Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
16
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 16 SO 27/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid vom 29.03.2011 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 28.07.2011 und des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2011 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum April bis September 2011 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
3. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
4. Die Berufung und die Sprungrevision werden zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1.
Die im Jahre 1921 geborene Klägerin lebte zunächst in T und bezog dort Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII. Seit Ende Juli 2009 wohnt sie in C in der Wohnung der Frau X, die im Jahr 1940 geboren ist. Der Hintergrund für den Umzug bestand darin, dass sich die Frau X bereit erklärt hatte, die notwendige Pflege der Klägerin zu übernehmen. Die Wohngemeinschaft ist auf Dauer angelegt. Die Klägerin ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt (GdB 60 und Merkzeichen G). Sie erhält Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II, zunächst als Pflegegeld und später als Sachleistung. Über weiteres Einkommen oder Vermögen verfügt die Klägerin nicht. Die Unterkunftskosten für die Wohnung belaufen sich insgesamt auf 330,- EUR und die Heizkosten auf 90,- EUR. Von diesen Kosten haben die Klägerin und die Frau X jeweils die Hälfte zu tragen. Das Warmwasser wird nicht über die Heizungsanlage, sondern mit Strom erzeugt. Die Klägerin ist gesetzlich kranken- und pflegeversichert, der Beitrag belief sich zunächst auf 138,40 EUR.
Die Klägerin beantragte am 08.09.2009 Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII bei der Beklagten. Diese bewilligte die Leistungen mit Bescheid vom 29.09.2009 für den Zeitraum Oktober 2009 bis September 2010.
Auf den Folgeantrag der Klägerin bewilligte die Beklagte die Leistungen der Grundsicherung mit Bescheid vom 27.09.2010 für den Zeitraum Oktober 2010 bis September 2011 i. H. v. 768,43 EUR pro Monat. Dieser Betrag setzt sich aus dem Regelsatz für den Haushaltsvorstand i. H. v. 359,- EUR, dem Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII i. H. v. 61,03 EUR, dem Beitrag für die Kranken- und Pflegeversicherung i. H. v. 138,40 EUR und dem hälftigen Anteil an den Unterkunfts- und Heizkosten i. H. v. 210,- EUR zusammen. Mit Bescheid vom 24.02.2011 bewilligte die Beklagte aufgrund einer Erhöhung des Beitrages für die Kranken- und Pflegeversicherung auf 143,51 EUR ab Januar 2011 einen Betrag i. H. v. 773,54 EUR.
Mit Bescheid vom 29.03.2011 setzte die Beklagte die Leistungen der Klägerin für den Zeitraum April bis September 2011 nach § 48 SGB X neu fest und bewilligte einen Betrag von 693,98 EUR pro Monat. Dieser setzt sich aus dem Regelsatz nach der Regelbedarfsstufe 3 i. H. v. 291,- EUR, dem Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII i. H. v. 49,47 EUR, dem Beitrag für die Kranken- und Pflegeversicherung i. H. v. 143,51 EUR und dem hälftigen Anteil an den Unterkunfts- und Heizkosten i. H. v. 210,- EUR zusammen.
Die Klägerin legte gegen den Bescheid mit Schreiben vom 11.04.2011 Widerspruch ein. Diesen begründete sie damit, dass sie weiterhin einen Anspruch auf den vollen Regelsatz habe. Es sei keine Änderung in ihrer persönlichen Situation eingetreten, die es rechtfertigen würde, ihr nur noch 80% des Regelsatzes zu bewilligen.
Mit Bescheid vom 28.07.2011 bewilligte die Beklagte der Klägerin die Leistungen nach dem SGB XII für den Zeitraum April bis September 2011 i. H. v. 700,67 EUR pro Monat. Aufgrund der dezentralen Erzeugung des Warmwassers sei zusätzlich ein Betrag i. H. v. 6,69 EUR zu ge-währen.
Der Kreis I wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 14.10.2011 zurück. Die Klägerin habe keinen weitergehenden Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII, denn sie führe keinen eigenen Haushalt, sondern sei in den Haushalt der Frau X aufgenommen worden, die auch die Pflege übernommen habe. Die Klägerin sei daher der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen, da sie weder einen eigenen Haushalt führe noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führe. Die entsprechenden Leistungen seien der Klägerin bewilligt worden. Der Widerspruchsbescheid ging bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17.10.2011 ein.
Die Klägerin hat am 09.11.2011 eine Klage erhoben. Diese begründet sie damit, dass sie hinsichtlich des Zeitraums April bis September 2011 einen höheren Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII habe. Sie lebe mit der Frau X lediglich in einer Wohngemeinschaft und habe daher weiterhin Anspruch auf den vollen Regelsatz. Veränderungen in ihrer persönlichen Situation seien nicht eingetreten.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 29.03.2011 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 28.07.2011 und des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den Zeitraum April bis September 2011 Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide, die sie für rechtmäßig hält. Die Klägerin führe keinen eigenen Haushalt und sei dazu aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit auch nicht in der Lage. Sie sei daher der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen, die entsprechenden Leistungen seien ihr bewilligt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 und 4 SGG statthaft, denn es geht der Klägerin nicht nur um die Wiederherstellung der Leistungen, die ihr mit Bescheid vom 27.09.2010 bewilligt worden sind (Bewilligung für den Zeitraum Oktober 2010 bis September 2011 unter Berücksichtigung des Regelsatzes für den Haushaltsvorstand i. H. v. 359,- EUR). Sie begehrt vielmehr, dass die Beklagte ab April 2011 die Leistungen unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 i. H. v. 364,- EUR bewilligt. Dieses Ziel kann sie nur mit Hilfe der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage erreichen.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 29.03.2011 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 28.07.2011 und des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2011. Mit dem Bescheid vom 29.03.2011 sind die Leistungen für den Zeitraum April bis September neu festgesetzt worden. Der Änderungsbescheid vom 28.07.2011, mit dem für den gleichen Zeitraum zusätzlich der Mehrbedarf aufgrund der dezentralen Warmwassererzeugung gewährt worden ist, ist gem. § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchs- und damit auch des Klageverfahrens geworden. Der Widerspruchsbescheid wird nach § 95 SGG in das Verfahren einbezogen. Der streitige Zeitraum reicht damit von April bis September 2011.
Der Bescheid vom 29.03.2011 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 28.07.2011 und des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2011 erweist sich als rechtswidrig, denn die Klägerin hat im Zeitraum April bis September 2011 einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1.
Der Anspruch der Klägerin beruht auf § 41 Abs. 1 SGB XII. Nach dieser Vorschrift ist älteren und dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 bestreiten können, auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Er-werbsminderung zu leisten. Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen, denn sie ist im Jahre 1921 geboren und hat damit die Altersgrenze des § 41 Abs. 2 SGB XII überschritten. Darüber hinaus hat sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, denn sie lebt in einer auf Dauer angelegten Wohngemeinschaft in Bünde. Über Einkommen und Vermögen verfügt die Klägerin nicht. Bei den Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung handelt es sich nicht um Einkommen im Sinne des SGB XII (vgl. zur gleichen Rechtslage nach dem BSHG: BVerwG, Urteil vom 04.06.1992 - 5 C 82/88).
Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfassen nach § 42 Nr. 1 SGB XII die Regelsätze nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28 SGB XII. Es kann im vorliegenden Verfahren offen bleiben, ob die Klägerin einen eigenen Haushalt oder einen gemeinsamen Haushalt mit der Frau X führt oder ob sie in dem Haushalt der Frau X lebt und wie diese Konstellationen voneinander abzugrenzen sind. Die Klägerin hat unabhängig davon einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 der Anlage zu § 28 SGB XII, die im Jahr 2011 364,- EUR betrug.
Das BSG hat in dem Urteil vom 19.05.2009 (B 8 SO 8/08 R) zur Rechtslage nach der Verordnung zur Durchführung des § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelsatzverordnung - RSV) ausgeführt: "Nach § 40 SGB XII erlässt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften über Inhalt, Bemessung und Aufbau der Regelsätze nach § 28 sowie ihre Fortschreibung.
Nach § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelsatzverordnung - RSV) sind die Regelsätze für den Haushaltsvorstand und für sonstige Haushaltsangehörige festzusetzen. Der Regelbedarf für den Haushaltsvorstand beträgt 100 vom Hundert des Eckregelsatzes, während die sonstigen Haus-haltsangehörigen gem. § 3 Abs. 2 RSV gestaffelt nach ihrem Alter 60 bzw. 80 vom Hundert des Eckregelsatzes erhalten.
Anspruch auf den Regelsatz für den Haushaltsvorstand hat indes nicht nur derjenige, der die Generalunkosten des Haushalts trägt, sondern auch weitere im Haushalt lebende Personen können berechtigt sein. Der Grund dafür liegt darin, dass die Vorschrift im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Grundgesetz (GG) verfassungskonform auszulegen ist.
Bei der Bestimmung des Begriffs des Haushaltsangehörigen in der RSV muss berücksichtigt werden, dass die Annahme einer Haushaltsersparnis nach den Regelungen des SGB II einer gegenüber den bisherigen BSHG-Regelungen abweichenden gesetzgeberischen Konzeption folgt. Danach ist die Annahme einer Haushaltsersparnis nicht mehr mit einer individuellen Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse der zusammen lebenden Personen verbunden. Vielmehr geht § 20 SGB II typisierend von prozentualen Abschlägen von der Regelleistung wegen Haushaltsersparnis nur bei Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft aus. Im Unterschied zur Rechtslage nach dem Sozialhilferecht hat der Gesetzgeber des SGB II bewusst auf die Normierung der Rechtsfigur eines "Haushaltsvorstandes" verzichtet.
Im Hinblick auf die im SGB II normativ-typisierend unterstellten Kosten einer Haushalts-ersparnis lässt sich ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung der Leistungsempfänger des SGB II und des SGB XII weder den Gesetzesmaterialien entnehmen noch ist er sonst erkennbar. Insbesondere findet sich ein sachlicher Grund nicht in dem Umstand, dass die Empfänger von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende grundsätzlich erwerbsfähig i. S. des § 8 SGB II sind. Die Annahme einer Haushaltsersparnis in bestimmten Konstellationen des Zusammenlebens hat keinen Bezug zur Erwerbsfähigkeit. Sie hat vielmehr die Funktion, die Ersparnisse für ein gemeinsames Wirtschaften zu berücksichtigen. Die Minderung des Regelsatzes bei Annahme des Status als Haushaltsangehöriger wird auch nicht durch sozialhilferechtliche Vorteile kompensiert. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die enge Verknüpfung der Regelleistung des SGB II mit dem Sozialhilferecht auf die Auslegung der SGB XII-Vorschriften zurückwirkt.
Nach Maßgabe des Gleichheitssatzes gem. Art. 3 GG und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem SGB II und dem SGB XII können daher Einsparungen bei gemeinsamen Haushalt nur angenommen werden, wenn die zusammenlebenden Personen eine Bedarfsgemeinschaft i. S. des SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft i. S. des § 19 Abs. 1 SGB XII bilden."
An dieser Rechtsprechung des BSG ist nach Auffassung der Kammer auch nach der Neuregelung zum 01.01.2011 in § 27a SGB XII und der Anlage zu § 28 SGB XII festzuhalten, denn in der Sache hat sich die Rechtslage nicht geändert. Die Regelsatzverordnung unterschied zwischen dem Haushaltsvorstand und dem Haushaltsangehörigen. Haushaltsvorstand war nach der Rechtsprechung des BVerwG, wer die "Generalunkosten des Haushalts" trug (vgl. BVerwG, Urteil v. 30.12.1965 - V B 152.65). Alle weiteren Bewohner waren dann die Haushaltsangehörigen, die ab Vollendung des 14. Lebensjahres Anspruch auf 80% des Regelsatzes hatten. Die Regelbedarfsstufen nach der Anlage zu § 28 SGB XII differenzieren nunmehr zwischen erwachsenen Personen, die einen eigenen Haushalt führen (Regelbedarfsstufe 1) und solchen, die weder einen eigenen Haushalt führen, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führen (Regelbedarfsstufe 3). Dies entspricht der alten Unterscheidung zwischen Haushaltsvorstand und Haushaltsangehörigen, so dass sich keine neue Rechtslage ergeben hat. Auch die Höhe des Regelsatzes für den Haushaltsangehörigen gleicht mit 80% der Regelbedarfsstufe 3. Der einzige Unterschied besteht somit darin, dass der Regelsatz für den Haushaltsangehörigen auch für Kinder ab Vollendung des 14. Lebensjahres galt, während die Regelbedarfsstufe 3 nur für erwachsene Personen Anwendung findet (für Kinder gelten nunmehr die Stufen 4 bis 6).
