Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 11 SO 31/06
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 SO 73/10
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8. April 2010 und die Bescheide des Beklagten vom 8. April 2008 und vom 17. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. März 2009 werden aufgehoben und der Beklagte verurteilt, dem Kläger den anerkannten Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum ab 1. September 2006 bis 30. April 2008 zu zahlen.
II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind in zwei miteinander verbundenen Klageverfahren die Erstattung von Leistungen für die Unterkunft aus Mitteln der Sozialhilfe in Höhe von zuletzt noch 4.713,88 EUR für den Zeitraum Februar 2006 bis August 2007 und für Mietnebenkostennachzahlungen für die Jahre 2004, 2005 und 2006 einerseits sowie die Auszahlung eines vom Beklagten anerkannten Mehrbedarfs des Klägers nach § 30 Abs. 1 SGB XII für den Zeitraum 1. September 2006 bis 30. April 2008 andererseits.
Der 1921 geborene Kläger bezieht eine Altersrente und eine Witwerrente und steht daneben seit vielen Jahren im ergänzenden Sozialhilfebezug. Im Zeitraum 1. Februar 2006 bis 31. August 2008 betrug die Höhe der Altersrente zwischen 396,36 EUR und 402,89 EUR und die Höhe der Witwerrente zwischen 130,26 EUR und 132,65 EUR.
Aufgrund eines Bescheids vom 17. August 2004 wurden dem Kläger rückwirkend ab 1. Januar 2003 Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG), und daneben Sozialhilfe und Wohngeld gewährt. Bis 31. Dezember 2004 wurde dem Kläger auch ein Mehrbedarf wegen Alters nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gewährt. Mit Bescheid vom 27. Dezember 2004 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass der Beklagte die Hilfe zum Lebensunterhalt mit Ablauf des Monats Dezember 2004 einstelle, da das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zum 31. Dezember 2004 außer Kraft trete. Der Widerspruch des Klägers vom 29. Dezember 2004 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2006 zurückgewiesen. Der Widerspruchsbescheid führt aus, vor dem 1. August 1996 habe in § 23 BSHG die gesetzliche Regelung bestanden, dass Personen über 65 Jahren ein Mehrbedarf wegen Alters zu gewähren war. Die Rechtsgrundlage für die Bewilligung eines solchen Mehrbedarfs sei mit der Änderung des BSHG zum 1. August 1996 insoweit eingeschränkt worden, dass dieser nur noch zu gewähren war, wenn der jeweilige Hilfeempfänger sowohl das 65. Lebensjahr vollendet hatte als auch einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) mit dem Merkzeichen G besaß. Da der Kläger nicht im Besitz eines solchen Ausweises sei, habe er keinen Anspruch mehr auf diesen Mehrbedarf gehabt. Jedoch sei in § 23 Abs. 1 S. 2 BSHG festgehalten gewesen, dass die Personen, für welche bereits vor diesem Zeitpunkt ein Mehrbedarf nach dieser Vorschrift anerkannt war, diesen auch weiterhin erhalten sollen (Besitzstandsleistung). In dem zum 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) sei ein solcher Mehrbedarf nicht vorgesehen. Da der grundsätzliche Anspruch auf den Mehrbedarf nach dem BSHG durch die Gewährung von Grundsicherungsleistungen nicht weggefallen sei, sei weiterhin die Gewährung des Mehrbedarfs wegen Alters als Besitzstandsleistung gemäß BSHG in Höhe von monatlich 14,85 EUR erfolgt. Gemäß Art. 68 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 seien das BSHG sowie das GSiG zum 1. Januar 2005 aufgehoben worden. An deren Stelle sei nunmehr das Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) getreten, nach welchem dem Kläger für die Zeit ab 1. Januar 2005 Leistungen gewährt worden seien. Gemäß § 30 SGB XII stehe - ebenso wie nach dem BSHG - Personen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX mit dem Merkzeichen G besitzen, ein entsprechender Mehrbedarf zu. Nicht übernommen worden in das SGB XII sei jedoch die Besitzstandsregelung. Da der Kläger auch zum 1. Januar 2005 nicht über einen Ausweis nach § 69 a Abs. 5 SGB IX mit dem Merkzeichen verfügte und auch bis heute nicht darüber verfüge, sei keine Rechtsgrundlage für die Bewilligung eines solchen Bedarfs nach dem SGB XII für ihn vorhanden. Auch bestehe für die Gewährung der Leistungen nach dem BSHG für die Zeit ab 1. Januar 2005 aufgrund des zum 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen Gesetzes keine Grundlage mehr.
Hiergegen hat der Kläger beim Sozialgericht Kassel am 28. Februar 2006 (Az. zunächst S 23 SO 31/06, zuletzt S 11 SO 31/06) Klage erhoben.
Im Klageverfahren hat der Kläger am 24. November 2006 zunächst einen Bescheid des Versorgungsamtes vom 16. November 2007 vorgelegt, der einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 ausweist, aber keine Merkzeichen. Auch der am 15. Februar 2007 vorgelegte Abhilfebescheid des Versorgungsamts erkennt zwar einen GdB von 80 und das Merkzeichen RF an, nicht aber das Merkzeichen G. Am 20. Februar 2009 hat der Kläger schließlich einen am 14. März 2008 ausgestellten Schwerbehindertenausweis vorgelegt, der neben einem GdB von 100 die Merkzeichen B, G, H und RF anerkennt mit einem Gültigkeitsdatum ab 22. September 2006.
Hierauf hat sich der Beklagte mit Schriftsatz vom 19. März 2009 grundsätzlich bereit erklärt, einen Mehrbedarf ab September 2006 anzuerkennen. Die Leistungen für den Zeitraum 1. September 2006 bis 30. April 2008 seien neu zu berechnen. Seit Mai 2008 werde der Mehrbedarf ohnehin bereits bei der Berechnung der Grundsicherung berücksichtigt. Die beigefügte Neuberechnung ergebe, dass es für den Zeitraum September 2006 bis August 2007, weil der Kläger im Zeitraum Februar 2006 bis August 2007 keine Miete gezahlt habe, aber 230,35 EUR Kosten der Unterkunft bei der Leistungsberechnung berücksichtigt worden seien - auch bei Berücksichtigung eines Mehrbedarfs in Höhe von 58,65 EUR und ab Juli 2007 in Höhe von 58,99 EUR - zu einer monatlichen Überzahlung in Höhe von 171,70 EUR und ab Juli 2007 in Höhe von 171,36 EUR gekommen sei. Daher ergäbe sich für diesen Zeitraum auch keine Nachzahlung. Außerdem habe der Kläger die ihm gewährten Heizkostennachzahlungen für die Jahre 2004, 2005 und 2006 nicht an die Vermieter weitergeleitet. Deswegen würden 5.418,36 EUR vom Kläger zurückgefordert. Durch die Neuberechnung der Leistungen für den genannten Zeitraum würde sich die Forderung gegenüber dem Kläger um 704,48 EUR auf 4.713,88 EUR reduzieren. Lediglich für den Zeitraum September 2007 bis April 2008 ergebe sich wegen des Mehrbedarfs eine Nachzahlung von 471,92 EUR (8 Monate x 58,99 EUR). Weiter heißt es: "Wegen der bestehenden erheblichen Forderungen gegenüber Herrn A. sind wir jedoch grundsätzlich nicht bereit, die vorstehende Nachzahlung an ihn zu leisten".
Dem von dem Beklagten geltend gemachten Rückforderungsanspruch in Höhe von zunächst 5.418,36 EUR liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Bei der Berechnung der Grundsicherungsleistungen berücksichtigte der Beklagte im Zeitraum vom 1. Februar 2006 bis zum 31. August 2007 monatliche Kosten der Unterkunft in Höhe von 230,35 EUR (200,00 EUR Miete, 30,35 EUR Heizung) für die vom Kläger bewohnte Wohnung in C-Stadt, C-Straße. Ferner wurden Mietnebenkostennachzahlungen auf Antrag des Klägers für das Jahr 2004 durch Bescheide vom 20. Juli 2005 und 31. August 2005 in Höhe von 524,72 EUR, für das Jahr 2005 durch Bescheid vom 1. November 2006 in Höhe von 539,99 EUR und für das Jahr 2006 durch Bescheid vom 31. Juli 2007 in Höhe von 767,95 EUR, insgesamt in Höhe von 1.832,66 EUR übernommen. Der Kläger zog am 24. September 2007 von C-Stadt nach A Stadt. Leistungen für die Unterkunft am alten Wohnsitz wurden noch bis zum 31. Oktober 2007 erbracht.
Durch ein Schreiben der ehemaligen Vermieter der Wohnung in C-Stadt wurde der Beklagte am 19. November 2007 darüber informiert, dass der Kläger die Miete für den Zeitraum Februar 2006 bis Oktober 2007 und die Nebenkostennnachzahlungen für die Jahre 2004 bis 2006 bislang nicht bezahlt habe. Ein beigefügtes Urteil des Amtsgerichts Korbach vom 14. Juni 2007 - Az. 3 C 62/06 (71) - stellt fest, dass der Kläger im Zeitraum Februar 2006 bis Mai 2007 keinerlei Miete zahlte. Ein Mietminderungsanspruch habe nicht bestanden. Weiter schulde der Kläger 631,94 EUR aus der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2004 und 654,82 EUR aus der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2005. Dieses Urteil ist rechtskräftig. In einem weiteren Urteil vom 13. März 2008 - Az. 3 C 379/07 (71) -, Eingang bei dem Beklagten am 30. April 2008, stellt das Amtsgericht Korbach fest, dass der Kläger auch die Miete im Zeitraum Juni bis Oktober 2007 und die Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2006 in Höhe von 761,81 EUR nicht bezahlt hat. Auch dieses Urteil ist rechtskräftig.
