Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Chemnitz (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 14 AS 640/12
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Ein Widerspruchsverfahren wird nur durch einen objektiv zulässigen, d. h. zumindest form- und fristgemäßen Widerspruch in Gang gesetzt.
2. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB X muss sich die Behörde zwar an einen Bevollmächtigten wenden, wenn dieser bestellt ist. Allerdings regelt § 37 SGB X gesondert die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes.
3. Der Widerspruch durch einfache E-Mail wahrt nicht die Formvorschrift des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG.
2. Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB X muss sich die Behörde zwar an einen Bevollmächtigten wenden, wenn dieser bestellt ist. Allerdings regelt § 37 SGB X gesondert die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes.
3. Der Widerspruch durch einfache E-Mail wahrt nicht die Formvorschrift des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG.
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rückforderung von Leistungen nach dem SGB II (Zweites Buch Sozialgesetzbuch).
Mit dem Rücknahme-, Neufestsetzungs- und Rückforderungsbescheid vom 05.01.2011 hob der Beklagte für den Zeitraum 01.01.2005 bis 30.04.2007 die ergangenen Bewilligungsbescheide auf und forderte die gewährten Leistungen vollständig zurück. Zugleich lehnte er für diesen Zeitraum weitere Leistungen ab. Dieser Bescheid ging den Klägern am 12.01.2011 zu. Einen Tag später, am 13.01.2011 wurde der Bescheid zusätzlich an den Vertreter der Kläger zur Kenntnis übersandt. Am 05.02.2011 ging beim Beklagten eine E-Mail ein. Die E-Mail wurde gesendet von sxxx-gxxxxxxxx@-online.de. In der E-Mail war wie folgt formuliert: "Sehr geehrter Herr K., im Anhang befindet sich der Widerspruch zum Bescheid vom 05.01.2011, der uns erst am 12.01.2011 zugestellt wurde. Sie bekom-men diesen Widerspruch ebenfalls nochmals per Fax und per Post." Die als Anhang zu dieser E-Mail angefügte Datei enthielt ein Widerspruchsschreiben mit Datum vom 03.02.2011. Oberhalb der Betreffzeile war formuliert: "Vorab per E-Mail und Fax: 0000/000000". Der Widerspruch schloss wie folgt: "Mit freundlichen Grüßen S. D., E. W. (Schreiben auch Unterschrift gültig)." Die Namen waren dabei lediglich in Druckbuchsta-ben wiedergegeben. Das Abbild einer Handschrift o. ä. enthielt der Widerspruch nicht. Der Widerspruch gelangte lediglich als Ausdruck der E-Mail nebst Anhang zur Leistungsakte.
Am 08.03.2011 erließ der Beklagte einen Widerspruchsbescheid und wies den Wider-spruch der Kläger als unzulässig zurück. Hiergegen erhoben die Kläger am 13.02.2012 Klage.
Die Kläger tragen vor, dass sie bereits am 04.02.2011 den am Vortag gefertigten Widerspruch persönlich beim Beklagten im Eingangsbereich bei einer Mitarbeiterin abgegeben hätten. An die Mitarbeiterin könnten sie sich jedoch nicht mehr im Einzelnen erinnern. Sie hätte sich jedoch geweigert, eine Empfangsbestätigung auszuhändigen. Dementsprechend habe man danach versucht, den Widerspruch zusätzlich per Fax und per E-Mail zu versenden. Da das Fax beim damaligen Sachbearbeiter Herrn K. nie funktioniert hätte, habe man sich insbesondere auch für den Weg der E-Mail entschlossen, um sicher zu gehen, dass der Widerspruch auch erfasst wird.
Die Kläger beantragen:
Der Bescheid vom 05.01.2011, Az.: 000.00 BG xxxxx wird in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2011 aufgehoben.
Der Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Beklagte führt aus, dass lediglich ein Widerspruch am 05.02.2011 per E-Mail bei ihm einging. Trotz intensiver Recherche konnte kein Eingang in schriftlicher Form verzeichnet werden, dementsprechend sei die Klage mangels eines ordnungsgemäß durchgeführten Vorverfahrens bereits unzulässig.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen. Darüber hinaus hat das Gericht die Leistungsakte beim Beklagten beigezogen und seiner Entscheidungsfindung zugrunde ge-legt. Auch auf ihren Inhalt, insbesondere Bl. 580 – 596, wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Klage ist unzulässig. Ein erforderliches Vorverfahren wurde nicht durchgeführt.
