Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
5
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 158 AS 28454/08
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 5 AS 575/09
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
§ 65 e Satz 2 SGB 2 beschränkt die Möglichkeit der Aufrechnung in der Vergangenheit überzahlter Sozialhilfeleistungen auf die ersten zwei Jahre der Leistungserbringung nach dem SGB 2. Bei ununterbrochenem Leistungsbezug seit Inkrafttreten des SGB 2 durfte daher nach Ablauf des Jahres 2006 keine Aufrechnung mehr erfolgen.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2009 wird zurückgewiesen. Der Beklagte hat dem Kläger auch die im Berufungsverfahren entstandenen Kosten zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Aufrechnung im März 1995 von der Freien und Hansestadt Hamburg zu Unrecht erhaltener und daher zurückgeforderter Sozialhilfeleistungen mit seinem Anspruch auf Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozial-gesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Mai bis zum 31. Juli 2008.
Der im April 1958 geborene Kläger steht seit dem 1. Januar 2005 bei dem Beklagten durchgehend im Leistungsbezug. Unter dem 6. Februar 2007 teilte die Freie und Hansestadt Hamburg dem Beklagten mit, dass sie noch eine offene Forderung aus einem vom 10. April 1995
datierenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheid in Höhe von 728,18 DM bzw. 372,31 EUR habe und um Aufrechung nach § 65 e SGB II bitte. Unter dem 4. Juni 2007 fragte die Freie und Hansestadt Hamburg nach dem Sachstand bezüglich des Aufrechnungsersuchens; unter dem 24. August 2007 teilte sie mit, die Gesamtsumme (einschließlich Mahnkosten) belaufe sich auf 424,31 EUR.
Mit Bescheid vom 1. April 2008 teilte der Beklagte dem Kläger mit, er sei aufgrund eines Be-scheids des Sozialamts Hamburg vom 10. April 1995 zur Erstattung eines Betrags in Höhe von 424,31 EUR verpflichtet. Dabei handele es sich um Ansprüche auf Erstattung oder Schadensersatz, die durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst worden seien. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde im Übrigen auf die Ausführungen in dem genannten Bescheid verwiesen. Nach § 65 e SGB II i. V. m. § 43 Abs. 1 SGB II könn-ten bei Vorliegen der grundsätzlichen Voraussetzungen Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zu einem Betrag in Höhe von 30 vom Hundert der für den Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung mit bestehenden Ansprüchen aufgerechnet werden. Soweit ein befristeter Zuschlag nach dem Bezug von Arbeitslosengeld gemäß § 24 SGB II zustehe, könne dieser zusätzlich in die Aufrechnung einbezogen werden. Die dem Kläger zustehende Regel-leistung werde unter Berücksichtigung der genannten Rechtsvorschriften ab dem 1. Mai 2008 in monatlichen Teilbeträgen in Höhe von 34,70 EUR (10 % von 347,00 EUR und des Zuschlags nach § 24 SGB II) gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet. Eine Aufrechnung sei nur innerhalb von zwei Jahren nach Leistungsbeginn nach dem SGB II möglich. In seinem Fall beginne die Frist am 1. August 2006 und ende bei ununterbrochenem Leistungsbezug am 1. August 2008. Bei der Entscheidung sei Ermessen ausgeübt und den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung getragen worden.
Gegen den Bescheid legte der Kläger am 7. April 2008 Widerspruch ein und trug vor, er habe keine Leistungen zu Unrecht erhalten. Mit Bescheid vom 9. September 2008 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Daraufhin hat der Kläger am 18. September 2008 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben, um sein Begehren weiter zu verfolgen.
