L 29 AS 1244/12 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
29
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 61 AS 8132/12 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 29 AS 1244/12 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 12. April 2012 geändert.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird in vollem Umfang abgelehnt.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt M A, K. , B, beigeordnet.

Gründe:

I.

Der Antragsteller begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der 1974 geborene Antragsteller ist spanischer Staatsbürger und seit Februar 2011 in der Bundesrepublik Deutschland gemeldet. Zunächst war er ohne festen Wohnsitz, ab 1. September 2011 wohnt er unter der im Rubrum angegebenen Adresse. Der Antragsteller ist im Besitz einer vom Bezirksamt Neukölln von Berlin ausgestellten Bescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU vom 15. April 2011. Im Mai 2011 stellte der Antragsteller erstmalig einen Leistungsantrag bei dem Antragsgegner. Dem Antrag fügte er eine Erklärung bei, wonach er in B bis jetzt überlebt habe, weil er in Spanien sein Auto verkauft habe. Mit Bescheid vom 31. Mai 2011 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller für die Zeit vom 1. Mai 2011 bis 30. September 2011 Leistungen zur Grundsicherung des Lebensunterhalts in Höhe von insgesamt 328,- EUR monatlich. Mit Änderungsbescheid vom 31. August 2011 bewilligte der Antragsgegner dem Antragsteller unter nunmehriger Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft für die Zeit vom 1. September 2011 bis 30. September 2011 Leistungen in Höhe von insgesamt 699,12 EUR. Auf seinen Folgeantrag bewilligte ihm der Antragsgegner für die Zeit vom 1. Oktober 2011 bis 31. März 2012 Leistungen von monatlich insgesamt 699,12 EUR (Bescheide vom 31. August 2011 und 22. September 2011). Mit weiterem Änderungsbescheid vom 22. September 2011 bewilligte der Antragsgegner für die Zeit vom 1. Mai 2011 bis 31. August 2011 unter Berücksichtigung der Krankenversicherung bei der AOK Nordost Leistungen in Höhe von insgesamt 328,- EUR und für die Zeit vom 1. September 2011 bis 31. August 2011 Leistungen in Höhe von insgesamt 699,12 EUR.

Am 1. März 2012 beantragte er bei dem Antragsgegner erneut Leistungen nach dem SGB II Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 27. Februar 2012 unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II ab. Das Bundessozialgericht (BSG) habe mit Urteil vom 19. Oktober 2010 (Az. B 14 AS 23/10) entschieden, dass der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für Staatsangehörige von Vertragsstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) keine Anwendung finde. Aus diesem Grund seien Leistungen bewilligt worden. Nunmehr habe die Bundesrepublik Deutschland jedoch mit Wirkung zum 19. Dezember 2011 den Vorbehalt zum Europäischen Fürsorgeabkommen erklärt, keine Verpflichtung für eine Leistungsgewährung nach dem SGB II an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zu übernehmen. Damit fänden die Ausschlussgründe nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 SGB II auf die Staatsangehörigen der Vertragsstaaten wieder Anwendung.

Dagegen erhob der Antragsteller am 27. März 2012 (Eingangsdatum) unter Beifügung einer Bestätigung der Inhaberin des Restaurants C C, S T, über eine beabsichtigte Einstellung des Antragstellers ab 1. April 2012 als Aushilfskraft auf 120,- EUR - Basis, Widerspruch und beantragte gleichzeitig bei dem Sozialgericht Berlin, den Antragsgegner zu verpflichten, ihm für die Zeit ab Antragseingang bei Gericht bis zum Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache vorläufig darlehensweise Leistungen gemäß dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Der Leistungsausschluss greife bereits deshalb nicht, weil der Antragsteller eine hinreichende Verbindung zum Arbeitsmarkt aufweise und Leistungen nur aufstockend beziehen würde. Er habe im März 2012 eine geringfügige Beschäftigung mit einem Entgelt von 60,- EUR erzielt und werde ab April 2012 120,- EUR monatlich erzielen. Im Übrigen ergäbe sich ein Anspruch unabhängig vom Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) aus der Verordnung (VO) EG 883/2004.

Der Antragsgegner hat darauf hingewiesen, dass ein Anspruch schon im Hinblick auf den Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 SGB II nicht glaubhaft gemacht sei. Insbesondere sei der Aufenthalt als Arbeitnehmer oder als selbständig Tätiger nicht glaubhaft gemacht. Ein Nachweis über die geringfügige Beschäftigung mit einem Entgelt in Höhe von 60,- EUR liege nicht vor. Unabhängig davon würde diese Beschäftigung nach Ansicht des Antragsgegners auch nicht dazu führen, dass ein Aufenthaltsgrund als Arbeitnehmer vorliege. Zwar finde sich im Freizügigkeitsgesetz/EU keine Bestimmung, wonach "Arbeitnehmer" im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügigkeitsG/EU nur ein mehr als geringfügig Beschäftigter wäre. Außer acht bleiben jedoch "Tätigkeiten", die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen. Ein Anhaltspunkt dafür sei, dass die betreffende Person nur sehr wenige Stunden gearbeitet habe. In einer Entscheidung des 14. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg, L 14 B 963/06 AS ER, werde davon ausgegangen, dass eine Tätigkeit jedenfalls dann nicht völlig untergeordnet sei, wenn sie einen Umfang von wöchentlich 10 Stunden aufweise und tariflich entlohnt werde. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Der Antragsteller arbeite – angesichts der geringen Entlohnung – offensichtlich deutlich weniger als 10 Stunden pro Woche. Folglich gelte er nicht als Arbeitnehmer und sei somit von dem Leistungsausschluss erfasst. In dem nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vorgesehenen Leistungsausschluss für arbeitsuchende Unionsbürger werde kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 der VO (EG) Nr. 883/2004 gesehen. Insoweit werde auf den Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 19. Februar 2012, L 20 AS 2347/11 B ER verwiesen.

Das Sozialgericht Berlin hat den Antragsgegner mit Beschluss vom 12. April 2012 verpflichtet, dem Antragsteller für den Zeitraum April bis September 2012 vorläufig darlehensweise Leistungen gemäß dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Der Antragsteller habe einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Zwar käme die Anwendung des Ausschlusstatbestandes des § 7 Abs.1 Satz 2 Nr. 2 SGB II in Betracht. Gegen die Anwendbarkeit dieser Vorschrift bestünden in der Rechtsprechung allerdings tiefgreifende europarechtliche Bedenken. Deswegen sei im Rahmen einer Folgenabwägung zu entscheiden und diese falle zu Gunsten des Antragstellers aus.

Gegen diesen dem Antragsgegner am 13. April 2012 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 11. Mai 2012 Beschwerde eingelegt und auf den Beschluss des 5. Senats des LSG Berlin-Brandenburg vom 3. April 2012, L 5 AS 2157/11 B ER und des 20. Senats des LSG Berlin-Brandenburg vom 29. Februar 2012, L 20 AS 2347/11 B ER verwiesen.