Die Begründung, die der Gesetzgeber bei der Einführung der Regelbedarfsstufe 3 gegeben hat, trägt nach Auffassung der Kammer nicht. Der Gesetzgeber war sich darüber bewusst, dass die Regelbedarfsstufe 3 weiterhin eine Ungleichbehandlung von Leistungsbeziehern nach dem SGB XII gegenüber solchen nach dem SGB II mit sich bringt, da diese ab Vollendung des 25. Lebensjahres generell Anspruch auf den vollen Regelsatz haben. Diese Abweichung ergebe sich aus den Systemunterschieden zwischen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Sozialhilfe. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende wende sich ihrer Zielrichtung nach vornehmlich an einen dem Grunde nach erwerbsfähigen Personenkreis, der nur vorübergehend der Unterstützung durch steuerfinanzierte Sozialleistungen bedürfe. Aus der Erwerbsfähigkeit ergäben sich im SGB II Pflichten zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Diese würden insbesondere auch für im Haushalt der Eltern lebende Erwachsene ab 25 Jahren gelten, die Arbeitslosengeld II bezögen. Von ihnen sei deshalb ein erhöhtes Maß an Eigenverantwortung und wirtschaftlicher Beweglichkeit einzufordern, woraus sich auch die Anerkennung wirtschaftlicher Eigenständigkeit durch einen Regel-bedarf entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 ableite (vgl. BT-Drucks. 17/4095, S. 27). Die Argumentation vermag nach Auffassung der Kammer nicht zu überzeugen. Der Gesetzgeber verkennt, dass das SGB II zwischen den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (§§ 14 ff SGB II) und den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§§ 19 ff SGB II) unterscheidet. Soweit bei den Leistungsberechtigten nach dem SGB II ein Mehrbedarf aufgrund der Verpflichtung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit entsteht, z.B. für Bewerbungs- oder Fahrtkosten, wäre dieser durch die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit zu decken, etwa aus dem Vermittlungsbudget (§ 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 44 SGB III). Dieser Bedarf betrifft also überhaupt nicht die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, so dass es nicht gerechtfertigt ist, unter Berufung auf einen etwaigen Mehrbedarf die Leis-tungen nach dem SGB XII für Haushaltsangehörige generell abzusenken. Darüber hinaus ist die Argumentation des Gesetzgebers auch inkonsequent. Wenn die Leistungsberechtigten nach dem SGB II tatsächlich einen erhöhten Bedarf an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hätten, dann müssten auch alleinstehende Personen höhere Leistungen erhalten. Tatsächlich sind die Leistungen für alleinstehende Personen nach dem SGB II und dem SGB XII jedoch gleich.
Letztlich kann es aber dahinstehen, ob die Argumentation des Gesetzgebers zutreffend ist oder nicht, denn eine Ungleichbehandlung lässt sich nicht allein dadurch rechtfertigen, dass eine Begründung dafür gegeben wird. Gegenstand verfassungsgerichtlicher Überprüfung ist grundsätzlich das Gesetz und seine Wirkung; auf die Motive des Gesetzgebers kommt es nicht an (vgl. BVerfG, Urteil v. 7.11.2007 - 1 BvR 1840/07). Die Regelbedarfsstufe 3 bringt eine Ungleichbehandlung mit sich, da die Leistungen für haushaltsangehörige Leis-tungsberechtigte nach dem SGB XII ab Vollendung des 25. Lebensjahres im Vergleich zum SGB II geringer sind. Eine solche Absenkung der Leistungen ließe sich nur dadurch rechtfertigen, dass bei ihnen generell ein geringerer Bedarf ermittelt worden wäre. Dies ist indes nicht der Fall, denn die Regelbedarfsermittlung nach § 28 SGB XII unterscheidet nicht zwischen erwerbsfähigen und erwerbsunfähigen Personen. Es ist noch nicht einmal ermittelt worden, in welcher Höhe beim Zusammenleben von mehreren erwachsenen Personen ein Einspareffekt auftritt. Der Gesetzgeber begründet dies damit, dass eine statistische Ermittlung der Regelbedarfe von Erwachsenen, die in einer Mehrpersonenkonstellation in einem Haushalt leben, auf der Grundlage einer Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, aufgrund der zur Verfügung stehenden Kürze der Zeit mangels einer verfügbaren Konzeption innerhalb des laufenden Gesetzgebungsverfahrens nicht möglich gewesen sei (vgl. BT-Drucks. 17/4095, S. 27). Es ist lediglich in § 10 Abs. 2 Nr. 3 RBEG festgelegt worden, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales dem Deutschen Bundestag bis zum 1. Juli 2013 in einem Bericht Vorschläge zu unterbreiten hat, für die Ermittlung von regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben von Erwachsenen, die in einem Mehrpersonenhaushalt leben, als Grundlage für die Ermittlung von Regelbedarfen und die danach vorzunehmende Bestimmung von Regelbedarfsstufen für Erwachsene, die nicht in einem Einpersonenhaushalt leben. Die gesamte Absenkung von Leistungen für haushaltsangehörige Erwachsene auf 80% des Regelsatzes steht damit auf tönernen Füßen. Jedenfalls ist eine Ungleichbehandlung von haushaltsangehörigen Leistungsbe-rechtigten nach dem SGB XII gegenüber solchen nach dem SGB II ohne entsprechende Ermittlungen nicht zu rechtfertigen (kritisch zu Einführung der Regelbedarfsstufe 3 auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6.2.2012 - L 20 SO 527/11 B; Greiser/Stölting, DVBl 2012, 1353 ff; Gutzler, in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl. 2011, Rn. 79 ff.; Langer, RdL 2012, 23 ff; Lenze in: LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, § 8 RBEG Rn. 6; Saitzek, in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 20, Rn. 16; aA LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 24.10.2011 - L 8 SO 275/11 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.7.2012 - L 8 SO 13/12 B ER; Wahrendorf, in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl. 2012, § 28, Rn. 61).
Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung der Kammer an der Rechtsprechung des BSG festzuhalten, dass nach Maßgabe des Gleichheitssatzes gem. Art. 3 GG und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem SGB II und dem SGB XII Einsparungen bei gemeinsamen Haushalt nur angenommen werden können, wenn die zusammenlebenden Personen eine Bedarfsgemeinschaft i. S. des SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft i. S. des SGB XII bilden. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Verfahren nicht erfüllt. Die Klägerin (Jg. 1921) und die Frau X (Jg. 1940) sind nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II und bilden somit keine Bedarfsgemeinschaft nach diesem Gesetz. Auch eine Einstandsgemeinschaft nach dem SGB XII liegt nicht vor, denn bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist nach § 43 Abs. 1 SGB XII (nur) das Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners sowie des Partners einer eheähnlichen oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft zu berücksichtigen. Die Klägerin und die Frau X leben nicht in einem solchen Verhältnis. Die Klägerin hat damit einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1.
Die Kammer konnte über die Leistungen der Klägerin nach dem SGB XII selbst entscheiden, einer Vorlage gem. Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht bedurfte es nicht. Die Leistungsbewilligung beruht auf § 42 Nr. 1 SGB XII i. V. m. der Anlage zu § 28 SGB XII. Bei dieser Anlage handelt es sich um eine Rechtsverordnung, so dass eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht unzulässig wäre. Die in Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 BVerfGG geregelte Vorlagepflicht besteht nur dann, wenn es sich bei der zur Nachprüfung gestellten entscheidungserheblichen Norm um ein formelles Gesetz handelt. Die insoweit beim Bundesverfassungsgericht konzentrierte ausschließliche Zuständigkeit hat ihren tragenden Grund in der Achtung vor der gesetzgeberischen Gewalt, über deren Willen sich nicht jedes Gericht soll hinwegsetzen dürfen. Dies gilt nicht in gleicher Weise für Normen im Rang unter dem förmlichen Gesetz. Anders als bei förmlichen Gesetzen besteht zudem bei der Nachprüfung von Rechtsverordnungen durch einzelne Gerichte unter der Geltung des Grundgesetzes auch nicht die Gefahr der Rechtsunsicherheit oder Rechtszersplitterung. Die Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG bietet insoweit hinreichende Möglichkeiten, um bei allen Rechtsverordnungen von Bedeutung rechtzeitig eine allgemein verbindliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen. Die verfassungsrechtliche Nachprüfung von Rechtsverordnungen obliegt daher in Fällen ihrer Ent-scheidungserheblichkeit nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedem Richter (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.9.2005 -2 BvL 11/02, 2 BvL 12/03, 2 BvL 13/02 m.w.N.).
