L 7 AS 883/12 B PKH

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Augsburg (FSB)
Aktenzeichen
S 16 AS 90/12
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 883/12 B PKH
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Vorläufigkeit eines Bescheids muss sich entsprechend der Rechtsprechung des BSG eindeutig ergeben. Wenn ein vorläufiger Bescheid nach §§ 45, 48 SGB X aufgehoben wird und sich lediglich ein Hinweis am Ende des Aufhebungsbescheids auf Vorläufigkeit findet, ist die Vorläufigkeit auch dann zweifelhaft, wenn es sich lediglich um einen Anpassungsbescheid handelt.
2. Über die Kosten eines Vorverfahrens wird bei einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach dem Grundsatz der Kosteneinheit im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 193 SGG mit entschieden.
3. Erledigt ein Abhilfebescheid auch einen vorangegangenen Widerspruchsbescheid und wird im Abhilfebescheid nicht erneut über die Kosten des Vorverfahrens entschieden, hängt bezüglich der Kostenklage nach § 63 SGB X die Klageart davon ab, ob die Kostenentscheidung des Widerspruchs weiter gilt oder eine Verpflichtungsklage in Form einer Versagungsgegenklage bzgl einer Kostenentscheidung im Abhilfebescheid sachdienlich ist.
Auf die Beschwerde der Beschwerdeführer wird der Beschluss des Sozialgerichts Augsburg vom 5. November 2012 aufgehoben und den Beschwerdeführern für das Klageverfahren S 16 AS 90/12 beim Sozialgericht Augsburg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt B., B-Straße, A-Stadt, gewährt.

Gründe:

I.
Mit Beschluss vom 05.11.2012 lehnte das Sozialgericht Augsburg den Antrag der Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Bf) auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt B. für das Klageverfahren S 16 AS 90/12 ab.
In der Hauptsache geht es um die Kosten eines Vorverfahrens gegen den Beklagten.
Mit Bescheid vom 19.10.2011 bewilligte der Beklagte den Bf Leistungen für die Zeit vom 01.11.2011 bis 30.04.2012. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass die Leistungen nach § 328 SGB III vorläufig erbracht werden.
Mit Bescheid vom 26.11.2011 änderte der Beklagte den Bescheid vom 19.10.2011 für die Zeit vom 01.01.2012 bis 30.04.2012 mit dem Ziel, die Regelsatzerhöhung zum 01.01.2012 umzusetzen. Der Änderungsbescheid enthielt keinen Hinweis auf die Vorläufigkeit der Entscheidung und verwies darauf, dass die Bewilligungsentscheidungen zum 01.01.2012 aufgehoben würden nach § 48 SGB X. Erst nach Rechtsbehelfsbelehrung und dem Hinweis, dass dieses Schreiben maschinell erstellt ist und auch ohne Unterschrift wirksam ist, enthält der Änderungsbescheid unter der Überschrift "Beachten Sie bitte folgende Punkte besonders" mit insgesamt 5 Ziffern unter Ziffer 2 den Hinweis: "Soweit die Regelbedarfe der Höhe nach vorläufig festgesetzt wurden, handelt es sich um einen Vorschuss im Sinne des § 42 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I). Überzahlte Beträge sind zurückzuzahlen" und unter Ziffer 3: "Soweit Ihnen die Leistungen bisher vorläufig (§ 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 SGB III bewilligt wurde, bleibt die Vorläufigkeit bestehen".
Gegen diesen Änderungsbescheid legten die Bf mit Schreiben vom 09.12.2011 Widerspruch ein. Das Einkommen der Bf zu 2) und zu 3) sei falsch berücksichtigt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 02.01.2012, den Bf zugegangen am 04.01.2012, verwarf der Beklagte den Widerspruch der Bf als unzulässig. Mit dem Änderungsbescheid vom 26.11.2011 sei das gleiche Einkommen berücksichtigt worden, wie mit Bescheid vom 19.10.2011, der bestandskräftig geworden sei. Der Änderungsbescheid vom 26.11.2011 habe lediglich die Regelbedarfe geändert. Wegen der Bestandskraft des Bescheides vom 19.10.2011 sei der Widerspruch unzulässig. Die Kosten für das Widerspruchsverfahren könnten nicht übernommen werden.
Mit weiteren Bescheid vom 24.01.2012 änderte die Beklagte für den Zeitraum vom 01.11.2011 bis 30.04.2012 die Leistungen und setzte unter Bezugnahme auf § 40 Abs. 2 Nr. 1 SGB II i.V.m. § 328 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III die Leistungen erneut nur vorläufig fest. Dabei wurde das Einkommen der Bf zu 2) und zu 3) wie mit dem Widerspruch begehrt berücksichtigt. Eine endgültige Festsetzung der Leistungen für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 01.11.2011 bis einschließlich 30.04.2012 ist - soweit aus den Akten ersichtlich - bislang nicht erfolgt.
Mit Schreiben vom 06.02.2012 - eingegangen beim Sozialgericht Augsburg am 06.02.2012 - haben die Bf Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben mit dem Begehren, festzustellen, dass der Bescheid vom 26.11.2011 in Form des Widerspruchsbescheides vom 02.11.2012 rechtswidrig gewesen sei und den Beklagten zu verurteilen, den Bf die im Widerspruchsverfahren entstandenen notwendigen Aufwendungen der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung zu ersetzen.
Gleichzeitig beantragten die Bf Prozesskostenhilfe für das Verfahren vor dem Sozialgericht und Beiordnung von Rechtsanwalt B ... Die Erklärung über die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse wurde dem Sozialgericht vorgelegt.
Mit Beschluss vom 05.11.2012 lehnte das Sozialgericht den Antrag auf Prozesskostenhilfe ab. Die Klage habe keine Erfolgsaussichten. Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 26.11.2011 sei unzulässig gewesen, da dieser Bescheid gegenüber dem bestandskräftigen Bescheid vom 19.10.2011 keine Beschwer enthalten habe. Die Abänderung habe ausschließlich die Bedarfspositionen der Bf zu 1) und zu 2) betroffen. Der Abänderungsbescheid könne nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reiche, hier also nur bezüglich der vorgenommen Regelbedarfsanpassung. Im Übrigen mache die Bevollmächtigte mit der Klage im Wesentlichen die Erstattung der Kosten der Rechtsverfolgung im Widerspruchsverfahren gemäß § 63 SGB X geltend. Der Widerspruch sei nicht erfolgreich gewesen, da er unzulässig gewesen sei. Auch unter Veranlassungsgesichtspunkten seien keine Kosten des Widerspruchsverfahrens zu übernehmen.
Hiergegen haben die Bf Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Der vorläufige Bescheid vom 19.10.2011 sei nicht bestandskräftig geworden und als vorläufiger Bescheid auch im Rahmen des Anpassungsbescheids vom 26.11.2011 angreifbar gewesen.