1. Der Kläger wendet sich gegen einen ihn belastenden Verwaltungsakt. Damit ist die Anfechtungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG (Sozialgerichtsgesetz) die statthafte Klageart.
2. Gem. § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG sind vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist vorliegend nicht einschlägig. Ein Widerspruchsverfahren als Vorverfahren muss nach herrschender Meinung nicht fehlerfrei, zumindest je-doch erfolglos und tatsächlich durchgeführt werden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG, 10. Auflage, § 78 Rn. 2 m. w. N.). Ein Widerspruchsverfahren wird jedoch nur durch einen objektiv zulässigen, d. h. zumindest form- und fristge-mäßen Widerspruch in Gang gesetzt. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall.
Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift einzureichen (dazu unter a). Innerhalb dieser Widerspruchsfrist ging beim Be-klagten kein formgerechter Widerspruch ein (dazu unter b).
a) Der Verwaltungsakt vom 05.01.2011 wurde den Klägern unstreitig am 12.01.2011 bekannt gegeben. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass der Bescheid vom 05.01.2011 nicht an den Bevollmächtigten der Kläger, sondern an diese persönlich übersandt wurde. Für das Ver-waltungsverfahren nach dem SGB II gilt gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II das SGB X (Zehntes Buch Sozialgesetzbuch). Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB X muss sich die Behörde zwar an einen Bevollmächtigten wenden, wenn dieser bestellt ist. Allerdings regelt § 37 SGB X gesondert die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes. Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Für die Fälle, in denen ein Bevollmächtigter bestellt ist, sieht § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X vor, dass dann die Bekanntgabe auch gegenüber dem Bevollmächtigten erfolgen kann.
Gemäß § 64 Abs. 1 SGG begann die einmonatige Widerspruchsfrist am 13.01.2011 um 0.00 Uhr zu laufen. Sie endete gemäß § 64 Abs. 2 SGG an sich am 12.02.2011 um 24.00 Uhr. Da dieser Tag jedoch ein Sonnabend war, lief die Frist gemäß § 64 Abs. 3 SGG mit Ablauf des nächsten Werktages, also dem 14.02.2011, ab.
b) Ein formgerechter Widerspruch ging beim Beklagten nicht innerhalb der Widerspruchsfrist ein.
aa) Soweit die Kläger vortragen, den Widerspruch bereits am 03.02.2011 verfasst und sodann am 04.02.2011 persönlich beim Beklagten abgegeben zu haben, ist das Gericht von diesen Angaben nicht überzeugt.
Die Tatsache, dass ein schriftlicher Widerspruch am 04.02.2012 beim Beklagten abgegeben wurde, steht zwischen den Beteiligten in Streit. Eine Beweisführung durch Parteiver-nahme ist dem sozialgerichtlichen Prozess fremd. Auf die entsprechenden Vorschriften der §§ 445 ff. ZPO (Zivilprozessordnung) wird in § 118 SGG gerade nicht verwiesen. In der Leistungsakte finden sich keine Hinweise darauf, dass eine solche persönliche Abgabe stattgefunden hätte. Vielmehr spricht die Formulierung im als Datei an die E-Mail angefügten Widerspruchsschreiben dagegen, dass die Kläger den Widerspruch zunächst persön-lich abgegeben haben und sodann zusätzlich, weil der Empfang nicht quittiert wurde, eine E-Mail übersandten. Die Wortwahl im Widerspruchsschreiben deutet darauf hin, dass tatsächlich in umgekehrter Reihenfolge vorgegangen werden sollte. Es sollte der Widerspruch ausdrücklich "Vorab per E-Mail und Fax" übersandt werden. Schriftlich sollte der Widerspruch offensichtlich nachgereicht