Die Anlage zu § 28 SGB XII wurde zwar durch ein Parlamentsgesetz eingeführt (Art. 3 Nr. 42 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (RBEG) vom 24.03.2011, BGBl. I 2011, S. 453). Gleichzeitig sieht § 40 Satz 1 Nr. 2 SGB XII jedoch die Möglichkeit vor, die Anlage durch eine Rechtsverord-nung zu ergänzen. Aufgrund dieser Verordnungsermächtigung ist die Anlage insgesamt als Rechtsverordnung zu qualifizieren, da andernfalls nicht mehr zu erkennen wäre, welche Teile Gesetzes- und welche Verordnungsrang haben. Dies widerspräche dem vom BVerfG aufgestellten Grundsatz der Normenwahrheit.
Das BVerfG hat dazu in dem Beschluss vom 27.9.2005 (2 BvL 11/02, 2 BvL 12/03, 2 BvL 13/02) ausgeführt: "Werden Verordnungen durch förmliche Gesetze geändert oder ergänzt, so könnte dies zu einem missverständlichen, irreführenden Normgebilde führen, dessen Bezeichnung (Verordnung) und Kennzeichnung als Normsetzung auf Grund einer Ermächtigung ( Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG) zu ihrem tatsächlichen Rang (förmliches Gesetz) und den davon abhängigen Rechtsfolgen im Widerspruch stünde. Gälte der Inhalt einer durch förmliches Gesetz veränderten Verordnung, soweit die entsprechenden Änderungen reichen, im Gesetzesrang, so wäre aus einem solchen bereinigten Normtext nicht mehr zu erkennen, welche Teile davon Verordnungsrecht geblieben und welche durch Änderungsgesetze vom Gesetzgeber erlassen worden sind. Der Rechtscharakter der einzelnen Normteile wäre nur noch mit Rückgriff auf die Gesetzgebungsmaterialien oder auf die verkündeten Fassungen von Änderungsnormen erkennbar. Auf die Auskünfte in der Überschrift und den einleitenden Worten, die auf eine genau bezeichnete Ermächtigungsgrundlage Bezug nehmen (Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG), wäre kein Verlass mehr; der wirkliche Status der einzelnen Bestimmungen könnte nur mit erheblichem Aufwand ermittelt werden.
Ein solcher Rechtszustand wäre mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar. Dass zur Normenklarheit auch Normenwahrheit gehört, wirkt sich hier denkbar einfach aus: Überschrift und Einleitung eines Regelungswerkes müssen auch nach zahlreichen Änderungen noch halten, was sie versprechen. Eine Norm darf die von ihr Betroffenen nicht im Unklaren darüber lassen, welchen Rang sie hat und wie gegen sie effektiver Rechtsschutz zu suchen ist - sei es auf einem direkt auf die Kontrolle der Norm gerichteten Rechtsweg oder durch eine indirekte Anfechtung im Zusammenhang mit einem Rechtsmittel gegen einen Vollzugsakt.
Die aufgezeigten Schwierigkeiten vermeidet nur eine Lösung, die einerseits der geänderten Verordnung einen einheitlichen Rang zuweist und andererseits sicherstellt, dass der Gesetzgeber von dieser Praxis nur in den generellen Grenzen einer Verordnungsermächtigung Gebrauch macht. Ändert das Parlament wegen des sachlichen Zusammenhangs eines Reformvorhabens bestehende Verordnungen oder fügt es in diese neue Regelungen ein, so ist das dadurch entstandene Normgebilde aus Gründen der Normenklarheit insgesamt als Verordnung zu qualifizieren."
Nichts anderes kann nach Auffassung der Kammer für die Anlage zu § 28 SGB XII gelten. Diese lässt den Rechtsanwender mit der Bezeichnung "Anlage" ohnehin über die Rechtsnormqualität im Unklaren. Jedenfalls bei den Teilen, die aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 40 Satz 1 Nr. 2 SGB XII eingefügt worden sind, handelt es sich um Rechtsverordnungen. Dies muss dann auch für die Teile gelten, die auf dem RBEG basieren, da sich andernfalls Gesetzes- und Verordnungsrecht nicht mehr eindeutig voneinander abgrenzen ließen (vgl. Greiser/Stölting, DVBl 2012, 1353 ff). Die Regelung in § 8 RBEG führt nach Ansicht der Kammer ebenfalls nicht dazu, dass die Anlage zu § 28 SGB als förmliches Gesetz zu qualifizieren wäre. Zwar werden in § 8 RBEG die Regelbedarfsstufen durch ein förmliches Gesetz bestimmt. Dies ändert indes nichts daran, dass die Leistungsbewilligung auf § 42 Nr. 1 SGB XII i. V. m. der Anlage zu § 28 SGB XII beruht, so dass die Kammer nur über diese Vorschriften zu entscheiden hat. Die Anlage zu § 28 SGB XII nimmt auf § 8 RBEG nicht Bezug. Vor diesem Hintergrund konnte die Kammer die Regelungen in der Anlage zu § 28 SGB XII selbst verwerfen und nach Maßgabe des Gleichheitssatzes gem. Art. 3 GG und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem SGB II und dem SGB XII an der Rechtsprechung des BSG zur vorherigen Rechtslage festhalten (s.o.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Die Berufung bedurfte gem. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG der Zulassung, da die Differenz zwischen der Regelbedarfsstufe 1 und 3 im streitigen Zeitraum lediglich 73,- EUR pro Monat betrug. Auch unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die weiteren Leistungen (Mehrbedarf aufgrund Merkzeichen G und Mehrbedarf wegen dezentraler Warmwassererzeugung) wird dadurch die Berufungssumme von 750,- EUR im Zeitraum April bis September 2011 nicht überschritten. Die Kammer hat im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Berufung und gem. § 161 SGG auch die Sprungrevision zugelassen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum April bis September 2011 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
3. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
4. Die Berufung und die Sprungrevision werden zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1.
Die im Jahre 1921 geborene Klägerin lebte zunächst in T und bezog dort Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII. Seit Ende Juli 2009 wohnt sie in C in der Wohnung der Frau X, die im Jahr 1940 geboren ist. Der Hintergrund für den Umzug bestand darin, dass sich die Frau X bereit erklärt hatte, die notwendige Pflege der Klägerin zu übernehmen. Die Wohngemeinschaft ist auf Dauer angelegt. Die Klägerin ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt (GdB 60 und Merkzeichen G). Sie erhält Leistungen aus der gesetzlichen Pflegeversicherung nach der Pflegestufe II, zunächst als Pflegegeld und später als Sachleistung. Über weiteres Einkommen oder Vermögen verfügt die Klägerin nicht. Die Unterkunftskosten für die Wohnung belaufen sich insgesamt auf 330,- EUR und die Heizkosten auf 90,- EUR. Von diesen Kosten haben die Klägerin und die Frau X jeweils die Hälfte zu tragen. Das Warmwasser wird nicht über die Heizungsanlage, sondern mit Strom erzeugt. Die Klägerin ist gesetzlich kranken- und pflegeversichert, der Beitrag belief sich zunächst auf 138,40 EUR.
