Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
38
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 38 SF 73/12 EK AS
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der 1964 geborene Kläger, der im Bezug von Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) steht, begehrt eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Widerspruchs- und Gerichtsverfahrens iHv 5.400,- EUR.
Mit Bescheid vom 28. Juni 2006 hatte das Jobcenter (JC) Berlin-Lichtenberg dem Kläger SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 31. Dezember 2006 bewilligt (Regelleistung = monatlich 345,- EUR; Leistungen für Unterkunft und Heizung – KdU – = monatlich 380,62 EUR). Der Kläger hatte ferner die Erstattung von Kosten für die Teilnahme an einem Businessplan-Wettbewerb (BPW) geltend gemacht. Das JC lehnte insoweit Leistungen mit den Bescheiden vom 7. Juli 2006 und 28. August 2006 ab. Mit Bescheid vom 11. Juli 2006 gewährte es dem Kläger Bewerbungskosten iHv 45,- EUR. Die Widersprüche des Klägers blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2006).
Am 27. November 2006 erhob der Kläger beim Sozialgericht (SG) Berlin Klage; auf die Klageschrift wird Bezug genommen. Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. Januar 2011 ab (– S 103 AS 10910/06 –). Das Landessozialgericht (LSG) änderte mit Urteil vom 31. Mai 2012 (– L 34 AS 461/11 –) den Gerichtsbescheid und verurteilte das JC unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen und Abweisung der im Berufungsverfahren erhobenen weiteren Klage, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 31. Dezember 2006 weitere KdU-Leistungen in einer Gesamthöhe von 11,04 EUR zu gewähren. Zuvor hatte der Kläger am 15. Februar 2012 eine Verzögerungsrüge hinsichtlich des Vorverfahrens und des Verfahrens erster und zweiter Instanz erhoben.
Wegen der Einzelheiten des Gangs des sozialgerichtlichen Verfahrens wird auf den Inhalt der beigezogenen Gerichtsakten – S 103 AS 10910/06 /L 34 AS 461/11 – verwiesen.
Mit seiner Entschädigungsklage (Schriftsatz vom 30. Mai 2012) macht der Kläger eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Verfahrens iHv 5.400,- EUR geltend; auf seine Schriftsätze vom 22. Juni 2012, 28. Juni 2012, 9. Juli 2012, 16. Juli 2012, 3. August 2012, 13. August 2012 und 27. August 2012 wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.400,- EUR zu zahlen,
Die Beklagten beantragen nach ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung sinngemäß,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die vorbereitenden Schriftsätze des Klägers und den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
Die Gerichtsakte und die Akten des SG Berlin – S 103 AS 10910/06 /L 34 AS 461/11 – (2 Bände) haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat ist gemäß § 202 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), eingefügt durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (GRüGV; BGBl. I S 2302), iVm § 201 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), zuletzt geändert durch das Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2554), wonach das LSG Berlin-Brandenburg, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde, für die Klage auf Entschädigung gegen die Länder Berlin und Brandenburg ausschließlich zuständig ist, zur Entscheidung berufen. Gemäß § 33 Abs. 2 SGG haben die für Angelegenheiten der Sozialversicherung berufenen ehrenamtlichen Richter mitgewirkt.
Die Entschädigungsklage ist statthaft, aber nicht begründet.
Der Zulässigkeit der Entschädigungsklage steht insbesondere nicht entgegen, dass der Kläger eine ausdrücklich auf das Vorverfahren, das erstinstanzliche Verfahren und das Berufungsverfahren bezogene Verzögerungsrüge iSv § 202 Satz 2 SGG iVm § 198 Abs. 3 GVG nicht unverzüglich nach In-Kraft-Treten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV; BGBl I S 2302) am 3. Dezember 2011, sondern erst mit Schriftsatz vom 13. Februar 2012 erhoben hatte. Indes bedarf es gemäß Art. 23 Satz 4 GRüGV keiner Verzögerungsrüge, wenn bei einem (zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Gesetzes am 3. Dezember 2011) anhängigen Verfahren die Verzögerung in einer schon abgeschlossenen Instanz – wie hier vor dem SG – erfolgt ist. Für das Berufungsverfahren wiederum war keine Verzögerungsrüge erforderlich, da es dort nicht zu einer (weiteren) relevanten Verzögerung gekommen ist (vgl § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG). Die Entschädigungsklage hat indes in der Sache keinen Erfolg. Das GRüGV ist nach dessen Art. 23 Satz 1 1. Alt. anwendbar. Ein Entschädigungsanspruch des Klägers setzt nach § 202 Satz 2 SGG iVm § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zunächst voraus, dass die Dauer des von ihm betriebenen Gerichtsverfahrens unangemessen lang war. Die Angemessenheit richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist allein das sozialgerichtliche Verfahren, nicht jedoch – wie der Kläger nunmehr in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, (auch) das Widerspruchsverfahren. