurgen Dr. K ... vom ... 2011 nachgewiesen. Darüber hinaus sind bei der Klägerin für das erste Halbjahr 2011 durch MRT der Halswirbelsäule vom ... 2011 folgende Gesundheitsstörungen nachgewiesen: Dehydrierung aller vertikalen Discusfächer bei Instabilität mit reaktiver Uncovertebralarthrose, betont bei HWK 5/6 und 6/7 sowie eine Wurzelkompression von C6 und C7. Die vorgenannten Gesundheitsstörungen sind vor dem Hintergrund der Einarm- und Einhändigkeit der Klägerin erschwerend zu berücksichtigen. Erfüllte die Klägerin, die zuletzt 1981 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist, die sogenannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 SGB VI, läge in ihrem Fall rentenversicherungsrechtlich eine sogenannte schwere spezifische Leistungseinschränkung in Folge Einarmigkeit vor, mit der weiteren Folge, dass ihr entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren wäre (vgl. nur Bundessozialgericht, Urteil vom 15. Januar 1981, 4 RJ 109/79, JURIS, seither ständige Rspr.).
Vor diesem Hintergrund hat das erkennende Gericht grundlegende Zweifel, ob die Klägerin, der Erwerbsminderungsrente nur deshalb nicht zusteht, weil sie die versi-cherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 43 SGB VI nicht erfüllt, überhaupt erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II ist. Voraussetzung dafür ist nämlich, dass die Hilfebedürftige nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dementsprechend wäre der Beklagte gehalten gewesen, von Amts wegen die Frage der Erwerbsfähigkeit der Klägerin im Sinne von §§ 7, 8 SGB II prüfen zu lassen. Diese Aufgabe kann der Beklagte auch nicht im Rahmen eines Absenkungsverfahrens auf das zur Rechtskontrolle berufene Sozialgericht verlagern. Dies widerspräche in diametraler Weise dem in Art. 19 Abs. 4, 20 GG verankerten Gewaltenteilungsgrundsatz und überfrachtete das auf Rechtskontrolle gerichtete effektive Rechtsschutzverfahren mit den ureigensten Amtsermittlungspflichten des Beklagten.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Klägerin für die Zeit ab Januar 2011 ein wichtiger Grund für die Tatsache zur Seite gestanden hat, die Eingliederungsverein-barung vom ... 2011 nicht zu erfüllen.
Darüber hinaus und unabhängig vom Vorstehenden bestehen erhebliche Zweifel an der 100 v.H.-Absenkung im angefochtenen Bescheid vom ... 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ... 2011 auch deshalb, weil die bestandskräftig gewordenen Absenkungsbescheide vom ... 2010, ... 2011 und ... 2011 angesichts der vorstehenden Ausführungen im Rahmen von derzeit noch möglichen Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X kaum Bestand haben dürften. Wie bereits ausgeführt, hat nämlich die Operation an der einzig der Klägerin verbliebenen rechten Hand schon am ... 2010 stattgefunden. Seither ist die auf die rechte Hand und den rechten Arm allein zurückgeworfen und zwingend angewiesene Klägerin auch mit dieser Hand nicht voll einsatzfähig gewesen. Dies erstreckt sich auf sämtliche Sanktionszeiträume seit Oktober 2010, sodass insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen der ärztlichen Bescheinigung von Dr. Dr. D ... vom ... 2012 auch insoweit ganz erhebliche rechtliche Bedenken bestehen.
Die Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Die Klägerin, die im Bezug laufender Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II steht, wendet sich gegen die Absenkung von Arbeitslosengeld II um 100 v.H. für die Zeit vom ... 2011 bis zum ...i 2011.
Die 1959 geborene Klägerin, eine Schwerbehinderte zu deren Gunsten ein Grad der Behinderung (GdB) von seit dem ...l 1975 von 50 v.H. und seit dem ... 1991 von 60 v.H. wegen des angeborenen Fehlens des linkem Unterarms und der linken Hand sowie wegen psychovegetativer Dysregulation festgestellt worden ist (vgl. Bescheide des Versorgungsamts Karlsruhe vom ... 1975 und vom ... 1991), unterzog sich am ... 2010 stationär der rechtsseitigen Medianus Neurolyse im Kreiskrankenhaus Mühlacker.
Mit Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt vom ... 2011 gab der Be-klagte der Klägerin auf, pro Monat mindestens jeweils zwei Bewerbungsbemühungen um sozialversicherungspflichtige oder geringfügige Beschäftigungsverhältnisse zu unternehmen und Nachweise darüber bis zum 01. des Folgemonats der Behörde vorzulegen. In der Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt wurde die Klägerin über die Rechtsfolgen unterlassener Eigenbemühungen und des Nachweises der Vorlage selbiger belehrt. Am ... 2011 sprach die Klägerin persönlich bei der Mitarbeiterin V. des Beklagten vor. Dort wurde ihr die wiederholte Nichteinhaltung der Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt vom ... 2011 vorgehalten.