werden. Hierfür spricht weiter, dass der Wider-spruch das Datum vom 03.02.2012 trägt und er nach Angaben der Kläger auch an diesem Tag verfasst wurde. Insoweit können die Angaben, dass zunächst versucht wurde, den Widerspruch persönlich abzugeben und man sodann zusätzlich den Weg per E-Mail gewählt habe, nicht überzeugen. Der Vermerk "Vorab per E-Mail und Fax" ist dann nicht nachvoll-ziehbar. Beim Verfassen des Widerspruchschreibens war der Ablauf bei Abgabe am 04.02.2011 noch gar nicht bekannt. Auch die am 05.01.2011 verfasste E-Mail, an die das Widerspruchsschreiben als Datei angefügt war, erhält keinen Hinweis darauf, dass der Wi-derspruch bereits persönlich am 04.01.2011 abgegeben wurde. Es ist dort nur formuliert: "Sie bekommen diesen Widerspruch ebenfalls nochmals per Fax und per Post." Hinweise wie "zusätzlich" oder "zur Sicherheit", wie sie nach dem von den Klägern beschriebenen Verfahrensablauf zu erwarten gewesen wären, finden sich nicht. Vielmehr spricht auch die Formulierung "im Anhang befindet sich der Widerspruch zum Bescheid vom" (Unterstrei-chung durch Gericht) dafür, dass es sich bei dem Dateianhang zur E-Mail nicht nur um eine bloße zusätzliche Information, sondern um den Widerspruch als solchen handeln sollte. In die gleiche Richtung weist auch das Wort "nochmal". Dies lässt den Schluss zu, dass das an die E-Mail angefügte Widerspruchsschreiben der eigentliche Widerspruch sein soll. Die nachfolgende Übermittlung per Fax und Post solle "nochmal" i. S. v. zusätzlich erfolgen. Auch der Umstand, dass das per E-Mail übersandte Schreiben entsprechend des offensichtlich unvollständigen Zusatzes "Schreiben auch Unterschrift gültig" darauf angelegt war, nicht unterschrieben zu werden, spricht dagegen, dass nach persönlicher Abgabe des Widerspruchs er nur zusätzlich per E-Mail übersandt werden sollte. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass das als E-Mailanhang übersandte Schreiben Rechtswirkungen auch ohne Unterschrift in Anlehnung an die insbesondere von Behörden vielfach verwendete Formulierung "Schreiben maschinell erstellt und ohne Unterschrift gültig" entfalten sollte. Ein Verständnis der genannten Umstände dahingehend, dass die Formulierung "vorab" bedeuten sollte, dass E-Mail und Fax den Sachbearbeiter schneller erreichten, als auf dem normalen Postweg im Hause des Beklagten, ist demgegenüber fernliegend und vermag das Gericht nicht davon zu überzeugen, dass tatsächlich am 04.02.2012 ein Widerspruch in schriftlicher Form abgegeben wurde.
bb) Der Widerspruch durch einfache E-Mail wahrt nicht die Formvorschrift des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Mit der Schriftform soll sowohl die Beweisfunktion für den Empfänger sichergestellt als auch der Absender vor übereilten Erklärungen geschützt werden. Grundsätzlich wird das Schriftformerfordernis weit ausgelegt. Während die Schriftform nach § 126 BGB voraus-setzt, dass die im Schriftstück enthaltene Erklärung eigenhändig unterschrieben wird, lässt man im Rahmen der Widerspruchseinlegung wie auch bei der Klageerhebung grundsätzlich auch ein schlichtes Fax genügen. Insoweit ist maßgeblich, dass sichergestellt ist, dass die Erklärung auch von demjenigen stammt, der als ihr Urheber erscheint und er sie bewusst in den Rechtsverkehr brachte. Die beim Empfänger eingehende Erklärung muss da-her verkörpert und eindeutig zuordenbar sein, sei es auch nur anhand eines Faxausdruckes mit Unterschrift oder sonstigen, die Urheberschaft eindeutig klärenden Merkmalen.