II.
Die nach §§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Beschwerde ist begründet. Der Beschluss des Sozialgerichts ist aufzuheben und Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. zu bewilligen.
Gemäß § 73 a SGG i.V.m. § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) erhalten Beteiligte, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen können, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Vorliegend sind für die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg nicht von vorneherein auszuschließen.
Unabhängig davon, welchen richterlichen Hinweis der Kammervorsitzende im Rahmen seiner Pflicht, auf sachdienliche Anträge hinzuwirken, im Hinblick auf die richtige Klageart geben wird, steht fest, dass jede Klageart fristgerecht erhoben wurde. Der Widerspruchsbescheid ging den Bf am 04.01.2012 zu. Nachdem der 04.02.2012 auf einen Samstag fiel, endete die Rechtsmittelfrist am 06.02.2012, so dass die am 06.02.2012 erhobene Klage fristgemäß war.
Die Klageart bestimmt sich danach, zu welcher Auffassung das Gericht im Hinblick darauf kommt, ob der Änderungsbescheid vom 26.11.2011 "vorläufig" oder "endgültig" ergangen ist.
Da die Vorläufigkeit des Änderungsbescheids vom 26.11.2011 sich nicht aus dem Verwaltungsakt selbst ergibt, sondern sich nur im Anschluss an den Verwaltungsakt ein Hinweis am Ende des Bescheides auf die Vorläufigkeit findet, ist zu klären, ob diese Vorgehensweise noch den Anforderungen, die das das BSG an die Eindeutigkeit der Verfügung der Vorläufigkeit stellt (vgl. BSG Urteil vom 06.04.2011, Az.: B 4 AS 119/10 R Rz. 18,19), genügt. Hier bestehen ernsthafte Zweifel, weil die Ziffern 1 bis 5 sehr allgemein gehalten sind, also zu wenig einzelfallbezogen, zudem der Hinweis in Ziffer 2 auf den Vorschuss nach § 42 SGB I kaum mit dem Hinweis in Ziffer 3 auf die Vorläufigkeit vereinbar ist, vor allem aber aus der im Bescheid erfolgten Aufhebung des vorläufigen Bescheides vom 19.10.2011 nach § 48 SGB X der Eindruck entstehen konnte, auch die Vorläufigkeit sei aufgehoben worden. Schon allein wegen dieser Unsicherheit in Bezug auf die Vorläufigkeit des Änderungsbescheides vom 26.11.2011 lassen sich hinreichende Erfolgsaussichten nicht verneinen.
Im Übrigen gilt; Je nachdem zu welcher Auffassung das Sozialgericht bzgl. der Vorläufigkeit gelangen wird, bestimmt sich die weitere Vorgehensweise.
Sollte das Sozialgericht zu der Auffassung gelangen, dass der Änderungsbescheid vom 26.11.2011 nicht mehr vorläufig ergangen ist, wäre die Klage als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen den Bescheid vom 19.11.2011 und den Bescheid vom 24.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2012 begründet. Der Änderungsbescheid vom 26.11.2011 und der Widerspruchsbescheid vom 04.02.2012 sind rechtswidrig, da der Änderungsbescheid Leistungen endgültig festgesetzt hat und diese Leistungen im Ergebnis nicht dem entsprachen, was die Bf hätten erhalten müssen. Dies ergibt sich letztlich aus der Neuberechnung des Beklagten im Bescheid vom 24.01.2012. Der Bescheid vom 24.01.2012 konnte den Änderungsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides nicht ändern bzw. ersetzen (also erledigen iSv § 39 Abs 2 SGB X), da der Bescheid vom 24.01.2012 ausdrücklich nur "vorläufig" ergangen ist und den endgültigen Änderungsbescheid vom 26.11.2011, der nicht aufgehoben wurde, auch nicht ersetzen konnte. Der Bescheid vom 24.01.2012 wurde vielmehr über § 86 SGG Gegenstand des bis zur Klageerhebung noch offenen Vorverfahrens; denn nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts wird auch ein Bescheid, der nach dem Widerspruchsbescheid, aber vor Erhebung der Klage ergeht, nach § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens (BSG Urteil vom 01.08.1978, Az.: 7 RAr 37/77). Das Klageverfahren stellt sich dann im Ergebnis nicht als Kostenklage nach § 63 SGB X, sondern als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gegen den Bescheid vom 19.11.2011 und den Bescheid vom 24.01.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.01.2012 dar, mit der Folge, dass über die Kosten des Vorverfahrens dann im Wege der einheitlichen Kostenentscheidung nach § 193 SGG zu entscheiden ist.
Sollte das Sozialgericht zu der Auffassung gelangen, der Änderungsbescheid vom 26.11.2011 genüge den Anforderungen des BSG an die Festlegung von Vorläufigkeit,
handelt es sich um eine Kostenklage nach § 63 SGB X.