Mit Absenkungsbescheid vom ... 2011 verfügte der Beklagte den Wegfall des Arbeitslosengeldes II zu Gunsten der Klägerin für die Zeit vom ...l 2011 bis zum ... 2011. Von der Absenkung betroffen sei die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts. Zur Begründung hieß es, die Klägerin habe trotz Belehrung über die Rechtsfolgen ihre in der Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt vom ... 2011 festgelegten Pflichten nicht erfüllt, da sie Eigenbemühungen nicht nachgewiesen habe. Gründe, die dieses Verhalten erklärten oder als wichtig im Sinne der Vorschriften des SGB XII anzuerkennen seien, seien trotz Aufforderung nicht angegeben oder nachgewiesen worden. Auf Antrag könne die Klägerin in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen - insbesondere in Form von Lebensmittelgutscheinen - erhalten. Dem Absenkungsbescheid, der im Übrigen nur als Entwurf (Bl. 500) aktenkundig war, fehlte darüber hinaus ein Postabgangsvermerk.
Am ... 2011 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.
Das Sozialgericht hat in der Klageerhebung zugleich eine wirksame Widerspruchser-hebung erkannt und den Beklagten zur Durchführung des Widerspruchsverfahrens aufgefordert. Daraufhin hat der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Absenkungsbescheid vom ... 2011 mit Widerspruchsbescheid vom ... 2011 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung heißt es, die Klägerin habe ihre Pflichten aus der Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt vom ... 2011 - nämlich Nachweise über Eigenbemühungen vorzulegen - nicht eingehalten. Ein wichtiger Grund für dieses Verhalten stehe der Klägerin nicht zur Seite. Nachdem der Klägerin das Arbeitslosengeld II in vorangegangenen Absenkungsverfahren zunächst um 30 v.H. und sodann um 60 v.H. jeweils bezogen auf drei Monate abgesenkt worden sei, sei nun für den streitgegenständlichen Zeitraum von April 2011 bis Juni 2011 eine Absenkung der Regelleistung um 100 v.H. zu verhängen gewesen.
Die Klägerin trägt im Klageverfahren vor, sie habe sich in Folge ihrer erheblichen ge-sundheitlichen Einschränkungen nicht um Arbeitsstellen bewerben können. Dement-sprechend habe sie auch keine Eigenbemühungen gegenüber dem Beklagten nach-zuweisen gehabt.
Die Klägerin beantragt,
den Absenkungsbescheid vom ... 2011 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheids vom ... 2011 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich auf die Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Anhörung der von der Klägerin als behandelnde Ärzte benannten Mediziner im Wege schriftlicher sachverständiger Zeugenaussagen.
Geäußert hat sich der Neurologe R ..., N ... mit Aussage vom ... 2011. Da-rin führt der er aus, die Klägerin am ... 2011 in seiner Praxis untersucht und behandelt zu haben. An ihrer rechten Hand sei noch eine leichte Schwäche und bestehende Kribbelparästhesien festzustellen gewesen.
Der Radiologe Dr. S ..., M ..., hat dem Gericht unter dem ... 2011 mitgeteilt, die Klägerin sei seit 1989 bei ihm regelmäßig zur Diagnostik beider Mammae erschienen. Am ... 2010 sei die letzte Mammographie durchgeführt worden. Am ... 2011 sei ein MRT der Halswirbelsäule durchgeführt worden. Dabei sei eine Dehydrierung aller zervikalen Discusfächer bei Instabilität mit reaktiver Uncovertebralarthrose zu beschreiben gewesen, betont bei den Halswirbeln 5-6 und 6-7. Es habe eine grenzwertige Weite der entsprechenden Neuroforamen sowie eine Wurzelkompression von C6 und C7 bestanden.
Der Chirurg und Unfallchirurg Dr. K ..., Krankenhaus M ..., hat dem Gericht unter dem ... 2011 berichtet, die Klägerin am ..., ... und ... 2010 sowie am ... 2010 und am ... 2010 sowie am ... 2011 behandelt zu haben. Bei den Untersuchungen von Januar 2011 bis einschließlich Juni 2011 sei der Verdacht auf ein Sulcus ulnaris Syndrom rechts geäußert worden. Im Bereich des 4. und 5. Fingers rechts seien Sensibilitätsminderungen und Schmerzen festzustellen gewesen, vor allem im 5. Finger. Die Narbe am rechten Handgelenk nach der Operation am ... 2010 sei reizlos gewesen.