Die Klägerin beantragte am 08.09.2009 Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII bei der Beklagten. Diese bewilligte die Leistungen mit Bescheid vom 29.09.2009 für den Zeitraum Oktober 2009 bis September 2010.
Auf den Folgeantrag der Klägerin bewilligte die Beklagte die Leistungen der Grundsicherung mit Bescheid vom 27.09.2010 für den Zeitraum Oktober 2010 bis September 2011 i. H. v. 768,43 EUR pro Monat. Dieser Betrag setzt sich aus dem Regelsatz für den Haushaltsvorstand i. H. v. 359,- EUR, dem Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII i. H. v. 61,03 EUR, dem Beitrag für die Kranken- und Pflegeversicherung i. H. v. 138,40 EUR und dem hälftigen Anteil an den Unterkunfts- und Heizkosten i. H. v. 210,- EUR zusammen. Mit Bescheid vom 24.02.2011 bewilligte die Beklagte aufgrund einer Erhöhung des Beitrages für die Kranken- und Pflegeversicherung auf 143,51 EUR ab Januar 2011 einen Betrag i. H. v. 773,54 EUR.
Mit Bescheid vom 29.03.2011 setzte die Beklagte die Leistungen der Klägerin für den Zeitraum April bis September 2011 nach § 48 SGB X neu fest und bewilligte einen Betrag von 693,98 EUR pro Monat. Dieser setzt sich aus dem Regelsatz nach der Regelbedarfsstufe 3 i. H. v. 291,- EUR, dem Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII i. H. v. 49,47 EUR, dem Beitrag für die Kranken- und Pflegeversicherung i. H. v. 143,51 EUR und dem hälftigen Anteil an den Unterkunfts- und Heizkosten i. H. v. 210,- EUR zusammen.
Die Klägerin legte gegen den Bescheid mit Schreiben vom 11.04.2011 Widerspruch ein. Diesen begründete sie damit, dass sie weiterhin einen Anspruch auf den vollen Regelsatz habe. Es sei keine Änderung in ihrer persönlichen Situation eingetreten, die es rechtfertigen würde, ihr nur noch 80% des Regelsatzes zu bewilligen.
Mit Bescheid vom 28.07.2011 bewilligte die Beklagte der Klägerin die Leistungen nach dem SGB XII für den Zeitraum April bis September 2011 i. H. v. 700,67 EUR pro Monat. Aufgrund der dezentralen Erzeugung des Warmwassers sei zusätzlich ein Betrag i. H. v. 6,69 EUR zu ge-währen.
Der Kreis I wies den Widerspruch der Klägerin mit Widerspruchsbescheid vom 14.10.2011 zurück. Die Klägerin habe keinen weitergehenden Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII, denn sie führe keinen eigenen Haushalt, sondern sei in den Haushalt der Frau X aufgenommen worden, die auch die Pflege übernommen habe. Die Klägerin sei daher der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen, da sie weder einen eigenen Haushalt führe noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führe. Die entsprechenden Leistungen seien der Klägerin bewilligt worden. Der Widerspruchsbescheid ging bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 17.10.2011 ein.
Die Klägerin hat am 09.11.2011 eine Klage erhoben. Diese begründet sie damit, dass sie hinsichtlich des Zeitraums April bis September 2011 einen höheren Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII habe. Sie lebe mit der Frau X lediglich in einer Wohngemeinschaft und habe daher weiterhin Anspruch auf den vollen Regelsatz. Veränderungen in ihrer persönlichen Situation seien nicht eingetreten.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 29.03.2011 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 28.07.2011 und des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den Zeitraum April bis September 2011 Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte verteidigt die angefochtenen Bescheide, die sie für rechtmäßig hält. Die Klägerin führe keinen eigenen Haushalt und sei dazu aufgrund ihrer Pflegebedürftigkeit auch nicht in der Lage. Sie sei daher der Regelbedarfsstufe 3 zuzuordnen, die entsprechenden Leistungen seien ihr bewilligt worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 und 4 SGG statthaft, denn es geht der Klägerin nicht nur um die Wiederherstellung der Leistungen, die ihr mit Bescheid vom 27.09.2010 bewilligt worden sind (Bewilligung für den Zeitraum Oktober 2010 bis September 2011 unter Berücksichtigung des Regelsatzes für den Haushaltsvorstand i. H. v. 359,- EUR). Sie begehrt vielmehr, dass die Beklagte ab April 2011 die Leistungen unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 i. H. v. 364,- EUR bewilligt. Dieses Ziel kann sie nur mit Hilfe der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage erreichen.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 29.03.2011 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 28.07.2011 und des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2011. Mit dem Bescheid vom 29.03.2011 sind die Leistungen für den Zeitraum April bis September neu festgesetzt worden. Der Änderungsbescheid vom 28.07.2011, mit dem für den gleichen Zeitraum zusätzlich der Mehrbedarf aufgrund der dezentralen Warmwassererzeugung gewährt worden ist, ist gem. § 86 SGG Gegenstand des Widerspruchs- und damit auch des Klageverfahrens geworden. Der Widerspruchsbescheid wird nach § 95 SGG in das Verfahren einbezogen. Der streitige Zeitraum reicht damit von April bis September 2011.
Der Bescheid vom 29.03.2011 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 28.07.2011 und des Widerspruchsbescheides vom 14.10.2011 erweist sich als rechtswidrig, denn die Klägerin hat im Zeitraum April bis September 2011 einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1.
Der Anspruch der Klägerin beruht auf § 41 Abs. 1 SGB XII. Nach dieser Vorschrift ist älteren und dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen nach den §§ 82 bis 84 und 90 bestreiten können, auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Er-werbsminderung zu leisten. Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen, denn sie ist im Jahre 1921 geboren und hat damit die Altersgrenze des § 41 Abs. 2 SGB XII überschritten. Darüber hinaus hat sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, denn sie lebt in einer auf Dauer angelegten Wohngemeinschaft in Bünde. Über Einkommen und Vermögen verfügt die Klägerin nicht. Bei den Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung handelt es sich nicht um Einkommen im Sinne des SGB XII (vgl. zur gleichen Rechtslage nach dem BSHG: BVerwG, Urteil vom 04.06.1992 - 5 C 82/88).
Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfassen nach § 42 Nr. 1 SGB XII die Regelsätze nach den Regelbedarfsstufen der Anlage zu § 28 SGB XII. Es kann im vorliegenden Verfahren offen bleiben, ob die Klägerin einen eigenen Haushalt oder einen gemeinsamen Haushalt mit der Frau X führt oder ob sie in dem Haushalt der Frau X lebt und wie diese Konstellationen voneinander abzugrenzen sind. Die Klägerin hat unabhängig davon einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1 der Anlage zu § 28 SGB XII, die im Jahr 2011 364,- EUR betrug.
Das BSG hat in dem Urteil vom 19.05.2009 (B 8 SO 8/08 R) zur Rechtslage nach der Verordnung zur Durchführung des § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelsatzverordnung - RSV) ausgeführt: "Nach § 40 SGB XII erlässt das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates Vorschriften über Inhalt, Bemessung und Aufbau der Regelsätze nach § 28 sowie ihre Fortschreibung.
Nach § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelsatzverordnung - RSV) sind die Regelsätze für den Haushaltsvorstand und für sonstige Haushaltsangehörige festzusetzen. Der Regelbedarf für den Haushaltsvorstand beträgt 100 vom Hundert des Eckregelsatzes, während die sonstigen Haus-haltsangehörigen gem. § 3 Abs. 2 RSV gestaffelt nach ihrem Alter 60 bzw. 80 vom Hundert des Eckregelsatzes erhalten.
Anspruch auf den Regelsatz für den Haushaltsvorstand hat indes nicht nur derjenige, der die Generalunkosten des Haushalts trägt, sondern auch weitere im Haushalt lebende Personen können berechtigt sein. Der Grund dafür liegt darin, dass die Vorschrift im Lichte des allgemeinen Gleichheitssatzes aus Art. 3 Grundgesetz (GG) verfassungskonform auszulegen ist.
Bei der Bestimmung des Begriffs des Haushaltsangehörigen in der RSV muss berücksichtigt werden, dass die Annahme einer Haushaltsersparnis nach den Regelungen des SGB II einer gegenüber den bisherigen BSHG-Regelungen abweichenden gesetzgeberischen Konzeption folgt. Danach ist die Annahme einer Haushaltsersparnis nicht mehr mit einer individuellen Prüfung der tatsächlichen Verhältnisse der zusammen lebenden Personen verbunden. Vielmehr geht § 20 SGB II typisierend von prozentualen Abschlägen von der Regelleistung wegen Haushaltsersparnis nur bei Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft aus. Im Unterschied zur Rechtslage nach dem Sozialhilferecht hat der Gesetzgeber des SGB II bewusst auf die Normierung der Rechtsfigur eines "Haushaltsvorstandes" verzichtet.
Im Hinblick auf die im SGB II normativ-typisierend unterstellten Kosten einer Haushalts-ersparnis lässt sich ein sachlicher Grund für eine unterschiedliche Behandlung der Leistungsempfänger des SGB II und des SGB XII weder den Gesetzesmaterialien entnehmen noch ist er sonst erkennbar. Insbesondere findet sich ein sachlicher Grund nicht in dem Umstand, dass die Empfänger von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende grundsätzlich erwerbsfähig i. S. des § 8 SGB II sind. Die Annahme einer Haushaltsersparnis in bestimmten Konstellationen des Zusammenlebens hat keinen Bezug zur Erwerbsfähigkeit. Sie hat vielmehr die Funktion, die Ersparnisse für ein gemeinsames Wirtschaften zu berücksichtigen. Die Minderung des Regelsatzes bei Annahme des Status als Haushaltsangehöriger wird auch nicht durch sozialhilferechtliche Vorteile kompensiert. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die enge Verknüpfung der Regelleistung des SGB II mit dem Sozialhilferecht auf die Auslegung der SGB XII-Vorschriften zurückwirkt.
Nach Maßgabe des Gleichheitssatzes gem. Art. 3 GG und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem SGB II und dem SGB XII können daher Einsparungen bei gemeinsamen Haushalt nur angenommen werden, wenn die zusammenlebenden Personen eine Bedarfsgemeinschaft i. S. des SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft i. S. des § 19 Abs. 1 SGB XII bilden."
An dieser Rechtsprechung des BSG ist nach Auffassung der Kammer auch nach der Neuregelung zum 01.01.2011 in § 27a SGB XII und der Anlage zu § 28 SGB XII festzuhalten, denn in der Sache hat sich die Rechtslage nicht geändert. Die Regelsatzverordnung unterschied zwischen dem Haushaltsvorstand und dem Haushaltsangehörigen. Haushaltsvorstand war nach der Rechtsprechung des BVerwG, wer die "Generalunkosten des Haushalts" trug (vgl. BVerwG, Urteil v. 30.12.1965 - V B 152.65). Alle weiteren Bewohner waren dann die Haushaltsangehörigen, die ab Vollendung des 14. Lebensjahres Anspruch auf 80% des Regelsatzes hatten. Die Regelbedarfsstufen nach der Anlage zu § 28 SGB XII differenzieren nunmehr zwischen erwachsenen Personen, die einen eigenen Haushalt führen (Regelbedarfsstufe 1) und solchen, die weder einen eigenen Haushalt führen, noch als Ehegatte, Lebenspartner oder in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft einen gemeinsamen Haushalt führen (Regelbedarfsstufe 3). Dies entspricht der alten Unterscheidung zwischen Haushaltsvorstand und Haushaltsangehörigen, so dass sich keine neue Rechtslage ergeben hat. Auch die Höhe des Regelsatzes für den Haushaltsangehörigen gleicht mit 80% der Regelbedarfsstufe 3. Der einzige Unterschied besteht somit darin, dass der Regelsatz für den Haushaltsangehörigen auch für Kinder ab Vollendung des 14. Lebensjahres galt, während die Regelbedarfsstufe 3 nur für erwachsene Personen Anwendung findet (für Kinder gelten nunmehr die Stufen 4 bis 6).