Der Antragsteller hat hierzu im Schreiben vom 11. Juni 2012 ergänzend ausgeführt, er habe sich erst nach dem Ablehnungsbescheid verstärkt um die Aufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses bemüht. Absprachegemäß habe er vorrangig an dem Integrationskurs teilnehmen sollen und keine Eigenbemühungen nachzuweisen gehabt. Dem Schreiben fügte er eine Gehaltsabrechnung für April 2012 (Austrittsdatum: 11. April 2012) in Kopie sowie einen von der Inhaberin des Cafe T, Frau S T, und dem Antragsteller unterzeichneten "Arbeitsvorvertrag" vom 21. Juni 2012, wonach das Arbeitsverhältnis für eine Tätigkeit als "Aushilfskraft für die Spüle" ab 1. Juli 2012 mit einer monatlichen Bruttovergütung von 80,- EUR bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von zur Zeit drei Stunden beginnen und auf unbestimmte Zeit geschlossen sein soll. Beigebracht wird ferner ein weiteres mit "Arbeitsvorvertrag" überschriebenes Schreiben vom "22.07.10" der Frau S T, worin sie mitteilt, dem Antragsteller eine Stelle auf 80,- EUR - Basis zur Unterstützung ihres Teams als Aushilfskraft für die Spüle ab dem 1. Juli 2012 anbieten zu wollen. Bei Umsatzsteigerung nach der Europameisterschaft sei eine Vergütung von 160,- EUR sowie ein Hocharbeiten als Hilfskoch möglich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Mai 2012 hat der Antragsgegner den Widerspruch zurückgewiesen. Nach eigenem Vortrag des Antragstellers hat dieser dagegen Klage bei dem Sozialgericht Berlin erhoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behelfsakte des Antragsgegners Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet. Das Sozialgericht hat in dem angefochtenen Beschluss den Antragsgegner zu Unrecht vorläufig zur Leistung verpflichtet.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragstellerin das Bestehen eines zu sichernden Rechts (den so genannten Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (den so genannten Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung – ZPO). Auch im Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich (OVG Hamburg, NVwZ 1990, 975).

Für die von dem Antragsteller begehrten Zeiträume ab April 2012 bis zur Entscheidung des erkennenden Senates steht dem Antragsteller ein Anordnungsgrund nicht zur Seite. Derartige Ansprüche für die Vergangenheit können regelmäßig nicht im Wege eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens anerkannt werden. Diese sind in einem Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Etwas Anderes kann nur dann in Betracht kommen, wenn die sofortige Verfügbarkeit von für zurückliegende Zeiträume zu zahlenden Hilfen zur Abwendung eines gegenwärtig drohenden Nachteils erforderlich ist. Hierzu sind Tatsachen von dem Antragsteller jedoch weder glaubhaft gemacht worden, noch sonst für das Gericht ersichtlich.

Selbst wenn - zumindest für die Zukunft - ein Anordnungsgrund bejaht werden würde, ergibt sich keine andere Beurteilung, und zwar auch, wenn auf einen früheren Zeitpunkt als den der gerichtlichen Entscheidung abgestellt würde.

Denn dann scheitert das Begehren, ebenso wie für Zeiträume ab Entscheidung des Senats, zumindest an einem nicht glaubhaft gemachten Anordnungsanspruch. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach diesem Buch Personen, die

1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte). Ausgenommen sind nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II

1. Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitneh- mer oder Selbständige noch auf Grund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,

2. Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen,

3. Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.

§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt (§ 7 Abs. 1 Sätze 3 und 4 SGB II).

Nach diesen Regelungen ist der begehrte Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II nicht glaubhaft gemacht.

Der Antragsteller ist aufgrund eines Leistungsausschlusses von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen.

Ein Leistungsanspruch besteht nach § 7 SGB II insbesondere nur dann, wenn eine Leistung nicht nach § 7 Abs.1 Satz 2 SGB II ausgeschlossen ist. Vorliegend ist bereits das Fehlen des Leistungsausschlusses nicht zumindest überwiegend wahrscheinlich.

Der Antragsteller hat bisher nicht glaubhaft gemacht, dass sich sein Aufenthaltsrecht nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt. Eine selbständige Tätigkeit des Antragstellers liegt nicht vor und wird auch nicht behauptet. Mit der bisherigen Aktenlage ist auch eine Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers im Sinne des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG nicht glaubhaft gemacht. Die im Antragsverfahren behauptete geringfügige Beschäftigung im März 2012 ist weiterhin nicht glaubhaft gemacht. Der Entgeltbescheinigung für April 2012 ist zu entnehmen, dass der Antragsteller offensichtlich lediglich vom 1. April 2012 bis 11. April 2012 mit einer Vergütung von 44,- EUR gearbeitet hat, obgleich doch ausweislich der beigebrachten Bestätigung der Inhaberin des Restaurants C C eine Beschäftigung auf 120,- EUR - Basis beabsichtigt war. Insoweit hat der Senat bereits erhebliche Bedenken, dass der Antragsteller nachhaltig und ernsthaft im Wirtschaftsleben tätig sein will. Mit dem im Beschwerdeverfahren beigebrachten "Arbeitsvorvertrag" vom 21. Juni 2012 vermag der Antragsteller eine Arbeitnehmereigenschaft ab 1. Juli 2012 nicht glaubhaft zu machen. Selbst wenn davon auszugehen ist, dass damit zwischen der Inhaberin des Cafe T, insoweit handelt es sich auch um Frau ST, und dem Antragsteller durch die beiderseitige Unterzeichnung dieses Arbeitsvorvertrages nicht nur ein Vorvertrag, in dem sich beide Parteien verpflichten, einen anderen schuldrechtlichen Vertrag, den Hauptvertrag, abzuschließen, sondern bereits ein Arbeitsvertrag, der Hauptvertrag, zustande gekommen ist, weil die allgemeinen Voraussetzungen eines Hauptvertrages, die sogenannten essentialia negotii, wie Beginn und Dauer des Arbeitsverhältnisses, Arbeitsvergütung und Arbeitszeit, hinreichend bestimmt sind (zu den Voraussetzungen eines arbeitsrechtlichen Vorvertrages, Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 24. August 1999, 9 Sa 131/99, zitiert nach juris), und der Antragsteller dieser Beschäftigung ab 1. Juli 2012 tatsächlich nachginge, ist dessen Arbeitnehmereigenschaft jedenfalls im Sinne der (europäischen) Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer bisher nicht glaubhaft gemacht. Der Begriff des Arbeitnehmers ist nach Gemeinschaftsrecht zu bestimmen. Danach ist als "Arbeitnehmer" anzusehen, wer eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis ausübt, mit der er weniger verdient, als im betreffenden Mitgliedstaat als Existenzminimum angesehen wird, vorausgesetzt, er übt tatsächlich eine echte Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis aus. Außer Betracht bleiben aber "Tätigkeiten, die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellen" (s. Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH), Urteil vom 26. Februar 1992 – Rs. C-357/89, Leitsatz II.1, Raulin gg. Minister van Onderwijs en Wetenschapen; EuGH, Urteil vom 23. März 1982, C 53/81, Rn. 17,18, Levin gg. Staatssecretaris van Justitie; EuGH, Urteil vom 18. Juli 2007, C-213/05, Geven gg. Land Nordrhein-Westfalen; EuGH, Urteil vom 4. Februar 2010, C-14/09, Genc gg. Land Berlin; zum Arbeitnehmerbegriff: Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 19. Oktober 2010, B 14 AS 23/10 R, LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. November 2006, L 14 B 963/06 AS ER, alle zitiert nach juris). Zwar dürfte danach auch eine geringfügige Beschäftigung (weniger als 15 Arbeitsstunden die Woche) (vgl. EuGH vom 18. Juli 2007, a.a.O.) die Arbeitnehmereigenschaft begründen, es sei denn, es handelt sich um eine Tätigkeit, die einen so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt. Für letzteres kann ein Anhaltspunkt sein, dass die betreffende Person nur sehr wenige Stunden arbeitet oder gearbeitet hat (so EuGH vom 26. Februar 1992, a.a.O.). Auch insbesondere die Art der Tätigkeit ist ein Faktor zur Bestimmung einer "echten Tätigkeit" (vgl. EuGH, Urteil vom 6. November 2003, C-413/01, zitiert nach juris). Aus dem Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer sowie aus der Stellung der diesbezüglichen Bestimmungen innerhalb des Systems des Vertrages folgt nämlich, dass diese Bestimmungen nur die Freizügigkeit von Personen gewährleisten, die im Wirtschaftsleben tätig sind oder sein wollen.

