L 11 AS 550/12 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
11
1. Instanz
SG Würzburg (FSB)
Aktenzeichen
S 15 AS 789/11
Datum
-
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 11 AS 550/12 B PKH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Regelbedarf ist nicht evident verfassungwidrig.
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 06.07.2012 wird zurückgewiesen.



Gründe:


I.
Streitig ist die Höhe der zu bewilligenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes (Arbeitslosengeld II - Alg II -) nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.10.2011 bis 31.03.2012, insbesondere die Verfassungsmäßigkeit der Höhe des Regelbedarfs.

Mit Bescheid vom 26.08.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.10.2011 in der Fassung des Bescheides vom 26.11.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger Alg II unter Berücksichtigung eines Regelbedarfs in Höhe von 364,00 EUR bzw. ab 01.01.2012 in Höhe von 374,00 EUR. Dagegen hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Würzburg erhoben. Der Regelbedarf sei zu niedrig festgesetzt worden, die Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Ermittlung des Regelbedarfs in den Entscheidungen vom 09.02.2010 - u.a. 1 BvL 1/09 - seien nicht erfüllt. Zudem hat der Kläger die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren begehrt. Die Erfolgsaussichten ergäben sich bereits aus der Vorlage der entsprechenden Frage durch das Sozialgericht Berlin (Beschluss vom 25.04.2012 - S 55 AS 9238/12) an das BVerfG sowie aus der entsprechenden Auffassung verschiedener Meinungen in der Literatur.

Das SG hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 06.07.2012 abgelehnt. Eine hinreichende Erfolgsaussicht bestehe nicht. Dies ergebe sich bereits aus mehreren Entscheidungen des erkennenden Senates. Die Vorgaben des BVerfG seien erfüllt.

Dagegen hat der Kläger Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Eine Entscheidung des BVerfG stehe noch aus, daher müsse Prozesskostenhilfe bewilligt werden. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass die Bescheide bestandskräftig würden.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.

II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Gemäß § 73a SGG iVm § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Aus verfassungsrechtlichen Gründen dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht nicht überspannt werden. Es reicht für die Prüfung der Erfolgsaussicht aus, dass der Erfolg eine gewisse Wahrscheinlichkeit für sich hat. Eine hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Klägers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. zum Ganzen: Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9.Aufl., § 73a Rn 7a).

Eine solche hinreichende Erfolgsaussicht ist vorliegend nicht gegeben. Dabei wird gemäß § 142 Abs 2 Satz 3 SGG auf die Ausführungen des SG sowie die von diesem zitierte Rechtsprechung insbesondere des erkennenden Senates Bezug genommen.

Die neuen Regelbedarfe wurden durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderungen des Zweiten und Zwölften Sozialgesetzbuches vom 24.03.2011 (BGBl. I S. 453 ff) festgelegt. Gerichte sind an das Gesetz gebunden (Art. 20 Abs 3, Art. 97 Abs 1 Grundgesetz - GG -). Bei einem Konflikt zwischen einem einfachen Gesetz und der Verfassung kann sich ein Gericht nicht über das Gesetz stellen, es kann das Gesetz nur gemäß Art. 100 Abs 1 GG dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorlegen. Dies kommt aber nur dann in Betracht, wenn das vorlegende Gericht von der Verfassungswidrigkeit des einfachen Gesetzes überzeugt ist (Jarass/Pieroth, GG, Art 100 Rdnr 10). Für eine Verfassungswidrigkeit des neuen Regelbedarfsgesetzes gibt es keine Anhaltspunkte (vgl. dazu Beschluss des Bayer. Landessozialgerichts vom 27.05.2011 - L 7 AS 342/11 B PKH -), selbst unter Berücksichtigung des Gutachtens von Münder.

Wie sich aus der Begründung des Regelbedarfs- und Ermittlungsgesetzes (BT-Drucks. 17/3404, S. 42 ff) ergibt, hat sich der Gesetzgeber sehr genau an die Vorgaben der Urteile des BVerfG vom 09.02.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09) gehalten. Dieses hat dem Gesetzgeber auferlegt, die zur Bestimmung des Existenzminimums im Gesetzgebungsverfahren eingesetzten Methoden und Berechnungsschritte nachvollziehbar offen zu legen (vgl. BVerfG Urteile vom 09.02.2010, vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 10.06.2011 - L 12 AS 1077/11 - veröffentlicht in juris -), die erforderlichen Wertungen hat der parlamentarische Gesetzgeber vorzunehmen. Die materielle Kontrolle des Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers beschränkt sich daher darauf, ob die Leistungen evident unzureichend sind (LSG Baden-Württemberg aaO).