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definiert ein Gerichtsverfahren als Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Die Frage, ob auch das Widerspruchsverfahren zu berücksichtigen ist, lässt sich anhand des Wortlauts der Vorschrift nicht eindeutig beantworten. Aus den Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 17/3802, S 17 A.I.10) ergibt sich jedoch, dass das Widerspruchsverfahren nach dem Willen des Gesetzgebers unberücksichtigt bleibt. Nichts anderes ist im Hinblick auf die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) geboten. Zwar geht § 198 GVG maßgeblich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur überlangen Verfahrensdauer zurück, wonach das nationale Recht bei Verletzungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK eine wirksame Beschwerde im Sinne von Art. 13 EMRK vorsehen muss (vgl. BT-Drucks 17/3802 S 1, 15 f.). Der EGMR lässt den für die Angemessenheit der Verfahrensdauer iSv Art. 6 Abs. 1 EMRK zu berücksichtigenden Zeitraum an dem Tag beginnen, an dem der Beschwerdeführer seinen Widerspruch einlegt, und begründet dies mit dem Umstand, dass die Einlegung des Widerspruchs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann (vgl ua EGMR, Urteil vom 30. Juni 2011, Beschwerde Nr 11811/10, Rn 21; Urteil vom 24. Juni 2010, Beschwerde Nr 25756/09, Rn 21; Urteil vom 30. März 2010, Beschwerde Nr 46682/07, Rn 36). In der Amtlichen Begründung der Bundesregierung (BT-Drucks 17/3802 S 17 A.I.10) wird jedoch ausdrücklich ausgeführt, für eine Entschädigungsregelung wegen Verzögerungen im Widerspruchsverfahren gebe es keinen Bedarf, da die Verfahrensordnungen – auch das SGG – mit der Untätigkeitsklage (§ 88 SGG) für den Fall, dass über einen Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden sei, die Möglichkeit einräume, unmittelbar Klage ohne Vorverfahren zu erheben, und daher insoweit für eine Entschädigungsregelung kein Bedarf bestehe. Diese Erwägungen sind konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, da der Widerspruch angesichts der Möglichkeit der Erhebung einer Untätigkeitsklage eine wirksame Beschwerde im Sinne von Art. 13 EMRK darstellt und die gerichtliche Behandlung der Untätigkeitsklage ihrerseits am Maßstab des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu messen ist. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gebietet ebenfalls nicht, das Widerspruchsverfahren unter den Begriff des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zu subsumieren (offen gelassen für Verwaltungsverfahren, die dem gerichtlichen Rechtsschutz vorgelagert sind: BVerfG, Beschluss vom 7. Juni 2011 – 1 BvR 194/11 –, NVwZ-RR 2011, 625 = juris Rn. 33). Zu dem Gerichtsverfahren nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zählt auch der Zeitraum von der Verkündung einer gerichtlichen Entscheidung bis zu deren Zustellung (vgl EGMR, Urteil vom 30. März 2010, Beschwerde Nr. 46682/07, Rn. 36 – juris). Dieser Zeitraum ist nach dem Sinn und Zweck des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG einzubeziehen. Eine Gefährdung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit kann nämlich auch noch nach Verkündung der gerichtlichen Entscheidung eintreten, indem sich die Absetzung des Urteils verzögert; das Bundesverfassungsgericht (BVerfG; vgl Beschluss vom 26. März 2001 – 1 BvR 383/00 = NJW 2001, 2161 – juris Rn. 21) zieht insoweit eine äußere Grenze von fünf Monaten nach Verkündung für die Übergabe des in vollständiger Form unterschriebenen Urteils an die Geschäftsstelle. Es bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, ob Gerichtsverfahren iSv § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG das einheitlich zu betrachtende Verfahren in allen Rechtszügen (hier: vor dem SG und dem LSG) ist oder ob – wofür Art. 23 Satz 4 GRüGV sprechen könnte – dieser Begriff auch das Verfahren in einer bestimmten Instanz umfassen kann, dessen angemessene Dauer isoliert zu betrachten wäre (vgl zum Ganzen OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. März 2012 – OVG 3 A 1.12 – juris). Denn der Kläger rügt die Verzögerung des Verfahrens in beiden Instanzen. Demgemäß ist auf die Dauer des gesamten Verfahrens abzustellen (vgl zur erforderlichen Betrachtung des Gesamtverfahrens auch EGMR, Beschluss vom 10. Februar 2009, Beschwerde Nr 30209/05 – juris) Das von dem Kläger bei dem SG und LSG durchgeführte Gerichtsverfahren war nicht unangemessen lang iSv § 198 Abs. 