L 6 AS 1033/12 B

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 15 AS 513/12
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 1033/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde des Klägers vom 24.05.2012 wird der Beschluss des Sozialgerichts Köln vom 21.05.2012 geändert. Dem Kläger wird für die Zeit ab 02.03.2012 ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwältin T, L, bewilligt. Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Der 1985 geborene Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Jedenfalls seit dem 30.05.2011 ist er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gem. § 7 iVm § 25 Abs. 5 Satz 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthG). Er bezieht Leistungen gem. § 1 Abs. 1 Nr. 3 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Sein monatliches Einkommen aus einer geringfügigen Erwerbstätigkeit in Höhe von 160,00 Euro wird abzüglich eines Freibetrags von 48,00 Euro auf diese Leistungen angerechnet.

Den Antrag vom 18.08.2011, ihm Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) zu bewilligen, lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 26.08.2011, bestätigt durch Widerspruchsbescheid vom 24.01.2012 mit der Begründung ab, für den Kläger gelte der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II.

Der Kläger hat am 08.02.2012 Klage erhoben, mit der er sein Begehren weiter verfolgt. Den zeitgleich gestellten Antrag, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen und Rechtsanwältin T, L, beizuordnen, hat das Sozialgericht nach Vorlage der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse am 02.03.2012 mit Beschluss vom 21.05.2012 abgelehnt. Die Klage habe keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Der Leistungsausschluss gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB II verstoße weder gegen das Grundgesetz, insbesondere nicht gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz. Ihm stehe auch nicht Art. 1 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) entgegen, denn der Kläger, der lediglich über eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG verfüge halte sich nicht erlaubt im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland auf. Wie sich aus § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG ergebe, sei der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig und verfüge damit nicht über eine gesicherte und längerfristige Aufenthaltsperspektive, so dass sein Aufenthalt auch nicht im Sinne des Art. 11 EFA als erlaubt gelte.

Gegen den am 23.05.2012 zugestellten Beschluss hat der Kläger einen Tag später Beschwerde eingelegt. Sein Aufenthalt sei im Sinne des Art. 1 EFA erlaubt, da er im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG sei und die Ausreisepflicht gem. § 50 Abs. 1 AufenthG nach Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ende.

Der Beklagte hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der Beratung gewesen.

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) ist nach § 73a Abs. 1 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) unter anderem, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Eine hinreichende Erfolgsaussicht besteht, wenn das Gericht nach vorläufiger Prüfung den Standpunkt des Antragstellers auf Grund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder doch für vertretbar hält und in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 73a Rz. 7a; st. Rspr. des erkennenden Senats, z.B. Beschluss vom 23.03.2010 - L 6 B 141/09 AS -). Dabei dürfen die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht überspannt werden. Die Prüfung der Erfolgsaussicht darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in das Nebenverfahren der PKH vorzuverlagern (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer aaO § 73a Rz. 7). Das PKH-Verfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nicht selbst bieten, sondern zugänglich machen. Ein Fachgericht, das § 114 Satz 1 ZPO dahin auslegt, auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren "durchzuentscheiden", verkennt damit die Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfG vom 14.06.2006 - 2 BvR 626/06 -, vom 08.11.2004 - 1 BvR 2095/04 - und 04.02.2004 - 1 BvR 596/03 - alle juris). Die Rechtsschutzgleichheit gebietet es, Unbemittelte nur solchen Bemittelten weitgehend gleich zu stellen, die ihre Prozessaussichten vernünftig abwägen und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigen (BVerfG Beschluss vom 25.04.2012 - 1 BvR 2869/11 - ). Prozesskostenhilfe darf danach verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen ist, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (BVerfG aa0).

In Anwendung dieser Grundsätze sind die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts (§ 121 ZPO) gegeben. Nach der hier gebotenen summarischen Überprüfung hat die Klage von vornherein nicht eine nur entfernte Aussicht auf Erfolg.

Ob im Falle des Klägers, der die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 Satz 1 SGB II erfüllt, der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr 3 SGB II greift, erscheint mit Blick auf das Europäische Fürsorgeabkommen problematisch, das unter anderem auch von der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei unterzeichnet worden ist. Nach dessen Art 1 ist jeder der Vertragschließenden verpflichtet, den Staatsangehörigen der anderen Vertragsstaaten, die sich in irgendeinem Teil seines Gebietes, auf das dieses Abkommen Anwendung findet, erlaubt aufhalten und nicht über ausreichende Mittel verfügen, in gleicher Weise wie seinen eigenen Staatsangehörigen und unter den gleichen Bedingungen die Leistungen der sozialen und Gesundheitsfürsorge zu gewähren, die in der in diesem Teil seines Gebietes geltenden Gesetzgebung vorgesehen sind. Dieser Gleichbehandlungsgrundsatz stellt als unmittelbar geltendes Bundesrecht eine eigene Anspruchsgrundlage bezogen auf die deutschen Staatsangehörigen zustehenden Leistungen nach dem SGB II dar. Seiner Anwendbarkeit steht im konkreten Fall kein jüngeres und deshalb vorrangig anzuwendendes Recht entgegen (vgl. BSG Urteil vom 19.10.2010 - B 14 AS 23/10 R - juris Rdnr 25 ff).

