L 7 AS 413/12 B

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 38 AS 1764/12 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 413/12 B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die isolierte Beschwerde gegen einen Beschluss des Sozialgerichts, mit dem einem Beteiligten gemäß § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG Verschuldenskosten auferlegt wurden, ist gemäß § 172 Abs. 1 SGG statthaft.

2. Die bloße Erklärung der Behörde, dass die Forderung ruhend gestellt wurde, lässt das Rechtsschutzbedürfnis für einen Antrag auf gerichtlichen Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs gegen einen Erstattungsbescheid, der gemäß § 39 Nr. 1 SGB II nicht kraft Gesetzes sofort vollziehbar ist, nicht entfallen.

3. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeführers im Beschwerdeverfahren können der Staatskasse aufzuerlegt werden, wenn die Auferlegung von Verschuldenskosten auf die Beschwerde hin aufgehoben wird.
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird Ziffer 3. des Beschlusses des Sozialgerichts Dresden vom 19. April 2012, mit der der Antragstellerin Verschuldenskosten in Höhe von 150,00 EUR auferlegt worden sind, aufgehoben.

II. Die Staatskasse hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragstellerin) wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Auferlegung von Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch das Sozialgericht.

In dem zugrunde liegenden Eilverfahren hat die Antragstellerin die Feststellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage beim Sozialgericht Dresden (S 38 AS 1220/12) gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Antragsgegners vom 09.11.2011 begehrt, weil sie eine Mahnung vom 11.03.2012 erhalten hatte. Darauf hat der Antragsgegner dem Sozialgericht mit Schreiben vom 26.03.2012 mitgeteilt, dass er den Schriftsatz der Bevollmächtigten der Antragstellerin zur Kenntnis genommen habe. Dem gegnerischen Anspruch sei entsprochen und die Forderung ruhend gestellt worden. Die Klageschrift aus dem Verfahren S 38 AS 1220/12 sei ihm erst am 19.03.2012 zugegangen und er sei daher nicht in der Lage gewesen, die Mahnung zu verhindern. Ein Kostengrundanerkenntnis werde nicht abgegeben. Auf die Anfrage des Sozialgerichts, ob der Eilantrag für erledigt erklärt werde, reagierte die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin auch auf Erinnerung nicht. Das Sozialgericht hat außerdem mit Schreiben vom 11.04.2012 darauf hingewiesen, dass ein Festhalten an dem Antrag rechtsmissbräuchlich erscheine, was dazu führen könne, dass der Antragstellerin Gerichtsgebühren in Höhe von mindestens 150,00 EUR gemäß § 192 Abs. 1 i.V.m. § 184 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auferlegt würden.

Mit Beschluss vom 19.04.2012 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mangels Rechtsschutzbedürfnisses abgelehnt (1.) und über die Kostenerstattung entschieden (2.). Zugleich hat es der Antragstellerin Verschuldenskosten nach § 192 SGG in Höhe von 150,00 EUR auferlegt (3.), weil das Gericht die Antragstellerin zuletzt mit Verfügung vom 29.03.2000 (wohl ein Schreibversehen) auf die Aussichtslosigkeit der Klage und die Absicht, ihr eine Missbrauchsgebühr aufzuerlegen, hingewiesen habe. Sie habe darauf nicht reagiert.

Gegen den am 19.04.2011 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 07.05.2012 beim Sozialgericht und am 10.05.2012 beim Sächsischen Landessozialgericht Beschwerde eingelegt, soweit ihr Verschuldenskosten auferlegt worden sind, und geltend gemacht, in der Antragserwiderung sei keine Prozesserklärung zu sehen, sondern lediglich Tatsachenvortrag. Prozessual sei weder inhaltlich noch in der Kostenfolge ein Anerkenntnis abgegeben worden, so dass kein prozessualer Anlass bestanden habe, eine Erledigungserklärung abzugeben. Zudem seien innerhalb der Frist und bis Fristende das Kind der Rechtsanwältin und ab 20.04.2012 bis 25.05.2012 sie selbst erkrankt gewesen (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 20.04.2012 bzw. 16.04.2012).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge verwiesen.

II.

Die Beschwerde hat Erfolg.