Das Sozialgericht hat der Klage durch Urteil vom 20. Februar 2009 stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, als Rechtsgrundlage für die Aufrechnung komme nur § 65 e Satz 1 SGB II in Betracht. Danach könne der zuständige Träger der Leistungen nach dem SGB II nach Zustimmung des Trägers der Sozialhilfe dessen Ansprüche gegen den Hilfebedürftigen mit Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Voraussetzungen des § 43 Satz 1 SGB II aufrechnen. Hier könne offen bleiben, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt seien, denn die vom Beklagten erklärte Aufrechnung scheitere an der zeitlichen Beschränkung nach § 65 Satz 2 SGB II. Danach sei die Aufrechnung wegen eines Anspruchs nach Satz 1 der Vorschrift auf die ersten zwei Jahre der Leistungserbringung nach diesem Buch beschränkt. Im Fall des Klägers, der bereits seit dem 1. Januar 2005 durchgehend im Leistungsbezug des Beklagten stehe, habe die Möglichkeit zur Aufrechnung damit am 31. Dezem-ber 2006 geendet. Dies ergebe sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, wo-nach auf den Zeitraum der Leistungserbringung nach dem SGB II und gerade nicht auf das Bestehen einer gesetzlichen Aufrechnungslage abgestellt werde. Dabei handele es sich um eine Aufrechnungshöchstdauer, mit welcher geregelt werde, wie lange maximal mit einer Gegenforderung aufgerechnet werden dürfe, und nicht um eine bloße Aufrechnungsfrist, innerhalb derer die Aufrechnung erklärt werden müsse.
Die von dem Beklagten vertretene Auffassung, dass die Zweijahresfrist erst mit dem Inkrafttreten der Norm zu laufen beginne, finde im Gesetz keine Stütze. § 65 e Satz 2 SGB II beschränke die Dauer der Aufrechnung auf die ersten zwei Jahre der Leistungserbringung nach diesem Buch; nach dem Wortlaut der Norm komme es somit allein auf die Dauer der Leistungserbringung nach dem SGB II an.
Dem stehe nicht entgegen, dass § 65 e Satz 2 SGB II seinen jetzigen Regelungsgehalt durch Art. 1 Nr. 52 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I 1706, 1715) erhalten habe und erst zum 1. August 2006 in Kraft getre-ten sei (Art. 16 Abs. 1 des Gesetzes). Dass der Zweijahreszeitraum erst ab Inkrafttreten der Norm zu laufen beginnen solle, sei der Regelung nicht zu entnehmen. Im Gegenteil würde diese Interpretation dem klaren Wortlaut zuwider laufen, weil sie - bei nahtlosem Bezug von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und SGB II - erfordern würde, die ersten anderthalb Jahre des Leistungsbezugs nach dem SGB II außer Betracht zu lassen.
Ein derartiges Ergebnis lasse sich auch nicht im Wege einer historischen Auslegung der Norm begründen. Der Gesetzesbegründung lasse sich keine eindeutige Aussage dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber etwas anderes gewollt als formuliert habe. In der Begründung des Fraktionsentwurfs zum Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BT-Drucks. 16/1410 S. 31) heiße es, nach geltender Rechtslage bestehe " eine Regelungslücke für die Altfälle aus dem BSHG in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung. Es ist sachgerecht, den früheren Trägern der Sozialhilfe in einer § 43 vergleichbaren Ausgangssituation eine Verrechnungsmöglichkeit zu geben. Auf diese Weise wird für die Altfälle Kontinuität geschaffen ". Es fehle jede konkrete Aussage zu der hier relevanten Frage nach dem Beginn des Zweijahreszeitraums. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber einen Beginn ab Inkrafttreten der Neuregelung gewollt haben könnte, ließen sich der Gesetzesbegründung auch nicht ansatzweise entnehmen. Im Gegenteil könnte die Begründung eher die Auffassung stützen, dass der Gesetzgeber die Aufrechnung ganz bewusst auf die ersten zwei Jahre des Leistungsbezugs - bei einem durchgehenden Bezug also auf die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2006 - habe begrenzen wollen. So lege das Wort "Kontinuität" eine Anknüpfung an den Leis-tungsbezug nach dem BSHG nahe. Hinzu komme, dass es sich um eine Übergangsregelung für Altfälle nach dem BSHG handele; auch dies spreche eher für einen nahtlosen Anschluss an den Sozialhilfebezug als an eine Zugrundelegung des späteren Inkrafttretens. Für einen vom Ge-setzgeber vorgesehenen Beginn des Aufrechnungszeitraums erst mit dem 1. August 2006 be-stünden nach Auffassung der Kammer keine Anhaltspunkte. Eine Korrektur des Wortlauts im Wege der teleologischen Reduktion käme nur dann in Betracht, wenn sich eine vom unmissverständlichen Wortsinn abweichende Regelungsabsicht des Gesetzgebers ermitteln ließe und die Formulierung im Gesetzestext zweifelsfrei ein bloßes Redaktionsversehen gewesen sei. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Aufrechnungsmöglichkeit nach § 65 e SGB II laufe zwar bei der von der Kammer zugrunde gelegten Auslegung im Falle des Klägers ins Leere. Ein damit zumindest denkbares Versehen des Gesetzgebers rechtfertige es jedoch nicht, § 65 e Satz 2 SGB II gegen seinen eindeutigen Wortlaut anzuwenden. Einer allein zweckorientierten Anwendung von Normen durch die Verwaltung stehe schon deren Bindung an Recht und Gesetz entgegen. Die Aufrechnungsmöglichkeit bestehe auch weiterhin in Fällen, in denen der Leistungsbezug nach dem SGB II erst später als zum 1. Januar 2005 begonnen habe und/oder zeitweise unterbrochen gewesen sei. Der Annahme eines offensichtlichen Redaktionsversehens stehe schließlich auch die vorstehende Interpretation der Gesetzesbegründung entgegen.
Gegen das ihm am 10. März 2009 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 24. März 2009 Berufung eingelegt. Er meint, eine Auslegung der Vorschrift des § 65 e SGB II ergebe, dass es sich um eine Zweijahresfrist handele, die erst mit dem Inkrafttreten der Norm zu laufen beginne. Die Interpretation des Sozialgerichts sei mit dem grundsätzlichen Rückwirkungsverbot nicht vereinbar. Der von einem Gesetz Betroffene müsse grundsätzlich bis zum Zeitpunkt der
Verkündung einer Neuregelung darauf vertrauen können, dass er nicht nachträglich einer bisher nicht geltenden Belastung unterworfen werde. Dieser Vertrauensschutz in den Bestand der ur-sprünglich geltenden Rechtsfolgenlage finde seinen verfassungsrechtlichen Grund vorrangig in den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen, insbesondere des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Es sei auch nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber eine Aufrechnungsmöglichkeit für einen Übergangszeitraum von zwei Jahren und damit hinsichtlich der Länge in et-wa orientiert an der Dauer der Aufrechnungsmöglichkeit von drei Jahren nach § 43 Satz 3 SGB II habe schaffen und zugleich für eine abzusehende Vielzahl von Leistungsfällen mit lückenlo-sem Leistungsbezug nach dem 1. Januar 2005 fünf Sechstel des zulässigen Aufrechnungszeit-raums wieder habe außer Kraft setzen wollen. Damit hätte der Gesetzgeber angesichts der geringen durch § 43 Satz 1 SGB II zudem auf 30 vom Hundert der Regelleistung beschränkten Höhe der für die Aufrechnung zur Verfügung stehenden Leistungen sehenden Auges in Kauf genommen, dass die tatsächliche Aufrechnungsmöglichkeit des BSHG-Trägers beim Inkraft-treten von § 65 e SGB II von der Zufälligkeit abhänge, in welcher Dauer Regelleistungen nach dem SGB II bis zum 1. August 2006 bereits bezogen worden seien. Dies könne nicht angenommen werden. Nicht einmal bei Personen, die seit dem 1. Januar 2005 ununterbrochen SGB II-Leistungen erhalten hätten, ende die Verrechnungsmöglichkeit am 31. Dezember 2006. Vielmehr könne die Zweijahresfrist erst unter der Neuregelung des § 65 e SGB II ab 1. August 2006 zu laufen beginnen, weil sonst die Regelung unter Berücksichtigung der Vorstellung des Gesetzgebers kaum einen Sinn ergebe.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Gz.: , drei Bände) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz des Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, denn er ist auf diese Möglichkeit mit der ordnungsgemäß erfolgten Ladung hingewiesen worden (§ 153 i.V.m. § 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die vom Sozialgericht zugelassene und daher statthafte Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg; sie ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben, denn die Aufrechnung war rechtswidrig.