Nach Anhörung mit Schreiben vom 25. Februar 2008 hob der Beklagte mit Bescheid vom 8. April 2008 die Leistungsbewilligungen vom 20. Juni 2005 - gemeint ist offenbar der Bescheid vom 20. Juli 2005 - und 31. August 2005 (Heizkostennachzahlung für 2004), vom 1. Februar 2006 (Leistungen für Februar bis Dezember 2006), vom 1. November 2006 (Nebenkostennachzahlung 2005) und vom 19. Januar 2007 (Leistungen für Januar 2007 bis Mai 2007) nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) in dem Umfang auf, in welchem dem Kläger Leistungen nach dem SGB XII gewährt worden waren, und forderte 4.076,87 EUR gemäß § 50 SGB X zurück.
Nach weiterer Anhörung vom 4. Juni 2008 hob der Beklagte mit Bescheid vom 17. Juni 2008 die Bescheide vom 19. Januar 2007 (Leistungen für Juni 2007), vom 20. Juni 2007 (Leistungen für Juli 2007), vom 16. Juli 2007 (Leistungen für August 2007) und vom 31. Juli 2007 (Nebenkostenabrechnung 2006) ebenfalls gemäß § 48 SGB X in dem Umfang auf, in dem dem Kläger Leistungen nach dem SGB XII gewährt worden waren, und forderte Leistungen in Höhe von 1.341,49 EUR gemäß § 50 SGB X zurück.
In beiden Aufhebungs- und Rückforderungsbescheiden machte der Beklagte geltend, es sei zu Überzahlungen gekommen, weil der Beklagte nicht darüber informiert worden sei, dass vom Kläger keine Mietzahlungen geleistet, sondern die Leistungen für die Unterkunft für andere Zwecke (Fahrten zum Arzt, Pflegepersonen, Umzug etc.) verbraucht worden seien. Auch seien die Nebenkostennachzahlungen nicht auf einem gesonderten Konto hinterlegt worden. Sodann erklärte der Beklagte ohne Nennung einer Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Leistungsbewilligungen das Vertrauen des Klägers in den Bestand der Bewilligungsbescheide für nicht schutzwürdig, weil er seiner Mitwirkungspflicht nach § 60 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGB I) nicht nachgekommen sei. Ermessenserwägungen zur Aufhebung der Bewilligungsbescheide für die Vergangenheit lauten wortgleich in den beiden Aufhebungsbescheiden: "Außerdem steht die Entscheidung über die Rücknahme des Bewilligungsbescheides im pflichtgemäßen Ermessen des Leistungsträgers. Unter Berücksichtigung der Zielvorstellung des SGB erscheint es zur Wiederherstellung des gesetzlichen Zustands und der sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel zweckmäßig, die Bewilligungsbescheide zurückzunehmen. Es kann nicht angehen, dass sich ein Leistungsempfänger, der seiner Mitteilungspflicht nicht nachkommt, besser steht als derjenige, der dieser nachkommt." Die Erstattungsforderung wird jeweils auf § 50 SGB X gestützt.
Mit Schreiben vom 5. Mai 2008 und 2. Juli 2008 legte der Kläger Widerspruch ein und machte im Folgenden geltend, er habe ab Februar 2006 die Mietzahlungen eingestellt, wozu er auch berechtigt gewesen sei, weil der Vermieter die geltend gemachten Mängel nicht beseitigt habe. Das Urteil des Amtsgerichts im Verfahren 3 C 62/06 (71) verfälsche die Tatschen und sei wertlos. Die vom Vermieter geltend gemachten Nebenkosten seien seit 2001 (außer Rasenmähen) nicht erbracht, aber fortlaufend in Rechnung gestellt worden. Der Kläger sei berechtigt gewesen, keine Miete und Nebenkosten zu zahlen. Die Leistungen des Beklagten seien für Fahrten zum Arzt und Einkaufsfahrten, für Pflegepersonen, Medikamente, für den Umzug und zur Anschaffung fehlender Einrichtungsgegenstände usw. verwendet worden.
Der Beklagte wies den Widerspruch gegen beide Aufhebungs- und Erstattungsbescheide mit Widerspruchsbescheid vom 19. März 2009 zurück und stützte die Aufhebungsentscheidung hinsichtlich überzahlter Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum von Februar 2006 bis August 2007 in Höhe von insgesamt 3.585,70 EUR auf § 48 Abs. 1 SGB X, den Widerruf der Bescheide über die Gewährung von Heiz-/Nebenkostennachzahlungen für die Jahre 2004 bis 2006 in Höhe von insgesamt 1.832,66 EUR auf § 47 Abs. 2 SGB X. Auf Vertrauen könne sich der Kläger nicht berufen, da er seinen Mitteilungspflichten nicht nachgekommen sei bzw. die Leistungen nicht zweckentsprechend verwendet habe. Auch habe er die Nebenkostennachzahlung nicht etwa auf einem Sonderkonto hinterlegt, so dass nach Klärung des Sachverhalts eine Miet- und Nebenkostennachzahlung an die Vermieter hätte erfolgen können.
Hiergegen hat der Kläger am 21. April 2009 Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben (Az. S 11 SO 48/09).
Am 26. November 2009 ist vor dem Sozialgericht Kassel ein Vergleich geschlossen worden, den der Kläger fristgerecht widerrufen hat. In der mündlichen Verhandlung am 8. April 2010 hat das Gericht durch Beschluss die beiden Verfahren S 11 SO 31/06 und S 11 SO 48/09 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem führenden Aktenzeichen S 11 SO 48/09 verbunden und die Klagen mit Urteil vom 8. April 2010 abgewiesen. Das Sozialgericht hat zur Begründung ausgeführt, die Leistungsbewilligung im Zeitraum Februar 2006 bis August 2007 sei rechtswidrig gewesen, da der Kläger in diesem Zeitraum tatsächlich keine Miete gezahlt habe. Auch die Heizkostennachzahlungen für 2004, 2005 und 2006 habe er nicht entrichtet. Ohne die Kosten der Unterkunft habe keine Bedürftigkeit des Klägers bestanden. Die Aufhebungsvoraussetzungen des § 48 SGB X und die Widerrufsvoraussetzungen des § 47 Abs. 2 SGB X lägen vor. Der Beklagte habe sein Ermessen richtig ausgeübt.
Eine nachträgliche Auszahlung des Mehrbedarfs nach § 30 SGB XII im Zeitraum September 2006 bis April 2008 komme nicht in Betracht. Seit Mai 2008 gewähre der Beklagte ohnehin schon den Mehrbedarf. Für den Zeitraum September 2006 bis August 2007 fehle es schon an der Hilfebedürftigkeit des Klägers nach den §§ 41 ff. SGB XII, so dass schon deswegen ein Mehrbedarf nicht zur Auszahlung kommen könne. Für den Zeitraum September 2007 bis April 2008 bestehe zwar ein Anspruch auf den Mehrbedarf. Eine nachträgliche Auszahlung an den Kläger komme aber deshalb nicht in Betracht, weil der Beklagte bereits mit Bescheid vom 8. April 2008 die zu Unrecht geleistete Grundsicherung in Höhe von 4.076,87 EUR erstattet verlangt habe. Der Beklagte werde lediglich zu beachten haben, dass sich der zutreffend errechnete Gesamtrückforderungsbetrag von 5.418,36 EUR um den Mehrbedarf für die Zeit von September 2007 bis April 2008 im Umfang von 471,92 EUR verringere. Die Zustellung erfolgte am 16. April 2010.
Mit der am 10. Mai 2010 beim Hessischen Landessozialgericht eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Der Kläger trägt vor, § 30 SGB XII werde falsch ausgelegt; es reiche, dass man das 65. Lebensjahr vollendet habe. Die Wohnung in C-Stadt sei in vielfacher Hinsicht mangelhaft gewesen, weshalb er berechtigt gewesen sei, die Miete zurückzuhalten.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20. März 2013 sind die ordnungsgemäß geladenen Beteiligten nicht erschienen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8. April 2010 sowie die Bescheide vom 8. April 2008 und 17. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. März 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab September 2006 den anerkannten Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII in gesetzlichem Umfang auszuzahlen.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Er hat auf Nachfrage des Gerichts mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2010 vorgetragen, die Nachzahlung wegen des Mehrbedarfs in Höhe von 471,92 EUR für den Zeitraum September 2007 bis April 2008 sei nicht erbracht worden. Aus dem Urteil des Sozialgerichts ergebe sich, dass eine nachträgliche Auszahlung des Mehrbedarfs aufgrund der Rückforderung der zu Unrecht erbrachten Grundsicherungsleistungen nicht in Betracht komme. Eine Aufrechnung des Mehrbedarfs gemäß § 26 Abs. 2 SGB XII sei möglich. Ein Bescheid sei in der Angelegenheit nicht erteilt worden.
Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist in vollem Umfang begründet.
Der Beklagte hat keinen Rückforderungsanspruch gegen den Kläger.
Die von dem Beklagten für die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide herangezogenen §§ 47, 48, 50 SGB X sind nach § 103 Abs. 4 S. 1 SGB XII grundsätzlich anwendbar. In der Sache, ohne genau zu zitieren, beruft sich der Beklagte in den Rückforderungsbescheiden vom 8. April 2008 und vom 17. Juni 2008 hinsichtlich der ausbezahlten Leistungen für die Unterkunft auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X.