1 GVG. Ob der Anspruch eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung seines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verletzt wurde, ist im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK, des BVerfG zu Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG sowie des Bundessozialgerichts (BSG) zu beurteilen (vgl auch BT-Drucks 17/3802, S 1, 15). Als Maßstab nennt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (vgl insoweit auch EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010, Beschwerde Nr 21423/07, Rn 32 – juris). Was die Schwierigkeit des von dem Kläger geführten Verfahrens angeht, so stellten sich keine neuen oder komplexen Rechtsfragen. Auch die Klärung der Tatsachengrundlage war nicht überdurchschnittlich aufwändig, zumal die Klage(n) teilweise bereits wegen fehlender Zulässigkeit offensichtlich aussichtslos war(en). Das hier gerügte Verfahren – S 103 AS 10910/06 – hatte in der ersten Instanz von der Einreichung der Klageschrift am 27. November 2006 bis zur Instanz beendenden Entscheidung durch Gerichtsbescheid am 21. Januar 2011, dem Kläger zugestellt am 26. Januar 2011, zudem eine Dauer von fast 50 Monaten, die die generelle Drei-Jahres-Grenze, bei deren Überschreiten ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK regelmäßig zu vermuten ist, deutlich überschritten hatte (vgl BSG, Beschluss vom 13. Dezember 2005 – B 4 RA 220/04 B = SozR 4-1500 § 160a Nr 11; BSG, Beschluss vom 22. Dezember 2006 – B 2 U 65/06 B – juris). Demgegenüber ist zu berücksichtigen, dass das Verfahren für den Kläger, dem für den streitigen Bewilligungszeitraum vom 1. Juli 2006 bis 31. Dezember 2006 bereits die vollen Regelleistungen nach dem SGB II sowie KdU-Leistungen in der nachgewiesenen Höhe abzüglich eines Betrags von lediglich 8,06 EUR monatlich bewilligt waren, letztlich keinen Existenz sichernden Charakter aufwies. Dies gilt auch für die – zulässig – geltend gemachten Kosten der Teilnahme an der dritten Stufe des BPW. Soweit der Kläger mit seinen zahlreichen Klageergänzungen und -änderungen bei dem SG weitere Leistungen geltend gemacht hatte, namentlich weitere Bewerbungskosten und Kosten anderer bei dem SG geführter Verfahren, sind diese unzulässigen Begehren von vornherein nicht geeignet, eine besondere Bedeutung des Verfahrens iSv § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG zu begründen. Die ungewöhnlich lange Bearbeitungsdauer bei dem SG ist im Wesentlichen der Verfahrensführung des Klägers geschuldet. Hat dieser die überlange Verfahrensdauer durch sein Prozessverhalten verursacht, besteht ein Entschädigungsanspruch nicht. Zwar darf der Beteiligte die ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, ohne dass ihm dies angelastet werden kann. Kommt es hierdurch jedoch zu Verzögerungen, verlängert sich regelmäßig die angemessene Frist iSv § 198 Abs. 1 GVG (für erfolglose Befangenheitsanträge zB EGMR, Urteil vom 9. Oktober 2008, Beschwerde Nr 10732/05, Rn 37; für Klageänderungen oder -erweiterungen EGMR, Urteile vom 4. Februar 2010 und 21. Oktober 2010, Beschwerden Nr 13791/06 und Nr 43155/08 – juris). Für solches Verhalten kann der Staat nicht verantwortlich gemacht werden. Im Einzelnen gilt hier Folgendes: Der Kläger erhob seine Klage am 27. November 2006. Das SG leitete diese Klage dem beklagten JC mit Verfügung vom 5. Dezember 2006 zur Stellungnahme und Aktenübersendung innerhalb eines Monats zu. Nach zeitnaher Erinnerung erwiderte das JC mit Schriftsatz vom 16. Februar 2007 und verwies darauf, dass sich die Verwaltungsakten bei einem anderen beim SG anhängigen Verfahren des Klägers befänden. Das SG übermittelte sodann dem Kläger die Klageerwiderung mit der Bitte um Stellungnahme und forderte die Akten von der anderen Kammer an. Diese teilte mit, dass die Akten dem LSG wegen eines Beschwerdeverfahrens vorgelegt worden seien. Sodann erweiterte, berichtigte bzw ergänzte der Kläger sein Begehren mit 13 (!) Ergänzungen zur Klageschrift vom 4. April 2007, 17. August 2007, 23. Oktober 2007 15. November 2007, 29. Dezember 2007, 28. Januar 2008, 29. Januar 2008, 6. Februar 2008, 14. März 2008 21. April 2008, 17. Juni 2008, 30. Juni 2008 und 12. Oktober 2009, bis er unter dem 27. Februar 2010 einen Antrag auf "Unterbrechung aller Verfahren" wegen einer Inhaftierung vom 17. Februar 2010 bis 16. August 2010 stellte. Zwischenzeitlich hatte der Kläger zudem alle mit dem Verfahren erstinstanzlich befassten (drei) Richterinnen und Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Sämtliche Anträge wurden vom LSG als unzulässig verworfen bzw zurückgewiesen (Beschlüsse vom 24. September 2007, 2. April 2008 und 13. November 2009). Im Ergebnis ist lediglich in der Zeit von Juli bis Dezember 2008 und vom 8. Januar 