Zunächst müsste sich das Sozialgericht mit der Frage des Umfangs der Bestandskraft der vorläufigen Entscheidung auseinandersetzen (vgl zu Anpassungsbescheiden allgemein BSG Urteil vom 16.06.1999, B 9 V 4/99 R und für den Bereich des SGB II BSG Urteil vom 30.09.2008, B 4 AS 29/07 R), dann ggf. die Notwendigkeit von Änderungen nach §§ 45, 48 SGB X aufgrund des Widerspruchs, der evtl. als Änderungsantrag zu werten wäre, prüfen (vgl. Düe in Niesel/Brand, SGB III, 5. Aufl 2010 § 328 Rz 10 zu entsprechenden Änderungen nach §§ 44 ff SGB X) und sich schließlich mit der Frage auseinandersetzen, ob der Bescheid vom 24.01.2012 nach § 86 SGG Gegenstand des bis zur Klageerhebung noch offenen Widerspruchverfahrens wurde anhand der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach auch ein Abänderungsbescheid, der nach dem Widerspruchsbescheid, aber vor Erhebung der Klage ergeht, nach § 86 SGG Gegenstand des Vorverfahrens ist (BSG Urteil vom 01.08.1978, Az.: 7 RAr 37/77). Durch den vorläufigen Änderungsbescheid vom 24.01.2012 hätte sich dann der vorläufige Änderungsbescheid vom 26.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.01.2012 erledigt. Statthafte Klageart wäre dann die Kostenklage nach § 63 SGB X (als Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, wenn man davon ausgeht, dass die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid isoliert fortbesteht, bzw. als Verpflichtungsklage bzgl. einer Kostenentscheidung zusätzlich zu dem das Verfahren erledigenden Abhilfebescheid vom 24.01.2012, vgl BSG Urteil vom 31.5.2006, B 5 KA 78/04 R Rz 11)
Die Kostenklage nach § 63 SGB X wäre dann auch erfolgreich. Insoweit ist die inhaltliche Änderung des vorläufigen Bescheides vom 19.10.2011 zugunsten der Bf durch den Bescheid vom 24.01.2012 bei Beurteilung der Erfolgsaussichten des Widerspruchsverfahrens mit heranzuziehen. Da im Ergebnis die vorläufig getroffene Regelung innerhalb der Klagefrist zugunsten der Bf durch eine andere vorläufige Entscheidung abgeändert wurde, ist dies bei der Kostenentscheidung als Erfolg zu berücksichtigen. Dass der Beklagte möglicherweise auch ohne Widerspruch die Festsetzung in dieser Höhe vorgenommen hätte, lässt die Kausalität des Widerspruchs nicht entfallen (vgl. BSG Urteil vom 19.10.2011, Az.: B 6 KA 35/10 R, Rz. 18, vgl. auch BSG Urteil vom 02.05.2012, B 11 AL 23/10 R). Die Klage wäre dann als Klage gegen die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid zulässig und begründet.
Die Bf erfüllen auch die persönlichen und wirtschaftliche Verhältnisse, wie sich aus der gegenüber dem Sozialgericht abgegebenen Erklärung ergibt, da sie vermögenslose Leistungsempfänger nach dem SGB II sind.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gemäß § 73 a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m.
§ 147 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
Rechtskraft
Aus
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