Nach Auffassung des Beklagten ist der Kläger seiner Mitteilungspflicht hinsichtlich der für die Leistung erheblichen Tatsache, dass er die Mietzahlungen ab Februar 2006 eingestellt hatte, zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Bei der laufenden Mietzinszahlung und der Begleichung von Nebenkostenabrechnungen des Vermieters handelt es sich schon deshalb um eine für die Leistung erhebliche Tatsache nach § 60 Abs.1 Nr. 1 SGB I, weil der Leistungsträger nach § 29 Abs. 1 S. 6 SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (a.F.) – jetzt § 35 Abs. 1 S. 3 SGB XII - Leistungen für die Unterkunft an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zahlen soll, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die Leistungsberechtigten nicht sichergestellt ist. Ungeachtet der Frage, ob der Kläger seiner Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig, wenn nicht gar vorsätzlich nicht nachgekommen ist, sieht der Senat jedoch vorliegend keine wesentliche für den Kläger nachteilige Änderung in den rechtlichen Verhältnissen gegenüber den Bewilligungsbescheiden des Beklagten i.S. des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X gegeben.
Nach § 29 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. werden Leistungen für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht. Tatsächliche Aufwendungen in diesem Sinne liegen somit vor, wenn der Leistungsberechtigte nach § 27 SGB XII den von ihm geschuldeten vertraglichen Mietzins und die von ihm geschuldeten vertraglichen Nebenkosten in vollem geschuldeten Umfang an den Vermieter leistet.
Aber auch wenn der Leistungsberechtigte seinen mietvertraglichen Zahlungsverpflichtungen vertragswidrig nicht in vollem Umfang nachkommt, sondern Zahlungen vertragswidrig zurückhält, bleiben nach Auffassung des Senats die tatsächlichen Aufwendungen i.S. des § 29 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. unverändert hoch, weil der Leistungsberechtigte einem berechtigten Zahlungsanspruch seines Vermieters ausgesetzt ist.
Der Senat stützt sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum SGB II. Er sieht für die Frage, was unter "tatsächlichen Aufwendungen" zu verstehen ist, keine relevanten Unterschiede zwischen den Ansprüchen nach § 22 SGB II und denen nach § 29 SGB XII a.F. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 3. März 2009 (B 4 AS 37/08 R, juris Rn. 24) zu § 22 SGB II entschieden, dass "tatsächliche Aufwendungen" i.S. des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für eine Wohnung nicht nur dann vorliegen, wenn der Hilfebedürftige die Miete bereits gezahlt hat und nunmehr deren Erstattung verlangt. Vielmehr reiche es aus, dass der Hilfebedürftige im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt sei. Denn bei Nichtzahlung der Miete drohe regelmäßig Kündigung und Räumung der Unterkunft. Zweck der Regelung über die Erstattung der Kosten für die Unterkunft sei es aber gerade, existentielle Notlagen zu beseitigen und den Eintritt von Wohnungslosigkeit zu verhindern. Ein Hilfebedürftiger nach dem SGB II werde in der Regel nicht in der Lage sein, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung selbst zu tragen. Er werde - solange er im Leistungsbezug steht - zumeist auf die Übernahme der Unterkunftskosten durch den Grundsicherungsträger angewiesen sein. Ausgangspunkt für die Frage, ob eine wirksame Mietzinsverpflichtung des Hilfebedürftigen vorliege, sei in erster Linie der Mietvertrag mit dem der geschuldete Mietzins vertraglich vereinbart worden sei.
Nichts anderes gilt für die Anwendung des § 29 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. Eine zu Lasten des Klägers gehende Änderung der rechtlichen Verhältnisse, die zu einer Rückforderung des Beklagten berechtigen könnte, könnte danach etwa vorliegen, wenn der Kläger, wegen Mietmängeln berechtigterweise die Miete mindern durfte und damit eine geringere Miete als im Mietvertrag vorgesehen und als in den Bewilligungsbescheiden des Beklagten zugrunde gelegt, schuldete. Der Beklagte selbst aber trägt zutreffend unter Berufung auf die rechtskräftigen Urteile des Amtsgerichts Korbach vor, dass ein nicht geminderter Mietzahlungsanspruch der Vermieter für Februar 2006 bis Mai 2007 sowie ein Anspruch auf Zahlung der Nebenkosten für 2004 und 2005 (Urteil vom 14. Juni 2007) sowie ein nicht geminderter Mietzahlungsanspruch der Vermieter für Juni bis Oktober 2007 und ein Anspruch auf Zahlung der Nebenkosten für 2006 besteht (Urteil vom 13. März 2008).
In seinem Urteil vom 24. November 2011 (B 14 AS 15/11 R, juris Rn. 14 f.) hat das Bundessozialgericht festgestellt, das es der tatsächlichen Zahlung gleichzusetzen sei, dass der Hilfebedürftige einer entsprechenden Forderung "ernsthaft" ausgesetzt sei. Eine weitere Voraussetzung "sozialer Wirksamkeit" bestehe nicht. Eine Ausnahme von der Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen habe der 4. Senat des Bundessozialgerichts lediglich dann als erwägenswert angesehen, wenn die Unwirksamkeit der getroffenen Vereinbarung bekannt sei oder bekannt sein müsste, weil Aufwendungen für die Unterkunft, die auf einer zivilrechtlich unwirksamen Grundlage beruhen, nicht dauerhaft aus öffentlichen Mitteln bestritten werden können und dürfen (BSG, Urteil vom 22. September 2009, B 4 AS 8/09 R, juris Rn. 16, 21).
Auch wenn man hieraus eine Verpflichtung des Leistungsberechtigten herleiten wollte, im Falle einer zivilrechtlich unwirksamen Vereinbarung Zahlungen zu verweigern und im Falle einer mangelhaften Wohnung die Miete zu mindern und damit den Leistungsträger von Kosten zu entlasten, würde das für den vorliegenden Fall zu keiner anderen Beurteilung führen. Denn hier hat der Kläger zwar Zahlungen gegenüber seinen Vermietern zurückgehalten. Dazu war er aber nicht berechtigt und die Vermieter haben zivilrechtlich ihre Ansprüche durchgesetzt. Weil der Kläger seinen Vermietern die volle Mietzinszahlung im streitgegenständlichen Zeitraum und die volle Nebenkostennachzahlung für die Jahre 2004 bis 2006 schuldete, bestand auch ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Leistungen für die Unterkunft im vollen bewilligten Umfang. Die bloße Rechtspflicht zur Zahlung reicht (vgl. Berlit in LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, § 35 Rn. 16). Die – hier nicht erfolgte – zweckkonforme Verwendung der unterkunftsbezogenen Leistungen ist nicht Anspruchsvoraussetzung nach § 29 SGB XII a.F.
Auch die Regelung des § 22 Abs. 8 SGB II zur Übernahme von Mietschulden, die tatbestandlich voraussetzt, dass bereits Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, zeigt, dass im SGB II auch dann, wenn Leistungsempfänger geschuldete Miete tatsächlich nicht an den Vermieter abführen, die vertragliche Verpflichtung Mietschuld Kosten der Unterkunft i.S. des § 22 SGB II bleiben. In seinem Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 58/09 R, juris Rn. 18 hat das Bundessozialgericht zu § 22 Abs. 5 SGB II a.F. festgestellt, soweit der Kläger in der Zeit ab einem bestimmten Zeitpunkt mit den Mietzahlungen in Rückstand geraten sei, handele es sich bei den aufgelaufenen Beträgen schon deswegen um Schulden i.S. des § 22 Abs. 5 SGB II a.F., weil der Leistungsträger den Anspruch auf Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in vollem Umfang ("in Höhe der tatsächlichen Miete") erfüllt habe. Im Hinblick auf die Kosten für Unterkunft und Heizung lasse aber die zweckwidrige Verwendung der vom Träger der Grundsicherung bewilligten Mittel durch den Hilfeempfänger einen erneuten Anspruch nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht entstehen. Seien insoweit Schulden entstanden, könne nur unter den eingeschränkten Voraussetzungen des Abs. 5 (a.F.) ein Anspruch auf Übernahme der Schulden bestehen.
Gleiches gilt nach Auffassung des Senats auch im Bereich der § 22 Abs. 8 SGB II entsprechenden Bestimmung des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. (jetzt: § 36 Abs. 1 S. 1 SGB XII). Die für die Begleichung vertraglich geschuldeter Zahlungen für die Unterkunft und Heizung vom Leistungsträger ausbezahlte Beträge bleiben Leistungen für die Unterkunft, auf die nach § 29 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. ein Anspruch besteht, auch wenn der Empfänger sie zweckwidrig verwendet.
Auch eine wesentliche für den Kläger nachteilige Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen i.S. des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X liegt nach Auffassung des Senats nicht vor. Zwar ist der Kläger seinen Verpflichtungen aus dem Mietvertrag tatsächlich nicht nachgekommen, weil er – wie er vorträgt - glaubte mindern oder die Zahlung zurückhalten zu dürfen. Er habe die Leistungen des Beklagten für die Unterkunft anderweit verbraucht.
Damit ist zwar in den tatsächlichen Umständen eine Veränderung eingetreten, denn der Beklagte ging, bis er von den Vermietern des Klägers angeschrieben wurde, davon aus, dass die Leistungen für die Unterkunft auch zur Deckung der Unterkunftskosten verwendet würden. Diese tatsächliche Veränderung wirkt sich aber auf den Anspruch des Klägers nach § 29 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. nicht aus, weil es sich nicht um eine wesentliche für den Kläger nachteilige Änderung handelt.