2009 bis 15. September 2009 eine Untätigkeit des SG zu verzeichnen, das – ohne zeitnah über den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) befunden zu haben – die Sache als entscheidungsreif ausgeschrieben und im Juli 2008 in das "GB-Fach" (Fach für Verfahrensakten, in denen durch Gerichtsbescheid entschieden werden soll) verfügt hatte. Dabei ist jedoch in Rechnung zu stellen, dass infolge des Wechsels im Kammervorsitz zum 1. Januar 2009 dem nunmehr zuständigen Vorsitzenden eine ausreichende Zeit zur Einarbeitung in das Verfahren und zur Würdigung der zahlreichen Klageerweiterungen des Klägers einzuräumen war, die überdies auch eine "Abgleichung" mit den weiteren beim SG anhängigen Verfahren des Klägers dahingehend erforderten, ob dort gleich lautende prozessuale Ansprüche erhoben waren, insbesondere in dem Verfahren – S 157 AS 20343/08 –. Der Vorsitzende bat zudem um Beibringung der PKH-Unterlagen und Mitteilung, welche der zahlreichen Anträge der Kläger letztlich auch im Hinblick auf zwischenzeitlich eingetretene Sachstandsänderungen und seine zahlreichen Klageerweiterungen noch aufrechterhalte. Ein derartiger Hinweis des Vorsitzenden zur Klärung des Sach- und Streitstands war im Hinblick auf das unübersichtliche und sich teilweise mit dem Vorbringen in anderen Verfahren überschneidende Begehren des Klägers sachdienlich. Nach erfolgloser Durchführung eines vom Kläger hierauf erneut betriebenen Ablehnungsverfahrens gegen den zuständigen Kammervorsitzenden lehnte dieser nach Beiziehung der Verfahrensakte S 157 AS 20343/08 – in diesem Rechtsstreit wurde ebenfalls über BPW-Teilnahmekosten gestritten – den PKH-Antrag mit Beschluss vom 12. April 2010 zeitnah ab. Das hiergegen vom Kläger angestrengte Beschwerdeverfahren endete durch Beschluss des LSG vom 21. Dezember 2010 (– L 34 AS 992/10 B PKH –), nachdem der Kläger auch alle zur Entscheidung über seine Beschwerde berufenen Mitglieder des 34. Senats des LSG – erfolglos (Beschluss des LSG vom 10. Dezember 2010 – wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hatte. Sodann erging die Instanz beendende Entscheidung des SG ohne weitere Verzögerung zeitnah am 21. Januar 2011. Die insoweit ohne sachlichen Grund vom SG zu vertretende Verfahrensverzögerung beläuft sich auf höchstens 14 Monate. Dem steht eine Zeit von fünf Monaten (Bearbeitung der erfolglosen Ablehnungsanträge), weiteren 13 Monaten (Prüfung der 13 Klageerweiterungen durch das Gericht) und nochmals 6 Monaten (Beschwerdeverfahren gegen den ablehnenden PKH-Beschluss des SG vom 12. April 2010 mit erfolglosem Befangenheitsantrag gegen die Mitglieder des 34. Senats) gegenüber, die zu einer nicht dem SG anzulastenden Verzögerung des Verfahrens geführt hat und die angemessene Frist iSv § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG um 24 Monate verlängert. Dies rechtfertigt die Annahme, dass sich ohne das geschilderte Prozessverhalten des Klägers das Verfahren erster Instanz in der üblichen regelmäßigen Verfahrensdauer erledigt hätte. Da zudem die Verfahrensdauer bei dem SG nicht allein maßgeblich ist, kommt der zügigen Bearbeitung des Berufungsverfahrens – L 34 AS 461/11 – durch das LSG (Eingang der Berufung am 28. Februar 2011; Urteil des LSG nach mündlicher Verhandlung vom 31. Mai 2012, dem Kläger zugestellt am 6. Juni 2012) ebenfalls entscheidende Bedeutung zu. Die oben dargelegte teilweise Verzögerung des SG-Verfahrens wird insoweit bei einer gebotenen Gesamtbetrachtung des "Gerichtsverfahrens" iSv § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, das sich auf den Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss erstreckt (vgl § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG), kompensiert (vgl BT-Drucks 17/3802, S 18 zu § 198 "Gesamtverfahren"; vgl auch BSG, Urteil vom 2. Oktober 2008 – B 9 VH 1/07 R = SozR 4-3100 § 60 Nr 4 "Gesamtdauer"). Auch insgesamt bewegt sich die Verfahrensdauer in zwei Instanzen damit in einem Rahmen, bei dem nach der vom Senat seiner Entscheidung zugrunde gelegten Rechtsprechung des BSG noch nicht von einem Konventionsverstoß und damit auch nicht von einer unangemessenen Dauer des Gerichtsverfahrens iSv § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG auszugehen ist. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Verwaltungsgerichtsordnung. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen im Hinblick auf die vorliegende – im Einzelnen zitierte – Rechtsprechung des EGMR, des BVerfG und des BSG nicht vor.
Tatbestand:
Der 1964 geborene Kläger, der im Bezug von Arbeitslosengeld II nach dem Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II) steht, begehrt eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer eines Widerspruchs- und Gerichtsverfahrens iHv 5.400,- EUR.