Der Senat vermag den Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts, die er für zutreffend und ausführlich begründet hält, nichts hinzuzufügen. Er macht sie sich daher zueigen und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen unter Verweis auf die Begründung des Sozialgerichts Berlin von weiteren Ausführungen ab, zumal neuere Rechtsprechung als die bereits in der Entscheidung des Sozialgerichts erörterte jedenfalls den einschlägigen Datenbanken nicht zu entnehmen ist. Auch in der Kommentarliteratur werden lediglich die beiden zweitinstanzlichen
Entscheidungen, mit denen sich das Sozialgericht schon eingehend auseinandergesetzt hat, disku-tiert (Landessozialgericht [LSG] Hamburg, Beschluss vom 30. Juli 2007, L 5 B 263/07 ER AS, und LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. September 2007, L 19 B 72/07 AS ER, beide zitiert nach juris). Anders als der Beklagte hat schließlich der Gesetzgeber keinen Grund zur Klarstellung von § 65 e SGB II gesehen; er hat die Vorschrift lediglich redaktionell an den Begriff der oder des Leistungsberechtigten angepasst (vgl. Bundestagsdrucksache 17/3404 vom 26. Oktober 2010, Seite 118).
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 SGG. Sie trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Aufrechnung im März 1995 von der Freien und Hansestadt Hamburg zu Unrecht erhaltener und daher zurückgeforderter Sozialhilfeleistungen mit seinem Anspruch auf Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozial-gesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Mai bis zum 31. Juli 2008.
Der im April 1958 geborene Kläger steht seit dem 1. Januar 2005 bei dem Beklagten durchgehend im Leistungsbezug. Unter dem 6. Februar 2007 teilte die Freie und Hansestadt Hamburg dem Beklagten mit, dass sie noch eine offene Forderung aus einem vom 10. April 1995
datierenden Aufhebungs- und Erstattungsbescheid in Höhe von 728,18 DM bzw. 372,31 EUR habe und um Aufrechung nach § 65 e SGB II bitte. Unter dem 4. Juni 2007 fragte die Freie und Hansestadt Hamburg nach dem Sachstand bezüglich des Aufrechnungsersuchens; unter dem 24. August 2007 teilte sie mit, die Gesamtsumme (einschließlich Mahnkosten) belaufe sich auf 424,31 EUR.
Mit Bescheid vom 1. April 2008 teilte der Beklagte dem Kläger mit, er sei aufgrund eines Be-scheids des Sozialamts Hamburg vom 10. April 1995 zur Erstattung eines Betrags in Höhe von 424,31 EUR verpflichtet. Dabei handele es sich um Ansprüche auf Erstattung oder Schadensersatz, die durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst worden seien. Zur Vermeidung von Wiederholungen werde im Übrigen auf die Ausführungen in dem genannten Bescheid verwiesen. Nach § 65 e SGB II i. V. m. § 43 Abs. 1 SGB II könn-ten bei Vorliegen der grundsätzlichen Voraussetzungen Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zu einem Betrag in Höhe von 30 vom Hundert der für den Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung mit bestehenden Ansprüchen aufgerechnet werden. Soweit ein befristeter Zuschlag nach dem Bezug von Arbeitslosengeld gemäß § 24 SGB II zustehe, könne dieser zusätzlich in die Aufrechnung einbezogen werden. Die dem Kläger zustehende Regel-leistung werde unter Berücksichtigung der genannten Rechtsvorschriften ab dem 1. Mai 2008 in monatlichen Teilbeträgen in Höhe von 34,70 EUR (10 % von 347,00 EUR und des Zuschlags nach § 24 SGB II) gegen die laufenden Leistungen aufgerechnet. Eine Aufrechnung sei nur innerhalb von zwei Jahren nach Leistungsbeginn nach dem SGB II möglich. In seinem Fall beginne die Frist am 1. August 2006 und ende bei ununterbrochenem Leistungsbezug am 1. August 2008. Bei der Entscheidung sei Ermessen ausgeübt und den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen Rechnung getragen worden.
