S 12 AS 484/10

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 12 AS 484/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 487/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit eines gegen die Klägerin gerichteten Sanktionsbescheides.

Die 1968 geborene Klägerin, türkische Staatsangehörige, bezieht als Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft vom Beklagten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch (SGB II).

Am 18.11.2009 hatte die Klägerin in Begleitung ihres Ehemannes, Herrn F.A., ein Beratungsgespräch beim Beklagten wahrgenommen. Bei diesem Gespräch war der Versuch unternommen worden, eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Ziel abzuschließen, dass die Klägerin ca. dreimal pro Woche vormittags an einem Integrationssprachkurs an der Volkshochschule (VHS) in B-Stadt teilnehmen soll. Das Zustandekommen einer entsprechenden Vereinbarung scheiterte jedoch; die Gründe hierfür ergeben sich aus den in der Behördenakte befindlichen Gesprächsvermerken (Blatt 839, 840).

Mit Bescheid vom 18.11.2009 erließ der Beklagte einen Verwaltungsakt gleichen Inhaltes, der die beabsichtigte Eingliederungsvereinbarung ersetzte (§ 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II, Blatt 836 der Behördenakte). Gegen diesen Verwaltungsakt hatte die Klägerin Widerspruch erhoben, welcher mit Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 02.03.2010 zurückgewiesen wurde. Hiergegen hatte die Klägerin, vertreten durch ihren Bevollmächtigten, Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden erhoben (Aktenzeichen: S 12 AS 306/10). In der mündlichen Verhandlung vom 28.02.2013 hatten die Beteiligten den Rechtsstreit bezüglich des Bescheides vom 18.11.2009 in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

Da sich die Klägerin nicht, wie ihr durch den Bescheid vom 18.11.2009 aufgegeben worden war, bis zum 20.01.2010 bei der VHS angemeldet hatte, erließ der Beklagte am 28.01.2010 den streitgegenständlichen Sanktionsbescheid, mit welchem der der Klägerin zustehende Anteil des Arbeitslosengeldes II für die Zeit vom 01.02.2010 bis 30.04.2010 monatlich um 30 v. H. der maßgeblichen Regelleistung (= 96,90 Euro) abgesenkt wurde (Blatt 852 der Behördenakte). Gegen diesen Bescheid hatte die Klägerin Widerspruch erhoben, welcher mit Widerspruchsbescheid vom 19.05.2010 als unbegründet zurückgewiesen wurde. Am 11.06.2010 beantragte die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage gegen den Sanktionsbescheid. Mit Beschluss vom 24.09.2010 wurde der Klägerin unter Beiordnung ihres Bevollmächtigten für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe bewilligt.

Am 04.10.2010 hat die Klägerin sodann ihre Klage eingereicht und zugleich wegen Versäumung der Klagefrist Widereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Sie ist der Auffassung, dass der angefochtene Sanktionsbescheid rechtswidrig sei. Auch die zugrundeliegende Eingliederungsvereinbarung durch Verwaltungsakt sei nicht zu Recht erfolgt.

Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Arbeitsgemeinschaft BX-Stadt vom 28.01.2010 und den Widerspruchsbescheid der Arbeitsgemeinschaft BX-Stadt vom 19.05.2010 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Ausführungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte des beigezogenen Verfahrens zu Aktenzeichen S 12 AS 306/10 sowie auf die beigezogenen Behördenakten (3 Bände) Bezug genommen. Die bezeichneten Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig.

Zwar ist die Klageschrift erst nach Ablauf der Klagefrist (vgl. § 87 SGG) bei Gericht eingegangen. Der Klägerin war jedoch auf ihren Antrag hin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren (§ 67 SGG), da sie ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Klagefrist einzuhalten; die Entscheidung über ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war nämlich erst nach Ablauf der Rechtsmittelfrist ergangen, sodass dem Antrag stattzugeben war.

Die mithin zulässige Klage erweist sich jedoch als unbegründet.

Der angefochtene Bescheid vom 28.01.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.05.2010 ist rechtmäßig und stellt für die Klägerin keine Beschwer im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG dar.

Rechtsgrundlage für den Sanktionsbescheid ist § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a SGB II aF. Danach wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlages nach § 24 in einer ersten Stufe um 30 v. H. der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich trotz Belehrung über die Rechtsfolgen weigert, eine ihm angebotene Eingliederungsvereinbarung abzuschließen.