An einer verkörperten Erklärung fehlt es jedoch im Fall der schlichten E-Mail. Auch wenn sie vom Empfänger ausgedruckt wird, entsteht dadurch keine verkörperte Erklärung des Widerspruchsführers. Vielmehr ist der Ausdruck - anders als beim Fax oder Computerfax - nur das Ergebnis eines eigenverantwortlichen Handelns des Empfängers. Darüber hinaus birgt die schlichte E-Mail eine hohe Missbrauchsgefahr, da E-Mailadressen weltweit unter nahezu jedem denkbaren Namen ohne nähere Kontrolle der Person eingerichtet werden können. Die mit der vorgeschriebenen Schriftform erstrebten Funktionen (s. o.) werden durch die schlichte E-Mail demnach gerade nicht gewahrt. Dementsprechend wird sie in stetiger Rechtsprechung nicht als ausreichend anerkannt (vgl. u. a. Beschluss des Hessischen LSG vom 11.07.2007, Az: L 9 AS 161/07 ER). Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber mit § 65a SGG und § 36a SGB I selbst Regelungen geschaffen hat, die eine elektronische Kommunikation ermöglichen sollen. In diesen Normen kommt ebenfalls zum Ausdruck, dass eine einfache E-Mail nicht der Schriftform genügt. Der Gesetzgeber stellt in § 36a Abs. 2 Satz 1 SGB I die elektronische Form nicht der Schriftform gleich, sondern spricht davon, dass die Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden könne. Es handelt sich bei der elektronischen Form demzufolge nach Ansicht des Gesetzgebers um einen Ersatz, also um etwas anderes als die Schriftform. Eine ersetzende Funktion kann der elektronischen Form nach dem Willen des Gesetzgebers weiter nur dann beigemessen werden, wenn das übermittelte Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen wird, vgl. § 36a Abs. 2 Satz 2 SGB I, ebenso § 65a Abs. 1 Satz 2 SGG. Würde man bereits schlichte E-Mails wie die vorliegende als der Schriftform genügend ansehen, unterliefe man die gesetzgeberische Wertung für den elektronischen Rechtsverkehr, nach der die Schriftform nur durch die elektronische Form ersetzt werden kann und hierfür zusätzlich eine qualifizierte Signatur notwendig ist.
Damit erlangte der angegriffene Bescheid Bestandskraft i. S. v. § 77 SGG. Eine nachträgliche Überprüfung im Rahmen eines sogenannten Zugunstenverfahrens gem. § 44 SGB X bleibt hiervon unberührt.
cc) Raum für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht gegeben. Von einer schuldlosen Form- bzw. Fristversäumung ist nicht auszugehen. In der Rechtsbehelfsbelehrung zum angegriffenen Bescheid wurden die Kläger auf die Formerfordernisse hingewiesen. Zudem wurde der Bescheid zusätzlich an den bevollmächtigten Rechtsanwalt der Kläger übersandt, sodass sich auch mit Eingang der schlichten E-Mail kein weiterer Aufklärungsbedarf für den Beklagten ergab, der eine Wiedereinsetzung mit Blick auf einen sozialrecht-lichen Herstellungsanspruchs erfordern würde.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und orientiert sich am vollständigen Unterliegen der Kläger.
II. Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um die Rückforderung von Leistungen nach dem SGB II (Zweites Buch Sozialgesetzbuch).
Mit dem Rücknahme-, Neufestsetzungs- und Rückforderungsbescheid vom 05.01.2011 hob der Beklagte für den Zeitraum 01.01.2005 bis 30.04.2007 die ergangenen Bewilligungsbescheide auf und forderte die gewährten Leistungen vollständig zurück. Zugleich lehnte er für diesen Zeitraum weitere Leistungen ab. Dieser Bescheid ging den Klägern am 12.01.2011 zu. Einen Tag später, am 13.01.2011 wurde der Bescheid zusätzlich an den Vertreter der Kläger zur Kenntnis übersandt. Am 05.02.2011 ging beim Beklagten eine E-Mail ein. Die E-Mail wurde gesendet von sxxx-gxxxxxxxx@-online.de. In der E-Mail war wie folgt formuliert: "Sehr geehrter Herr K., im Anhang befindet sich der Widerspruch zum Bescheid vom 05.01.2011, der uns erst am 12.01.2011 zugestellt wurde. Sie bekom-men diesen Widerspruch ebenfalls nochmals per Fax und per Post." Die als Anhang zu dieser E-Mail angefügte Datei enthielt ein Widerspruchsschreiben mit Datum vom 03.02.2011. Oberhalb der Betreffzeile war formuliert: "Vorab per E-Mail und Fax: 0000/000000". Der Widerspruch schloss wie folgt: "Mit freundlichen Grüßen S. D., E. W. (Schreiben auch Unterschrift gültig)." Die Namen waren dabei lediglich in Druckbuchsta-ben wiedergegeben. Das Abbild einer Handschrift o. ä. enthielt der Widerspruch nicht. Der Widerspruch gelangte lediglich als Ausdruck der E-Mail nebst Anhang zur Leistungsakte.
Am 08.03.2011 erließ der Beklagte einen Widerspruchsbescheid und wies den Wider-spruch der Kläger als unzulässig zurück. Hiergegen erhoben die Kläger am 13.02.2012 Klage.