Gegen den Bescheid legte der Kläger am 7. April 2008 Widerspruch ein und trug vor, er habe keine Leistungen zu Unrecht erhalten. Mit Bescheid vom 9. September 2008 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.
Daraufhin hat der Kläger am 18. September 2008 Klage zum Sozialgericht Berlin erhoben, um sein Begehren weiter zu verfolgen.
Das Sozialgericht hat der Klage durch Urteil vom 20. Februar 2009 stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, als Rechtsgrundlage für die Aufrechnung komme nur § 65 e Satz 1 SGB II in Betracht. Danach könne der zuständige Träger der Leistungen nach dem SGB II nach Zustimmung des Trägers der Sozialhilfe dessen Ansprüche gegen den Hilfebedürftigen mit Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Voraussetzungen des § 43 Satz 1 SGB II aufrechnen. Hier könne offen bleiben, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt seien, denn die vom Beklagten erklärte Aufrechnung scheitere an der zeitlichen Beschränkung nach § 65 Satz 2 SGB II. Danach sei die Aufrechnung wegen eines Anspruchs nach Satz 1 der Vorschrift auf die ersten zwei Jahre der Leistungserbringung nach diesem Buch beschränkt. Im Fall des Klägers, der bereits seit dem 1. Januar 2005 durchgehend im Leistungsbezug des Beklagten stehe, habe die Möglichkeit zur Aufrechnung damit am 31. Dezem-ber 2006 geendet. Dies ergebe sich bereits aus dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift, wo-nach auf den Zeitraum der Leistungserbringung nach dem SGB II und gerade nicht auf das Bestehen einer gesetzlichen Aufrechnungslage abgestellt werde. Dabei handele es sich um eine Aufrechnungshöchstdauer, mit welcher geregelt werde, wie lange maximal mit einer Gegenforderung aufgerechnet werden dürfe, und nicht um eine bloße Aufrechnungsfrist, innerhalb derer die Aufrechnung erklärt werden müsse.
Die von dem Beklagten vertretene Auffassung, dass die Zweijahresfrist erst mit dem Inkrafttreten der Norm zu laufen beginne, finde im Gesetz keine Stütze. § 65 e Satz 2 SGB II beschränke die Dauer der Aufrechnung auf die ersten zwei Jahre der Leistungserbringung nach diesem Buch; nach dem Wortlaut der Norm komme es somit allein auf die Dauer der Leistungserbringung nach dem SGB II an.
Dem stehe nicht entgegen, dass § 65 e Satz 2 SGB II seinen jetzigen Regelungsgehalt durch Art. 1 Nr. 52 des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20. Juli 2006 (BGBl. I 1706, 1715) erhalten habe und erst zum 1. August 2006 in Kraft getre-ten sei (Art. 16 Abs. 1 des Gesetzes). Dass der Zweijahreszeitraum erst ab Inkrafttreten der Norm zu laufen beginnen solle, sei der Regelung nicht zu entnehmen. Im Gegenteil würde diese Interpretation dem klaren Wortlaut zuwider laufen, weil sie - bei nahtlosem Bezug von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und SGB II - erfordern würde, die ersten anderthalb Jahre des Leistungsbezugs nach dem SGB II außer Betracht zu lassen.