Zwar ist zwischen den Beteiligten eine Vereinbarung, in diesem Sinne nicht zustande gekommen. Wie sich aus den in der Behördenakte befindlichen Gesprächsvermerken ergibt, hatte sich die Klägerin auf Drängen ihres Ehemannes geweigert, eine entsprechende Eingliederungsvereinbarung zu unterzeichnen. Daraufhin hatte der Beklagte einen inhaltsgleichen Verwaltungsakt erlassen, was nach § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II grundsätzlich möglich ist.

Unter der Geltung der hier maßgeblichen alten Fassung des SGB II war streitig, ob eine analoge Anwendung des § 31 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. a SGB II auf den Fall, dass eine Eingliederungsvereinbarung durch einen Verwaltungsakt ersetzt wurde, zulässig war (siehe zum Meinungsstand Berlit in LPK-SGB II § 31 Rz. 18). Die Kammer schließt sich der Auffassung an, dass eine Sanktion auch nach der früheren Rechtslage aufgrund eines sogenannten Eingliederungsverwaltungsaktes ergehen durfte (vgl. Bay. LSG, Beschluss vom 28.01.2013, Aktenzeichen: L 7 AS 431/12 NZB unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 17.12.2009, Aktenzeichen: B 4 AS 20/09 R).

Ausschlaggebend für die Entscheidung war der Umstand, dass der Gesetzgeber nunmehr (seit 01.04.2011) den Wortlaut der Norm geändert hat und in § 31 Abs. 1 Nr. 1 die Formulierung: " oder in dem diese ersetzenden Verwaltungsakt " aufgenommen hat. Damit ist klargestellt worden, dass bei Verstößen auch schon nach alter Rechtslage beide Fallgruppen mit einer Sanktion belegt werden konnten. Die Vorraussetzungen für eine Absenkung des Arbeitslosengeldes II um 30 v. H. der für die Klägerin maßgeblichen Regelleistung liegen vor.

Die Klägerin ist vor Erlass des Sanktionsbescheides ordnungsgemäß über die Rechtsfolgen der Absenkung des Arbeitslosengeldes II belehrt worden. Die Belehrung ist schriftlich erfolgt und war mit dem die Eingliederungsvereinbarung ersetzenden Verwaltungsakt vom 18.11.2009 verbunden worden. Zwar ist die Klägerin der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig, sie hätte sich aber den Wortlaut der Rechtsfolgenbelehrung durch ihre älteren Kinder, die in Deutschland die Schule besuchen, übersetzen lassen können, um sich über die Konsequenzen ihrer Weigerungshaltung Klarheit zu verschaffen.

Nach Aktenlage fehlt es allerdings an der vor Erlass des Sanktionsbescheides erforderlichen Anhörung i. S. d. § 24 SGB X. Damit liegt in formeller Hinsicht ein Verfahrensfehler vor, der jedoch nach § 41 Nr. 3 SGB X geheilt worden ist. Der Klägerin war nämlich im Widerspruchsverfahren Gelegenheit gegeben worden, sich zur Sache zu äußern. Damit erweist sich die fehlende Anhörung in rechtlicher Hinsicht als unbeachtlich. Die materiellen Voraussetzungen für eine Sanktion liegen ebenfalls vor. Die Klägerin hatte sich vorsätzlich geweigert, den im Verwaltungsakt vom 18.11.2009 festgelegten Pflichten nachzukommen und sich spätestens bis zum 15.12.2009 bei der VHS B-Stadt zur Teilnahme an einem Integrationssprachkurs anzumelden. Die Verpflichtung zur Teilnahme an einem Deutsch-Sprachkurs war hinreichend konkret festgelegt worden. Unter Ziffer 2 des Verwaltungsaktes ist insoweit geregelt:

"Sie nehmen an folgender Maßnahme teil: Integrationssprachkurs zum Zweck Verbesserung der Deutschsprachkenntnisse bei der Volkshochschule (VHS) in B Stadt ab Januar 2010 Eine Anmeldebestätigung legen Sie bis spätestens 15.12.2009 vor "

Damit war für die Klägerin erkennbar, welche Eigenbemühungen erbracht werden mussten. Zwar ist der zeitliche Rahmen des Sprachkurses nicht genannt worden. Dies war jedoch auch nicht erforderlich, da es sich insoweit um eine allgemein zugängliche Information handelt und nähere Einzelheiten über den Kursverlauf bei der Kreis Volkshochschule hätten erfragt werden können. Sollten die Deutschkenntnisse der Klägerin nicht ausgereicht haben, so hätte sie ihr Ehemann, der ausweislich der Behördenakte deutscher Staatsbürger ist, bei den Formalitäten der Anmeldung unterstützen können.

