Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
205
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 205 AS 5324/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. § 7 Abs. 4a SGB II in seiner bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung ist dann teleologisch zu reduzieren, wenn es dem Leistungsberechtigen objektiv nicht möglich ist, aus dem Ausland zurückzukehren und aktiv an Eingliederungsleistungen teilzunehmen. In diesem Fall ist die zeitliche Begrenzung von § 3 Abs. 3 Erreichbarkeits-Anordnung im Anwendungsbereich des SGB II nicht entsprechend anwendbar.
2. Einer Rechtsfrage, die auslaufendes Recht betrifft, kann ausnahmsweise grundsätzliche Bedeutung beigemessen werden, wenn unklar ist, wann mit dem Auslaufen des Rechts zu rechnen ist und diese Rechtsfrage deswegen für eine nicht unerhebliche Anzahl laufender Verfahren und zukünftiger Verfahren wahrscheinlich von Bedeutung ist.
2. Einer Rechtsfrage, die auslaufendes Recht betrifft, kann ausnahmsweise grundsätzliche Bedeutung beigemessen werden, wenn unklar ist, wann mit dem Auslaufen des Rechts zu rechnen ist und diese Rechtsfrage deswegen für eine nicht unerhebliche Anzahl laufender Verfahren und zukünftiger Verfahren wahrscheinlich von Bedeutung ist.
Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 15. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 31. Januar 2011 (W 9932/10) wird aufgehoben. Der Beklagte hat dem Kläger die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Aufhebung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides in Höhe von 389,25 EUR wegen Ortsabwesenheit vom 1. November bis 16. November 2010.
Der 1958 im Irak geborene Kläger bezieht seit 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Unter dem 6. Juli 2010 schlossen der Kläger und der Beklagte eine Eingliederungsvereinbarung ab. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass er verpflichtet sei, Änderungen unverzüglich mitzuteilen und bei einer Ortsabwesenheit vorab die Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners einzuholen habe. Bei einer unangemeldeten oder unerlaubten Ortsabwesenheit entfalle der Anspruch auf Arbeitslosengeld II.
Mit Bewilligungsbescheid vom 27. August 2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum Oktober 2010 bis März 2011 in Höhe von 729,85 EUR (359,00 EUR Regelleistung, 370,85 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung) monatlich. In den ergänzenden Erläuterungen des Bescheides wurde der Kläger erneut darauf hingewiesen, dass er verpflichtet sei, den Zeitraum und die Dauer einer geplanten Ortsabwesenheit mit seinem persönlichen Ansprechpartner vorher abzustimmen. Eine unerlaubte Abwesenheit könne dazu führen, dass der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld II wegfalle und es zurückgefordert werde.
Der Kläger befand sich vom 11. Oktober 2010 bis zum 30. Oktober 2010 mit Zustimmung des Beklagten in Ortsabwesenheit. Der Kläger meldete sich nicht schon zum 1. November 2010 aus der Ortsabwesenheit zurück, sondern sprach erstmals am 17. November 2010 beim Beklagten vor. Er gab an, er habe die Rückmeldung vergessen, da er ein Medikament gegen Schwerhörigkeit einnehme, welches zu Vergesslichkeit führen könne.
Mit Bescheid vom 10. November 2010 hob der Beklagte die Entscheidung vom 27. August 2010 ab 1. November 2010 ganz auf. Zur Begründung führte er an, der Kläger halte sich auswärtig auf. Dieser Zeitraum umfasse mehr als 42 Kalendertage. Ein Leistungsanspruch sei ab Beginn der Ortsabwesenheit des Klägers nicht gegeben.
Mit Schreiben vom 22. November 2010 hörte der Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Aufhebung für den Zeitraum 1. bis 16. November 2010 und zur beabsichtigen Festsetzung einer Erstattungsforderung in Höhe von 389,25 EUR aufgrund der Ortsabwesenheit an.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. Dezember 2010 hob der Beklagte die Entscheidung vom 27. August 2010 wie angekündigt auf und forderte Erstattung einer Forderung in Höhe von 389,25 EUR.
Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2011 – W 9932/10). Soweit der Kläger im Widerspruchsverfahren behaupte, er sei aufgrund einer Inhaftierung und anschließender Arbeitsunfähigkeit an der Rückkehr gehindert gewesen, handele es sich um eine bloße Schutzbehauptung. Dies folge aus dem Umstand, dass er bei seiner Rückkehr angegeben habe, er habe Medikamente gegen Schwerhörigkeit einzunehmen, die zu Vergesslichkeit führen könnten. Nachweise für den Zeitraum der Inhaftierung, der Einreise oder die Arbeitsunfähigkeit habe der Kläger nicht beigebracht.
