L 3 AS 638/10

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 23 AS 1475/09
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 3 AS 638/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Bei der Pflicht eines Selbständigen zur Vornahme voraussichtlicher Einkommens- und Ausgabenschätzungen nach dem Formular „Vorläufige Angaben zum Einkommen aus Selbständigkeit“ (EKS) handelt es sich um eine dem Hilfebedürftigen zumutbare Mitwirkungshandlung.

2. Für die Feststellung, das beklagte Jobcenter habe sicherzustellen, dass bewilligte Regelleistung und Einkommen monatlich mindestens einen Betrag in Höhe der (gesetzlichen) Regelleistung ergeben, besteht kein Feststellungsinteresse.

3. Es gibt keinen Anspruch auf Erteilung einer Auskunft darüber, anhand welcher Maßstäbe, Mittel und Methoden ein Hilfebedürftiger sein Einkommen und seine Ausgaben für sechs Monate im Voraus prognostizieren kann.
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 9. September 2010 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wehrt sich gegen die Obliegenheit, Angaben zu seinen voraussichtlichen Einnahmen und Ausgaben aus selbstständiger Tätigkeit zu machen.

Der Kläger bezieht seit Januar 2005 zunächst von der ARGE L und seit 1. Januar 2011 vom Beklagten – mit kurzen Unterbrechungen – Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende – (SGB II). Seit Dezember 2005 ist er als Rechtsanwalt selbstständig tätig.

Am 30. April 2009 erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Leipzig mit dem Begehren auf Feststellung, dass er nicht verpflichtet sei, voraussichtliche Einkommens- und Ausgabenschätzungen vorzunehmen, dass die Beklagte sicherzustellen habe, dass ihm aus bewilligter Regelleistung und Einkommen monatlich mindestens ein Betrag in Höhe der Regelleistung zur Verfügung stehe und, hilfsweise, den Beklagten zur Auskunftserteilung darüber zu verurteilen, wie er "vorläufige Angaben zum Einkommen aus Selbstständigkeit" im entsprechenden Formblatt sinnvoll prognostizieren könne.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 9. September 2010 abgewiesen. Sie sei in den Hauptanträgen mangels Feststellungsinteresse unzulässig, weil der Kläger belastende Entscheidungen der Beklagten abwarten und sodann gegen diese vorgehen könne. Insoweit sei die Feststellungsklage subsidiär. Der Hilfsantrag sei ebenfalls unzulässig, weil der als Verpflichtungsklage auf Auskunftserteilung zu verstehenden Klage kein Verwaltungs- und Vorverfahren vorausgegangen sei.

Mit der Berufung vom 4. Oktober 2010 verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Die Hauptanträge seien zulässig, weil ein Zuwarten auf künftige belastende Entscheidungen nicht zumutbar sei. Der Hilfsantrag sei, weil das Auskunftsersuchen weit über ein Jahr alt sei, jedenfalls als Untätigkeitsklage zulässig.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 9. September 2010 aufzuheben und 1. festzustellen, dass er nicht verpflichtet ist, voraussichtliche Einkommens- und Ausgabenschätzungen laut EKS für den Zeitraum eines halben Jahres im Voraus vorzunehmen; 2. festzustellen, dass die Beklagte bei der Festsetzung des bei der Einkommensanrechnung zu berücksichtigenden künftigen Einkommens aus selbständiger Tätigkeit verpflichtet ist sicherzustellen, dass dem Kläger aus bewilligter Regelleistung und Einkommen monatlich mindestens ein Betrag in Höhe der Regelleistung zur tatsächlichen Verfügung bleibt; 3. hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, ihm Auskunft darüber zu erteilen, anhand welcher Maßstäbe und mit welchen Mitteln und Methoden Einkommen und Ausgaben aus Anwaltstätigkeit gem. Formular "Vorläufige Angaben zum Einkommen aus Selbständigkeit" (EKS) für 6 Monate im Voraus (sinnvoll) prognostiziert werden können.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung des Sozialgerichts im Wesentlichen für zutreffend, vertritt davon abweichend aber die Auffassung, dass das mit dem Hilfsantrag verfolgte Begehren auf Erteilung einer Auskunft nicht auf den Erlass eines Verwaltungsaktes gerichtet sei.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung ist unbegründet. Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf die begehrten Feststellungen noch auf Verpflichtung der Beklagten zur Auskunftserteilung zu.