Darüber hinaus hat die Klägerin dem Gericht eine auf den ... 2012 datierende ärztliche Bescheinigung des Orthopäden Dr. Dr. D ...l, M ..., vorgelegt, in der dieser über die im Kreiskrankenhaus M ... am ... 2010 stationär durchgeführte rechtsseitige Medianus Neurolyse der Klägerin berichtet. Darin führt Dr. Dr. D ... aus, eine AU -Ausstellung von zwei bis drei Wochen sei bei einer solchen Maßnahme üblich. Dies gelte insbesondere, wenn wie vorliegend, die Patientin nur über den rechten Arm verfüge. Offensichtlich hätten bei der Klägerin aber weiterhin Beschwerden bestanden, dies ergebe sich aus ihm vorliegenden Arztberichten des Kreiskrankenhauses M ... vom ... 2010 und ... 2011. Selbst der Neurologe R ... bestätige am ... 2011 noch ein leichtes sensibles CTS. Grad unter dem Aspekt der Einhändigkeit ergebe sich dadurch im vorliegenden Fall eine deutlich verlängerte AU-Zeit.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der dem Gericht vorliegenden Behördenakte (1 Band), den Inhalt der beigezogenen Schwerbehindertenakte (2 Bände) und den Inhalt der Prozessakte (S 4 AS 2005/11) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Anfechtungsklage hat in der Sache Erfolg.
Der Absenkungsbescheid des Beklagten vom ... 2011 in der Gestalt des Wider-spruchsbescheids vom ... 2011 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Der Beklagte hat das der Klägerin in den Monaten April, Mai und Juni 2011 zustehende Arbeitslosengeld II zu Unrecht um 100 v.H. abgesenkt.
Gemäß § 31 Abs. 1 SGB II verletzen erwerbsfähige Leistungsberechtigte ihre Pflichten, gegenüber dem Grundsicherungsträger, wenn sie trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis sich weigern, in der Eingliederungsvereinbarung oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II festgelegte Pflichten zu erfüllen, insbesondere in ausreichendem Umfang Eigenbemü-hungen nachzuweisen. Bei einer Pflichtverletzung nach § 31 Abs. 1 SGB II mindert sich gemäß § 31a Abs. 1 SGB II das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 v.H. des für die erwerbsfähige leistungsfähige Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. Bei einer ersten wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 SGB II mindert sich das Arbeitslosengeld II um 60 v.H. des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 SGB II maßgebenden Regelbedarfs. Bei jeder weiteren wiederholten Pflichtverletzung nach § 31 SGB II entfällt das Arbeitslosengeld II sodann vollständig (§ 31a Abs. 1 Satz 3 SGB II). Eine wiederholte Pflichtverletzung liegt nur vor, wenn bereits zuvor eine Minderung festgestellt wurde. Sie liegt nicht vor, wenn der Beginn des vorangegangenen Minderungszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt. Dies alles gilt gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II indes nicht, wenn erwerbsfähige Leistungsberechtigte einen wichtigen Grund für ihr Verhalten darlegen und nachweisen.
Danach steht zur Überzeugung des Gerichts zwar fest, dass die Klägerin entgegen der Eingliederungsvereinbarung per Verwaltungsakt vom ... 2011 dem Beklagten Eigenbemühungen nicht nachgewiesen hat. Hierfür hat der Klägerin aber ein wichtiger Grund im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II zur Seite gestanden. Wichtige Gründe im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II können alle Umstände des Einzelfalls sein, die unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Hilfebedürftigen in Abwägung mit etwa entgegenstehenden Belangen der Allgemeinheit das Verhalten des Hilfebedürftigen rechtfertigen (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 09. November 2010, B 4 AS 27/10 R, JURIS). Ob dies der Fall ist, unterliegt als unbestimmtem Rechtsbegriff ohne einen Beurteilungsspielraum des Leistungsträgers in vollem Umfang von Amts wegen der gerichtlichen Kontrolle. Die dem Leistungsberechtigten auferlegte Nachweispflicht setzt nicht voraus, dass der Leistungsberechtigte einen objektiv vorliegenden wichtigen Grund als solchen erkennt und sein Verhalten hiernach ausgerichtet hat. Bei der Kasuistik wichtiger Gründe im Vordergrund stehen persönliche, insbesondere gesundheitliche oder familiäre Gründe (vgl. näher Berlit, in LPK SGB II, 4. Auflage 2011, § 31 Rn. 65 und Rn. 67 m.w.N. der Rechtsprechung).