Mit seiner vom 28. Februar 2011 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Der Kläger behauptet, er sei Ende November im Irak verhaftet worden. Ein Gericht habe seine Freilassung am 2. November 2010 veranlasst. Diese sei am 3. November 2010 erfolgt. Danach habe er unter Schock gestanden und sei sehr krank gewesen. Er habe durch einen Arzt mit Spritzen und Tabletten behandelt werden müssen. Nach seiner Ausreise aus dem Irak am 13. November 2013 habe er sich auf den ersten Meldetermin zum Beklagten begeben.
Der Kläger meint, er habe seine Ortsabwesenheit nicht verschuldet.
Der Kläger beantragt,
den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 15. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 31. Januar 2011 (W 9932/10) aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist der Beklagte auf den Inhalt der Verwaltungsvorgänge sowie die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Er meint, er habe bereits mit Bescheid vom 10. November 2010 die Leistungen aufgehoben, sodass die Aufhebung im Bescheid vom 15. Dezember 2010 lediglich eine wiederholende Verfügung sei. Demzufolge sei der Erstattungsbescheid vom 15. Dezember 2010 rechtmäßig, da die mit Bescheid vom 10. November 2010 verfügte Aufhebung bestandskräftig geworden sei. § 3 Abs. 3 Erreichbarkeits-Anordnung beschränke eine mögliche Verlängerung der Zustimmung zur Ortsabwesenheit in Fällen außergewöhnlicher Härte auf höchstens drei Tage.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die der Kammer bei der Entscheidung vorlagen, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die als isolierte Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage ist zulässig.
Dies gilt insbesondere auch für Teil des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 15. Dezember 2010, mit dem die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 27. August 2010 für den Zeitraum 1. bis 16. November 2010 verfügt worden ist. Entgegen der Ansicht des Beklagten handelt es auch insoweit um eine Regelung durch Verwaltungsakt und nicht um eine wiederholende Verfügung der Regelung des Aufhebungsbescheides vom 10. November 2010. Unter einer wiederholenden Verfügung wird überwiegend die Wiederholung eines oder der Hinweis auf einen unanfechtbaren Verwaltungsakt verstanden, ohne dass eine erneute Sachentscheidung ergeht (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 51 Rn. 57; Mutschler, in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 77. EL 2013, § 31 SGB X Rn. 16; Engelmann, in: v. Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 31 Rn. 32). Die nur wiederholende Verfügung ist mangels Regelung kein Verwaltungsakt und nicht anfechtbar (BSG 20.11.2003 – B 13 RJ 43/02 R – BSGE 91, 277 – SozR 4–2600 § 96a Nr. 3; Mutschler, aaO).
Die Annahme einer rein wiederholenden Verfügung verbietet sich bereits vor dem Hintergrund, dass der Aufhebungsbescheid vom 15. Dezember 2010 im Vergleich zum Aufhebungsbescheid vom 10. November 2010 unterschiedliche Regelungen beinhaltet. So wird mit dem Aufhebungsbescheid vom 10. November 2010 im Verfügungssatz der Bewilligungsbescheid vom 27. August 2010 ab 1. November 2010 ohne zeitliche Begrenzung aufgehoben. Eine solche zeitliche Begrenzung lässt sich auch nicht anhand der Begründung des Bescheides mittels Auslegung ermitteln, denn vielmehr lässt die Begründung offen, bis wann sich der Kläger auswärtig aufhält ("Sie halten sich vom bis auswärtig auf."). Auch aus sonstigen, außerhalb des Bescheides liegenden Umständen konnte der Empfänger der Aufhebungsentscheidung vom 10. November 2010 keine zeitliche Begrenzung für die Dauer der Ortsabwesenheit entnehmen, da der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch ortsabwesend gewesen ist und damit nicht feststand, wie lange die Ortsabwesenheit noch andauern würde. Demgegenüber regelt der Aufhebungsbescheid vom 15. Dezember 2010 laut seines Verfügungssatzes ausdrücklich die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung vom 27. August 2010 für den Zeitraum 1. bis 16. November 2010. Damit handelt es sich nicht um eine wiederholende Verfügung, da nicht auf eine bereits getroffene Regelung verwiesen oder diese wiederholt wird, sondern vielmehr in zeitlicher Hinsicht eine abweichende Regelung – Aufhebung für den Zeitraum 1. bis 16. November 2010 anstatt Aufhebung für den Zeitraum 1. November 2010 bis 30. März 2011 – erlassen wird.