Die Kläger tragen vor, dass sie bereits am 04.02.2011 den am Vortag gefertigten Widerspruch persönlich beim Beklagten im Eingangsbereich bei einer Mitarbeiterin abgegeben hätten. An die Mitarbeiterin könnten sie sich jedoch nicht mehr im Einzelnen erinnern. Sie hätte sich jedoch geweigert, eine Empfangsbestätigung auszuhändigen. Dementsprechend habe man danach versucht, den Widerspruch zusätzlich per Fax und per E-Mail zu versenden. Da das Fax beim damaligen Sachbearbeiter Herrn K. nie funktioniert hätte, habe man sich insbesondere auch für den Weg der E-Mail entschlossen, um sicher zu gehen, dass der Widerspruch auch erfasst wird.
Die Kläger beantragen:
Der Bescheid vom 05.01.2011, Az.: 000.00 BG xxxxx wird in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2011 aufgehoben.
Der Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Beklagte führt aus, dass lediglich ein Widerspruch am 05.02.2011 per E-Mail bei ihm einging. Trotz intensiver Recherche konnte kein Eingang in schriftlicher Form verzeichnet werden, dementsprechend sei die Klage mangels eines ordnungsgemäß durchgeführten Vorverfahrens bereits unzulässig.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen. Darüber hinaus hat das Gericht die Leistungsakte beim Beklagten beigezogen und seiner Entscheidungsfindung zugrunde ge-legt. Auch auf ihren Inhalt, insbesondere Bl. 580 – 596, wird ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Klage ist unzulässig. Ein erforderliches Vorverfahren wurde nicht durchgeführt.
1. Der Kläger wendet sich gegen einen ihn belastenden Verwaltungsakt. Damit ist die Anfechtungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 SGG (Sozialgerichtsgesetz) die statthafte Klageart.
2. Gem. § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG sind vor Erhebung der Anfechtungsklage Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsaktes in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz ist vorliegend nicht einschlägig. Ein Widerspruchsverfahren als Vorverfahren muss nach herrschender Meinung nicht fehlerfrei, zumindest je-doch erfolglos und tatsächlich durchgeführt werden (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer SGG, 10. Auflage, § 78 Rn. 2 m. w. N.). Ein Widerspruchsverfahren wird jedoch nur durch einen objektiv zulässigen, d. h. zumindest form- und fristge-mäßen Widerspruch in Gang gesetzt. Hieran fehlt es im vorliegenden Fall.
Gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG ist der Widerspruch binnen eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekannt gegeben worden ist, schriftlich oder zur Niederschrift einzureichen (dazu unter a). Innerhalb dieser Widerspruchsfrist ging beim Be-klagten kein formgerechter Widerspruch ein (dazu unter b).
a) Der Verwaltungsakt vom 05.01.2011 wurde den Klägern unstreitig am 12.01.2011 bekannt gegeben. Dabei ist nicht zu beanstanden, dass der Bescheid vom 05.01.2011 nicht an den Bevollmächtigten der Kläger, sondern an diese persönlich übersandt wurde. Für das Ver-waltungsverfahren nach dem SGB II gilt gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II das SGB X (Zehntes Buch Sozialgesetzbuch). Nach § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB X muss sich die Behörde zwar an einen Bevollmächtigten wenden, wenn dieser bestellt ist. Allerdings regelt § 37 SGB X gesondert die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes. Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Für die Fälle, in denen ein Bevollmächtigter bestellt ist, sieht § 37 Abs. 1 Satz 2 SGB X vor, dass dann die Bekanntgabe auch gegenüber dem Bevollmächtigten erfolgen kann.
Gemäß § 64 Abs. 1 SGG begann die einmonatige Widerspruchsfrist am 13.01.2011 um 0.00 Uhr zu laufen. Sie endete gemäß § 64 Abs. 2 SGG an sich am 12.02.2011 um 24.00 Uhr. Da dieser Tag jedoch ein Sonnabend war, lief die Frist gemäß § 64 Abs. 3 SGG mit Ablauf des nächsten Werktages, also dem 14.02.2011, ab.
b) Ein formgerechter Widerspruch ging beim Beklagten nicht innerhalb der Widerspruchsfrist ein.
aa) Soweit die Kläger vortragen, den Widerspruch bereits am 03.02.2011 verfasst und sodann am 04.02.2011 persönlich beim Beklagten abgegeben zu haben, ist das Gericht von diesen Angaben nicht überzeugt.