Ob die Voraussetzungen des Gleichbehandlungsgebots nach Art 1 iVm Art. 11 des EFA im Einzelnen erfüllt sind, bedarf jedoch weiterer vertiefender Überprüfungen. Zwar handelt es sich bei der beanspruchten Regelleistung nach § 20 SGB II nach höchstrichterlicher Rechtsprechung doch um Fürsorge im Sinne des EFA (vgl. BSG aaO juris Rdnr 32 ff). Offen ist allerdings wohl noch insbesondere die Frage, ob der Aufenthalt nach Maßgabe des § 25 Abs. 5 AufenthG als erlaubter Aufenthalt im Sinne der Art. 1, 11 EFA zu qualifizieren ist, ggfs dann die weitere Frage, ob und ggfs welche Wirkungen dem von der Bundesrepublik Deutschland am 19.12.2011 erklärten Vorbehalt zum EFA zukommen.

Es spricht einiges dafür, dass sich der Kläger "erlaubt" in Deutschland aufhält, jedenfalls erscheint dieser Rechtsstandpunkt nach vorläufiger Prüfung nicht unvertretbar. Nach Art 11 Abs a Satz 1 EFA gilt der Aufenthalt eines Ausländers im Gebiet eines der Vertragschließenden solange als erlaubt im Sinne des Abkommens, als der Beteiligte im Besitz einer gültigen Aufenthaltserlaubnis oder einer anderen in den Rechtsvorschriften des betreffenden Staates vorgesehenen Erlaubnis ist, auf Grund derer ihm der Aufenthalt in diesem Gebiet gestattet ist. Dabei kommt nach der Rechtsprechung des BVerwG zum Bundessozialhilfegesetz (BSHG) dem Verzeichnis der Urkunden im Anhang III zum EFA (BGBl II 2001, 1100), die als Nachweis des Aufenthalts im Sinne des Art 11 EFA anerkannt werden, ein rechtsbegründender (konstitutiver) Charakter in der Weise zu, dass mit den dort aufgeführten Urkunden die Erlaubnistatbestände abschließend genannt seien, aufgrund derer der Aufenthalt des ausländischen Staatsangehörigen im Sinne des Abkommens als erlaubt gelte (BVerwGE 71, 139, 144; zu den Bedenken BSG aaO, juris Rdnr 36).

Dem Kläger wurde eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG erteilt, die im Anhang III nicht aufgeführt ist. Für Deutschland sind nur die Aufenthaltsgenehmigung nach § 5 des Ausländergesetzes vom 9. Juli 1990, auf besonderem Blatt erteilt oder im Ausweis eingetragen, die Aufenthaltserlaubnis für Angehörige eines Mitgliedstaats der EWG sowie die Bescheinigung und der Eintrag über eine beantragte Aufenthaltserlaubnis ("Ausländerbehördlich erfasst") erfasst. Die Aufenthaltsgenehmigung gem. § 5 Ausländergesetz (AuslG) in der Fassung vom 09.07.1990 wurde erteilt als Aufenthaltserlaubnis, Aufenthaltsberechtigung, Aufenthaltsbewilligung oder Aufenthaltsbefugnis. Mit Blick auf die fehlende Überarbeitung/Anpassung des EFA in diesem Punkt, spricht Einiges dafür, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers wie eine Aufenthaltsgenehmigung im Sinne des Anhangs III zum EFA zu behandeln (vgl. hierzu auch BVerwG Urteil vom 14.03.1985 - 5 C 145/83).

Gegen die hinreichende Erfolgsaussicht der Klage spricht auch nicht der von der Bundesrepublik Deutschland am 19.12.2011 zum EFA erklärte Vorbehalt. Danach übernimmt die deutsche Regierung keine Verpflichtung, die im Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - in der jeweils geltenden Fassung vorgesehenen Leistungen an Staatsangehörige der übrigen Vertragsstaaten in gleicher Weise und unter den gleichen Bedingungen wie den eigenen Staatsangehörigen zuzuwenden (vgl. Text des Vorbehalts in Englisch als Vertragssprache siehe: http://conventions.coe.int/treaty/Coummun/ListeDeclarations; Übersetzung des Vorbehalts in Geschäftsweisung SGB II Nr. 8 der Bundesagentur für Arbeit vom 23.03.2012). Die Wirksamkeit dieser Vorbehaltserklärung ist für den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II umstritten (verneinend: LSG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 15.08.2012 - L 19 AS 1851/12 B ER juris Rdnr 6 ff; Bayerisches LSG Beschluss vom 14.08.2012 - L 16 AS 568/12 B ER - juris Rdnr 21; LSG Rheinland-Pfalz Beschluss vom 21.08.2012 - L 3 AS 250/12 B; SG Berlin Beschluss vom 25.04.2012 - S 55 AS 9238/12; bejahend: LSG Berlin-Brandeburg Beschluss vom 02.08.2012 - L 5 AS 1297/12 B ER - juris Rdnr 11ff; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 20.07.2012 - L 9 AS 563/12 B ER - juris Rdnr 45 ff; vgl auch LSG NRW Beschluss vom 04.07.2012 - L 19 AS 763/12 B ER - juris Rdnr 33 und LSG NRW Beschluss vom 06.11.2012 - L 6 SF 348/12 ER ). Auch hier bedarf es weiterer Überprüfungen, die nicht in das PKH-Verfahren vorzuverlagern sind (vgl. BVerfG vom 14.06.2006 - 2 BvR 626/06 -, vom 08.11.2004 -1 BvR 2095/04 - und 04.02.2004 - 1 BvR 596/03 - alle juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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