Die Anfechtungsklage ist begründet. Der angefochtene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 15. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 31. Januar 2011 (W 9932/10) ist rechtswidrig und beschwert den Kläger durch die belastende Regelung in Form der teilweisen Aufhebung der ursprünglich ihn begünstigenden Bewilligung sowie durch die Festsetzung der Erstattungsforderung (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Rechtsgrundlage ist §§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt und der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
An der erforderlichen Bösgläubigkeit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X dürften im vorliegenden Fall kaum ernstliche Zweifel bestehen. Von Erkennbarkeit der Folgen der Ortsabwesenheit wird man regelmäßig dann ausgehen können, wenn auf diese in der Eingliederungsvereinbarung ausdrücklich hingewiesen wird (Hänlein, in: Gagel, SGB II/III, 49. EL 2013, § 7 SGB II Rn. 84c). Der Kläger ist sowohl in der Eingliederungsvereinbarung vom 6. Juli 2010 als auch im (teilweise) aufgehobenen Bewilligungsbescheid vom 27. August 2010 ausdrücklich auf den Wegfall des Arbeitslosengeldes II bei Ortsabwesenheit ohne die erforderliche Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners hingewiesen worden.
Letztlich kann dies dahingestellt bleiben, da in den tatsächlichen Verhältnissen keine wesentliche Änderung eingetreten ist, denn der Kläger hat für den Zeitraum 1. November 2010 bis 16. November 2010 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4a SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (aF) ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht gegeben.
§ 7 Abs. 4a SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (aF) ist weiterhin anwendbar. Dies folgt aus § 77 Abs. 1 SGB II. Hiernach gilt § 7 Absatz 4a SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (aF) weiter bis zum Inkrafttreten einer nach § 13 Absatz 3 SGB II erlassenen Rechtsverordnung. Eine solche Rechtsverordnung ist bis zum heutigen Tage nicht in Kraft getreten.
Nach § 7 Abs. 4a SGB II erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476) definierten zeit- und ortsnahen Bereichs aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend.
Zwar sind die Voraussetzungen dem Wortlaut nach erfüllt (1.), indes ist § 7 Abs. 4a SGB II aF teleologisch dann zu reduzieren, wenn der Leistungsberechtigte nicht in der Lage ist, durch den Leistungsausschluss zur Rückkehr aus dem Ausland und der aktiven Teilnahme an Eingliederungsleistungen motiviert zu werden (2.). Dies gilt für den gesamten Zeitraum, indem das mit dem Leistungsausschluss bezweckte Motiv nicht erfüllt werden kann, auch wenn damit der nach § 3 Abs. 3 Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) geltende Zeitrahmen von drei Tagen überschritten wird (3.)
1.) Unzweifelhaft ist der Tatbestand des § 7 Abs. 4a SGB II aF erfüllt, denn der Kläger befand sich vom 1. bis 16. November 2010 ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs. Er befand sich vom 1. bis 13. November 2010 im Irak und vom 13. bis 16. November 2010 auf der Rückreise vom Irak nach Berlin.
2.) Dennoch ist die von § 7 Abs. 4a SGB II aF angeordnete Rechtsfolge nicht eingetreten, da die Norm teleologisch zu reduzieren ist, wenn der Leistungsausschluss nicht geeignet ist, seinen Zweck zu erfüllen. Durch die "Androhung" des Wegfalls der passiven Leistungen soll der Leistungsberechtigte vor allem zur Mitarbeit an der Eingliederung bewegt werden. (LSG Nordrhein-Westfalen, B. v. 03.04.2013 – L 19 AS 330/13 B). Der Gesetzgeber bezweckte mit der Überführung der Sanktionsregelung in einen Leistungsausschluss eine "härtere" Regelung, die den Leistungsberechtigen bewegen sollte, nach Deutschland zurückzukehren und aktiv an seiner Eingliederung in den Arbeitsmarkt mitzuwirken. Hierzu führte der Ausschuss für Arbeit und Soziales aus (BT-Drs. 16/1696, S. 26): "Insbesondere bei einem länger andauernden Aufenthalt im Ausland, bei dem dennoch der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland bestehen bleibt, ist die dort (in § 31) vorgesehene Absenkung um lediglich 30 Prozent der Regelleistung nicht geeignet, den Hilfebedürftigen zu einer Rückkehr nach Deutschland und der aktiven Mitwirkung an seiner Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu bewegen. Um die missbräuchliche Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen bei einem nicht genehmigten vorübergehenden auswärtigen Aufenthalt innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu vermeiden, sollte künftig der Anspruch auf Leistungen bei einem Verstoß gegen den in Abs 4a formulierten Grundsatz entfallen."
Dieser Zweck, Motivation zur Rückkehr aus dem Ausland und der Teilnahme an Eingliederungsmaßnahmen, kann nicht erreicht werden, wenn es dem Leistungsberechtigten objektiv unmöglich ist, aus dem Ausland zurückzukehren oder an Eingliederungsmaßnahmen teilzunehmen.