Die Tatsache, dass ein schriftlicher Widerspruch am 04.02.2012 beim Beklagten abgegeben wurde, steht zwischen den Beteiligten in Streit. Eine Beweisführung durch Parteiver-nahme ist dem sozialgerichtlichen Prozess fremd. Auf die entsprechenden Vorschriften der §§ 445 ff. ZPO (Zivilprozessordnung) wird in § 118 SGG gerade nicht verwiesen. In der Leistungsakte finden sich keine Hinweise darauf, dass eine solche persönliche Abgabe stattgefunden hätte. Vielmehr spricht die Formulierung im als Datei an die E-Mail angefügten Widerspruchsschreiben dagegen, dass die Kläger den Widerspruch zunächst persön-lich abgegeben haben und sodann zusätzlich, weil der Empfang nicht quittiert wurde, eine E-Mail übersandten. Die Wortwahl im Widerspruchsschreiben deutet darauf hin, dass tatsächlich in umgekehrter Reihenfolge vorgegangen werden sollte. Es sollte der Widerspruch ausdrücklich "Vorab per E-Mail und Fax" übersandt werden. Schriftlich sollte der Widerspruch offensichtlich nachgereicht werden. Hierfür spricht weiter, dass der Wider-spruch das Datum vom 03.02.2012 trägt und er nach Angaben der Kläger auch an diesem Tag verfasst wurde. Insoweit können die Angaben, dass zunächst versucht wurde, den Widerspruch persönlich abzugeben und man sodann zusätzlich den Weg per E-Mail gewählt habe, nicht überzeugen. Der Vermerk "Vorab per E-Mail und Fax" ist dann nicht nachvoll-ziehbar. Beim Verfassen des Widerspruchschreibens war der Ablauf bei Abgabe am 04.02.2011 noch gar nicht bekannt. Auch die am 05.01.2011 verfasste E-Mail, an die das Widerspruchsschreiben als Datei angefügt war, erhält keinen Hinweis darauf, dass der Wi-derspruch bereits persönlich am 04.01.2011 abgegeben wurde. Es ist dort nur formuliert: "Sie bekommen diesen Widerspruch ebenfalls nochmals per Fax und per Post." Hinweise wie "zusätzlich" oder "zur Sicherheit", wie sie nach dem von den Klägern beschriebenen Verfahrensablauf zu erwarten gewesen wären, finden sich nicht. Vielmehr spricht auch die Formulierung "im Anhang befindet sich der Widerspruch zum Bescheid vom" (Unterstrei-chung durch Gericht) dafür, dass es sich bei dem Dateianhang zur E-Mail nicht nur um eine bloße zusätzliche Information, sondern um den Widerspruch als solchen handeln sollte. In die gleiche Richtung weist auch das Wort "nochmal". Dies lässt den Schluss zu, dass das an die E-Mail angefügte Widerspruchsschreiben der eigentliche Widerspruch sein soll. Die nachfolgende Übermittlung per Fax und Post solle "nochmal" i. S. v. zusätzlich erfolgen. Auch der Umstand, dass das per E-Mail übersandte Schreiben entsprechend des offensichtlich unvollständigen Zusatzes "Schreiben auch Unterschrift gültig" darauf angelegt war, nicht unterschrieben zu werden, spricht dagegen, dass nach persönlicher Abgabe des Widerspruchs er nur zusätzlich per E-Mail übersandt werden sollte. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass das als E-Mailanhang übersandte Schreiben Rechtswirkungen auch ohne Unterschrift in Anlehnung an die insbesondere von Behörden vielfach verwendete Formulierung "Schreiben maschinell erstellt und ohne Unterschrift gültig" entfalten sollte. Ein Verständnis der genannten Umstände dahingehend, dass die Formulierung "vorab" bedeuten sollte, dass E-Mail und Fax den Sachbearbeiter schneller erreichten, als auf dem normalen Postweg im Hause des Beklagten, ist demgegenüber fernliegend und vermag das Gericht nicht davon zu überzeugen, dass tatsächlich am 04.02.2012 ein Widerspruch in schriftlicher Form abgegeben wurde.