Allerdings ist in der Rechtsprechung zum SGB XII die Auffassung vertreten worden, dass dann, wenn ein Mieter die Miete auf Null mindere und keine Nebenkostennachzahlungen erbringe, er auch keinen entsprechenden Bedarf habe, den der Sozialhilfeträger nach § 29 SGB XII a.F. decken müsste. Deshalb dürfte ein Bewilligungsbescheid insoweit nicht ergehen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Oktober 2011 – L 12 AS 2016/11, juris Rn. 20) und sei die Veränderung dem Sozialhilfeträger mitzuteilen (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB I). Auch das SG Lüneburg hat in einem Urteil vom 17. September 2009 (S 22 SO 50/09, juris) die Auffassung vertreten, dass sich die tatsächlichen Aufwendungen i.S. des § 29 SGB XII a.F. minderten, wenn ein Mieter eine Erklärung nach § 536 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gegenüber dem Vermieter abgebe.
Liegt ein nach § 536 BGB erheblicher Mangel der Mietsache vor, so ist dem zuzustimmen. Denn in diesem Fall ist der Mieter nach § 536 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB von der Entrichtung der Miete befreit oder hat nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten. Vorliegend steht aber nach den Urteilen des Amtsgerichts Korbach fest, dass der Kläger nicht zur Mietminderung und auch nicht zur Zurückbehaltung der Nebenkostennachzahlungen berechtigt war. Wie der Leistungsträger mit der Unsicherheit, ob eine Mietminderung berechtigt ist und ob eine Zurückbehaltung von Zahlungen wegen Nebenkosten berechtigt ist, umzugehen hat, ist hier nicht zu entscheiden. Denn vorliegend steht rechtskräftig fest, dass der Kläger die vom Vermieter geltend gemachten Mietzinsleistungen und Zahlungen auf Nebenkosten in vollem Umfang schuldet.
Liegt aber ein nach § 536 BGB erheblicher Mangel der Mietsache nicht vor und ist die Nebenkostenabrechnung des Vermieters richtig und seine Nachforderung berechtigt, gilt etwas anderes. In diesem Fall einer unberechtigten Mietminderung und Zurückbehaltung geschuldeter Zahlungen für Nebenkosten, hätte ein Bewilligungsbescheid über den vollen Mietzins und den vollen Betrag der Nebenkostennachforderung zu ergehen. Im Falle eines schon ergangenen Bewilligungsbescheides liegt bei einer unberechtigten Mietminderung und Zurückbehaltung geschuldeter Zahlungen eine wesentliche die Aufhebungsentscheidung tragende Änderung i.S. des § 48 Abs. 1 S. S. Nr. 2 SGB X nicht vor.
Denn aus der oben zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum SGB II, deren Erwägungen der Senat auch im SGB XII für tragfähig hält, ergibt sich, dass es für den Begriff der "tatsächlichen Aufwendungen" allein auf die Rechtsverpflichtung zur Zahlung und nicht auf die tatsächliche Zahlung ankommen soll. Führt ein Leistungsberechtigter die für die Kosten der Unterkunft erbrachten Zahlungen nicht an den Vermieter ab, gibt das SGB II unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 7 SGB II dem Leistungsträger die Möglichkeit, die Zahlung direkt an den Vermieter zu leisten. Auch nach § 29 Abs. 1 S. 6 SGB XII a.F. sollen Leistungen für die Unterkunft an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die Leistungsberechtigten nicht sichergestellt ist. Das bedeutet, dass der Leistungsträger bei Gefahr einer zweckwidrigen Verwendung der Leistungen für die Unterkunft zwar einen anderen Erfüllungsweg wählen darf, nicht aber, dass er berechtigt ist, die Leistung zu kürzen oder zu versagen. Damit liegt auch eine wesentliche die Aufhebungsentscheidung tragende Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen i.S. des § 48 Abs. 1 S. S. Nr. 2 SGB X nicht vor, wenn der Leistungsberechtigte die Leistungen für die Unterkunft nicht an den Vermieter weiterleitet, dem er die Zahlung schuldet.
Die Auffassung des Senats findet eine Bestätigung darin, dass weder das SGB II noch das SGB XII eine § 28 Abs. 2 Wohngeldgesetz (WoGG) entsprechende Vorschrift kennen. § 28 Abs. 2 WoGG bestimmt, dass der Wohngeldanspruch für den Monat wegfällt, in dem das Wohngeld vollständig oder überwiegend nicht zur Bezahlung der Miete oder zur Aufbringung der Belastung verwendet wird (zweckwidrige Verwendung). Die zweckwidrige Verwendung gilt als wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X. Ohne eine entsprechende Regelung im SGB XII liegt somit vorliegend keine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X vor.
Hinsichtlich der Nebenkostennachzahlungen hat der Beklagte im Widerspruchsbescheid auf § 47 SGB X abgestellt. § 47 Abs. 2 SGB X erscheint indessen schon deshalb als nicht einschlägig, weil diese Bestimmung nicht Verwaltungsakte erfasst, die im Rahmen der allgemeinen Zwecksetzung von Sozialleistungen ergehen (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 47 Rn. 14). Die Übernahme von Nebenkosten gehört zu den Leistungen für Unterkunft nach § 29 SGB XII a.F. (Wenzel in Fichtner/Wenzel, SGB XII/, 4. Aufl. 2009, § 29 Rn. 18). Die Bescheide des Beklagten zur Übernahme der Nebenkostennachforderungen beruhen auf der Anspruchsnorm des § 29 SGB XII a.F. Es handelt sich nicht um eine subventionsähnliche Leistung, auf die § 47 Abs. 2 SGB X zielt (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 47 Rn. 14). Schließlich ist der Senat der Auffassung, dass die hier vertretene Lösung auch im Ergebnis bei einer bereicherungsrechtlichen Betrachtung interessengerecht ist. Der Beklagte hat Leistungen für die Unterkunft in Höhe bestehender Ansprüche der Vermieter gegen den Kläger erbracht. Der Kläger schuldet seinen Vermietern weiterhin Zahlung von Mietzins und Nebenkosten. Die Vermieter tragen das Risiko der Uneinbringlichkeit ihrer schon titulierten Ansprüche aus dem Mietverhältnis. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn der Kläger dem Beklagten die nicht an den Vermieter weitergeleiteten Leistungen für die Unterkunft zurückzuerstatten hätte, da der Beklagte nicht zur Auskehrung dieser Leistungen an den Vermieter verpflichtet wäre.
Nach allem sind die mit der Klage angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide rechtswidrig und daher aufzuheben.
Der im Jahr 2006 bereits 85 Jahre alt gewordene Kläger hat einen Anspruch auf Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII ab 1. September 2006. Nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII wird für Personen, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht und durch einen Bescheid der nach § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen, ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.
Gemäß dem Schwerbehindertenausweis vom 14. März 2008, der neben einem GdB von 100 die Merkzeichen B, G, H und RF anerkennt, hat dieser Ausweis Gültigkeit ab dem 22. September 2006. Dementsprechend hat sich der Beklagte mit Schriftsatz vom 19. März 2009 im erstinstanzlichen Verfahren bereit erklärt, einen Mehrbedarf ab September 2006 anzuerkennen. Einer Aufhebung des die Gewährung eines Mehrbedarfs noch ablehnenden Bescheids vom 27. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2006 bedurfte es hiernach nicht mehr.
Die auf das Anerkenntnis dem Grunde nach erfolgte Neuberechnung der Leistungen durch den Beklagten unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für den Zeitraum 1. September 2006 bis 30. April 2008 (seit Mai 2008 wird der Mehrbedarf ohnehin bereits bei der Berechnung der Grundsicherung berücksichtigt) hat, weil dieser entsprechend seinem Rechtsstandpunkt davon ausging, dass der Kläger im Zeitraum September 2006 bis August 2007 keinen Anspruch auf Leistungen für die Unterkunft habe, für diesen Zeitraum keinen Nachzahlungsanspruch trotz Berücksichtigung eines Mehrbedarfs in Höhe von 58,65 EUR bzw. 58,99 EUR ergeben. Diese Berechnung ist insoweit zu korrigieren, als nach der Entscheidung des Senats Leistungen für die Unterkunft auch im Zeitraum September 2006 bis August 2007 geschuldet sind. Im Übrigen wird die Berechnung nicht angegriffen ist und ist auch nicht zu beanstanden.
Auf die im erstinstanzlichen Urteil vorgenommene Verrechnung eines Zahlungsanspruchs des Klägers mit einem Rückforderungsanspruch des Beklagten und auf die Zulässigkeit einer Aufrechnung des Beklagten mit Rückforderungsansprüchen gegen einen Anspruch des Klägers auf Mehrbedarf für zurückliegende Zeiträume kommt es mangels Rückforderungsanspruch des Beklagten nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Klärung der Rechtsfrage, ob im Falle der zweckwidrigen Verwendung der Leistungen für die Unterkunft durch den Leistungsberechtigten gleichwohl tatsächliche Aufwendungen für die Unterkunft i.S. des § 29 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. (jetzt: § 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) zu bejahen sind, ist über den zu entscheidenden Fall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich und ihre Klärung durch das Revisionsgericht auch zu erwarten (vgl. zu diesem Maßstab Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 10. Auflage 2012, § 160a Rdnr. 6 m.w.N.).
II. Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Instanzen zu tragen.
III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig sind in zwei miteinander verbundenen Klageverfahren die Erstattung von Leistungen für die Unterkunft aus Mitteln der Sozialhilfe in Höhe von zuletzt noch 4.713,88 EUR für den Zeitraum Februar 2006 bis August 2007 und für Mietnebenkostennachzahlungen für die Jahre 2004, 2005 und 2006 einerseits sowie die Auszahlung eines vom Beklagten anerkannten Mehrbedarfs des Klägers nach § 30 Abs. 1 SGB XII für den Zeitraum 1. September 2006 bis 30. April 2008 andererseits.