Ein derartiges Ergebnis lasse sich auch nicht im Wege einer historischen Auslegung der Norm begründen. Der Gesetzesbegründung lasse sich keine eindeutige Aussage dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber etwas anderes gewollt als formuliert habe. In der Begründung des Fraktionsentwurfs zum Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BT-Drucks. 16/1410 S. 31) heiße es, nach geltender Rechtslage bestehe " eine Regelungslücke für die Altfälle aus dem BSHG in der bis 31. Dezember 2004 geltenden Fassung. Es ist sachgerecht, den früheren Trägern der Sozialhilfe in einer § 43 vergleichbaren Ausgangssituation eine Verrechnungsmöglichkeit zu geben. Auf diese Weise wird für die Altfälle Kontinuität geschaffen ". Es fehle jede konkrete Aussage zu der hier relevanten Frage nach dem Beginn des Zweijahreszeitraums. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber einen Beginn ab Inkrafttreten der Neuregelung gewollt haben könnte, ließen sich der Gesetzesbegründung auch nicht ansatzweise entnehmen. Im Gegenteil könnte die Begründung eher die Auffassung stützen, dass der Gesetzgeber die Aufrechnung ganz bewusst auf die ersten zwei Jahre des Leistungsbezugs - bei einem durchgehenden Bezug also auf die Zeit vom 1. Januar 2005 bis zum 31. Dezember 2006 - habe begrenzen wollen. So lege das Wort "Kontinuität" eine Anknüpfung an den Leis-tungsbezug nach dem BSHG nahe. Hinzu komme, dass es sich um eine Übergangsregelung für Altfälle nach dem BSHG handele; auch dies spreche eher für einen nahtlosen Anschluss an den Sozialhilfebezug als an eine Zugrundelegung des späteren Inkrafttretens. Für einen vom Ge-setzgeber vorgesehenen Beginn des Aufrechnungszeitraums erst mit dem 1. August 2006 be-stünden nach Auffassung der Kammer keine Anhaltspunkte. Eine Korrektur des Wortlauts im Wege der teleologischen Reduktion käme nur dann in Betracht, wenn sich eine vom unmissverständlichen Wortsinn abweichende Regelungsabsicht des Gesetzgebers ermitteln ließe und die Formulierung im Gesetzestext zweifelsfrei ein bloßes Redaktionsversehen gewesen sei. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Aufrechnungsmöglichkeit nach § 65 e SGB II laufe zwar bei der von der Kammer zugrunde gelegten Auslegung im Falle des Klägers ins Leere. Ein damit zumindest denkbares Versehen des Gesetzgebers rechtfertige es jedoch nicht, § 65 e Satz 2 SGB II gegen seinen eindeutigen Wortlaut anzuwenden. Einer allein zweckorientierten Anwendung von Normen durch die Verwaltung stehe schon deren Bindung an Recht und Gesetz entgegen. Die Aufrechnungsmöglichkeit bestehe auch weiterhin in Fällen, in denen der Leistungsbezug nach dem SGB II erst später als zum 1. Januar 2005 begonnen habe und/oder zeitweise unterbrochen gewesen sei. Der Annahme eines offensichtlichen Redaktionsversehens stehe schließlich auch die vorstehende Interpretation der Gesetzesbegründung entgegen.