Der vom Gesetzgeber festgelegte Regelbedarf von monatlich 364,00 EUR kann zur Sicherung eines menschenwürdigen Existenzminimums eines Alleinstehenden nicht als evident unzureichend angesehen werden. Der Gesetzgeber hat sich zur Festlegung des Regelbedarfes des Statistikmodells bedient. Dies ist vom BVerfG ebensowenig beanstandet worden wie die Tatsache, dass die in den einzelnen Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe erfassten Ausgaben nicht vollständig, sondern als regelleistungsrelevanter Verbrauch nur zu einem bestimmten Prozentsatz (oder auch gar nicht) in die Bemessung der Regelleistung einfließen. Allerdings muss der jeweilige Abschlag sachlich gerechtfertigt sein.

Die wertende Entscheidung, welche Ausgaben zum Existenzminimum zählen, hat der Gesetzgeber sachgerecht und vertretbar zu treffen. Kürzungen von Ausgabepositionen und Abteilungen der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe bedürfen zu ihrer Rechtfertigung einer empirischen Grundlage. Der Gesetzgeber darf Ausgaben, welche die Referenzgruppe tätigt, nur dann als nicht relevant einstufen, wenn feststeht, dass sie anderweitig gedeckt werden oder zur Sicherung des Existenzminimums nicht notwendig sind (vgl. LSG Baden-Württemberg aaO). Die Verbrauchsausgaben für alkoholische Getränke durfte der Gesetzgeber vertretbar nicht dem physischen Existenzminimum zurechnen, da alkoholische Getränke Drogen darstellen und nicht zum unablässigen Grundbedarf gehören. Zum Ausgleich der mit den alkoholischen Getränken verbundenen Flüssigkeitsmenge hat der Gesetzgeber diese durch alkoholfreie Getränke ersetzt und die entsprechenden Verbrauchsausgaben für Mineralwasser in Höhe von 2,99 EUR berücksichtigt (BT-Drucks. 17/3404, S. 53; vgl. hierzu auch LSG Baden-Württemberg aaO). Dabei darf zum einen nicht übersehen werden, dass alkoholische Getränke nicht bei den Nahrungsmitteln berücksichtigt worden sind, der erforderliche Kalorienbedarf also nicht auch über den Genuss von Alkoholika gedeckt werden sollte. Somit ist nicht der Nährwert der alkoholischen Getränke zu substituieren. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass durch die Substitution der Flüssigkeitsmenge durch Mineralwasser zu einem Preis von 2,99 EUR auch entsprechend günstige Limonaden eingekauft werden können, die einen so hohen Kaloriengehalt aufweisen, dass die durch die Nichtberücksichtigung von Alkohol entfallenden Kalorien ersetzt werden können.

Festzuhalten ist, dass die Entscheidung, Ausgaben für u.a. für Alkohol nicht zu berücksichtigen, rein politischer Art ist, in verfassungsrechtlicher Hinsicht vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers aber gedeckt ist (vgl. BayLSG, Beschluss vom 10.08.2011 - L 16 AS 305/11 NZB- veröffentlicht in juris). Einzelne Punkte der Ermittlung des neuen Regelbedarfs werden politisch unterschiedlich bewertet. Dies darf aber nicht mit der Frage verwechselt werden, ob die getroffene Regelung verfassungswidrig ist (vgl. u.a. auch BayLSG, Beschluss vom 05.07.2011 - L 7 AS 334/11 B PKH).

Allein eine andere Auffassung in der Literatur bzw. des SG Berlin lässt nicht auf eine evidente Verfassungswidrigkeit schließen, wobei insbesondere zu beachten ist, dass es sich vorliegend um den Regelbedarf eines Alleinstehenden handelt, den das BVerfG bereits in seinen Entscheidungen vom 09.02.2010 nicht als offensichtlich verfassungswidrig angesehen hat. Das BSG hat zwischenzeitlich den ab 01.01.2011 zu berücksichtigenden Regelbedarf - zumindest eines Alleinstehenden - nicht für verfassungswidrig erachtet (vgl. Terminsbericht Nr. 40/12 zur Sitzung des BSG 12.07.2012).

Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.

Dieser Beschluss ergeht kostenfrei und ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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