So liegt der Fall hier. Der Kläger wurde im Oktober 2010 im Irak verhaftet und befand sich ausweislich des von ihm eingereichten (übersetzen) Protokolls bis 2. November 2010 in Haft. Nach seiner glaubhaften Aussage ist er am 3. November 2010 entlassen worden.
Auch über diesen Zeitpunkt hinaus ist es dem Kläger objektiv unmöglich gewesen, aus dem Irak nach Deutschland zurückzukehren und an Eingliederungsmaßnahmen des Beklagten mitzuwirken. Zur Überzeugung der Kammer war der Kläger bis zu seiner Ausreise am 13. November 2010 in einer Art und Schwere erkrankt, die die Rückkehr nach Deutschland verhinderte. Dabei stützt sich die Kammer zum einen auf das vom Kläger eingereichte Schreiben des behandelnden Arztes. Hiernach litt der Kläger unter einer Bronchitis und der Arzt verordnete dem Kläger "Ruhe". Zwar ergibt sich aus der attestierten verordneten "Ruhe" nicht zwingend "Bettruhe" und damit Reiseunfähigkeit, indes ist die Art der Erkrankung, Bronchitis, regelmäßig mit Arbeitsunfähigkeit für rund zwei Wochen verbunden (vgl. Apotheken-Umschau, www.apotheken-umschau.de/Bronchitis-akut), sodass der Kläger in dieser Zeit nicht in der Lage gewesen wäre, etwaigen Eingliederungsmaßnahmen des Beklagten zu folgen. Überdies ist die Kammer aufgrund seines glaubhaften Vortrags überzeugt, dass der Kläger nach den Erfahrungen, die er mit der staatlichen Gewalt in Irak erlebt hat, unter einem "Schock" gelitten hat, der jedenfalls ein vernünftiges Arbeiten nicht zugelassen hatte. Insoweit stützt sich die Kammer lediglich auf den glaubhaften Vortrag des Klägers; dies ist zulässig, obschon das sozialgerichtliche Verfahren keine Parteivernehmung als Beweismittel kennt (Udsching, in: Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl., Kap. VII Rn. 134). Schlussendlich geht die Kammer aufgrund des glaubhaften Vortrags des Klägers davon aus, dass er für die Rückkehr mit dem Auto drei Tage benötige, sodass er sich erst im Laufe des Tages des 16. November 2010 in Berlin aufhielt und damit bis dahin ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4a SGB II aF aufgrund der hier vertretenen teleologischen Reduktion nicht gerechtfertigt ist.
3.) Dem steht entgegen der Ansicht des Beklagten § 3 Abs. 3 EAO nicht entgegen. Hiernach kann in Fällen außergewöhnlicher Härten, die aufgrund unvorhersehbarer und für den Arbeitslosen unvermeidbarer Ereignisse entstehen, die Drei-Wochenfrist nach Abs. 1 und 2 vom Arbeitsamt tageweise, höchstens um drei Tage verlängert werden.
Zwar sieht § 3 Abs. 3 EAO nur eine Verlängerung der genehmigten Ortsabwesenheit von lediglich höchstens drei Tagen, hier also bis zum 3. November 2010, vor, indes gilt die Vorschrift nach dem klaren Wortlaut des §7 Abs. 4a SGB II aF nur entsprechend. Die Erreichbarkeits-Anordnung gilt also entsprechend nur, soweit dies für den Regelungszweck des Abs 4a aF erforderlich ist (Spellbrink/G. Becker, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. § 7 Rn. 146; Valgolio, in: Hauck/Noftz IX/12, § 7 SGB II Rn. 262). Dieser Regelungszweck besteht – wie ausgeführt – gerade darin, den Leistungsberechtigen zur Rückkehr nach Deutschland und der aktiven Mitwirkung an seiner Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu bewegen (BT-Drs. 16/1696, S. 26). Dieser Regelungszweck kann – wie ebenfalls bereits ausgeführt – bei dem Kläger wegen seiner Inhaftierung und seines nachfolgenden schlechten Gesundheitszustandes nicht erreicht werden, sodass insoweit die von § 7 Abs. 4a SGB II aF angeordnete entsprechende Anwendung der Erreichbarkeits-Anordnung nicht gilt. Hiernach entfällt eine – etwaige durch § 7 Abs. 4a SGB II aF statuierte – Residenzpflicht, bei einer Erkrankung während der Ortsabwesenheit, die der Rückkehr entgegensteht, auch wenn § 3 Abs. 3 EAO lediglich eine Überschreitung von bis zu drei Tagen zulässt (im Ergebnis ebenso Winkler, info also 2007, 3, 5).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.