Mit Bescheid vom 28. Juni 2006 hatte das Jobcenter (JC) Berlin-Lichtenberg dem Kläger SGB II-Leistungen für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 31. Dezember 2006 bewilligt (Regelleistung = monatlich 345,- EUR; Leistungen für Unterkunft und Heizung – KdU – = monatlich 380,62 EUR). Der Kläger hatte ferner die Erstattung von Kosten für die Teilnahme an einem Businessplan-Wettbewerb (BPW) geltend gemacht. Das JC lehnte insoweit Leistungen mit den Bescheiden vom 7. Juli 2006 und 28. August 2006 ab. Mit Bescheid vom 11. Juli 2006 gewährte es dem Kläger Bewerbungskosten iHv 45,- EUR. Die Widersprüche des Klägers blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. Oktober 2006).
Am 27. November 2006 erhob der Kläger beim Sozialgericht (SG) Berlin Klage; auf die Klageschrift wird Bezug genommen. Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21. Januar 2011 ab (– S 103 AS 10910/06 –). Das Landessozialgericht (LSG) änderte mit Urteil vom 31. Mai 2012 (– L 34 AS 461/11 –) den Gerichtsbescheid und verurteilte das JC unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen und Abweisung der im Berufungsverfahren erhobenen weiteren Klage, dem Kläger für die Zeit vom 1. Juli 2006 bis 31. Dezember 2006 weitere KdU-Leistungen in einer Gesamthöhe von 11,04 EUR zu gewähren. Zuvor hatte der Kläger am 15. Februar 2012 eine Verzögerungsrüge hinsichtlich des Vorverfahrens und des Verfahrens erster und zweiter Instanz erhoben.
Wegen der Einzelheiten des Gangs des sozialgerichtlichen Verfahrens wird auf den Inhalt der beigezogenen Gerichtsakten – S 103 AS 10910/06 /L 34 AS 461/11 – verwiesen.
Mit seiner Entschädigungsklage (Schriftsatz vom 30. Mai 2012) macht der Kläger eine Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Verfahrens iHv 5.400,- EUR geltend; auf seine Schriftsätze vom 22. Juni 2012, 28. Juni 2012, 9. Juli 2012, 16. Juli 2012, 3. August 2012, 13. August 2012 und 27. August 2012 wird Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.400,- EUR zu zahlen,
Die Beklagten beantragen nach ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung sinngemäß,
die Klage abzuweisen.
Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die vorbereitenden Schriftsätze des Klägers und den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen.
Die Gerichtsakte und die Akten des SG Berlin – S 103 AS 10910/06 /L 34 AS 461/11 – (2 Bände) haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat ist gemäß § 202 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), eingefügt durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (GRüGV; BGBl. I S 2302), iVm § 201 Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), zuletzt geändert durch das Gesetz über die Besetzung der großen Straf- und Jugendkammern in der Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer gerichtsverfassungsrechtlicher Vorschriften sowie des Bundesdisziplinargesetzes vom 6. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2554), wonach das LSG Berlin-Brandenburg, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde, für die Klage auf Entschädigung gegen die Länder Berlin und Brandenburg ausschließlich zuständig ist, zur Entscheidung berufen. Gemäß § 33 Abs. 2 SGG haben die für Angelegenheiten der Sozialversicherung berufenen ehrenamtlichen Richter mitgewirkt.
Die Entschädigungsklage ist statthaft, aber nicht begründet.
Der Zulässigkeit der Entschädigungsklage steht insbesondere nicht entgegen, dass der Kläger eine ausdrücklich auf das Vorverfahren, das erstinstanzliche Verfahren und das Berufungsverfahren bezogene Verzögerungsrüge iSv § 202 Satz 2 SGG iVm § 198 Abs. 3 GVG nicht unverzüglich nach In-Kraft-Treten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (GRüGV; BGBl I S 2302) am 3. Dezember 2011, sondern erst mit Schriftsatz vom 13. Februar 2012 erhoben hatte. Indes bedarf es gemäß Art. 23 Satz 4 GRüGV keiner Verzögerungsrüge, wenn bei einem (zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Gesetzes am 3. Dezember 2011) anhängigen Verfahren die Verzögerung in einer schon abgeschlossenen Instanz – wie hier vor dem SG – erfolgt ist. Für das Berufungsverfahren wiederum war keine Verzögerungsrüge erforderlich, da es dort nicht zu einer (weiteren) relevanten Verzögerung gekommen ist (vgl § 198 Abs. 3 Satz 5 GVG). Die Entschädigungsklage hat indes in der Sache keinen Erfolg. Das GRüGV ist nach dessen Art. 23 Satz 1 1. Alt. anwendbar. Ein Entschädigungsanspruch des Klägers setzt nach § 202 Satz 2 SGG iVm § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zunächst voraus, dass die Dauer des von ihm betriebenen Gerichtsverfahrens unangemessen lang war. Die Angemessenheit richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Gerichtsverfahren im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG ist allein das sozialgerichtliche Verfahren, nicht jedoch – wie der Kläger nunmehr in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, (auch) das Widerspruchsverfahren. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG definiert ein Gerichtsverfahren als Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss. Die Frage, ob auch das Widerspruchsverfahren zu berücksichtigen ist, lässt sich anhand des Wortlauts der Vorschrift nicht eindeutig beantworten. Aus den Gesetzesmaterialien (vgl BT-Drucks 17/3802, S 17 A.I.10) ergibt sich jedoch, dass das Widerspruchsverfahren nach dem Willen des Gesetzgebers unberücksichtigt bleibt. Nichts anderes ist im Hinblick auf die Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) geboten. Zwar geht § 198 GVG maßgeblich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur überlangen Verfahrensdauer zurück, wonach das nationale Recht bei Verletzungen von Art. 6 Abs. 1 EMRK eine wirksame Beschwerde im Sinne von Art. 13 EMRK vorsehen muss (vgl. BT-Drucks 17/3802 S 1, 15 f.). Der EGMR lässt den für die Angemessenheit der Verfahrensdauer iSv Art. 6 Abs. 1 EMRK zu berücksichtigenden Zeitraum an dem Tag beginnen, an dem der Beschwerdeführer seinen Widerspruch einlegt, und begründet dies mit dem Umstand, dass die Einlegung des Widerspruchs ein notwendiger erster Schritt ist, bevor das gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden kann (vgl ua EGMR, Urteil vom 30. Juni 2011, Beschwerde Nr 11811/10, Rn 21; Urteil vom 24. Juni 2010, Beschwerde Nr 25756/09, Rn 21; Urteil vom 30. März 2010, Beschwerde Nr 46682/07, Rn 36). In der Amtlichen Begründung der Bundesregierung (BT-Drucks 17/3802 S 17 A.I.10) wird jedoch ausdrücklich ausgeführt, für eine Entschädigungsregelung wegen Verzögerungen im Widerspruchsverfahren gebe es keinen Bedarf, da die Verfahrensordnungen – auch das SGG – mit der Untätigkeitsklage (§ 88 SGG) für den Fall, dass über einen Widerspruch ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden sei, die Möglichkeit einräume, unmittelbar Klage ohne Vorverfahren zu erheben, und daher insoweit für eine Entschädigungsregelung kein Bedarf bestehe. Diese Erwägungen sind konventionsrechtlich nicht zu beanstanden, da der Widerspruch angesichts der Möglichkeit der Erhebung einer Untätigkeitsklage eine wirksame Beschwerde im Sinne von Art. 13 EMRK darstellt und die gerichtliche Behandlung der Untätigkeitsklage ihrerseits am Maßstab des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zu messen ist. Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG) gebietet ebenfalls nicht, das Widerspruchsverfahren unter den Begriff des Gerichtsverfahrens in § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zu subsumieren (offen gelassen für Verwaltungsverfahren, die dem gerichtlichen Rechtsschutz vorgelagert sind: BVerfG, Beschluss vom 7. Juni 2011 – 1 BvR 194/11 –, NVwZ-RR 2011, 625 = juris Rn. 33). Zu dem Gerichtsverfahren nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG zählt auch der Zeitraum von der Verkündung einer gerichtlichen Entscheidung bis zu deren Zustellung (vgl EGMR, Urteil vom 30. März 2010, Beschwerde Nr. 46682/07, Rn. 36 – juris). Dieser Zeitraum ist nach dem Sinn und Zweck des § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG einzubeziehen. Eine Gefährdung des Anspruchs auf Rechtsschutz in angemessener Zeit kann nämlich auch noch nach Verkündung der gerichtlichen Entscheidung eintreten, indem sich die Absetzung des Urteils verzögert; das Bundesverfassungsgericht (BVerfG; vgl Beschluss vom 26. März 2001 – 1 BvR 383/00 = NJW 2001, 2161 – juris Rn. 21) zieht insoweit eine äußere Grenze von fünf Monaten nach Verkündung für die Übergabe des in vollständiger Form unterschriebenen Urteils an die Geschäftsstelle. Es bedarf vorliegend keiner abschließenden Entscheidung, ob Gerichtsverfahren iSv § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG das einheitlich zu betrachtende Verfahren in allen Rechtszügen (hier: vor dem SG und dem LSG) ist oder ob – wofür Art. 23 Satz 4 GRüGV sprechen könnte – dieser Begriff auch das Verfahren in einer bestimmten Instanz umfassen kann, dessen angemessene Dauer isoliert zu betrachten wäre (vgl zum Ganzen OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. März 2012 – OVG 3 A 1.12 – juris). Denn der Kläger rügt die Verzögerung des Verfahrens in beiden Instanzen. Demgemäß ist auf die Dauer des gesamten Verfahrens abzustellen (vgl zur erforderlichen Betrachtung des Gesamtverfahrens auch EGMR, Beschluss vom 10. Februar 2009, Beschwerde Nr 30209/05 – juris) Das von dem Kläger bei dem SG und LSG durchgeführte Gerichtsverfahren war nicht unangemessen lang iSv § 198 Abs. 1 GVG. Ob der Anspruch eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung seines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verletzt wurde, ist im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK, des BVerfG zu Art. 