Der 1921 geborene Kläger bezieht eine Altersrente und eine Witwerrente und steht daneben seit vielen Jahren im ergänzenden Sozialhilfebezug. Im Zeitraum 1. Februar 2006 bis 31. August 2008 betrug die Höhe der Altersrente zwischen 396,36 EUR und 402,89 EUR und die Höhe der Witwerrente zwischen 130,26 EUR und 132,65 EUR.
Aufgrund eines Bescheids vom 17. August 2004 wurden dem Kläger rückwirkend ab 1. Januar 2003 Leistungen nach dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG), und daneben Sozialhilfe und Wohngeld gewährt. Bis 31. Dezember 2004 wurde dem Kläger auch ein Mehrbedarf wegen Alters nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) gewährt. Mit Bescheid vom 27. Dezember 2004 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass der Beklagte die Hilfe zum Lebensunterhalt mit Ablauf des Monats Dezember 2004 einstelle, da das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) zum 31. Dezember 2004 außer Kraft trete. Der Widerspruch des Klägers vom 29. Dezember 2004 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 27. Januar 2006 zurückgewiesen. Der Widerspruchsbescheid führt aus, vor dem 1. August 1996 habe in § 23 BSHG die gesetzliche Regelung bestanden, dass Personen über 65 Jahren ein Mehrbedarf wegen Alters zu gewähren war. Die Rechtsgrundlage für die Bewilligung eines solchen Mehrbedarfs sei mit der Änderung des BSHG zum 1. August 1996 insoweit eingeschränkt worden, dass dieser nur noch zu gewähren war, wenn der jeweilige Hilfeempfänger sowohl das 65. Lebensjahr vollendet hatte als auch einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) mit dem Merkzeichen G besaß. Da der Kläger nicht im Besitz eines solchen Ausweises sei, habe er keinen Anspruch mehr auf diesen Mehrbedarf gehabt. Jedoch sei in § 23 Abs. 1 S. 2 BSHG festgehalten gewesen, dass die Personen, für welche bereits vor diesem Zeitpunkt ein Mehrbedarf nach dieser Vorschrift anerkannt war, diesen auch weiterhin erhalten sollen (Besitzstandsleistung). In dem zum 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (GSiG) sei ein solcher Mehrbedarf nicht vorgesehen. Da der grundsätzliche Anspruch auf den Mehrbedarf nach dem BSHG durch die Gewährung von Grundsicherungsleistungen nicht weggefallen sei, sei weiterhin die Gewährung des Mehrbedarfs wegen Alters als Besitzstandsleistung gemäß BSHG in Höhe von monatlich 14,85 EUR erfolgt. Gemäß Art. 68 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27. Dezember 2003 seien das BSHG sowie das GSiG zum 1. Januar 2005 aufgehoben worden. An deren Stelle sei nunmehr das Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII) getreten, nach welchem dem Kläger für die Zeit ab 1. Januar 2005 Leistungen gewährt worden seien. Gemäß § 30 SGB XII stehe - ebenso wie nach dem BSHG - Personen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX mit dem Merkzeichen G besitzen, ein entsprechender Mehrbedarf zu. Nicht übernommen worden in das SGB XII sei jedoch die Besitzstandsregelung. Da der Kläger auch zum 1. Januar 2005 nicht über einen Ausweis nach § 69 a Abs. 5 SGB IX mit dem Merkzeichen verfügte und auch bis heute nicht darüber verfüge, sei keine Rechtsgrundlage für die Bewilligung eines solchen Bedarfs nach dem SGB XII für ihn vorhanden. Auch bestehe für die Gewährung der Leistungen nach dem BSHG für die Zeit ab 1. Januar 2005 aufgrund des zum 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen Gesetzes keine Grundlage mehr.
Hiergegen hat der Kläger beim Sozialgericht Kassel am 28. Februar 2006 (Az. zunächst S 23 SO 31/06, zuletzt S 11 SO 31/06) Klage erhoben.
Im Klageverfahren hat der Kläger am 24. November 2006 zunächst einen Bescheid des Versorgungsamtes vom 16. November 2007 vorgelegt, der einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 ausweist, aber keine Merkzeichen. Auch der am 15. Februar 2007 vorgelegte Abhilfebescheid des Versorgungsamts erkennt zwar einen GdB von 80 und das Merkzeichen RF an, nicht aber das Merkzeichen G. Am 20. Februar 2009 hat der Kläger schließlich einen am 14. März 2008 ausgestellten Schwerbehindertenausweis vorgelegt, der neben einem GdB von 100 die Merkzeichen B, G, H und RF anerkennt mit einem Gültigkeitsdatum ab 22. September 2006.
Hierauf hat sich der Beklagte mit Schriftsatz vom 19. März 2009 grundsätzlich bereit erklärt, einen Mehrbedarf ab September 2006 anzuerkennen. Die Leistungen für den Zeitraum 1. September 2006 bis 30. April 2008 seien neu zu berechnen. Seit Mai 2008 werde der Mehrbedarf ohnehin bereits bei der Berechnung der Grundsicherung berücksichtigt. Die beigefügte Neuberechnung ergebe, dass es für den Zeitraum September 2006 bis August 2007, weil der Kläger im Zeitraum Februar 2006 bis August 2007 keine Miete gezahlt habe, aber 230,35 EUR Kosten der Unterkunft bei der Leistungsberechnung berücksichtigt worden seien - auch bei Berücksichtigung eines Mehrbedarfs in Höhe von 58,65 EUR und ab Juli 2007 in Höhe von 58,99 EUR - zu einer monatlichen Überzahlung in Höhe von 171,70 EUR und ab Juli 2007 in Höhe von 171,36 EUR gekommen sei. Daher ergäbe sich für diesen Zeitraum auch keine Nachzahlung. Außerdem habe der Kläger die ihm gewährten Heizkostennachzahlungen für die Jahre 2004, 2005 und 2006 nicht an die Vermieter weitergeleitet. Deswegen würden 5.418,36 EUR vom Kläger zurückgefordert. Durch die Neuberechnung der Leistungen für den genannten Zeitraum würde sich die Forderung gegenüber dem Kläger um 704,48 EUR auf 4.713,88 EUR reduzieren. Lediglich für den Zeitraum September 2007 bis April 2008 ergebe sich wegen des Mehrbedarfs eine Nachzahlung von 471,92 EUR (8 Monate x 58,99 EUR). Weiter heißt es: "Wegen der bestehenden erheblichen Forderungen gegenüber Herrn A. sind wir jedoch grundsätzlich nicht bereit, die vorstehende Nachzahlung an ihn zu leisten".
Dem von dem Beklagten geltend gemachten Rückforderungsanspruch in Höhe von zunächst 5.418,36 EUR liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Bei der Berechnung der Grundsicherungsleistungen berücksichtigte der Beklagte im Zeitraum vom 1. Februar 2006 bis zum 31. August 2007 monatliche Kosten der Unterkunft in Höhe von 230,35 EUR (200,00 EUR Miete, 30,35 EUR Heizung) für die vom Kläger bewohnte Wohnung in C-Stadt, C-Straße. Ferner wurden Mietnebenkostennachzahlungen auf Antrag des Klägers für das Jahr 2004 durch Bescheide vom 20. Juli 2005 und 31. August 2005 in Höhe von 524,72 EUR, für das Jahr 2005 durch Bescheid vom 1. November 2006 in Höhe von 539,99 EUR und für das Jahr 2006 durch Bescheid vom 31. Juli 2007 in Höhe von 767,95 EUR, insgesamt in Höhe von 1.832,66 EUR übernommen. Der Kläger zog am 24. September 2007 von C-Stadt nach A Stadt. Leistungen für die Unterkunft am alten Wohnsitz wurden noch bis zum 31. Oktober 2007 erbracht.
Durch ein Schreiben der ehemaligen Vermieter der Wohnung in C-Stadt wurde der Beklagte am 19. November 2007 darüber informiert, dass der Kläger die Miete für den Zeitraum Februar 2006 bis Oktober 2007 und die Nebenkostennnachzahlungen für die Jahre 2004 bis 2006 bislang nicht bezahlt habe. Ein beigefügtes Urteil des Amtsgerichts Korbach vom 14. Juni 2007 - Az. 3 C 62/06 (71) - stellt fest, dass der Kläger im Zeitraum Februar 2006 bis Mai 2007 keinerlei Miete zahlte. Ein Mietminderungsanspruch habe nicht bestanden. Weiter schulde der Kläger 631,94 EUR aus der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2004 und 654,82 EUR aus der Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2005. Dieses Urteil ist rechtskräftig. In einem weiteren Urteil vom 13. März 2008 - Az. 3 C 379/07 (71) -, Eingang bei dem Beklagten am 30. April 2008, stellt das Amtsgericht Korbach fest, dass der Kläger auch die Miete im Zeitraum Juni bis Oktober 2007 und die Nebenkostenabrechnung für das Jahr 2006 in Höhe von 761,81 EUR nicht bezahlt hat. Auch dieses Urteil ist rechtskräftig.
Nach Anhörung mit Schreiben vom 25. Februar 2008 hob der Beklagte mit Bescheid vom 8. April 2008 die Leistungsbewilligungen vom 20. Juni 2005 - gemeint ist offenbar der Bescheid vom 20. Juli 2005 - und 31. August 2005 (Heizkostennachzahlung für 2004), vom 1. Februar 2006 (Leistungen für Februar bis Dezember 2006), vom 1. November 2006 (Nebenkostennachzahlung 2005) und vom 19. Januar 2007 (Leistungen für Januar 2007 bis Mai 2007) nach § 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) in dem Umfang auf, in welchem dem Kläger Leistungen nach dem SGB XII gewährt worden waren, und forderte 4.076,87 EUR gemäß § 50 SGB X zurück.