Die Berufung bedufte nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG einer gesonderten Zulassung, da der Wert der Beschwer des Beklagten die Wertgrenze von 750,00 EUR nicht übersteigt. Die Berufung war hier wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da bisher in der Rechtsprechung nicht geklärt ist, ob trotz der Bestimmung in § 3 Abs. 3 EAO eine telelogische Reduktion des § 7 Abs. 4a SGB II aF vorzunehmen ist, wenn es dem Leistungsberechtigten über mehr als drei Tage objektiv unmöglich ist, nach Deutschland zurückzukehren oder aktiv an Eingliederungsmaßnahmen teilzunehmen. Unschädlich ist, dass § 7 Abs. 4a SGB II aF auslaufendes Recht ist. Zwar hat eine Rechtsfrage, die auslaufendes oder ausgelaufenes Recht betrifft, in aller Regel keine grundsätzliche Bedeutung, da die Rechtsfortbildung nicht mehr gefördert werden kann und die Einheit des Rechts nicht mehr gewahrt werden kann (Körner, in: Brandt/Sachs, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 2. Aufl., Kap. R Rn. 11), indes kann ausnahmsweise einer Rechtsfrage, die sich auf auslaufendes oder nicht mehr geltendes Recht bezieht, grundsätzliche Bedeutung dann zukommen, wenn sie noch für eine nicht unerhebliche Anzahl laufender Verfahren von Bedeutung ist (Körner, aaO, Kap R Rn. 12; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 160 Rn. 7b). Eine solche Ausnahme ist hier gegeben, denn nach § 77 Abs. 1 SGB II ist § 7 Abs. 4a SGB II in seiner bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung weiter anzuwenden bis eine nach § 13 Abs. 3 SGB II erlassene Rechtsverordnung in Kraft tritt. Da eine solche Rechtsverordnung nach nunmehr 2 ½ Jahren bisher nicht erlassen worden ist und der Erlass einer solchen Verordnung nicht ersichtlich ist, ist davon auszugehen, dass derzeit noch eine Vielzahl von Fällen aktuell sind und noch werden, in denen die hier entschiedene Rechtsfrage aufgeworfen wird. In der gerichtlichen Praxis stellt sich die aufgeworfene Frage in einer Vielzahl von Fällen, in denen Leistungsberechtigte ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners im Ausland für mehr als drei Tage verweilen und behaupten, sie seien aufgrund von Krankheit an der Rückreise oder der Teilnahme an Eingliederungsmaßnahmen gehindert gewesen.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Aufhebung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides in Höhe von 389,25 EUR wegen Ortsabwesenheit vom 1. November bis 16. November 2010.
Der 1958 im Irak geborene Kläger bezieht seit 1. Januar 2005 Arbeitslosengeld II nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Unter dem 6. Juli 2010 schlossen der Kläger und der Beklagte eine Eingliederungsvereinbarung ab. Der Kläger wurde darauf hingewiesen, dass er verpflichtet sei, Änderungen unverzüglich mitzuteilen und bei einer Ortsabwesenheit vorab die Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners einzuholen habe. Bei einer unangemeldeten oder unerlaubten Ortsabwesenheit entfalle der Anspruch auf Arbeitslosengeld II.
Mit Bewilligungsbescheid vom 27. August 2010 bewilligte der Beklagte dem Kläger Arbeitslosengeld II für den Zeitraum Oktober 2010 bis März 2011 in Höhe von 729,85 EUR (359,00 EUR Regelleistung, 370,85 EUR Kosten für Unterkunft und Heizung) monatlich. In den ergänzenden Erläuterungen des Bescheides wurde der Kläger erneut darauf hingewiesen, dass er verpflichtet sei, den Zeitraum und die Dauer einer geplanten Ortsabwesenheit mit seinem persönlichen Ansprechpartner vorher abzustimmen. Eine unerlaubte Abwesenheit könne dazu führen, dass der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld II wegfalle und es zurückgefordert werde.
Der Kläger befand sich vom 11. Oktober 2010 bis zum 30. Oktober 2010 mit Zustimmung des Beklagten in Ortsabwesenheit. Der Kläger meldete sich nicht schon zum 1. November 2010 aus der Ortsabwesenheit zurück, sondern sprach erstmals am 17. November 2010 beim Beklagten vor. Er gab an, er habe die Rückmeldung vergessen, da er ein Medikament gegen Schwerhörigkeit einnehme, welches zu Vergesslichkeit führen könne.
Mit Bescheid vom 10. November 2010 hob der Beklagte die Entscheidung vom 27. August 2010 ab 1. November 2010 ganz auf. Zur Begründung führte er an, der Kläger halte sich auswärtig auf. Dieser Zeitraum umfasse mehr als 42 Kalendertage. Ein Leistungsanspruch sei ab Beginn der Ortsabwesenheit des Klägers nicht gegeben.