Dafür, dass der Antragsteller die Arbeitsstelle am 1. Juli 2012 tatsächlich angetreten und auch noch immer innehat, liegt ein Nachweis nicht vor. Selbst wenn aber von einer Arbeitsaufnahme ausgegangen würde, ist nach Maßgabe obiger Darlegungen weiter fraglich, ob es sich bei der Aushilfstätigkeit "für die Spüle" um eine echte, nicht völlig untergeordnete und unwesentliche Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis handelt. Bei dieser Art von Aushilfstätigkeit dürfte es sich wegen ihrer geringen Wertigkeit nicht um eine Tätigkeit handeln, die geeignet ist, den Antragsteller nachhaltig ins Wirtschaftsleben zu integrieren. In Anbetracht der im Arbeitsvorvertrag vom 21. Juni 2012 vereinbarten Arbeitszeit in einem Umfang von lediglich 3 Stunden in der Woche und einer monatlichen Bruttovergütung in Höhe von 80,- EUR erbringt der Antragsteller zudem eine Arbeitsleistung in einem derart geringen Umfang, dass sie auch insoweit als völlig untergeordnet und unwesentlich zu beurteilen sein dürfte. Während der 14. Senat des LSG Berlin-Brandenburg in seinem o.g. Beschluss vom 14. November 2006 hierfür eine Tätigkeit mit 10 Stunden in der Woche und das BSG in seinem Urteil vom 19. Oktober 2010 sogar mit 7,5 Stunden in der Woche hat ausreichen lassen, sind im vorliegenden Fall aber noch deutlich weniger Arbeitsstunden vereinbart.

Der Antragsteller kann folglich sein Aufenthaltsrecht allenfalls aus dem Zweck der Arbeitsuche ableiten, sodass der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II erfüllt ist. Leistungen nach dem SGB II werden nur an erwerbsfähige Hilfebedürftige erbracht; diese sind verpflichtet, in eigener Verantwortung alle Möglichkeiten zu nutzen, ihren Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten und ihre Arbeitskraft zur Beschaffung des Lebensunterhalts einzusetzen (vergleiche § 2 Abs. 2 SGB II). Eine Arbeitsuche im Falle von Arbeitslosigkeit wird also geradezu für einen Leistungsanspruch vorausgesetzt.

Entgegen der Ansicht des Sozialgerichts ist § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch anwendbar.

Der erkennende Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass er von der Europarechtswidrigkeit dieser Regelung nicht überzeugt ist (unter anderen in dem Beschluss vom 5. März 2012, L 29 AS 414/12 B ER, zitiert nach juris). Im Anschluss an die Entscheidung des 20. Senats des Landessozialgerichts (LSG) Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 29. Februar 2012, L 20 AS 2347/11 B ER, zitiert nach juris) hat der Senat schon darauf hingewiesen, dass nur eine Überzeugung von der Europarechtswidrigkeit dieser Regelung ausnahmsweise berechtigen könnte, dieses formelle Gesetz nicht anzuwenden.

In diesem Zusammenhang hat der Senat ebenfalls bereits dargelegt, dass eine Folgenabwägung nicht gerechtfertigt ist, wenn allein Rechtsfragen, mögen sie auch streitig sein und eine Positionierung erfordern, aufgeworfen sind. Rechtsfragen sind grundsätzlich einer Entscheidung zugänglich. Allein ein Hinweis auf streitige, höchstrichterlich noch nicht entschiedene Rechtsfragen berechtigt daher im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nicht, auf eine Folgenabwägung zurückzugreifen.

Eine Überzeugung von einem Verstoß des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II gegen Recht der Europäischen Union kann der Senat im Einklang mit zumindest dem 5. und den 20. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg nicht gewinnen. Im Gegenteil spricht sogar sehr viel dafür, dass diese Regelung gerade nicht europarechtswidrig, sondern europarechtskonform ist. Der Senat verweist insoweit auf seine ständige Rechtsprechung, u. a. auf die Beschlüsse vom 4. Juni 2012, L 29 AS 652/12 B ER, 7. Juni 2012, L 29 AS 920/ 12 B ER und 12. Juni 2012, L 29 AS 1044/12 und L 29 AS 914/12 B ER, alle zur Veröffentlichung vorgesehen). Auch der 5. Senat des LSG Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 3. April 2012, L 5 AS 2157/ 11 B ER, zitiert nach juris) ausführlich dargelegt und insoweit ausdrücklich die Ansicht vertreten, dass der Leistungsausschluss des § 7 Absatz 1 S. 2 Nr. 2 SGB II eindeutig nicht gegen das Recht der Europäischen Union verstößt und daher zweifelsfrei geltendes Recht ist.

Hier ist zunächst das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA) vom 11. Dezember 1953 (BGBl. II 1956 S. 564) zu nennen.

Hinsichtlich der Anwendung des EFA ist festzustellen, dass seit Abschluss dieses Europäischen Abkommens (am 11. Dezember 1953) sich die Situation in Europa grundlegend geändert hat. Während beispielsweise 1953, also nur acht Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, von weitestgehender Reisefreiheit oder gar Freizügigkeit in Europa kaum die Rede sein konnte, hat sich spätestens seit der so genannten Freizügigkeitsrichtlinie vom 29. April 2004 (Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004, Amtsblatt der Europäischen Union, L 158/77) und dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern - Freizügigkeitsgesetz/EU (vom 30. Juli 2004, in Kraft seit dem 1. Januar 2005, BGBl. I 2004 S. 1950, 1986) hieran in der Europäischen Union grundlegendes geändert. Wie schon der 14. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) in seinem Urteil vom 19. Oktober 2010 (B 14 AS 23/10 R, zitiert nach juris) zutreffend ausgeführt hat, bedarf es beispielsweise eines Aufenthaltstitels nach § 2 Abs. 4 S. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU, Art. 8 Richtlinie 2004/38/EG nicht mehr. Wenn allerdings ein Aufenthaltstitel nicht mehr erteilt wird, dürfte es schon schwierig sein, einen "erlaubten" Aufenthalt im Sinne von Art. 1 EFA unter Berücksichtigung von Art. 11 Abs. 1 EFA festzustellen. Art. 11 Abs. 1 EFA normiert die Vermutung, dass ein Aufenthalt "so lange als erlaubt im Sinne dieses Abkommens" gilt "als der Beteiligte im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer anderen in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates vorgesehenen Erlaubnis ist, aufgrund welcher ihm der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist." Eine nunmehr nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU ausgestellte so genannte Freizügigkeitsbescheinigung stellt nach Ansicht des Senats einen solchen Aufenthaltstitel im Sinne von Art. 11 EFA nicht dar (a.A. 14. Senat BSG, a.a.O, unter Hinweis auf die Praxis der Ausländerbehörden), weil diese Freizügigkeitsbescheinigung gerade keine Erlaubnis darstellt, die ein Aufenthaltsrecht begründet, sondern nur ein (vermeintlich) schon aufgrund der gesetzlichen Regelungen bestehendes Aufenthaltsrecht bescheinigt (vergleiche § 5 Abs. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU). Die von dem BSG angesprochene "Praxis der Ausländerbehörden" kann nach Ansicht des Senats eine rechtliche Bewertung des rechtmäßigen Aufenthalts nach dem EFA grundsätzlich nicht ersetzen. Dies umso mehr, als es nach Kenntnis des Senats auch Praxis der Ausländerbehörden ist, die Bescheinigung nach § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU ohne eigene Prüfung allein aufgrund der Angaben und allenfalls einer Glaubhaftmachung der Beteiligten im Sinne von § 5 Abs. 3 S. 1 Freizügigkeitsgesetz/EU zu erteilen. Sie wird regelmäßig erteilt, wenn ein Beteiligter erklärt, über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz zu verfügen (vgl. § 4 Freizügigkeitsgesetz/EU), auch wenn er anschließend unter Hinweis auf eine Bedürftigkeit Fürsorgeleistungen beantragt. Würde allein auf die Bescheinigung abgestellt, so müsste selbst bei einer aufgrund nachweisbar wahrheitswidriger Angaben sich als objektiv falsch herausstellenden Bescheinigung von einem rechtmäßigen Aufenthalt ausgegangen werden. Eine solche Schlussfolgerung findet der Senat mehr als bedenklich.