An diesem Prüfungsmaßstab orientiert, nimmt das erkennende Gericht zunächst die Besonderheit in den Blick, dass es sich bei der Klägerin um eine schwerbehinderte Einhänderin handelt, der es seit Geburt am linken Unterarm und der linken Hand fehlt und die darüber hinaus dauernd an psychovegetativer Dysregulation leidet (vgl. zuletzt den Versorgungsamtsbescheid vom ... 1991). Weiter berücksichtigt das Gericht, dass sich die Klägerin an der noch erhaltenen rechten Hand am ... 2010 einem grundsicherungsrechtlich nicht duldungspflichtigen operativen Eingriff unterzogen hat, dessen Folgen für die Klägerin noch am ... 2011 in relevanter Weise spürbar gewesen sind (leichte Schwäche der rechten Hand bei fortbestehenden Kribbelparästhesien). Dies ist für das Gericht aufgrund der sachverständigen Zeu-genaussage des Neurologen R ... vom ... 2011 und derjenigen des Chirurgen Dr. K ... vom ... 2011 nachgewiesen. Darüber hinaus sind bei der Klägerin für das erste Halbjahr 2011 durch MRT der Halswirbelsäule vom ... 2011 folgende Gesundheitsstörungen nachgewiesen: Dehydrierung aller vertikalen Discusfächer bei Instabilität mit reaktiver Uncovertebralarthrose, betont bei HWK 5/6 und 6/7 sowie eine Wurzelkompression von C6 und C7. Die vorgenannten Gesundheitsstörungen sind vor dem Hintergrund der Einarm- und Einhändigkeit der Klägerin erschwerend zu berücksichtigen. Erfüllte die Klägerin, die zuletzt 1981 versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist, die sogenannten versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 SGB VI, läge in ihrem Fall rentenversicherungsrechtlich eine sogenannte schwere spezifische Leistungseinschränkung in Folge Einarmigkeit vor, mit der weiteren Folge, dass ihr entsprechend der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Rente wegen voller Erwerbsminderung zu gewähren wäre (vgl. nur Bundessozialgericht, Urteil vom 15. Januar 1981, 4 RJ 109/79, JURIS, seither ständige Rspr.).
Vor diesem Hintergrund hat das erkennende Gericht grundlegende Zweifel, ob die Klägerin, der Erwerbsminderungsrente nur deshalb nicht zusteht, weil sie die versi-cherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 43 SGB VI nicht erfüllt, überhaupt erwerbsfähig im Sinne von § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 8 SGB II ist. Voraussetzung dafür ist nämlich, dass die Hilfebedürftige nicht wegen Krankheit oder Behinderung auf absehbare Zeit außer Stande ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Dementsprechend wäre der Beklagte gehalten gewesen, von Amts wegen die Frage der Erwerbsfähigkeit der Klägerin im Sinne von §§ 7, 8 SGB II prüfen zu lassen. Diese Aufgabe kann der Beklagte auch nicht im Rahmen eines Absenkungsverfahrens auf das zur Rechtskontrolle berufene Sozialgericht verlagern. Dies widerspräche in diametraler Weise dem in Art. 19 Abs. 4, 20 GG verankerten Gewaltenteilungsgrundsatz und überfrachtete das auf Rechtskontrolle gerichtete effektive Rechtsschutzverfahren mit den ureigensten Amtsermittlungspflichten des Beklagten.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Klägerin für die Zeit ab Januar 2011 ein wichtiger Grund für die Tatsache zur Seite gestanden hat, die Eingliederungsverein-barung vom ... 2011 nicht zu erfüllen.
Darüber hinaus und unabhängig vom Vorstehenden bestehen erhebliche Zweifel an der 100 v.H.-Absenkung im angefochtenen Bescheid vom ... 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ... 2011 auch deshalb, weil die bestandskräftig gewordenen Absenkungsbescheide vom ... 2010, ... 2011 und ... 2011 angesichts der vorstehenden Ausführungen im Rahmen von derzeit noch möglichen Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X kaum Bestand haben dürften. Wie bereits ausgeführt, hat nämlich die Operation an der einzig der Klägerin verbliebenen rechten Hand schon am ... 2010 stattgefunden. Seither ist die auf die rechte Hand und den rechten Arm allein zurückgeworfen und zwingend angewiesene Klägerin auch mit dieser Hand nicht voll einsatzfähig gewesen. Dies erstreckt sich auf sämtliche Sanktionszeiträume seit Oktober 2010, sodass insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen der ärztlichen Bescheinigung von Dr. Dr. D ... vom ... 2012 auch insoweit ganz erhebliche rechtliche Bedenken bestehen.
Die Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten beruht auf § 193 SGG.
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