bb) Der Widerspruch durch einfache E-Mail wahrt nicht die Formvorschrift des § 84 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Mit der Schriftform soll sowohl die Beweisfunktion für den Empfänger sichergestellt als auch der Absender vor übereilten Erklärungen geschützt werden. Grundsätzlich wird das Schriftformerfordernis weit ausgelegt. Während die Schriftform nach § 126 BGB voraus-setzt, dass die im Schriftstück enthaltene Erklärung eigenhändig unterschrieben wird, lässt man im Rahmen der Widerspruchseinlegung wie auch bei der Klageerhebung grundsätzlich auch ein schlichtes Fax genügen. Insoweit ist maßgeblich, dass sichergestellt ist, dass die Erklärung auch von demjenigen stammt, der als ihr Urheber erscheint und er sie bewusst in den Rechtsverkehr brachte. Die beim Empfänger eingehende Erklärung muss da-her verkörpert und eindeutig zuordenbar sein, sei es auch nur anhand eines Faxausdruckes mit Unterschrift oder sonstigen, die Urheberschaft eindeutig klärenden Merkmalen.
An einer verkörperten Erklärung fehlt es jedoch im Fall der schlichten E-Mail. Auch wenn sie vom Empfänger ausgedruckt wird, entsteht dadurch keine verkörperte Erklärung des Widerspruchsführers. Vielmehr ist der Ausdruck - anders als beim Fax oder Computerfax - nur das Ergebnis eines eigenverantwortlichen Handelns des Empfängers. Darüber hinaus birgt die schlichte E-Mail eine hohe Missbrauchsgefahr, da E-Mailadressen weltweit unter nahezu jedem denkbaren Namen ohne nähere Kontrolle der Person eingerichtet werden können. Die mit der vorgeschriebenen Schriftform erstrebten Funktionen (s. o.) werden durch die schlichte E-Mail demnach gerade nicht gewahrt. Dementsprechend wird sie in stetiger Rechtsprechung nicht als ausreichend anerkannt (vgl. u. a. Beschluss des Hessischen LSG vom 11.07.2007, Az: L 9 AS 161/07 ER). Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber mit § 65a SGG und § 36a SGB I selbst Regelungen geschaffen hat, die eine elektronische Kommunikation ermöglichen sollen. In diesen Normen kommt ebenfalls zum Ausdruck, dass eine einfache E-Mail nicht der Schriftform genügt. Der Gesetzgeber stellt in § 36a Abs. 2 Satz 1 SGB I die elektronische Form nicht der Schriftform gleich, sondern spricht davon, dass die Schriftform durch die elektronische Form ersetzt werden könne. Es handelt sich bei der elektronischen Form demzufolge nach Ansicht des Gesetzgebers um einen Ersatz, also um etwas anderes als die Schriftform. Eine ersetzende Funktion kann der elektronischen Form nach dem Willen des Gesetzgebers weiter nur dann beigemessen werden, wenn das übermittelte Dokument mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen wird, vgl. § 36a Abs. 2 Satz 2 SGB I, ebenso § 65a Abs. 1 Satz 2 SGG. Würde man bereits schlichte E-Mails wie die vorliegende als der Schriftform genügend ansehen, unterliefe man die gesetzgeberische Wertung für den elektronischen Rechtsverkehr, nach der die Schriftform nur durch die elektronische Form ersetzt werden kann und hierfür zusätzlich eine qualifizierte Signatur notwendig ist.
Damit erlangte der angegriffene Bescheid Bestandskraft i. S. v. § 77 SGG. Eine nachträgliche Überprüfung im Rahmen eines sogenannten Zugunstenverfahrens gem. § 44 SGB X bleibt hiervon unberührt.
cc) Raum für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist nicht gegeben. Von einer schuldlosen Form- bzw. Fristversäumung ist nicht auszugehen. In der Rechtsbehelfsbelehrung zum angegriffenen Bescheid wurden die Kläger auf die Formerfordernisse hingewiesen. Zudem wurde der Bescheid zusätzlich an den bevollmächtigten Rechtsanwalt der Kläger übersandt, sodass sich auch mit Eingang der schlichten E-Mail kein weiterer Aufklärungsbedarf für den Beklagten ergab, der eine Wiedereinsetzung mit Blick auf einen sozialrecht-lichen Herstellungsanspruchs erfordern würde.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und orientiert sich am vollständigen Unterliegen der Kläger.
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