Fraglich ist zudem, ob das EFA mittlerweile durch anderes Recht der Europäischen Union verdrängt wird. Flankierend zu den bereits erwähnten Freizügigkeitsregelungen wäre hier beispielsweise an die VO 883/2004 vom 29. April 2004 zu denken. Ob diese Verordnung das EFA verdrängt, hat der 14. Senat des Bundessozialgerichts in seinem bereits erwähnten Urteil vom 19. Oktober 2010 (a.a.O.) offen gelassen. In diesem Zusammenhang ist nach Ansicht des Senats auch Art. 24 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zu nennen. Dort ist in Abs. 2 gerade vorgesehen, dass ein Aufnahmemitgliedstaat nicht verpflichtet ist, in jedem Fall einen Anspruch auf Sozialhilfe zu gewähren. Es erscheint nach Ansicht des Senats zudem als widersinnig, gemäß Art. 7 dieser Richtlinie ein Aufenthaltsrecht für mehr als drei Monate grundsätzlich (zu den engen Ausnahmen siehe Art. 7 Abs. 2 bis 4 der Richtlinie) nur bei dem Vorhandensein einer Arbeit oder ausreichender Existenzmittel einzuräumen und gleichwohl selbst bei Fehlen dieser Voraussetzungen von einem rechtmäßigen Aufenthalt und einem Anspruch auf Fürsorgeleistungen nach Art. 1 EFA auszugehen. Eine solche Sichtweise würde dazu führen, dass wesentliche Regelungen der (aktuellen) Richtlinie ins Leere laufen.

Selbst wenn jedoch weiterhin von einer grundsätzlichen Anwendbarkeit des EFA ausgegangen würde, sieht der Senat keine Anhaltspunkte, von einem Verstoß des Leistungsausschlusses nach § 7 SGB II gegen das EFA auszugehen, da ein entsprechender Vorbehalt erklärt wurde.

Die Bundesregierung hat am 19. Dezember 2011 gegen die Anwendung des SGB II und des SGB XII im Rahmen des EFA Vorbehalte fixiert. Der Vorbehalt hinsichtlich der Vorschriften des SGB II (es gibt einen weiteren hinsichtlich der Vorschriften des SGB XII) lautet (in deutscher Übersetzung - Bekanntmachung vom 31. Januar 2012 in BGBl. II S. 144, ber. durch Bekanntmachung vom 3. April 2012 in BGBl. II S. 470): "Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland übernimmt keine Verpflichtung, die im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden."

Dieser Vorbehalt ist nach Ansicht des Senats wirksam. Er basiert auf Art 16 b Satz 2 EFA und ist von dieser Norm gedeckt.

Nach Art 16 a EFA haben die Vertragschließenden den Generalsekretär des Europarates über jede Änderung ihrer Gesetzgebung zu unterrichten, die den Inhalt von Anhang I und III berührt. Gemäß Art 16 b EFA hat jeder Vertragschließende dem Generalsekretär des Europarates alle neuen Rechtsvorschriften mitzuteilen, die in Anhang I noch nicht aufgeführt sind (Satz 1); gleichzeitig mit dieser Mitteilung kann der Vertragschließende Vorbehalte hinsichtlich der Anwendung dieser neuen Rechtsvorschriften auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden machen (Satz 2).

Dieser Verpflichtung gemäß Art 16 b Satz 1 EFA ist die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Erklärung vom 19. Dezember 2011 nachgekommen. Als neue Rechtsvorschriften wurden sowohl das SGB II als auch das SGB XII mitgeteilt. Gleichzeitig hat die Bundesrepublik Deutschland von dem ihr gemäß Art 16 b Satz 2 EFA eingeräumten Recht, Vorbehalte hinsichtlich der Anwendung dieser neuen Rechtsvorschriften auf die Staatsangehörigen der anderen Vertragschließenden zu machen, Gebrauch gemacht (siehe hierzu Antrag unter anderem der Fraktion Bündnis 90/Die GRÜNEN vom 21. März 2012, Bundestagsdrucksache 17/9036 S. 2). Das Recht, einen nachträglichen Vorbehalt zu dem EFA zu machen, beruht damit unmittelbar auf einer speziellen Regelung des Abkommens selbst; auf Art. 19 des Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) kommt es schon aus diesem Grunde nicht an. Entgegen einer vom 19. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg geäußerten Ansicht (Beschluss vom 9. Mai 2012, Az.: L 19 AS 794/12 B ER, zitiert nach uris) ist der Vorbehalt damit rechtzeitig erklärt, da er "gleichzeitig" im Sinne von Art. 16 b EFA mit der Mitteilung erfolgt ist.

Soweit der 19. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg in seiner Entscheidung die Auffassung vertritt, das SGB II und das SGB XII seien bei ihrer Mitteilung und der Erklärung des Vorbehaltes im Dezember 2011 keine "neuen Gesetze" im Sinne des Art. 16 b EFA gewesen, vermag sich der erkennende Senat dieser Ansicht nicht anzuschließen. Dem 19. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg ist zwar zuzugeben, dass diese Gesetze im Dezember 2011 bereits einige Jahre (seit dem 1. Januar 2005) in Kraft waren und daher rein kalendarisch gegebenenfalls kaum noch als "neu" betrachtet werden könnten. Welche Gesetze als "neue Rechtsvorschriften" im Sinne von Art. 16 b EFA anzusehen sind, ergibt sich jedoch schon aus dem Wortlaut der Regelung. Dort ist im Art. 16 b Satz 1 EFA nämlich ausdrücklich erwähnt, dass dem Generalsekretär "alle neuen Rechtsvorschriften mitzuteilen (sind), die in Anhang I noch nicht aufgeführt sind." Im Anhang I war das SGB II und SGB XII jedoch bis Dezember 2011 nicht aufgeführt und diese Regelungen sind daher nach der Definition des Art. 16 b Satz 1 EFA entsprechend als "neue Rechtsvorschriften" aufzufassen, die mitzuteilen waren. Dass die Mitteilung dieser neuen Rechtsvorschriften und des Vorbehalts erst Jahre nach Inkrafttreten dieser Gesetze erfolgte, ist insoweit unerheblich. Fristen für die Mitteilung und für die Erklärung von Vorbehalten enthält Art. 16 EFA gerade nicht.