Nach weiterer Anhörung vom 4. Juni 2008 hob der Beklagte mit Bescheid vom 17. Juni 2008 die Bescheide vom 19. Januar 2007 (Leistungen für Juni 2007), vom 20. Juni 2007 (Leistungen für Juli 2007), vom 16. Juli 2007 (Leistungen für August 2007) und vom 31. Juli 2007 (Nebenkostenabrechnung 2006) ebenfalls gemäß § 48 SGB X in dem Umfang auf, in dem dem Kläger Leistungen nach dem SGB XII gewährt worden waren, und forderte Leistungen in Höhe von 1.341,49 EUR gemäß § 50 SGB X zurück.
In beiden Aufhebungs- und Rückforderungsbescheiden machte der Beklagte geltend, es sei zu Überzahlungen gekommen, weil der Beklagte nicht darüber informiert worden sei, dass vom Kläger keine Mietzahlungen geleistet, sondern die Leistungen für die Unterkunft für andere Zwecke (Fahrten zum Arzt, Pflegepersonen, Umzug etc.) verbraucht worden seien. Auch seien die Nebenkostennachzahlungen nicht auf einem gesonderten Konto hinterlegt worden. Sodann erklärte der Beklagte ohne Nennung einer Rechtsgrundlage für die Aufhebung der Leistungsbewilligungen das Vertrauen des Klägers in den Bestand der Bewilligungsbescheide für nicht schutzwürdig, weil er seiner Mitwirkungspflicht nach § 60 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil (SGB I) nicht nachgekommen sei. Ermessenserwägungen zur Aufhebung der Bewilligungsbescheide für die Vergangenheit lauten wortgleich in den beiden Aufhebungsbescheiden: "Außerdem steht die Entscheidung über die Rücknahme des Bewilligungsbescheides im pflichtgemäßen Ermessen des Leistungsträgers. Unter Berücksichtigung der Zielvorstellung des SGB erscheint es zur Wiederherstellung des gesetzlichen Zustands und der sparsamen Verwendung öffentlicher Mittel zweckmäßig, die Bewilligungsbescheide zurückzunehmen. Es kann nicht angehen, dass sich ein Leistungsempfänger, der seiner Mitteilungspflicht nicht nachkommt, besser steht als derjenige, der dieser nachkommt." Die Erstattungsforderung wird jeweils auf § 50 SGB X gestützt.
Mit Schreiben vom 5. Mai 2008 und 2. Juli 2008 legte der Kläger Widerspruch ein und machte im Folgenden geltend, er habe ab Februar 2006 die Mietzahlungen eingestellt, wozu er auch berechtigt gewesen sei, weil der Vermieter die geltend gemachten Mängel nicht beseitigt habe. Das Urteil des Amtsgerichts im Verfahren 3 C 62/06 (71) verfälsche die Tatschen und sei wertlos. Die vom Vermieter geltend gemachten Nebenkosten seien seit 2001 (außer Rasenmähen) nicht erbracht, aber fortlaufend in Rechnung gestellt worden. Der Kläger sei berechtigt gewesen, keine Miete und Nebenkosten zu zahlen. Die Leistungen des Beklagten seien für Fahrten zum Arzt und Einkaufsfahrten, für Pflegepersonen, Medikamente, für den Umzug und zur Anschaffung fehlender Einrichtungsgegenstände usw. verwendet worden.
Der Beklagte wies den Widerspruch gegen beide Aufhebungs- und Erstattungsbescheide mit Widerspruchsbescheid vom 19. März 2009 zurück und stützte die Aufhebungsentscheidung hinsichtlich überzahlter Grundsicherungsleistungen für den Zeitraum von Februar 2006 bis August 2007 in Höhe von insgesamt 3.585,70 EUR auf § 48 Abs. 1 SGB X, den Widerruf der Bescheide über die Gewährung von Heiz-/Nebenkostennachzahlungen für die Jahre 2004 bis 2006 in Höhe von insgesamt 1.832,66 EUR auf § 47 Abs. 2 SGB X. Auf Vertrauen könne sich der Kläger nicht berufen, da er seinen Mitteilungspflichten nicht nachgekommen sei bzw. die Leistungen nicht zweckentsprechend verwendet habe. Auch habe er die Nebenkostennachzahlung nicht etwa auf einem Sonderkonto hinterlegt, so dass nach Klärung des Sachverhalts eine Miet- und Nebenkostennachzahlung an die Vermieter hätte erfolgen können.
Hiergegen hat der Kläger am 21. April 2009 Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben (Az. S 11 SO 48/09).
Am 26. November 2009 ist vor dem Sozialgericht Kassel ein Vergleich geschlossen worden, den der Kläger fristgerecht widerrufen hat. In der mündlichen Verhandlung am 8. April 2010 hat das Gericht durch Beschluss die beiden Verfahren S 11 SO 31/06 und S 11 SO 48/09 zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung unter dem führenden Aktenzeichen S 11 SO 48/09 verbunden und die Klagen mit Urteil vom 8. April 2010 abgewiesen. Das Sozialgericht hat zur Begründung ausgeführt, die Leistungsbewilligung im Zeitraum Februar 2006 bis August 2007 sei rechtswidrig gewesen, da der Kläger in diesem Zeitraum tatsächlich keine Miete gezahlt habe. Auch die Heizkostennachzahlungen für 2004, 2005 und 2006 habe er nicht entrichtet. Ohne die Kosten der Unterkunft habe keine Bedürftigkeit des Klägers bestanden. Die Aufhebungsvoraussetzungen des § 48 SGB X und die Widerrufsvoraussetzungen des § 47 Abs. 2 SGB X lägen vor. Der Beklagte habe sein Ermessen richtig ausgeübt.
Eine nachträgliche Auszahlung des Mehrbedarfs nach § 30 SGB XII im Zeitraum September 2006 bis April 2008 komme nicht in Betracht. Seit Mai 2008 gewähre der Beklagte ohnehin schon den Mehrbedarf. Für den Zeitraum September 2006 bis August 2007 fehle es schon an der Hilfebedürftigkeit des Klägers nach den §§ 41 ff. SGB XII, so dass schon deswegen ein Mehrbedarf nicht zur Auszahlung kommen könne. Für den Zeitraum September 2007 bis April 2008 bestehe zwar ein Anspruch auf den Mehrbedarf. Eine nachträgliche Auszahlung an den Kläger komme aber deshalb nicht in Betracht, weil der Beklagte bereits mit Bescheid vom 8. April 2008 die zu Unrecht geleistete Grundsicherung in Höhe von 4.076,87 EUR erstattet verlangt habe. Der Beklagte werde lediglich zu beachten haben, dass sich der zutreffend errechnete Gesamtrückforderungsbetrag von 5.418,36 EUR um den Mehrbedarf für die Zeit von September 2007 bis April 2008 im Umfang von 471,92 EUR verringere. Die Zustellung erfolgte am 16. April 2010.
Mit der am 10. Mai 2010 beim Hessischen Landessozialgericht eingelegten Berufung verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Der Kläger trägt vor, § 30 SGB XII werde falsch ausgelegt; es reiche, dass man das 65. Lebensjahr vollendet habe. Die Wohnung in C-Stadt sei in vielfacher Hinsicht mangelhaft gewesen, weshalb er berechtigt gewesen sei, die Miete zurückzuhalten.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 20. März 2013 sind die ordnungsgemäß geladenen Beteiligten nicht erschienen.
Der Kläger beantragt schriftsätzlich (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 8. April 2010 sowie die Bescheide vom 8. April 2008 und 17. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. März 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab September 2006 den anerkannten Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII in gesetzlichem Umfang auszuzahlen.
Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend. Er hat auf Nachfrage des Gerichts mit Schriftsatz vom 20. Oktober 2010 vorgetragen, die Nachzahlung wegen des Mehrbedarfs in Höhe von 471,92 EUR für den Zeitraum September 2007 bis April 2008 sei nicht erbracht worden. Aus dem Urteil des Sozialgerichts ergebe sich, dass eine nachträgliche Auszahlung des Mehrbedarfs aufgrund der Rückforderung der zu Unrecht erbrachten Grundsicherungsleistungen nicht in Betracht komme. Eine Aufrechnung des Mehrbedarfs gemäß § 26 Abs. 2 SGB XII sei möglich. Ein Bescheid sei in der Angelegenheit nicht erteilt worden.
Wegen des Sach- und Streitstands im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen den Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist in vollem Umfang begründet.
Der Beklagte hat keinen Rückforderungsanspruch gegen den Kläger.
Die von dem Beklagten für die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide herangezogenen §§ 47, 48, 50 SGB X sind nach § 103 Abs. 4 S. 1 SGB XII grundsätzlich anwendbar. In der Sache, ohne genau zu zitieren, beruft sich der Beklagte in den Rückforderungsbescheiden vom 8. April 2008 und vom 17. Juni 2008 hinsichtlich der ausbezahlten Leistungen für die Unterkunft auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X.