Die allein gegen die Auferlegung von Verschuldenskosten gemäß § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG in Ziffer 3. des Beschlusses vom 19.04.2012 gerichtete Beschwerde ist gemäß § 172 Abs. 1 SGG statthaft. Insbesondere ist sie nicht gemäß § 172 Abs. 3 SGG ausgeschlossen (so auch LSG NRW, Beschluss vom 24.06.2011 – L 6 AS 959/11 B ER, zitiert nach Juris, RdNr. 7; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 192 RdNr. 21; Hk-SGG/Groß, § 192 RdNr. 34; Peters/¬Sautter/¬Wolff, SGG. 4. Aufl. Stand Oktober 2011, § 192 e.E.). Der Beschwerdeausschluss des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG (Ausschluss der Beschwerde in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung nicht zulässig wäre), greift nicht, weil sich diese seit 01.04.2008 geltende Regelung ausschließlich auf die Entscheidungen in der Hauptsache bezieht, nicht hingegen auf die gerichtlichen Kostenentscheidungen hierzu. Denn für diese hat der Gesetzgeber eigene Regelungen geschaffen und in § 172 Abs. 3 Nr. 3 und Nr. 4 SGG spezielle Ausschlusstatbestände für Kostenentscheidungen nach § 193 SGG und § 192 Abs. 4 SGG normiert. Danach unterliegt die hier vorgenommene Kostenauferlegung nach § 192 Abs. 1 SGG gerade keinem Beschwerdeausschluss. Da gemäß § 172 Abs. 1 SGG die Beschwerde nur in den ausdrücklich im SGG vorgesehenen Fällen ausgeschlossen sein soll und für die hier streitige Entscheidung nach § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kein Ausschluss vorgesehen ist, ist für eine erweiternde bzw. analoge Anwendung des den Rechtsweg einschränkenden § 172 Abs. 3 SGG angesichts des eindeutigen Wortlauts und der differenzierten Regelung, die anders als § 144 Abs. 4 SGG bei Berufungen nicht die Kostenentscheidungen schlechthin erfasst, kein Raum (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 24.06.2011, a.a.O.).

Die auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet. Das Sozialgericht hat der Antragstellerin zu Unrecht mit Beschluss vom 19.04.2012 Verschuldenskosten in Höhe von 150,00 EUR auferlegt. Die Voraussetzungen des § 192 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG lagen hierfür nicht vor.

Abgesehen davon, dass das Hinweisschreiben des Sozialgerichts vom 11.04.2012 nicht zugestellt wurde, so dass nicht belegt werden kann, dass und wann die Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin auf die vom Sozialgericht angenommene Missbräuchlichkeit und die Möglichkeit der Auferlegung von Kosten in Höhe von 150,00 EUR vor dem 19.04.2012 hingewiesen worden wäre, war es nicht missbräuchlich von der Antragstellerseite, zum damaligen Zeitpunkt (noch) keine Erledigungserklärung abzugeben.

Gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese entfällt (u.a.) nach Nr. 4 des § 86a Abs. 2 SGG nur in durch Bundesgesetz vorgeschrieben Fällen. § 39 Nr. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II – in der Fassung des Gesetzes zur Neuregelung der Regelbedarfe und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011; BGBl. I S. 453) stellt einen solchen Fall dar. Danach haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt, keine aufschiebende Wirkung. Mit dieser seit 01.04.2011 geltenden Neufassung des § 39 Nr. 1 SGB II wurde klargestellt, dass Erstattungsbescheide für Leistungen nach dem SGB II nicht sofort vollziehbar sind, was vorher in der Rechtsprechung durchaus umstritten war (vgl. zur aktuellen Rechtslage: LSG NRW, Beschluss vom 12.03.2012 – L 12 AS 45/10 B, RdNr. 45; BayLSG, Beschluss vom 20.07.2009 – L 7 AS 344/09 B ER, RdNr. 24; davor: SächsLSG, Beschlüsse des 2. Senats vom 18.05.2009 – L 2 AS 181/09 B ER – einerseits und des 7. Senats vom 28.04.2009 – L 7 B 566/07 AS-ER – andererseits).

Unumstritten war und ist allerdings, dass ein Antrag auf Feststellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs in analoger Anwendung von § 86b Abs. 1 SGG statthaft und zulässig ist, wenn der Antragsgegner das Bestehen der aufschiebenden Wirkung bestreitet oder – wie hier – entgegen der bestehenden aufschiebenden Wirkung Vollzugsmaßnahmen einleitet oder schon vorgenommen hat (st.Rspr.: z.B. LSG NRW, Beschluss vom 12.03.2010, a.a.O.). Dass der Antragsgegner sich der sofortigen Vollziehbarkeit, der Erstattungsforderung aus dem mit der Klage vom 21.02.2012 (S 38 AS 1220/12) angegriffenen Bescheid vom 09.11.2011 berühmt hat, ergibt sich schon aus dem offensichtlich vor Ablauf eines Monats seit Zustellung bzw. Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 23.01.2012 veranlassten Inkassotätigkeit der Bundesagentur für Arbeit – Regionaldirektion Bayern, durch die die Vollstreckung bereits begonnen wurde.

Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist durch die Erklärung des Antragsgegners vom 26.03.2012, dass die Forderung ruhend gestellt wurde, das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin an einer gerichtlichen Feststellung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen den o.g. Erstattungsbescheid vom 09.11.2011 nicht entfallen. Denn dieser Erklärung und dem Schriftsatz vom 26.03.2012 im Übrigen lässt sich nicht entnehmen, ob der Antragsgegner ebenfalls davon ausgeht, dass die Klage aufschiebende Wirkung entfaltet oder ob er nur einstweilen vom Vollzug des Erstattungsbescheides absieht. Insbesondere ist der Antragsgegner infolge dieser Erklärung allein rechtlich nicht gehindert, die Ruhendstellung nach Belieben wieder aufzuheben, wenn er nicht anerkennt, dass für die Dauer des sozialgerichtlichen Klageverfahrens gegen den Erstattungsbescheid dessen Vollziehung aufgeschoben und die Vollstreckung damit rechtlich ausgeschlossen ist. All dies ist dem Schreiben vom 26.03.2012 nicht zu entnehmen, ebenso wenig, für welchen Zeitraum der Antragsgegner die Erstattungsforderung ruhend gestellt hat. Auch entfaltet die verwaltungsinterne Kennzeichnung als ruhend keine Außenwirkung (vgl. BayLSG, Beschluss vom 20.07.2009, a.a.O., RdNr. 15).

Eine Kostenentscheidung hat zu ergehen. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 01.04.2009 – B 14 SF 1/08 R – jurisPR-SozR 11/2010, Anm. 5, Münker) ist grundsätzlich in jedem Beschwerdeverfahren, das zu einem gesonderten Gebührenanfall nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) führt, eine Kostenentscheidung zu treffen (vgl. dazu auch Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 19. Aufl. 2010, § 8 RVG RdNrn. 10, 12 m.w.N.). In Ansehung der §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 18 Abs 1 Nr. 3 Variante 1 RVG i.V.m Gebührenziffer 3501 der Anlage 1 zum RVG (Vergütungsverzeichnis) darf die Kostenentscheidung daher nicht unterbleiben.

Die Kosten sind vorliegend nicht dem Gegner des erstinstanzlichen (Eil-)Verfahrens aufzuerlegen. Aufgrund des in § 21 Abs. 1 GKG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedankens, dass Kosten, die durch eine fehlerhafte Sachbehandlung des Gerichts verursacht werden, den Parteien nicht zur Last fallen dürfen, sind diese vielmehr der Staatskasse aufzuerlegen. Insoweit liegt eine den Beschwerden gegen die Auferlegung von Ordnungsgeld gemäß § 202 SGG in Verbindung mit § 141 Zivilprozessordnung (ZPO) vergleichbare Sachlage vor, für die der Senat ebenfalls eine Kostenerstattungspflicht der Staatskasse angenommen hat (vgl. SächsLSG, Beschluss vom 08.11.2012 – L 7 AS 1065/12). Hier wie dort richtet sich Kostenentscheidung nach § 46 Abs. 1 Ordnungswidrigkeitengesetz in Verbindung mit § 467 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) analog, wonach die Kosten der Staatskasse zur Last fallen (vgl. Bundesfinanzhof, Beschluss vom 07.03.2007 – X B 76/06; LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 21.05.2012 – L 10 AS 423/12 B – und vom 08.03.2010 – L 5 AS 1114/09 B; HessLSG, Beschluss vom 07.09.2010 – L 8 KR 231/09 B). Die notwendigen Auslagen der Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen, sieht § 473a Satz 2 StPO auch für den Fall vor, dass eine Ermittlungsmaßnahme oder ihr Vollzug für rechtswidrig erklärt wird. Ebenso ermächtigen § 473 Abs. 4 Satz 1 StPO und § 335 Abs. 5 Satz 7 Handelsgesetzbuch das Gericht, im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Wagner Richterin am LSG
Rechtskraft
Aus
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