Ob sich aus der nicht zeitnahen Mitteilung der Gesetze und der Erklärung der Vorbehalte gegebenenfalls andere rechtliche Konsequenzen für die Bundesrepublik Deutschland ergeben, kann offen bleiben. Zu einer Unwirksamkeit des Vorbehalts kann dieses Verhalten - wie ausgeführt - jedenfalls nicht führen.

Im Übrigen spricht für die Wirksamkeit des Vorbehalts auch dessen Veröffentlichung auf der aktuellen Seite des Europarates – Vertragsbüro (Gesamtverzeichnis unter http://conventions.coe.int). Es ist wenig wahrscheinlich, dass der Europarat einen Vorbehalt veröffentlicht, wenn dort Zweifel an der Wirksamkeit dieses Vorbehaltes bestehen.

Schließlich ist es nach Ansicht des Senats auch sehr zweifelhaft, ob bei einem unwirksamen Vorbehalt tatsächlich über Art. 1 EFA ein Leistungsanspruch nach dem SGB II bestehen würde. Nach Wortlaut und Systematik des EFA könnte vielmehr die Annahme gerechtfertigt sein, dass das SGB II nur dann über das EFA einen Anspruch begründen kann, wenn es dort im Anhang I erwähnt ist (so schon der 34. Senat des Landessozialgerichts Berlin- Brandenburg, Beschluss vom 23. Dezember 2009, L 34 AS 1350/09 B ER, zitiert nach juris). Gemäß Art. 1 EFA wird eine Gleichbehandlung nämlich nur im Bereich der "Fürsorgegesetzgebung" gewährleistet und dieser Bereich wird über Art. 2 b und 19 EFA im Anhang I jeweils für die einzelnen Vertragsschließenden festgestellt. Bei der Veröffentlichung des EFA vom 11. Dezember 1953 im Bundesgesetzblatt vom 18. Mai 1956 (BGBl. II, Seite 563) war im Anhang I für die Bundesrepublik Deutschland aufgeführt:

- Verordnung über die Fürsorgepflicht vom 13. Februar 1924 - Reichsgrundsätze über Voraussetzungen, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 4. Dezember 1924 - Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten vom 23. Juli 1953 - Verordnung über Tuberkulose Hilfe vom 8. September 1942 - preußisches Gesetz über die Beschulung blinder und taub stummer Kinder vom 7. August 1911

Für diese gesetzlichen Regelungen galt mithin das EFA schon bei seiner Bekanntmachung. Jede spätere Änderung war nach Art. 16 a EFA mitzuteilen und über die Aufnahme in den Anhang I in den Geltungsbereich des EFA einzubeziehen, um auch dort die Gleichbehandlung aufgrund des Art. 1 EFA erreichen zu können. Käme danach einer Aufnahme in den Anhang I zum EFA eine konstitutive Wirkung zu, so würde die Nichtmitteilung (der neuen Rechtsvorschriften) gerade nicht zu einer (gar vorbehaltslosen) Einbeziehung führen.

Eine Europarechtswidrigkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II vermag der Senat danach im Hinblick auf das EFA nicht zu erkennen.

Gleiches gilt schließlich im Hinblick auf die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (30.4.2004, DE, Amtsblatt der Europäischen Union L 166, 1, im Folgenden: VO 883/2004).

Nach Art. 4 VO 883/2004 haben, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Angehörigen dieses Staates. Voraussetzung für einen Gleichbehandlungsanspruch aus Art. 4 VO 883/2004 ist mithin insbesondere die Eröffnung des persönlichen Geltungsbereiches (Art. 2 VO 883/2004) und des sachlichen Geltungsbereiches (Art. 3 VO 883/2004) der VO 883/2004. Einen Verstoß von § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II gegen diese Regelungen kann der Senat nicht feststellen, weil er nicht einmal den persönlichen und den sachlichen Geltungsbereich für eröffnet ansieht.

Der persönliche Geltungsbereich der VO 883/2004 ist nach deren Art. 2 eröffnet für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, mithin für den Antragsteller als Staatsangehöriger Spaniens, Staatenlose und Flüchtlinge mit Wohnort in einem Mitgliedstaat, für die die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, sowie für ihre Familienangehörigen und Hinterbliebenen (Art. 2 Abs. 1 VO 883/2004). Nach der Legaldefinition des Art. 1 Buchst. l) VO 883/2004 sind "Rechtsvorschriften" für jeden Mitgliedsstaat die Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf die in Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 genannten Zweige der sozialen Sicherheit. Nach Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 gilt die Verordnung für alle Rechtsvorschriften, die bestimmte Zweige der sozialen Sicherheit betreffen, so u. a. die unter Buchstabe h) beschriebenen "Leistungen bei Arbeitslosigkeit" (z.B. Arbeitslosengeld nach § 136 ff. des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - SGB III - in der Fassung von Art. 1, 2 und 3 des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011, in Kraft seit 1. April 2012, BGBl. I S. 2854 - vormals § 117 ff. SGB III).

Derartige Leistungen im Sinne von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Buchst. l) und Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004, bezieht und begehrt der Antragsteller aber gerade nicht. Danach spricht bereits einiges dafür, dass der Antragsteller, der allenfalls eine beitragsunabhängige, nicht an die Arbeitslosigkeit geknüpfte Leistung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 70 VO 883/2004 begehrt, dem persönlichen Geltungsbereich der Verordnung gar nicht unterfällt, weil Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 l) ausdrücklich nur auf Art. 3 Abs. 1 und nicht auf Art. 3 Abs. 3 der VO 883/2004 verweist.

Zu demselben Ergebnis führt eine Prüfung des sachlichen Geltungsbereiches.

Den sachlichen Geltungsbereich regelt Art. 3 VO 883/2004. Gemäß Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 gilt die Verordnung für alle Rechtsvorschriften in bestimmten, abschließend aufgezählten Zweigen der sozialen Sicherheit. Außerdem gilt diese Verordnung nach Art. 3 Absatz 3 in Verbindung mit Art. 70 Abs. 1 VO 883/2004 auch für besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, die nach Rechtsvorschriften gewährt werden, die aufgrund ihres persönlichen Geltungsbereichs, ihrer Ziele und/oder ihrer Anspruchsvoraussetzungen sowohl Merkmale der in Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 genannten Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit als auch Merkmale der Sozialhilfe aufweisen. Selbst wenn hiernach der persönliche Geltungsbereich für den Antragsteller eröffnet wäre, kann daraus nicht ein Ergebnis dahingehend hergeleitet werden, dass in die Gleichbehandlung insoweit auch die Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II einbezogen sind.

"Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen" sind hierbei nach der Legaldefinition des Art. 70 Abs. 2 VO 883/2004 Leistungen,

a) die dazu bestimmt sind:

i) einen zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutz gegen die Risiken zu gewähren, die von den in Art. 3 Abs. 1 genannten Zweigen der sozialen Sicherheit gedeckt sind, und den betreffenden Personen ein Mindesteinkommen zur Bestreitung des Lebensunterhalts garantieren, dass in Beziehung zu dem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld in dem betreffenden Mitgliedstaat steht, oder

ii) allein dem besonderen Schutz des Behinderten zu dienen, der Enkel mit dem sozialen Umfeld dieser Person in dem betreffenden Mitgliedstaat verknüpft ist,

und

b) deren Finanzierung ausschließlich durch obligatorische Steuern zur Deckung der allgemeinen öffentlichen Ausgaben erfolgt und deren Gewährung und Berechnung nicht von Beiträgen hinsichtlich der Leistungsempfänger abhängen. Jedoch sind Leistungen, die zusätzlich zu einer beitragsabhängigen Leistung gewährt werden, nicht allein aus diesem Grund als beitragsabhängige Leistungen zu betrachten;

und

c) die in Anhang X aufgeführt sind.

Im Anhang X zu Art. 70 VO 883/2004 ist für Deutschland seit 2009 (30.10.2009, DE, Amtsblatt der Europäischen Union, L 284/59) aufgeführt:

a) Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des zwölften Buches Sozialgesetzbuch.

b) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitssuchende, soweit für diese Leistungen nicht dem Grunde nach Voraussetzungen für den befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld (§ 24 Abs. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch) erfüllt sind.

Allein unter Berücksichtigung des Wortlautes der Aufzählung für Deutschland unter b) im Anhang X zu Art. 70 VO 883/2004 könnte zwar der Eindruck entstehen, die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende seien über Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 Abs. 2 c) VO 883/2004 vom Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 4 VO 883/2004 erfasst, so dass diese Leistungen in Deutschland jedem EU-Bürger zustünden.

Damit würde jedoch der maßgebliche Wortlaut der Regelung in der VO 883/2004 nur zum Teil zur Kenntnis genommen. Allein die Aufzählung der Leistungen nach dem SGB II im Anhang X der VO 883/2004 genügt zur Eröffnung des sachlichen Geltungsbereiches nach Art. 3 VO 883/2004 nämlich nicht; diese "besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen" müssen zudem auch die in Art. 70 Abs. 2 a) i) VO 883/2004 genannten Voraussetzungen erfüllen; durch das Wort "und" wird klargestellt, dass die Voraussetzungen von Art. 70 Abs. 2 a) und b) und c) VO 883/2004 für die Eröffnung des sachlichen Geltungsbereiches kumulativ erfüllt sein müssen.

"Besondere beitragsunabhängige Geldleistungen" im Sinne von Art. 70 Abs. 1 VO 883/2004 des Art. 70 Abs. 2 VO 883/2004 liegen mithin nur vor, wenn sie insbesondere einen zusätzlichen, ersatzweisen oder ergänzenden Schutz gegen die Risiken gewähren, die von den in Art. 3 Abs. 1 genannten Zweigen der sozialen Sicherheit gedeckt sind.

Hierbei meint "zusätzlicher" oder "ergänzender" Schutz gegen die Risiken im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Leistungen, die zusammen mit einer Regelleistung nach Art. 3 Abs. 1 gewährt werden und dasselbe Risiko wie dieser abdecken (Fuchs, Europäisches Sozialrecht, 5. Auflage 2010, Titel III Art. 70 Rn. 11 m.w.N.). Dies ist zumindest bei den vorliegend im Streit befindlichen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 19 ff. SGB II nicht der Fall, weil sie nicht ergänzend zu einer in Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 genannten Leistung der sozialen Sicherheit gewährt werden. Hier kämen einzig Leistungen zur Arbeitslosigkeit (Art. 3 Abs. 1 h) VO 883/2004) in Betracht, nämlich in erster Linie Arbeitslosengeld nach § 136 ff. SGB III (in der Fassung von Art. 1, 2 und 3 des Gesetzes zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20. Dezember 2011, in Kraft ab 1. April 2012, BGBl. I S. 2854 - vormals § 117 ff. SGB III), für die ein Anspruch aber unstreitig nicht erfüllt sein dürften. Auch ein "ersatzweiser" Schutz im Sinne von Art. 70 Abs. 2 a) i) VO 883/2004 kann nicht angenommen werden. Denn solche Leistungen sind Leistungen, die anstelle der Regelleistungen in Versicherungsfällen nach Art. 3 Abs. 1 gewährt werden; deshalb muss bei diesen Leistungen der exakt identische Versicherungsfall vorliegen (Fuchs, a.a.O., Titel III Art. 70 Rn. 11, 14). Dies ist bei Leistungen nach § 19 ff. SGB II im Vergleich zu einem Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 136 ff. SGB III regelmäßig kaum gegeben, weil sie unabhängig von dem Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses aufgrund von Bedürftigkeitsgesichtspunkten erbracht werden.

Damit ist unter Berücksichtigung von Art. 70 Abs. 2 a) i) VO 883/2004 schon nach dem Wortlaut der Verordnung auch der sachliche Geltungsbereich im Sinne von Art. 2 VO 883/2004 nicht eröffnet.

Einem generellen Anspruch aller EU-Bürger auf Gleichbehandlung bei dem Bezug von Leistungen nach dem SGB II steht mithin bereits nach dem Wortlaut der Regelungen unter Berücksichtigung der Legaldefinitionen der VO 883/2004 die Nichteröffnung des persönlichen Geltungsbereichs und des sachlichen Geltungsbereichs nach Art. 2 und 3 VO 883/2004 entgegen.

Im Übrigen kann allein ein anderes Verständnis des Wortlauts nicht insgesamt zu einem Verständnis von Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 70 in Verbindung mit dem Anhang X VO 883/2004 dahingehend führen, dass mit der VO 883/2004 allen EU-Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland ein Anspruch auf Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem SGB II gesichert werden soll.

Zwar ist der Wortlaut stets der Ausgangspunkt für ein Verständnis der Regelung. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind aber "bei der Auslegung einer Gemeinschaftsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden" (vgl. Potacs, "Effet utile als Auslegungsgrundsatz", EuR 2009, 465, 471, m.w.N.). Nach Auffassung des EuGH ist die Bedeutung von Gemeinschaftsrecht "unter Rückgriff auf die allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätze" zu ermitteln; entscheidend ist der "Wille" der Urheber der zu interpretierenden Rechtsvorschriften (Potacs, a.a.O., mit weiteren Nachweisen).

Danach bestehen bei einem Verständnis des Wortlauts von Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 70 in Verbindung mit dem Anhang X VO 883/2004 dahingehend, dass das Gleichbehandlungsgebotes des Art. 4 VO 883/2004 auch für Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach SGB II gilt, hinsichtlich eines entsprechenden Regelungscharakters schon deshalb Zweifel, weil dieser Wortlaut im Widerspruch zu der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (30.4.2004, DE, Amtsblatt der Europäischen Union, L 158/77, im Folgenden: Richtlinie 2004/38/EG) stehen würde.