Nach Auffassung des Beklagten ist der Kläger seiner Mitteilungspflicht hinsichtlich der für die Leistung erheblichen Tatsache, dass er die Mietzahlungen ab Februar 2006 eingestellt hatte, zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Bei der laufenden Mietzinszahlung und der Begleichung von Nebenkostenabrechnungen des Vermieters handelt es sich schon deshalb um eine für die Leistung erhebliche Tatsache nach § 60 Abs.1 Nr. 1 SGB I, weil der Leistungsträger nach § 29 Abs. 1 S. 6 SGB XII in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (a.F.) – jetzt § 35 Abs. 1 S. 3 SGB XII - Leistungen für die Unterkunft an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zahlen soll, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die Leistungsberechtigten nicht sichergestellt ist. Ungeachtet der Frage, ob der Kläger seiner Mitteilungspflicht zumindest grob fahrlässig, wenn nicht gar vorsätzlich nicht nachgekommen ist, sieht der Senat jedoch vorliegend keine wesentliche für den Kläger nachteilige Änderung in den rechtlichen Verhältnissen gegenüber den Bewilligungsbescheiden des Beklagten i.S. des § 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X gegeben.
Nach § 29 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. werden Leistungen für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht. Tatsächliche Aufwendungen in diesem Sinne liegen somit vor, wenn der Leistungsberechtigte nach § 27 SGB XII den von ihm geschuldeten vertraglichen Mietzins und die von ihm geschuldeten vertraglichen Nebenkosten in vollem geschuldeten Umfang an den Vermieter leistet.
Aber auch wenn der Leistungsberechtigte seinen mietvertraglichen Zahlungsverpflichtungen vertragswidrig nicht in vollem Umfang nachkommt, sondern Zahlungen vertragswidrig zurückhält, bleiben nach Auffassung des Senats die tatsächlichen Aufwendungen i.S. des § 29 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. unverändert hoch, weil der Leistungsberechtigte einem berechtigten Zahlungsanspruch seines Vermieters ausgesetzt ist.
Der Senat stützt sich insoweit auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum SGB II. Er sieht für die Frage, was unter "tatsächlichen Aufwendungen" zu verstehen ist, keine relevanten Unterschiede zwischen den Ansprüchen nach § 22 SGB II und denen nach § 29 SGB XII a.F. Das Bundessozialgericht hat in seinem Urteil vom 3. März 2009 (B 4 AS 37/08 R, juris Rn. 24) zu § 22 SGB II entschieden, dass "tatsächliche Aufwendungen" i.S. des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II für eine Wohnung nicht nur dann vorliegen, wenn der Hilfebedürftige die Miete bereits gezahlt hat und nunmehr deren Erstattung verlangt. Vielmehr reiche es aus, dass der Hilfebedürftige im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt sei. Denn bei Nichtzahlung der Miete drohe regelmäßig Kündigung und Räumung der Unterkunft. Zweck der Regelung über die Erstattung der Kosten für die Unterkunft sei es aber gerade, existentielle Notlagen zu beseitigen und den Eintritt von Wohnungslosigkeit zu verhindern. Ein Hilfebedürftiger nach dem SGB II werde in der Regel nicht in der Lage sein, die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung selbst zu tragen. Er werde - solange er im Leistungsbezug steht - zumeist auf die Übernahme der Unterkunftskosten durch den Grundsicherungsträger angewiesen sein. Ausgangspunkt für die Frage, ob eine wirksame Mietzinsverpflichtung des Hilfebedürftigen vorliege, sei in erster Linie der Mietvertrag mit dem der geschuldete Mietzins vertraglich vereinbart worden sei.
Nichts anderes gilt für die Anwendung des § 29 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. Eine zu Lasten des Klägers gehende Änderung der rechtlichen Verhältnisse, die zu einer Rückforderung des Beklagten berechtigen könnte, könnte danach etwa vorliegen, wenn der Kläger, wegen Mietmängeln berechtigterweise die Miete mindern durfte und damit eine geringere Miete als im Mietvertrag vorgesehen und als in den Bewilligungsbescheiden des Beklagten zugrunde gelegt, schuldete. Der Beklagte selbst aber trägt zutreffend unter Berufung auf die rechtskräftigen Urteile des Amtsgerichts Korbach vor, dass ein nicht geminderter Mietzahlungsanspruch der Vermieter für Februar 2006 bis Mai 2007 sowie ein Anspruch auf Zahlung der Nebenkosten für 2004 und 2005 (Urteil vom 14. Juni 2007) sowie ein nicht geminderter Mietzahlungsanspruch der Vermieter für Juni bis Oktober 2007 und ein Anspruch auf Zahlung der Nebenkosten für 2006 besteht (Urteil vom 13. März 2008).
In seinem Urteil vom 24. November 2011 (B 14 AS 15/11 R, juris Rn. 14 f.) hat das Bundessozialgericht festgestellt, das es der tatsächlichen Zahlung gleichzusetzen sei, dass der Hilfebedürftige einer entsprechenden Forderung "ernsthaft" ausgesetzt sei. Eine weitere Voraussetzung "sozialer Wirksamkeit" bestehe nicht. Eine Ausnahme von der Übernahme der tatsächlichen Aufwendungen habe der 4. Senat des Bundessozialgerichts lediglich dann als erwägenswert angesehen, wenn die Unwirksamkeit der getroffenen Vereinbarung bekannt sei oder bekannt sein müsste, weil Aufwendungen für die Unterkunft, die auf einer zivilrechtlich unwirksamen Grundlage beruhen, nicht dauerhaft aus öffentlichen Mitteln bestritten werden können und dürfen (BSG, Urteil vom 22. September 2009, B 4 AS 8/09 R, juris Rn. 16, 21).
Auch wenn man hieraus eine Verpflichtung des Leistungsberechtigten herleiten wollte, im Falle einer zivilrechtlich unwirksamen Vereinbarung Zahlungen zu verweigern und im Falle einer mangelhaften Wohnung die Miete zu mindern und damit den Leistungsträger von Kosten zu entlasten, würde das für den vorliegenden Fall zu keiner anderen Beurteilung führen. Denn hier hat der Kläger zwar Zahlungen gegenüber seinen Vermietern zurückgehalten. Dazu war er aber nicht berechtigt und die Vermieter haben zivilrechtlich ihre Ansprüche durchgesetzt. Weil der Kläger seinen Vermietern die volle Mietzinszahlung im streitgegenständlichen Zeitraum und die volle Nebenkostennachzahlung für die Jahre 2004 bis 2006 schuldete, bestand auch ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Leistungen für die Unterkunft im vollen bewilligten Umfang. Die bloße Rechtspflicht zur Zahlung reicht (vgl. Berlit in LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, § 35 Rn. 16). Die – hier nicht erfolgte – zweckkonforme Verwendung der unterkunftsbezogenen Leistungen ist nicht Anspruchsvoraussetzung nach § 29 SGB XII a.F.
Auch die Regelung des § 22 Abs. 8 SGB II zur Übernahme von Mietschulden, die tatbestandlich voraussetzt, dass bereits Leistungen für Unterkunft und Heizung erbracht werden, zeigt, dass im SGB II auch dann, wenn Leistungsempfänger geschuldete Miete tatsächlich nicht an den Vermieter abführen, die vertragliche Verpflichtung Mietschuld Kosten der Unterkunft i.S. des § 22 SGB II bleiben. In seinem Urteil vom 17. Juni 2010 – B 14 AS 58/09 R, juris Rn. 18 hat das Bundessozialgericht zu § 22 Abs. 5 SGB II a.F. festgestellt, soweit der Kläger in der Zeit ab einem bestimmten Zeitpunkt mit den Mietzahlungen in Rückstand geraten sei, handele es sich bei den aufgelaufenen Beträgen schon deswegen um Schulden i.S. des § 22 Abs. 5 SGB II a.F., weil der Leistungsträger den Anspruch auf Kosten für Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II in vollem Umfang ("in Höhe der tatsächlichen Miete") erfüllt habe. Im Hinblick auf die Kosten für Unterkunft und Heizung lasse aber die zweckwidrige Verwendung der vom Träger der Grundsicherung bewilligten Mittel durch den Hilfeempfänger einen erneuten Anspruch nach § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht entstehen. Seien insoweit Schulden entstanden, könne nur unter den eingeschränkten Voraussetzungen des Abs. 5 (a.F.) ein Anspruch auf Übernahme der Schulden bestehen.
Gleiches gilt nach Auffassung des Senats auch im Bereich der § 22 Abs. 8 SGB II entsprechenden Bestimmung des § 34 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. (jetzt: § 36 Abs. 1 S. 1 SGB XII). Die für die Begleichung vertraglich geschuldeter Zahlungen für die Unterkunft und Heizung vom Leistungsträger ausbezahlte Beträge bleiben Leistungen für die Unterkunft, auf die nach § 29 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. ein Anspruch besteht, auch wenn der Empfänger sie zweckwidrig verwendet.
Auch eine wesentliche für den Kläger nachteilige Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen i.S. des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X liegt nach Auffassung des Senats nicht vor. Zwar ist der Kläger seinen Verpflichtungen aus dem Mietvertrag tatsächlich nicht nachgekommen, weil er – wie er vorträgt - glaubte mindern oder die Zahlung zurückhalten zu dürfen. Er habe die Leistungen des Beklagten für die Unterkunft anderweit verbraucht.
Damit ist zwar in den tatsächlichen Umständen eine Veränderung eingetreten, denn der Beklagte ging, bis er von den Vermietern des Klägers angeschrieben wurde, davon aus, dass die Leistungen für die Unterkunft auch zur Deckung der Unterkunftskosten verwendet würden. Diese tatsächliche Veränderung wirkt sich aber auf den Anspruch des Klägers nach § 29 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. nicht aus, weil es sich nicht um eine wesentliche für den Kläger nachteilige Änderung handelt.