Gegen das ihm am 10. März 2009 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 24. März 2009 Berufung eingelegt. Er meint, eine Auslegung der Vorschrift des § 65 e SGB II ergebe, dass es sich um eine Zweijahresfrist handele, die erst mit dem Inkrafttreten der Norm zu laufen beginne. Die Interpretation des Sozialgerichts sei mit dem grundsätzlichen Rückwirkungsverbot nicht vereinbar. Der von einem Gesetz Betroffene müsse grundsätzlich bis zum Zeitpunkt der
Verkündung einer Neuregelung darauf vertrauen können, dass er nicht nachträglich einer bisher nicht geltenden Belastung unterworfen werde. Dieser Vertrauensschutz in den Bestand der ur-sprünglich geltenden Rechtsfolgenlage finde seinen verfassungsrechtlichen Grund vorrangig in den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen, insbesondere des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Es sei auch nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber eine Aufrechnungsmöglichkeit für einen Übergangszeitraum von zwei Jahren und damit hinsichtlich der Länge in et-wa orientiert an der Dauer der Aufrechnungsmöglichkeit von drei Jahren nach § 43 Satz 3 SGB II habe schaffen und zugleich für eine abzusehende Vielzahl von Leistungsfällen mit lückenlo-sem Leistungsbezug nach dem 1. Januar 2005 fünf Sechstel des zulässigen Aufrechnungszeit-raums wieder habe außer Kraft setzen wollen. Damit hätte der Gesetzgeber angesichts der geringen durch § 43 Satz 1 SGB II zudem auf 30 vom Hundert der Regelleistung beschränkten Höhe der für die Aufrechnung zur Verfügung stehenden Leistungen sehenden Auges in Kauf genommen, dass die tatsächliche Aufrechnungsmöglichkeit des BSHG-Trägers beim Inkraft-treten von § 65 e SGB II von der Zufälligkeit abhänge, in welcher Dauer Regelleistungen nach dem SGB II bis zum 1. August 2006 bereits bezogen worden seien. Dies könne nicht angenommen werden. Nicht einmal bei Personen, die seit dem 1. Januar 2005 ununterbrochen SGB II-Leistungen erhalten hätten, ende die Verrechnungsmöglichkeit am 31. Dezember 2006. Vielmehr könne die Zweijahresfrist erst unter der Neuregelung des § 65 e SGB II ab 1. August 2006 zu laufen beginnen, weil sonst die Regelung unter Berücksichtigung der Vorstellung des Gesetzgebers kaum einen Sinn ergebe.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 20. Februar 2009 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten (Gz.: , drei Bände) verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte trotz des Ausbleibens des Klägers in der mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, denn er ist auf diese Möglichkeit mit der ordnungsgemäß erfolgten Ladung hingewiesen worden (§ 153 i.V.m. § 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Die vom Sozialgericht zugelassene und daher statthafte Berufung des Beklagten hat keinen Erfolg; sie ist zulässig, aber nicht begründet. Zu Recht hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben, denn die Aufrechnung war rechtswidrig.
Der Senat vermag den Ausführungen des erstinstanzlichen Gerichts, die er für zutreffend und ausführlich begründet hält, nichts hinzuzufügen. Er macht sie sich daher zueigen und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen unter Verweis auf die Begründung des Sozialgerichts Berlin von weiteren Ausführungen ab, zumal neuere Rechtsprechung als die bereits in der Entscheidung des Sozialgerichts erörterte jedenfalls den einschlägigen Datenbanken nicht zu entnehmen ist. Auch in der Kommentarliteratur werden lediglich die beiden zweitinstanzlichen
Entscheidungen, mit denen sich das Sozialgericht schon eingehend auseinandergesetzt hat, disku-tiert (Landessozialgericht [LSG] Hamburg, Beschluss vom 30. Juli 2007, L 5 B 263/07 ER AS, und LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19. September 2007, L 19 B 72/07 AS ER, beide zitiert nach juris). Anders als der Beklagte hat schließlich der Gesetzgeber keinen Grund zur Klarstellung von § 65 e SGB II gesehen; er hat die Vorschrift lediglich redaktionell an den Begriff der oder des Leistungsberechtigten angepasst (vgl. Bundestagsdrucksache 17/3404 vom 26. Oktober 2010, Seite 118).
Die Kostenentscheidung findet ihre Grundlage in § 193 SGG. Sie trägt dem Ausgang des Verfahrens Rechnung.
Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der in § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG genannten Gründe vorliegt.
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