Nach Art. 24 Abs. 1 Richtlinie 2004/38/EG genießt vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und dem abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Abweichend von Abs. 1 ist der Aufnahmemitgliedstaat nach Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG jedoch nicht verpflichtet, anderen Personen als Arbeitnehmern oder Selbstständigen, Personen, denen dieser Status erhalten bleibt, und ihren Familienangehörigen während der ersten drei Monate des Aufenthalts oder gegebenenfalls während des längeren Zeitraums nach Art. 14 Abs. 4 b Richtlinie 2004/38/EG einen Anspruch auf Sozialhilfe oder vor Erwerb des Rechts auf Daueraufenthalt Studienbeihilfen, einschließlich Beihilfen zu Berufsausbildung, in Form eines Stipendiums oder Studiendarlehens, zu gewähren.

Auch wenn eine Verordnung (hier: VO 883/2004) anders als eine Richtlinie (hier: Richtlinie 2004/38/EG) unmittelbar geltendes Recht darstellt, so entbindet dies nicht von der Notwendigkeit, den Regelungsgehalt dieser Verordnung unter Berücksichtigung insbesondere der weiteren europarechtlichen Regelungen zu erfassen. Bei einem Widerspruch, wie er sich vorliegend bei einem entsprechenden Verständnis des Wortlauts der VO 883/2004 offenbaren würde, kann mithin nicht einfach unreflektiert auf den vermeintlichen Wortlaut der "höherwertigen" Regelung zurückgegriffen werden. Es ist vielmehr entsprechend der Rechtsprechung des EuGH im Wege der Auslegung der Wille der Urheber zu ermitteln. Dies gilt umso mehr, wenn, wie vorliegend der Fall, dieselben Urheber (nämlich das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union) an demselben Tag (nämlich dem 29. April 2004) zwei sich vermeintlich widersprechende Regelungen (einerseits: Art. 3 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 70 in Verbindung mit dem Anhang X VO 883/2004, andererseits: Art. 24 Abs. 2 Richtlinie 2004/38/EG) geschaffen haben. Dass der Inhalt des Anhangs X erst Jahre danach (2009) vom Europäischen Parlament und dem Rat festgelegt wurde ändert an der Gegensätzlichkeit dieser Regelungen und an der Notwendigkeit eines richtigen Verständnisses dieser Regelungen für den heutigen Zeitpunkt nichts.

Folglich ist entsprechend der Rechtsprechung des EuGH unter Anwendung der allgemein anerkannten Auslegungsgrundsätze der Wille des Verordnungsgebers der VO 883/2004 zu ermitteln.

Insofern hat der 20. Senat des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg in seinem Beschluss vom 10. Mai 2012 (Az.: L 20 AS 802/12 B ER, zur Veröffentlichung vorgesehen) folgendes ausgeführt:

"Nach Art. 4 der VO 883/2004 haben Personen, für die diese Verordnung gilt, die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die Staatsangehörigen dieses Staats, soweit mit der VO nichts anderes bestimmt ist. Der persönliche Geltungsbereich der Verordnung erstreckt sich gemäß Art. 2 Abs. 1 u. a. auf Staatsangehörige eines Mitgliedstaats, der sachliche Geltungsbereich gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. h) auf Leistungen bei Arbeitslosigkeit. Während Art. 3 Abs. 1 VO 883/2004 die Anwendbarkeit der VO auf die Systeme der sozialen Sicherheit regelt und damit diese einer Exportpflicht unterwirft, regelt Art. 3 Abs. 5 Lit. a) VO 883/2004 den Ausschluss der Fürsorgeleistungen vom Anwendungsbereich der VO und damit von der Exportpflicht. In Reaktion auf Ausgestaltungen von Sozialleistungssystemen in den Mitgliedsstaaten, die die Kategorisierung von Leistungen in solche der sozialen Sicherung einerseits und Leistungen der Fürsorge andererseits erschwerten und aufgrund der Rechtsprechung des EuGH wurde bereits mit Art. 10a Abs. 1 VO (EWG) Nr. 1408/71 eine Regelung geschaffen, die für etwaige "Mischleistungen", nämlich für besondere beitragsunabhängige Leistungen, eine Ausnahme von der generellen Exportpflicht (Art. 10 Abs. 1 VO 1408/71) vorsah. Für diese Leistungen, sofern sie denn als beitragsunabhängige Sonderleistungen von den Koordinierungsregelungen der VO erfasst waren, sollte der Leistungstransfer in das europäische Ausland ausgeschlossen werden. Eine Erweiterung des anspruchsberechtigten Personenkreises war damit nicht verbunden; bereits Art 10a Abs. 1 Satz 2 VO 1408/71 bestimmte, dass die Leistungen ausschließlich im Wohnmitgliedsstaat und ausschließlich nach dessen Rechtsvorschriften erbracht werden.

Auch nach Art. 3 Abs. 3 VO 883/2004 gilt nunmehr die (Nachfolge-)Verordnung ausdrücklich auch für die besonderen beitragsunabhängigen Geldleistungen gemäß Art. 70. Als solche Leistungen sind gemäß Art. 70 Abs. 2 lit. c) i. V. m. Anhang X für Deutschland auch Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende, soweit für diese Leistungen nicht dem Grunde nach die Voraussetzungen für den befristeten Zuschlag nach Bezug von Arbeitslosengeld (§ 24 Abs. 1 SGB II) erfüllt sind, aufgeführt. Dies führt jedoch nicht zu der Annahme eines grundsätzlichen Anspruchs aller Unionsbürger auf scheinbar alle Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Art. 4 VO 883/2004 bestimmt den Gleichbehandlungsgrundsatz sofern in der VO selbst nichts anderes bestimmt ist. Art. 70 Abs. 4 VO 883/2004 regelt, dass die besonderen beitragsunabhängigen Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnortlandes geleistet werden. Hier können Zugangsregelungen geschaffen werden. Eine Ausweitung der grundsätzlichen Leistungsberechtigungen der beitragsunabhängigen Leistungen nach nationalem Recht für alle Unionsbürger war auch mit der Regelung des Art. 70 VO 883/2004 nicht bezweckt. Dieses Verständnis entspricht der historisch-systematischen sowie teleologischen Auslegung. Die Unionsbürgerrichtlinie, die in Art. 24 Abs. 2 die Möglichkeit eines Leistungsausschlusses eröffnet, und die VO 883/2004, wonach der vorgenannte Leistungsausschluss gerade nicht möglich sein soll, datieren auf denselben Tag, nämlich den 29. April 2004. Es ist nicht davon auszugehen, dass das Europäische Parlament und der Rat sich widersprechende Regelungswerke in Kraft setzen wollten (vgl. zu den "Widersprüchlichkeiten" SG Dresden, a. a. O., das allerdings deshalb zu dem Schluss der Unvereinbarkeit des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II mit der VO 883/2004 kommt). Dies gilt umso mehr, als mit der VO 883/2004 die Koordinierung der Sozialsysteme, aber gerade nicht die Vereinheitlichung der materiellen Standards bezweckt war (vgl. Schreiber in VO (EG) Nr. 883/2004, Kommentar, 2012, Einleitung Rn. 5), eine Aushöhlung der Möglichkeit des mitgliederstaatlichen Leistungsausschlusses auf der Grundlage des Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie durch die Regelungen in VO 883/2004 also nicht beabsichtigt gewesen sein dürfte. Nach dem bisherigen materiellen Standard, der in der Verordnung (EG) Nr. 1408/71, die durch Art. 90 der VO 883/2004 überwiegend aufgehoben wurde, abgebildet ist, waren nicht auch Arbeitssuchende vom persönlichen Anwendungsbereich erfasst (Art. 2 VO 1408/71;vgl. hierzu Schreiber, a. a. O. Art. 70 Rn. 5).