Allerdings ist in der Rechtsprechung zum SGB XII die Auffassung vertreten worden, dass dann, wenn ein Mieter die Miete auf Null mindere und keine Nebenkostennachzahlungen erbringe, er auch keinen entsprechenden Bedarf habe, den der Sozialhilfeträger nach § 29 SGB XII a.F. decken müsste. Deshalb dürfte ein Bewilligungsbescheid insoweit nicht ergehen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Oktober 2011 – L 12 AS 2016/11, juris Rn. 20) und sei die Veränderung dem Sozialhilfeträger mitzuteilen (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB I). Auch das SG Lüneburg hat in einem Urteil vom 17. September 2009 (S 22 SO 50/09, juris) die Auffassung vertreten, dass sich die tatsächlichen Aufwendungen i.S. des § 29 SGB XII a.F. minderten, wenn ein Mieter eine Erklärung nach § 536 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gegenüber dem Vermieter abgebe.
Liegt ein nach § 536 BGB erheblicher Mangel der Mietsache vor, so ist dem zuzustimmen. Denn in diesem Fall ist der Mieter nach § 536 Abs. 1 S. 1 und 2 BGB von der Entrichtung der Miete befreit oder hat nur eine angemessen herabgesetzte Miete zu entrichten. Vorliegend steht aber nach den Urteilen des Amtsgerichts Korbach fest, dass der Kläger nicht zur Mietminderung und auch nicht zur Zurückbehaltung der Nebenkostennachzahlungen berechtigt war. Wie der Leistungsträger mit der Unsicherheit, ob eine Mietminderung berechtigt ist und ob eine Zurückbehaltung von Zahlungen wegen Nebenkosten berechtigt ist, umzugehen hat, ist hier nicht zu entscheiden. Denn vorliegend steht rechtskräftig fest, dass der Kläger die vom Vermieter geltend gemachten Mietzinsleistungen und Zahlungen auf Nebenkosten in vollem Umfang schuldet.
Liegt aber ein nach § 536 BGB erheblicher Mangel der Mietsache nicht vor und ist die Nebenkostenabrechnung des Vermieters richtig und seine Nachforderung berechtigt, gilt etwas anderes. In diesem Fall einer unberechtigten Mietminderung und Zurückbehaltung geschuldeter Zahlungen für Nebenkosten, hätte ein Bewilligungsbescheid über den vollen Mietzins und den vollen Betrag der Nebenkostennachforderung zu ergehen. Im Falle eines schon ergangenen Bewilligungsbescheides liegt bei einer unberechtigten Mietminderung und Zurückbehaltung geschuldeter Zahlungen eine wesentliche die Aufhebungsentscheidung tragende Änderung i.S. des § 48 Abs. 1 S. S. Nr. 2 SGB X nicht vor.
Denn aus der oben zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum SGB II, deren Erwägungen der Senat auch im SGB XII für tragfähig hält, ergibt sich, dass es für den Begriff der "tatsächlichen Aufwendungen" allein auf die Rechtsverpflichtung zur Zahlung und nicht auf die tatsächliche Zahlung ankommen soll. Führt ein Leistungsberechtigter die für die Kosten der Unterkunft erbrachten Zahlungen nicht an den Vermieter ab, gibt das SGB II unter den Voraussetzungen des § 22 Abs. 7 SGB II dem Leistungsträger die Möglichkeit, die Zahlung direkt an den Vermieter zu leisten. Auch nach § 29 Abs. 1 S. 6 SGB XII a.F. sollen Leistungen für die Unterkunft an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die Leistungsberechtigten nicht sichergestellt ist. Das bedeutet, dass der Leistungsträger bei Gefahr einer zweckwidrigen Verwendung der Leistungen für die Unterkunft zwar einen anderen Erfüllungsweg wählen darf, nicht aber, dass er berechtigt ist, die Leistung zu kürzen oder zu versagen. Damit liegt auch eine wesentliche die Aufhebungsentscheidung tragende Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen i.S. des § 48 Abs. 1 S. S. Nr. 2 SGB X nicht vor, wenn der Leistungsberechtigte die Leistungen für die Unterkunft nicht an den Vermieter weiterleitet, dem er die Zahlung schuldet.
Die Auffassung des Senats findet eine Bestätigung darin, dass weder das SGB II noch das SGB XII eine § 28 Abs. 2 Wohngeldgesetz (WoGG) entsprechende Vorschrift kennen. § 28 Abs. 2 WoGG bestimmt, dass der Wohngeldanspruch für den Monat wegfällt, in dem das Wohngeld vollständig oder überwiegend nicht zur Bezahlung der Miete oder zur Aufbringung der Belastung verwendet wird (zweckwidrige Verwendung). Die zweckwidrige Verwendung gilt als wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X. Ohne eine entsprechende Regelung im SGB XII liegt somit vorliegend keine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB X vor.
Hinsichtlich der Nebenkostennachzahlungen hat der Beklagte im Widerspruchsbescheid auf § 47 SGB X abgestellt. § 47 Abs. 2 SGB X erscheint indessen schon deshalb als nicht einschlägig, weil diese Bestimmung nicht Verwaltungsakte erfasst, die im Rahmen der allgemeinen Zwecksetzung von Sozialleistungen ergehen (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 47 Rn. 14). Die Übernahme von Nebenkosten gehört zu den Leistungen für Unterkunft nach § 29 SGB XII a.F. (Wenzel in Fichtner/Wenzel, SGB XII/, 4. Aufl. 2009, § 29 Rn. 18). Die Bescheide des Beklagten zur Übernahme der Nebenkostennachforderungen beruhen auf der Anspruchsnorm des § 29 SGB XII a.F. Es handelt sich nicht um eine subventionsähnliche Leistung, auf die § 47 Abs. 2 SGB X zielt (vgl. Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl. 2010, § 47 Rn. 14). Schließlich ist der Senat der Auffassung, dass die hier vertretene Lösung auch im Ergebnis bei einer bereicherungsrechtlichen Betrachtung interessengerecht ist. Der Beklagte hat Leistungen für die Unterkunft in Höhe bestehender Ansprüche der Vermieter gegen den Kläger erbracht. Der Kläger schuldet seinen Vermietern weiterhin Zahlung von Mietzins und Nebenkosten. Die Vermieter tragen das Risiko der Uneinbringlichkeit ihrer schon titulierten Ansprüche aus dem Mietverhältnis. Daran würde sich auch nichts ändern, wenn der Kläger dem Beklagten die nicht an den Vermieter weitergeleiteten Leistungen für die Unterkunft zurückzuerstatten hätte, da der Beklagte nicht zur Auskehrung dieser Leistungen an den Vermieter verpflichtet wäre.
Nach allem sind die mit der Klage angefochtenen Aufhebungs- und Erstattungsbescheide rechtswidrig und daher aufzuheben.
Der im Jahr 2006 bereits 85 Jahre alt gewordene Kläger hat einen Anspruch auf Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII ab 1. September 2006. Nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII wird für Personen, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 SGB XII erreicht und durch einen Bescheid der nach § 69 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen, ein Mehrbedarf von 17 vom Hundert der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht.
Gemäß dem Schwerbehindertenausweis vom 14. März 2008, der neben einem GdB von 100 die Merkzeichen B, G, H und RF anerkennt, hat dieser Ausweis Gültigkeit ab dem 22. September 2006. Dementsprechend hat sich der Beklagte mit Schriftsatz vom 19. März 2009 im erstinstanzlichen Verfahren bereit erklärt, einen Mehrbedarf ab September 2006 anzuerkennen. Einer Aufhebung des die Gewährung eines Mehrbedarfs noch ablehnenden Bescheids vom 27. Dezember 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Januar 2006 bedurfte es hiernach nicht mehr.
Die auf das Anerkenntnis dem Grunde nach erfolgte Neuberechnung der Leistungen durch den Beklagten unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für den Zeitraum 1. September 2006 bis 30. April 2008 (seit Mai 2008 wird der Mehrbedarf ohnehin bereits bei der Berechnung der Grundsicherung berücksichtigt) hat, weil dieser entsprechend seinem Rechtsstandpunkt davon ausging, dass der Kläger im Zeitraum September 2006 bis August 2007 keinen Anspruch auf Leistungen für die Unterkunft habe, für diesen Zeitraum keinen Nachzahlungsanspruch trotz Berücksichtigung eines Mehrbedarfs in Höhe von 58,65 EUR bzw. 58,99 EUR ergeben. Diese Berechnung ist insoweit zu korrigieren, als nach der Entscheidung des Senats Leistungen für die Unterkunft auch im Zeitraum September 2006 bis August 2007 geschuldet sind. Im Übrigen wird die Berechnung nicht angegriffen ist und ist auch nicht zu beanstanden.
Auf die im erstinstanzlichen Urteil vorgenommene Verrechnung eines Zahlungsanspruchs des Klägers mit einem Rückforderungsanspruch des Beklagten und auf die Zulässigkeit einer Aufrechnung des Beklagten mit Rückforderungsansprüchen gegen einen Anspruch des Klägers auf Mehrbedarf für zurückliegende Zeiträume kommt es mangels Rückforderungsanspruch des Beklagten nicht mehr an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Klärung der Rechtsfrage, ob im Falle der zweckwidrigen Verwendung der Leistungen für die Unterkunft durch den Leistungsberechtigten gleichwohl tatsächliche Aufwendungen für die Unterkunft i.S. des § 29 Abs. 1 S. 1 SGB XII a.F. (jetzt: § 35 Abs. 1 S. 1 SGB XII) zu bejahen sind, ist über den zu entscheidenden Fall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich und ihre Klärung durch das Revisionsgericht auch zu erwarten (vgl. zu diesem Maßstab Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 10. Auflage 2012, § 160a Rdnr. 6 m.w.N.).
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