Die Begründung, die der Gesetzgeber bei der Einführung der Regelbedarfsstufe 3 gegeben hat, trägt nach Auffassung der Kammer nicht. Der Gesetzgeber war sich darüber bewusst, dass die Regelbedarfsstufe 3 weiterhin eine Ungleichbehandlung von Leistungsbeziehern nach dem SGB XII gegenüber solchen nach dem SGB II mit sich bringt, da diese ab Vollendung des 25. Lebensjahres generell Anspruch auf den vollen Regelsatz haben. Diese Abweichung ergebe sich aus den Systemunterschieden zwischen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Sozialhilfe. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende wende sich ihrer Zielrichtung nach vornehmlich an einen dem Grunde nach erwerbsfähigen Personenkreis, der nur vorübergehend der Unterstützung durch steuerfinanzierte Sozialleistungen bedürfe. Aus der Erwerbsfähigkeit ergäben sich im SGB II Pflichten zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit. Diese würden insbesondere auch für im Haushalt der Eltern lebende Erwachsene ab 25 Jahren gelten, die Arbeitslosengeld II bezögen. Von ihnen sei deshalb ein erhöhtes Maß an Eigenverantwortung und wirtschaftlicher Beweglichkeit einzufordern, woraus sich auch die Anerkennung wirtschaftlicher Eigenständigkeit durch einen Regel-bedarf entsprechend der Regelbedarfsstufe 1 ableite (vgl. BT-Drucks. 17/4095, S. 27). Die Argumentation vermag nach Auffassung der Kammer nicht zu überzeugen. Der Gesetzgeber verkennt, dass das SGB II zwischen den Leistungen zur Eingliederung in Arbeit (§§ 14 ff SGB II) und den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts (§§ 19 ff SGB II) unterscheidet. Soweit bei den Leistungsberechtigten nach dem SGB II ein Mehrbedarf aufgrund der Verpflichtung zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit entsteht, z.B. für Bewerbungs- oder Fahrtkosten, wäre dieser durch die Leistungen zur Eingliederung in Arbeit zu decken, etwa aus dem Vermittlungsbudget (§ 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 44 SGB III). Dieser Bedarf betrifft also überhaupt nicht die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, so dass es nicht gerechtfertigt ist, unter Berufung auf einen etwaigen Mehrbedarf die Leis-tungen nach dem SGB XII für Haushaltsangehörige generell abzusenken. Darüber hinaus ist die Argumentation des Gesetzgebers auch inkonsequent. Wenn die Leistungsberechtigten nach dem SGB II tatsächlich einen erhöhten Bedarf an Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hätten, dann müssten auch alleinstehende Personen höhere Leistungen erhalten. Tatsächlich sind die Leistungen für alleinstehende Personen nach dem SGB II und dem SGB XII jedoch gleich.
Letztlich kann es aber dahinstehen, ob die Argumentation des Gesetzgebers zutreffend ist oder nicht, denn eine Ungleichbehandlung lässt sich nicht allein dadurch rechtfertigen, dass eine Begründung dafür gegeben wird. Gegenstand verfassungsgerichtlicher Überprüfung ist grundsätzlich das Gesetz und seine Wirkung; auf die Motive des Gesetzgebers kommt es nicht an (vgl. BVerfG, Urteil v. 7.11.2007 - 1 BvR 1840/07). Die Regelbedarfsstufe 3 bringt eine Ungleichbehandlung mit sich, da die Leistungen für haushaltsangehörige Leis-tungsberechtigte nach dem SGB XII ab Vollendung des 25. Lebensjahres im Vergleich zum SGB II geringer sind. Eine solche Absenkung der Leistungen ließe sich nur dadurch rechtfertigen, dass bei ihnen generell ein geringerer Bedarf ermittelt worden wäre. Dies ist indes nicht der Fall, denn die Regelbedarfsermittlung nach § 28 SGB XII unterscheidet nicht zwischen erwerbsfähigen und erwerbsunfähigen Personen. Es ist noch nicht einmal ermittelt worden, in welcher Höhe beim Zusammenleben von mehreren erwachsenen Personen ein Einspareffekt auftritt. Der Gesetzgeber begründet dies damit, dass eine statistische Ermittlung der Regelbedarfe von Erwachsenen, die in einer Mehrpersonenkonstellation in einem Haushalt leben, auf der Grundlage einer Sonderauswertung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, aufgrund der zur Verfügung stehenden Kürze der Zeit mangels einer verfügbaren Konzeption innerhalb des laufenden Gesetzgebungsverfahrens nicht möglich gewesen sei (vgl. BT-Drucks. 17/4095, S. 27). Es ist lediglich in § 10 Abs. 2 Nr. 3 RBEG festgelegt worden, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales dem Deutschen Bundestag bis zum 1. Juli 2013 in einem Bericht Vorschläge zu unterbreiten hat, für die Ermittlung von regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben von Erwachsenen, die in einem Mehrpersonenhaushalt leben, als Grundlage für die Ermittlung von Regelbedarfen und die danach vorzunehmende Bestimmung von Regelbedarfsstufen für Erwachsene, die nicht in einem Einpersonenhaushalt leben. Die gesamte Absenkung von Leistungen für haushaltsangehörige Erwachsene auf 80% des Regelsatzes steht damit auf tönernen Füßen. Jedenfalls ist eine Ungleichbehandlung von haushaltsangehörigen Leistungsbe-rechtigten nach dem SGB XII gegenüber solchen nach dem SGB II ohne entsprechende Ermittlungen nicht zu rechtfertigen (kritisch zu Einführung der Regelbedarfsstufe 3 auch LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 6.2.2012 - L 20 SO 527/11 B; Greiser/Stölting, DVBl 2012, 1353 ff; Gutzler, in jurisPK-SGB XII, 1. Aufl. 2011, Rn. 79 ff.; Langer, RdL 2012, 23 ff; Lenze in: LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, § 8 RBEG Rn. 6; Saitzek, in Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 20, Rn. 16; aA LSG Niedersachen-Bremen, Beschluss vom 24.10.2011 - L 8 SO 275/11 B ER; LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 18.7.2012 - L 8 SO 13/12 B ER; Wahrendorf, in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl. 2012, § 28, Rn. 61).
Vor diesem Hintergrund ist nach Auffassung der Kammer an der Rechtsprechung des BSG festzuhalten, dass nach Maßgabe des Gleichheitssatzes gem. Art. 3 GG und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem SGB II und dem SGB XII Einsparungen bei gemeinsamen Haushalt nur angenommen werden können, wenn die zusammenlebenden Personen eine Bedarfsgemeinschaft i. S. des SGB II oder eine Einsatzgemeinschaft i. S. des SGB XII bilden. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Verfahren nicht erfüllt. Die Klägerin (Jg. 1921) und die Frau X (Jg. 1940) sind nicht leistungsberechtigt nach dem SGB II und bilden somit keine Bedarfsgemeinschaft nach diesem Gesetz. Auch eine Einstandsgemeinschaft nach dem SGB XII liegt nicht vor, denn bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung ist nach § 43 Abs. 1 SGB XII (nur) das Einkommen und Vermögen des nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartners sowie des Partners einer eheähnlichen oder lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaft zu berücksichtigen. Die Klägerin und die Frau X leben nicht in einem solchen Verhältnis. Die Klägerin hat damit einen Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII unter Berücksichtigung der Regelbedarfsstufe 1.