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 GG sowie des Bundessozialgerichts (BSG) zu beurteilen (vgl auch BT-Drucks 17/3802, S 1, 15). Als Maßstab nennt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter (vgl insoweit auch EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010, Beschwerde Nr 21423/07, Rn 32 – juris). Was die Schwierigkeit des von dem Kläger geführten Verfahrens angeht, so stellten sich keine neuen oder komplexen Rechtsfragen. Auch die Klärung der Tatsachengrundlage war nicht überdurchschnittlich aufwändig, zumal die Klage(n) teilweise bereits wegen fehlender Zulässigkeit offensichtlich aussichtslos war(en). Das hier gerügte Verfahren – S 103 AS 10910/06 – hatte in der ersten Instanz von der Einreichung der Klageschrift am 27. November 2006 bis zur Instanz beendenden Entscheidung durch Gerichtsbescheid am 21. Januar 2011, dem Kläger zugestellt am 26. Januar 2011, zudem eine Dauer von fast 50 Monaten, die die generelle Drei-Jahres-Grenze, bei deren Überschreiten ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK regelmäßig zu vermuten ist, deutlich überschritten hatte (vgl BSG, Beschluss vom 13. Dezember 2005 – B 4 RA 220/04 B = SozR 4-1500 § 160a Nr 11; BSG, Beschluss vom 22. Dezember 2006 – B 2 U 65/06 B – juris). Demgegenüber ist zu berücksichtigen, dass das Verfahren für den Kläger, dem für den streitigen Bewilligungszeitraum vom 1. Juli 2006 bis 31. Dezember 2006 bereits die vollen Regelleistungen nach dem SGB II sowie KdU-Leistungen in der nachgewiesenen Höhe abzüglich eines Betrags von lediglich 8,06 EUR monatlich bewilligt waren, letztlich keinen Existenz sichernden Charakter aufwies. Dies gilt auch für die – zulässig – geltend gemachten Kosten der Teilnahme an der dritten Stufe des BPW. Soweit der Kläger mit seinen zahlreichen Klageergänzungen und -änderungen bei dem SG weitere Leistungen geltend gemacht hatte, namentlich weitere Bewerbungskosten und Kosten anderer bei dem SG geführter Verfahren, sind diese unzulässigen Begehren von vornherein nicht geeignet, eine besondere Bedeutung des Verfahrens iSv § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG zu begründen. Die ungewöhnlich lange Bearbeitungsdauer bei dem SG ist im Wesentlichen der Verfahrensführung des Klägers geschuldet. Hat dieser die überlange Verfahrensdauer durch sein Prozessverhalten verursacht, besteht ein Entschädigungsanspruch nicht. Zwar darf der Beteiligte die ihm zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ausschöpfen, ohne dass ihm dies angelastet werden kann. Kommt es hierdurch jedoch zu Verzögerungen, verlängert sich regelmäßig die angemessene Frist iSv § 198 Abs. 1 GVG (für erfolglose Befangenheitsanträge zB EGMR, Urteil vom 9. Oktober 2008, Beschwerde Nr 10732/05, Rn 37; für Klageänderungen oder -erweiterungen EGMR, Urteile vom 4. Februar 2010 und 21. Oktober 2010, Beschwerden Nr 13791/06 und Nr 43155/08 – juris). Für solches Verhalten kann der Staat nicht verantwortlich gemacht werden. Im Einzelnen gilt hier Folgendes: Der Kläger erhob seine Klage am 27. November 2006. Das SG leitete diese Klage dem beklagten JC mit Verfügung vom 5. Dezember 2006 zur Stellungnahme und Aktenübersendung innerhalb eines Monats zu. Nach zeitnaher Erinnerung erwiderte das JC mit Schriftsatz vom 16. Februar 2007 und verwies darauf, dass sich die Verwaltungsakten bei einem anderen beim SG anhängigen Verfahren des Klägers befänden. Das SG übermittelte sodann dem Kläger die Klageerwiderung mit der Bitte um Stellungnahme und forderte die Akten von der anderen Kammer an. Diese teilte mit, dass die Akten dem LSG wegen eines Beschwerdeverfahrens vorgelegt worden seien. Sodann erweiterte, berichtigte bzw ergänzte der Kläger sein Begehren mit 13 (!) Ergänzungen zur Klageschrift vom 4. April 2007, 17. August 2007, 23. Oktober 2007 15. November 2007, 29. Dezember 2007, 28. Januar 2008, 29. Januar 2008, 6. Februar 2008, 14. März 2008 21. April 2008, 17. Juni 2008, 30. Juni 2008 und 12. Oktober 2009, bis er unter dem 27. Februar 2010 einen Antrag auf "Unterbrechung aller Verfahren" wegen einer Inhaftierung vom 17. Februar 2010 bis 16. August 2010 stellte. Zwischenzeitlich hatte der Kläger zudem alle mit dem Verfahren erstinstanzlich befassten (drei) Richterinnen und Richter wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Sämtliche Anträge wurden vom LSG als unzulässig verworfen bzw zurückgewiesen (Beschlüsse