Eine Sanktionierung entfällt auch nicht schließlich deshalb, weil die Klägerin einen wichtigen Grund für ihr Verhalten nachgewiesen hat (§ 31 Abs. 1 Satz 2 SGB II a. F.). Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der die Eingliederungsvereinbarung ersetzende Verwaltungsakt einen rechtswidrigen Inhalt hätte, was als wichtiger Grund für die Nichtbefolgung anzusehen wäre.

Das SGB II beruht auf dem Prinzip des "Förderns und Forderns". Der Grundsatz des Förderns besagt dabei, dass der erwerbsfähige Leistungsberechtigte und die mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen alle Möglichkeiten zur Beendigung oder Verringerung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen müssen. Eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person muss aktiv an allen Maßnahmen zu ihrer Eingliederung in Arbeit mitwirken, insbesondere eine Eingliederungsvereinbarung abschließen (§ 2 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB II). Unabdingbare Voraussetzung für eine dauerhafte Eingliederung in Arbeit ist die Beherrschung der deutschen Sprache in Wort und Schrift. Diese Voraussetzung liegt bei der Klägerin jedoch unstreitig nicht vor. Der Bevollmächtigte der Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt (vgl. Protokoll vom 28.02.2013, Aktenzeichen S 12 AS 306/10), dass die Klägerin nach wie vor nicht über ausreichende Deutsch-Sprachkenntnisse verfügt. Damit ist die vorgesehene Eingliederungsmaßnahme (Besuch eines Integrationssprachkurses) als rechtmäßig im Sinne der Umsetzung der Ziele des SGB II anzusehen.

Auch ansonsten ist nicht erkennbar, dass die Teilnahme an dem Sprachkurs für die Klägerin unzumutbar gewesen wäre.

Aus der Programm-Übersicht der VHS B-Stadt für das Semester 1/2010 (eine Kopie wurde in dem Verfahren S 12 AS 306/10 überreicht) ergibt sich, dass sämtliche Deutsch-Kurse vormittags in der Zeit zwischen 08:00 Uhr und 12:00 Uhr stattgefunden hätten. Damit steht fest, dass es nicht zu einer Kollision mit der damaligen Teilzeittätigkeit der Klägerin gekommen wäre, der sie werktäglich zwischen 19:30 Uhr und 21:30 Uhr nachgegangen war. Die Klägerin kann auch nicht mit dem Argument gehört werden, dass sie bei einer Teilnahme an dem Integrationssprachkurs nicht mehr genügend Zeit für ihre Familie gehabt hätte. Hier ist zu berücksichtigen, dass die Kinder der Klägerin damals (im Jahre 2010) 18, 16, 11 und 6 Jahre alt gewesen sind. Einer zeitweisen Betreuung hätte nur die drei minderjährigen Kinder bedurft. Diese Betreuung hätte jedoch für die Zeit der Abwesenheit der Klägerin ohne weiteres vom Ehemann der Klägerin, Herrn F.A., wahrgenommen werden können.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass Herr A. aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage gewesen wäre, seiner Betreuungspflicht nachzukommen. Zwar hat er ein ärztliches Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin QQ. mit Datum vom 01.06.2010 vorgelegt (Blatt 33 der Gerichtsakte). Aus dem Attest folgt, dass Herr A. aufgrund seelischer Probleme nicht in der Lage sei, ganztägig auf seine Kinder aufzupassen.

Nach Überzeugung der Kammer handelt es sich bei diesem Attest jedoch um ein reines Gefälligkeitsattest, dem keine Bedeutung beizumessen ist. Im Übrigen geht es auch nicht darum, dass Herr A. ganztägig auf seine Kinder aufpassen muss bzw. musste; vielmehr ging es nur darum, eine stundenweise Betreuung für die Zeit der Abwesenheit der Mutter zu übernehmen. Dass insoweit Hinderungsgründe aus medizinischer Sicht vorlagen, ist jedoch nicht dargelegt worden.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Berufung war nicht zuzulassen, da der Wert des Beschwerdegegenstandes unter 750,00 Euro liegt. Ein Zulassungsgrund nach § 144 Abs. 2 SGG liegt nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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