Die Kammer konnte über die Leistungen der Klägerin nach dem SGB XII selbst entscheiden, einer Vorlage gem. Art. 100 Abs. 1 GG an das Bundesverfassungsgericht bedurfte es nicht. Die Leistungsbewilligung beruht auf § 42 Nr. 1 SGB XII i. V. m. der Anlage zu § 28 SGB XII. Bei dieser Anlage handelt es sich um eine Rechtsverordnung, so dass eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht unzulässig wäre. Die in Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 BVerfGG geregelte Vorlagepflicht besteht nur dann, wenn es sich bei der zur Nachprüfung gestellten entscheidungserheblichen Norm um ein formelles Gesetz handelt. Die insoweit beim Bundesverfassungsgericht konzentrierte ausschließliche Zuständigkeit hat ihren tragenden Grund in der Achtung vor der gesetzgeberischen Gewalt, über deren Willen sich nicht jedes Gericht soll hinwegsetzen dürfen. Dies gilt nicht in gleicher Weise für Normen im Rang unter dem förmlichen Gesetz. Anders als bei förmlichen Gesetzen besteht zudem bei der Nachprüfung von Rechtsverordnungen durch einzelne Gerichte unter der Geltung des Grundgesetzes auch nicht die Gefahr der Rechtsunsicherheit oder Rechtszersplitterung. Die Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG bietet insoweit hinreichende Möglichkeiten, um bei allen Rechtsverordnungen von Bedeutung rechtzeitig eine allgemein verbindliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeizuführen. Die verfassungsrechtliche Nachprüfung von Rechtsverordnungen obliegt daher in Fällen ihrer Ent-scheidungserheblichkeit nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedem Richter (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27.9.2005 -2 BvL 11/02, 2 BvL 12/03, 2 BvL 13/02 m.w.N.).
Die Anlage zu § 28 SGB XII wurde zwar durch ein Parlamentsgesetz eingeführt (Art. 3 Nr. 42 des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (RBEG) vom 24.03.2011, BGBl. I 2011, S. 453). Gleichzeitig sieht § 40 Satz 1 Nr. 2 SGB XII jedoch die Möglichkeit vor, die Anlage durch eine Rechtsverord-nung zu ergänzen. Aufgrund dieser Verordnungsermächtigung ist die Anlage insgesamt als Rechtsverordnung zu qualifizieren, da andernfalls nicht mehr zu erkennen wäre, welche Teile Gesetzes- und welche Verordnungsrang haben. Dies widerspräche dem vom BVerfG aufgestellten Grundsatz der Normenwahrheit.
Das BVerfG hat dazu in dem Beschluss vom 27.9.2005 (2 BvL 11/02, 2 BvL 12/03, 2 BvL 13/02) ausgeführt: "Werden Verordnungen durch förmliche Gesetze geändert oder ergänzt, so könnte dies zu einem missverständlichen, irreführenden Normgebilde führen, dessen Bezeichnung (Verordnung) und Kennzeichnung als Normsetzung auf Grund einer Ermächtigung ( Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG) zu ihrem tatsächlichen Rang (förmliches Gesetz) und den davon abhängigen Rechtsfolgen im Widerspruch stünde. Gälte der Inhalt einer durch förmliches Gesetz veränderten Verordnung, soweit die entsprechenden Änderungen reichen, im Gesetzesrang, so wäre aus einem solchen bereinigten Normtext nicht mehr zu erkennen, welche Teile davon Verordnungsrecht geblieben und welche durch Änderungsgesetze vom Gesetzgeber erlassen worden sind. Der Rechtscharakter der einzelnen Normteile wäre nur noch mit Rückgriff auf die Gesetzgebungsmaterialien oder auf die verkündeten Fassungen von Änderungsnormen erkennbar. Auf die Auskünfte in der Überschrift und den einleitenden Worten, die auf eine genau bezeichnete Ermächtigungsgrundlage Bezug nehmen (Art. 80 Abs. 1 S. 3 GG), wäre kein Verlass mehr; der wirkliche Status der einzelnen Bestimmungen könnte nur mit erheblichem Aufwand ermittelt werden.
Ein solcher Rechtszustand wäre mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar. Dass zur Normenklarheit auch Normenwahrheit gehört, wirkt sich hier denkbar einfach aus: Überschrift und Einleitung eines Regelungswerkes müssen auch nach zahlreichen Änderungen noch halten, was sie versprechen. Eine Norm darf die von ihr Betroffenen nicht im Unklaren darüber lassen, welchen Rang sie hat und wie gegen sie effektiver Rechtsschutz zu suchen ist - sei es auf einem direkt auf die Kontrolle der Norm gerichteten Rechtsweg oder durch eine indirekte Anfechtung im Zusammenhang mit einem Rechtsmittel gegen einen Vollzugsakt.
Die aufgezeigten Schwierigkeiten vermeidet nur eine Lösung, die einerseits der geänderten Verordnung einen einheitlichen Rang zuweist und andererseits sicherstellt, dass der Gesetzgeber von dieser Praxis nur in den generellen Grenzen einer Verordnungsermächtigung Gebrauch macht. Ändert das Parlament wegen des sachlichen Zusammenhangs eines Reformvorhabens bestehende Verordnungen oder fügt es in diese neue Regelungen ein, so ist das dadurch entstandene Normgebilde aus Gründen der Normenklarheit insgesamt als Verordnung zu qualifizieren."
Nichts anderes kann nach Auffassung der Kammer für die Anlage zu § 28 SGB XII gelten. Diese lässt den Rechtsanwender mit der Bezeichnung "Anlage" ohnehin über die Rechtsnormqualität im Unklaren. Jedenfalls bei den Teilen, die aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 40 Satz 1 Nr. 2 SGB XII eingefügt worden sind, handelt es sich um Rechtsverordnungen. Dies muss dann auch für die Teile gelten, die auf dem RBEG basieren, da sich andernfalls Gesetzes- und Verordnungsrecht nicht mehr eindeutig voneinander abgrenzen ließen (vgl. Greiser/Stölting, DVBl 2012, 1353 ff). Die Regelung in § 8 RBEG führt nach Ansicht der Kammer ebenfalls nicht dazu, dass die Anlage zu § 28 SGB als förmliches Gesetz zu qualifizieren wäre. Zwar werden in § 8 RBEG die Regelbedarfsstufen durch ein förmliches Gesetz bestimmt. Dies ändert indes nichts daran, dass die Leistungsbewilligung auf § 42 Nr. 1 SGB XII i. V. m. der Anlage zu § 28 SGB XII beruht, so dass die Kammer nur über diese Vorschriften zu entscheiden hat. Die Anlage zu § 28 SGB XII nimmt auf § 8 RBEG nicht Bezug. Vor diesem Hintergrund konnte die Kammer die Regelungen in der Anlage zu § 28 SGB XII selbst verwerfen und nach Maßgabe des Gleichheitssatzes gem. Art. 3 GG und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen zwischen dem SGB II und dem SGB XII an der Rechtsprechung des BSG zur vorherigen Rechtslage festhalten (s.o.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Die Berufung bedurfte gem. § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG der Zulassung, da die Differenz zwischen der Regelbedarfsstufe 1 und 3 im streitigen Zeitraum lediglich 73,- EUR pro Monat betrug. Auch unter Berücksichtigung der Auswirkungen auf die weiteren Leistungen (Mehrbedarf aufgrund Merkzeichen G und Mehrbedarf wegen dezentraler Warmwassererzeugung) wird dadurch die Berufungssumme von 750,- EUR im Zeitraum April bis September 2011 nicht überschritten. Die Kammer hat im Hinblick auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gem. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG die Berufung und gem. § 161 SGG auch die Sprungrevision zugelassen.
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