Mit Schreiben vom 22. November 2010 hörte der Beklagte den Kläger zu einer beabsichtigten Aufhebung für den Zeitraum 1. bis 16. November 2010 und zur beabsichtigen Festsetzung einer Erstattungsforderung in Höhe von 389,25 EUR aufgrund der Ortsabwesenheit an.
Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 15. Dezember 2010 hob der Beklagte die Entscheidung vom 27. August 2010 wie angekündigt auf und forderte Erstattung einer Forderung in Höhe von 389,25 EUR.
Der hiergegen gerichtete Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 2011 – W 9932/10). Soweit der Kläger im Widerspruchsverfahren behaupte, er sei aufgrund einer Inhaftierung und anschließender Arbeitsunfähigkeit an der Rückkehr gehindert gewesen, handele es sich um eine bloße Schutzbehauptung. Dies folge aus dem Umstand, dass er bei seiner Rückkehr angegeben habe, er habe Medikamente gegen Schwerhörigkeit einzunehmen, die zu Vergesslichkeit führen könnten. Nachweise für den Zeitraum der Inhaftierung, der Einreise oder die Arbeitsunfähigkeit habe der Kläger nicht beigebracht.
Mit seiner vom 28. Februar 2011 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Der Kläger behauptet, er sei Ende November im Irak verhaftet worden. Ein Gericht habe seine Freilassung am 2. November 2010 veranlasst. Diese sei am 3. November 2010 erfolgt. Danach habe er unter Schock gestanden und sei sehr krank gewesen. Er habe durch einen Arzt mit Spritzen und Tabletten behandelt werden müssen. Nach seiner Ausreise aus dem Irak am 13. November 2013 habe er sich auf den ersten Meldetermin zum Beklagten begeben.
Der Kläger meint, er habe seine Ortsabwesenheit nicht verschuldet.
Der Kläger beantragt,
den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 15. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 31. Januar 2011 (W 9932/10) aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist der Beklagte auf den Inhalt der Verwaltungsvorgänge sowie die Ausführungen im Widerspruchsbescheid. Er meint, er habe bereits mit Bescheid vom 10. November 2010 die Leistungen aufgehoben, sodass die Aufhebung im Bescheid vom 15. Dezember 2010 lediglich eine wiederholende Verfügung sei. Demzufolge sei der Erstattungsbescheid vom 15. Dezember 2010 rechtmäßig, da die mit Bescheid vom 10. November 2010 verfügte Aufhebung bestandskräftig geworden sei. § 3 Abs. 3 Erreichbarkeits-Anordnung beschränke eine mögliche Verlängerung der Zustimmung zur Ortsabwesenheit in Fällen außergewöhnlicher Härte auf höchstens drei Tage.
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, sowie die Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die der Kammer bei der Entscheidung vorlagen, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die als isolierte Anfechtungsklage nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Klage ist zulässig.
Dies gilt insbesondere auch für Teil des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 15. Dezember 2010, mit dem die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 27. August 2010 für den Zeitraum 1. bis 16. November 2010 verfügt worden ist. Entgegen der Ansicht des Beklagten handelt es auch insoweit um eine Regelung durch Verwaltungsakt und nicht um eine wiederholende Verfügung der Regelung des Aufhebungsbescheides vom 10. November 2010. Unter einer wiederholenden Verfügung wird überwiegend die Wiederholung eines oder der Hinweis auf einen unanfechtbaren Verwaltungsakt verstanden, ohne dass eine erneute Sachentscheidung ergeht (Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl., § 51 Rn. 57; Mutschler, in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, 77. EL 2013, § 31 SGB X Rn. 16; Engelmann, in: v. Wulffen, SGB X, 7. Aufl., § 31 Rn. 32). Die nur wiederholende Verfügung ist mangels Regelung kein Verwaltungsakt und nicht anfechtbar (BSG 20.11.2003 – B 13 RJ 43/02 R – BSGE 91, 277 – SozR 4–2600 § 96a Nr. 3; Mutschler, aaO).