vom 24. September 2007, 2. April 2008 und 13. November 2009). Im Ergebnis ist lediglich in der Zeit von Juli bis Dezember 2008 und vom 8. Januar 2009 bis 15. September 2009 eine Untätigkeit des SG zu verzeichnen, das – ohne zeitnah über den Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) befunden zu haben – die Sache als entscheidungsreif ausgeschrieben und im Juli 2008 in das "GB-Fach" (Fach für Verfahrensakten, in denen durch Gerichtsbescheid entschieden werden soll) verfügt hatte. Dabei ist jedoch in Rechnung zu stellen, dass infolge des Wechsels im Kammervorsitz zum 1. Januar 2009 dem nunmehr zuständigen Vorsitzenden eine ausreichende Zeit zur Einarbeitung in das Verfahren und zur Würdigung der zahlreichen Klageerweiterungen des Klägers einzuräumen war, die überdies auch eine "Abgleichung" mit den weiteren beim SG anhängigen Verfahren des Klägers dahingehend erforderten, ob dort gleich lautende prozessuale Ansprüche erhoben waren, insbesondere in dem Verfahren – S 157 AS 20343/08 –. Der Vorsitzende bat zudem um Beibringung der PKH-Unterlagen und Mitteilung, welche der zahlreichen Anträge der Kläger letztlich auch im Hinblick auf zwischenzeitlich eingetretene Sachstandsänderungen und seine zahlreichen Klageerweiterungen noch aufrechterhalte. Ein derartiger Hinweis des Vorsitzenden zur Klärung des Sach- und Streitstands war im Hinblick auf das unübersichtliche und sich teilweise mit dem Vorbringen in anderen Verfahren überschneidende Begehren des Klägers sachdienlich. Nach erfolgloser Durchführung eines vom Kläger hierauf erneut betriebenen Ablehnungsverfahrens gegen den zuständigen Kammervorsitzenden lehnte dieser nach Beiziehung der Verfahrensakte S 157 AS 20343/08 – in diesem Rechtsstreit wurde ebenfalls über BPW-Teilnahmekosten gestritten – den PKH-Antrag mit Beschluss vom 12. April 2010 zeitnah ab. Das hiergegen vom Kläger angestrengte Beschwerdeverfahren endete durch Beschluss des LSG vom 21. Dezember 2010 (– L 34 AS 992/10 B PKH –), nachdem der Kläger auch alle zur Entscheidung über seine Beschwerde berufenen Mitglieder des 34. Senats des LSG – erfolglos (Beschluss des LSG vom 10. Dezember 2010 – wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt hatte. Sodann erging die Instanz beendende Entscheidung des SG ohne weitere Verzögerung zeitnah am 21. Januar 2011. Die insoweit ohne sachlichen Grund vom SG zu vertretende Verfahrensverzögerung beläuft sich auf höchstens 14 Monate. Dem steht eine Zeit von fünf Monaten (Bearbeitung der erfolglosen Ablehnungsanträge), weiteren 13 Monaten (Prüfung der 13 Klageerweiterungen durch das Gericht) und nochmals 6 Monaten (Beschwerdeverfahren gegen den ablehnenden PKH-Beschluss des SG vom 12. April 2010 mit erfolglosem Befangenheitsantrag gegen die Mitglieder des 34. Senats) gegenüber, die zu einer nicht dem SG anzulastenden Verzögerung des Verfahrens geführt hat und die angemessene Frist iSv § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG um 24 Monate verlängert. Dies rechtfertigt die Annahme, dass sich ohne das geschilderte Prozessverhalten des Klägers das Verfahren erster Instanz in der üblichen regelmäßigen Verfahrensdauer erledigt hätte. Da zudem die Verfahrensdauer bei dem SG nicht allein maßgeblich ist, kommt der zügigen Bearbeitung des Berufungsverfahrens – L 34 AS 461/11 – durch das LSG (Eingang der Berufung am 28. Februar 2011; Urteil des LSG nach mündlicher Verhandlung vom 31. Mai 2012, dem Kläger zugestellt am 6. Juni 2012) ebenfalls entscheidende Bedeutung zu. Die oben dargelegte teilweise Verzögerung des SG-Verfahrens wird insoweit bei einer gebotenen Gesamtbetrachtung des "Gerichtsverfahrens" iSv § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG, das sich auf den Zeitraum von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss erstreckt (vgl § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG), kompensiert (vgl BT-Drucks 17/3802, S 18 zu § 198 "Gesamtverfahren"; vgl auch BSG, Urteil vom 2. Oktober 2008 – B 9 VH 1/07 R = SozR 4-3100 § 60 Nr 4 "Gesamtdauer"). Auch insgesamt bewegt sich die Verfahrensdauer in zwei Instanzen damit in einem Rahmen, bei dem nach der vom Senat seiner Entscheidung zugrunde gelegten Rechtsprechung des BSG noch nicht von einem Konventionsverstoß und damit auch nicht von einer unangemessenen Dauer des Gerichtsverfahrens iSv § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG auszugehen ist. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 154 Verwaltungsgerichtsordnung. Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen im Hinblick auf die vorliegende – im Einzelnen zitierte – Rechtsprechung des EGMR, des BVerfG und des BSG nicht vor.
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