Mit der Aufnahme der Leistungen zur Sicherung der Lebensunterhalts der Grundsicherung für Arbeitsuchende in den zuvor leeren Anhang X der VO 883/2004 mit der Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 ist damit keine Abkehr vom bisherigen materiellen Standard erfolgt, sondern auf die Einführung dieser Leistungen und der Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch - SGB XII - reagiert und sichergestellt worden, dass diese Leistungen – soweit sie die weiteren Voraussetzungen des Art. 70 Abs. 2 VO 883/04 erfüllen, also "Mischleistungen" sind - nicht dem generellen Exportgebot unterfallen, sondern nur in Deutschland erbracht werden. Soweit es sich bei den Leistungen nach dem SGB II nicht um "besondere beitragsunabhängige" i.S. des Art. 70 Abs. 2 VO 883/04 handelt, sie reine Fürsorgeleistungen sind, sind sie weiterhin bereits nach Art 3 Abs. 5 VO 883/04 nicht von den Koordinierungsvorschriften erfasst.

Ob die hier in Rede stehenden Leistungen der §§ 19 ff. SGB II insgesamt tatsächlich besondere beitragsunabhängige Sonderleistungen oder nicht doch insgesamt Leistungen der sozialen Fürsorge sind, wäre ggf. vom EuGH zu überprüfen (vgl. hierzu Schreiber a. a. O., Art. 70 Rn. 22). § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II regelt jedenfalls allein einen Ausschluss von reinen Fürsorgeleistungen i.S. des Art. 3 VO 883/2004. Die so verstandene Regelung der Art. 3 Abs. 3, Art. 70 VO 883/2004 führt auch nicht zu der Annahme, dass die Aufnahme der Leistungen der Grundsicherung nach §§ 19 ff. SGB etwa ins Leere läuft. Da Unionsbürger nicht generell vom Leistungsbezug nach §§ 19 ff. SGB II ausgeschlossen sind, bestand ein Regelungsbedarf dahin, diese betragsunabhängige Leistung, soweit sie eine besondere Leistung i.S. des Art. 70 Abs. 2 VO 883/2004 ist, nicht den generellen Exportverpflichtungen der VO zu unterwerfen (Art. 7 VO 883/2004) und nur spezielle Koordinierungsregelungen für anwendbar zu erklären (so das Wohnortprinzip, Art. 70 Abs. 4 VO 883/2004)."

Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat nach eigener Prüfung an.

Ergänzend weist der Senat außerdem auf die Zielsetzungen der sich vermeintlich widersprechenden Regelungen hin. Auch diese sprechen nach Ansicht des Senats für ein Verständnis der VO 883/2004 in dem Sinne, dass nicht grundsätzlich allen EU-Bürgern ein Zugang zu allen Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende eröffnet werden soll.

Die VO 883/2004 enthält schon vorab in ihren Gründen, die erwogen worden sind, den Hinweis, dass die Eigenheiten der nationalen Rechtsvorschriften über Soziale Sicherheit zu berücksichtigen und nur eine Koordinierungsregel vorzusehen ist (siehe 4). Außerdem liegt der Systematik des Art. 3 der Verordnung der Gegensatz von sozialer Sicherheit und in deutscher Terminologie "Sozialhilfe" zu Grunde und nur der erstere Bereich sollte nach den Vorstellungen des Verordnungsgebers dem sachlichen Anwendungsbereich und damit der Koordinierung unterfallen (Fuchs, a.a.O., Titel I Art. 3 Rn. 33). Entsprechend werden Leistungen der "sozialen und medizinischen Fürsorge" ausdrücklich in Art. 3 Abs. 5 VO 883/2004 von deren sachlichem Geltungsbereich ausgenommen. Ziel ist damit letztlich im Wesentlichen die Förderung der Freizügigkeit der Wanderarbeitnehmer, indem es ihnen erleichtert wird, durch Beitragszahlung erworbene Ansprüche im Bereich der sozialen Sicherheit zu exportieren.

Demgegenüber soll mit der Richtlinie 2004/38/EG im Wesentlichen das allgemeine Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union gesichert werden. Dieses soll aber ausweislich der Regeln der Richtlinie nicht generell und uneingeschränkt bestehen. So stellt beispielsweise Art. 7 der Richtlinie klar, dass ein Unionsbürger ein Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von über drei Monaten letztlich nur hat, wenn er über ausreichende Existenzmittel verfügt, so dass er während seines Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch nehmen muss und er und seine Familienangehörige einen ausreichenden Krankenversicherungsschutz haben (vergl. Art. 7 Abs. 1 b) Richtlinie 2004/38/EG). Entsprechend wurde in Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie die Möglichkeit eines entsprechenden Leistungsausschlusses für den Aufnahmemitgliedstaat vorgesehen.

Aus diesen unterschiedlichen Zielsetzungen sind nach Ansicht des Senats auch Rückschlüsse auf das Verständnis der beabsichtigten Regelungen zulässig und geboten. Die Verordnung 883/2004 soll vorrangig der Sicherung erworbener Anwartschaften im Falle eines Wohnortwechsels in einen anderen Mitgliedstaat dienen. Sie bezweckt jedoch nicht die Förderung einer allgemeinen Freizügigkeit innerhalb der EU zur Inanspruchnahme beitragsunabhängiger Sozialleistungen eines anderen Mitgliedstaates. Anderenfalls würde nicht nur Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG sondern wesentliche Grundsätze der Richtlinie insgesamt (vergleiche Art. 7 der Richtlinie) ins Leere laufen.

Letztlich würde eine andere Sichtweise in Fällen der vorliegenden Art, wo eine beabsichtigte Erwerbstätigkeit nicht einmal behauptet wird, zu der Förderung eines so genannten "Sozialtourismus" in der Europäischen Union führen, der mit den Zielen der Europäischen Union insgesamt kaum im Einklang stehen dürfte. Solange in der Europäischen Union nicht alle Staaten ein Sozialsystem auf gleichem Niveau und einheitliche Lebensstandards aufweisen, bestünde die Gefahr der Abwanderung von Menschen aus Ländern mit niedrigem Lebensstandard und geringen sozialen Sicherungssystemen in Länder mit hohem Lebensstandard und einem umfassenden sozialen Sicherungssystem. Dies wiederum könnte einerseits zu einer Gefährdung der sozialen Sicherungssysteme und des sozialen Friedens in den Ländern mit einem umfassenden sozialen Sicherungssystem und hohem Lebensstandard führen und andererseits in den Ländern mit geringen sozialen Sicherungssystemen und einem niedrigen Standard zu einer massiven Entvölkerung und dem damit verbundenen Verlust volkswirtschaftlichen Vermögens. Die Europäische Union würde damit nicht zur Stärkung dieser betroffenen Mitgliedstaaten führen sondern zu ihrer Schwächung. Auch dies ist nach Ansicht des Senats nicht Ziel der VO 883/2004.

Das Eingreifen eines Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II steht folglich der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches entgegen.

Dem Antragsteller war Prozesskostenhilfe nach § 73a SGG i.V.m. § 119 Absatz 1 S. 2 ZPO ohne Prüfung zu bewilligen, ob die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint, weil der Gegner ebenfalls das Rechtsmittel eingelegt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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