Die Annahme einer rein wiederholenden Verfügung verbietet sich bereits vor dem Hintergrund, dass der Aufhebungsbescheid vom 15. Dezember 2010 im Vergleich zum Aufhebungsbescheid vom 10. November 2010 unterschiedliche Regelungen beinhaltet. So wird mit dem Aufhebungsbescheid vom 10. November 2010 im Verfügungssatz der Bewilligungsbescheid vom 27. August 2010 ab 1. November 2010 ohne zeitliche Begrenzung aufgehoben. Eine solche zeitliche Begrenzung lässt sich auch nicht anhand der Begründung des Bescheides mittels Auslegung ermitteln, denn vielmehr lässt die Begründung offen, bis wann sich der Kläger auswärtig aufhält ("Sie halten sich vom bis auswärtig auf."). Auch aus sonstigen, außerhalb des Bescheides liegenden Umständen konnte der Empfänger der Aufhebungsentscheidung vom 10. November 2010 keine zeitliche Begrenzung für die Dauer der Ortsabwesenheit entnehmen, da der Kläger zu diesem Zeitpunkt noch ortsabwesend gewesen ist und damit nicht feststand, wie lange die Ortsabwesenheit noch andauern würde. Demgegenüber regelt der Aufhebungsbescheid vom 15. Dezember 2010 laut seines Verfügungssatzes ausdrücklich die Aufhebung der Bewilligungsentscheidung vom 27. August 2010 für den Zeitraum 1. bis 16. November 2010. Damit handelt es sich nicht um eine wiederholende Verfügung, da nicht auf eine bereits getroffene Regelung verwiesen oder diese wiederholt wird, sondern vielmehr in zeitlicher Hinsicht eine abweichende Regelung – Aufhebung für den Zeitraum 1. bis 16. November 2010 anstatt Aufhebung für den Zeitraum 1. November 2010 bis 30. März 2011 – erlassen wird.
Die Anfechtungsklage ist begründet. Der angefochtene Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 15. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Beklagten vom 31. Januar 2011 (W 9932/10) ist rechtswidrig und beschwert den Kläger durch die belastende Regelung in Form der teilweisen Aufhebung der ursprünglich ihn begünstigenden Bewilligung sowie durch die Festsetzung der Erstattungsforderung (vgl. § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Rechtsgrundlage ist §§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II, 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit § 330 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) in Verbindung mit § 48 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Nr. 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).
Danach ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt und der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
An der erforderlichen Bösgläubigkeit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X dürften im vorliegenden Fall kaum ernstliche Zweifel bestehen. Von Erkennbarkeit der Folgen der Ortsabwesenheit wird man regelmäßig dann ausgehen können, wenn auf diese in der Eingliederungsvereinbarung ausdrücklich hingewiesen wird (Hänlein, in: Gagel, SGB II/III, 49. EL 2013, § 7 SGB II Rn. 84c). Der Kläger ist sowohl in der Eingliederungsvereinbarung vom 6. Juli 2010 als auch im (teilweise) aufgehobenen Bewilligungsbescheid vom 27. August 2010 ausdrücklich auf den Wegfall des Arbeitslosengeldes II bei Ortsabwesenheit ohne die erforderliche Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners hingewiesen worden.
Letztlich kann dies dahingestellt bleiben, da in den tatsächlichen Verhältnissen keine wesentliche Änderung eingetreten ist, denn der Kläger hat für den Zeitraum 1. November 2010 bis 16. November 2010 einen Anspruch auf Arbeitslosengeld II. Der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4a SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (aF) ist entgegen der Ansicht des Beklagten nicht gegeben.
§ 7 Abs. 4a SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (aF) ist weiterhin anwendbar. Dies folgt aus § 77 Abs. 1 SGB II. Hiernach gilt § 7 Absatz 4a SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung (aF) weiter bis zum Inkrafttreten einer nach § 13 Absatz 3 SGB II erlassenen Rechtsverordnung. Eine solche Rechtsverordnung ist bis zum heutigen Tage nicht in Kraft getreten.
Nach § 7 Abs. 4a SGB II erhält Leistungen nach dem SGB II nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476) definierten zeit- und ortsnahen Bereichs aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend.
Zwar sind die Voraussetzungen dem Wortlaut nach erfüllt (1.), indes ist § 7 Abs. 4a SGB II aF teleologisch dann zu reduzieren, wenn der Leistungsberechtigte nicht in der Lage ist, durch den Leistungsausschluss zur Rückkehr aus dem Ausland und der aktiven Teilnahme an Eingliederungsleistungen motiviert zu werden (2.). Dies gilt für den gesamten Zeitraum, indem das mit dem Leistungsausschluss bezweckte Motiv nicht erfüllt werden kann, auch wenn damit der nach § 3 Abs. 3 Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) geltende Zeitrahmen von drei Tagen überschritten wird (3.)
1.) Unzweifelhaft ist der Tatbestand des § 7 Abs. 4a SGB II aF erfüllt, denn der Kläger befand sich vom 1. bis 16. November 2010 ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs. Er befand sich vom 1. bis 13. November 2010 im Irak und vom 13. bis 16. November 2010 auf der Rückreise vom Irak nach Berlin.