1. Es besteht kein Anlass zu der Feststellung, dass der Kläger zur Vornahme voraussichtlicher Einkommens- und Ausgabenschätzungen nach EKS nicht verpflichtet ist. Vielmehr handelt es sich bei der insoweit vorzunehmenden Prognose um eine dem Hilfebedürftigen zumutbare Mitwirkungshandlung (vgl. Bay. LSG, Urteil vom 30. Juli 2010 – L 7 AS 12/10 – JURIS-Dokument Rdnr. 17). Bei dem vom Kläger bezogenen Arbeitslosengeld II handelt es sich um eine steuerfinanzierte Fürsorgeleistung, deren Voraussetzung unter anderem die Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II ist. Wird Einkommen erzielt, ist es nach § 11 SGB II zu berücksichtigen. Das Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit ist nach § 13 SGB II i. V. m. § 3 der Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung [Alg II-V]) in der ab dem 1. Januar 2008 gültigen Fassung (BGBl. I 2007 S. 2942) zu ermitteln. Nach § 3 Abs. 2 Alg II-V sind für Berechnungen des Einkommens aus selbstständiger Arbeit von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11 Abs. 2 SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen. Da die Leistungen nach § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II jeweils für sechs Monate bewilligt und monatlich im Voraus erbracht werden sollen, ist hinsichtlich des Einkommens aus selbstständiger Arbeit eine Einkommensprognose erforderlich. Diese obliegt zunächst dem Hilfebedürftigen im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgesetzbuches Erstes Buch – Allgemeiner Teil – (SGB I). § 65 Abs. 1 SGB I steht dem nicht entgegen. Weder kann sich der Beklagte durch einen geringeren Aufwand als den vom Kläger zu betreibenden die erforderlichen Informationen selbst beschaffen (vgl. § 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB I) noch ist die Erfüllung der Mitwirkungspflicht für den Kläger unzumutbar (vgl. § 65 Abs. 1 Nr. 2 SGB I). Die Angaben können auf der Grundlage eines Mindestmaßes an betrieblicher Planung gemacht werden. Das gilt auch und insbesondere im Falle des Klägers, der seine Tätigkeit seit mehreren Jahren ausübt und daher aus der betrieblichen Entwicklung der Vorjahre über Erfahrungswerte verfügen muss.

Ist der Kläger damit zur Mitwirkung in Gestalt der Vorlage der ausgefüllten Anlage EKS verpflichtet, kann die begehrte Feststellung nicht getroffen werden.

2. Soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass der Beklagte sicherzustellen habe, dass bewilligte Regelleistung und Einkommen monatlich mindestens einen Betrag in Höhe der (gesetzlichen) Regelleistung ergeben, steht ihm ein Feststellungsinteresse nicht zur Seite. Bei bestehender Hilfebedürftigkeit (vgl. § 9 SGB II) besteht Anspruch auf die Bewilligung von Arbeitslosengeld II (vgl. § 19 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung [a. F.], § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB II in der seit 1. Januar 2011 geltenden Fassung [n. F.]), wobei die Regelleistung zur Sicherstellung des Lebensunterhaltes (vgl. § 20 SGB II) in der jeweils geltenden Anspruchshöhe zugrunde zu legen ist. Gemäß § 19 Abs. 3 Satz 1 SGB II n. F. (vgl. auch § 19 Satz 3 SGB II a. F.) werden die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe der Bedarfe nach den Absätzen 1 und 2 erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind. Nach § 3 Abs. 4 Satz 1 Alg II-V ist für jeden Monat der Teil des (prognostizierten) Einkommens zu berücksichtigen, der sich bei der Teilung des Gesamteinkommens im Bewilligungszeitraum durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum ergibt. Die von der Verordnung vorgegebene Vorgehensweise kann dazu führen, dass bei schwankendem Einkommen in einzelnen einkommensschwachen Monaten die Summe aus Einkommen und bewilligter Regelleistung hinter der gesetzlichen Höhe der Regelleistung nach § 20 Abs. 2 SGB II zurückbleibt. Soweit die Einkommensschwankungen nicht erheblich sind und sich über den Bewilligungszeitraum ausmitteln, ist die Hinnahme dieses Effektes zumutbar. Bleiben die Einnahmen erheblich hinter den prognostizierten zurück, ist es an dem Leistungsempfänger, diesen Umstand beim Leistungsträger im Sinne einer Korrektur der abgegebenen Prognose geltend zu machen. Eine Verpflichtung des Leistungsträgers, entsprechend dem Feststellungsbegehren des Klägers das Bereitstehen eines Betrages in Höhe der gesetzlichen Regelleistung für jeden einzelnen Monat sicherzustellen, kann es schon deshalb nicht geben, weil die Leistung monatlich im Voraus erbracht werden soll (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 4 SGB II) und der Leistungsträger, um den vom Kläger gestellten Anforderungen gerecht werden zu können, dessen konkrete monatsbezogene Einkommensentwicklung vorhersehen müsste. Das ist aber nicht möglich.

3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Auskunft darüber, anhand welcher Maßstäbe, Mittel und Methoden er sein Einkommen und seine Ausgaben für sechs Monate im Voraus prognostizieren kann. Bei der dazu auszufüllenden Anlage EKS handelt es sich um tabellarische Angaben zu geschätzten Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben nach unterschiedlichen Kostenpositionen. Diese sind auf der Grundlage eines erwartbaren Maßes an betrieblicher Planung möglich, ohne dass es dazu hellseherischer Fähigkeiten bedürfte (vgl. Bay. LSG, a. a. O.).

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

III. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Gründe dafür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

Dr. Scheer Atanassov Höhl
Rechtskraft
Aus
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