2.) Dennoch ist die von § 7 Abs. 4a SGB II aF angeordnete Rechtsfolge nicht eingetreten, da die Norm teleologisch zu reduzieren ist, wenn der Leistungsausschluss nicht geeignet ist, seinen Zweck zu erfüllen. Durch die "Androhung" des Wegfalls der passiven Leistungen soll der Leistungsberechtigte vor allem zur Mitarbeit an der Eingliederung bewegt werden. (LSG Nordrhein-Westfalen, B. v. 03.04.2013 – L 19 AS 330/13 B). Der Gesetzgeber bezweckte mit der Überführung der Sanktionsregelung in einen Leistungsausschluss eine "härtere" Regelung, die den Leistungsberechtigen bewegen sollte, nach Deutschland zurückzukehren und aktiv an seiner Eingliederung in den Arbeitsmarkt mitzuwirken. Hierzu führte der Ausschuss für Arbeit und Soziales aus (BT-Drs. 16/1696, S. 26): "Insbesondere bei einem länger andauernden Aufenthalt im Ausland, bei dem dennoch der gewöhnliche Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland bestehen bleibt, ist die dort (in § 31) vorgesehene Absenkung um lediglich 30 Prozent der Regelleistung nicht geeignet, den Hilfebedürftigen zu einer Rückkehr nach Deutschland und der aktiven Mitwirkung an seiner Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu bewegen. Um die missbräuchliche Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen bei einem nicht genehmigten vorübergehenden auswärtigen Aufenthalt innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu vermeiden, sollte künftig der Anspruch auf Leistungen bei einem Verstoß gegen den in Abs 4a formulierten Grundsatz entfallen."
Dieser Zweck, Motivation zur Rückkehr aus dem Ausland und der Teilnahme an Eingliederungsmaßnahmen, kann nicht erreicht werden, wenn es dem Leistungsberechtigten objektiv unmöglich ist, aus dem Ausland zurückzukehren oder an Eingliederungsmaßnahmen teilzunehmen.
So liegt der Fall hier. Der Kläger wurde im Oktober 2010 im Irak verhaftet und befand sich ausweislich des von ihm eingereichten (übersetzen) Protokolls bis 2. November 2010 in Haft. Nach seiner glaubhaften Aussage ist er am 3. November 2010 entlassen worden.
Auch über diesen Zeitpunkt hinaus ist es dem Kläger objektiv unmöglich gewesen, aus dem Irak nach Deutschland zurückzukehren und an Eingliederungsmaßnahmen des Beklagten mitzuwirken. Zur Überzeugung der Kammer war der Kläger bis zu seiner Ausreise am 13. November 2010 in einer Art und Schwere erkrankt, die die Rückkehr nach Deutschland verhinderte. Dabei stützt sich die Kammer zum einen auf das vom Kläger eingereichte Schreiben des behandelnden Arztes. Hiernach litt der Kläger unter einer Bronchitis und der Arzt verordnete dem Kläger "Ruhe". Zwar ergibt sich aus der attestierten verordneten "Ruhe" nicht zwingend "Bettruhe" und damit Reiseunfähigkeit, indes ist die Art der Erkrankung, Bronchitis, regelmäßig mit Arbeitsunfähigkeit für rund zwei Wochen verbunden (vgl. Apotheken-Umschau, www.apotheken-umschau.de/Bronchitis-akut), sodass der Kläger in dieser Zeit nicht in der Lage gewesen wäre, etwaigen Eingliederungsmaßnahmen des Beklagten zu folgen. Überdies ist die Kammer aufgrund seines glaubhaften Vortrags überzeugt, dass der Kläger nach den Erfahrungen, die er mit der staatlichen Gewalt in Irak erlebt hat, unter einem "Schock" gelitten hat, der jedenfalls ein vernünftiges Arbeiten nicht zugelassen hatte. Insoweit stützt sich die Kammer lediglich auf den glaubhaften Vortrag des Klägers; dies ist zulässig, obschon das sozialgerichtliche Verfahren keine Parteivernehmung als Beweismittel kennt (Udsching, in: Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl., Kap. VII Rn. 134). Schlussendlich geht die Kammer aufgrund des glaubhaften Vortrags des Klägers davon aus, dass er für die Rückkehr mit dem Auto drei Tage benötige, sodass er sich erst im Laufe des Tages des 16. November 2010 in Berlin aufhielt und damit bis dahin ein Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 4a SGB II aF aufgrund der hier vertretenen teleologischen Reduktion nicht gerechtfertigt ist.
3.) Dem steht entgegen der Ansicht des Beklagten § 3 Abs. 3 EAO nicht entgegen. Hiernach kann in Fällen außergewöhnlicher Härten, die aufgrund unvorhersehbarer und für den Arbeitslosen unvermeidbarer Ereignisse entstehen, die Drei-Wochenfrist nach Abs. 1 und 2 vom Arbeitsamt tageweise, höchstens um drei Tage verlängert werden.
Zwar sieht § 3 Abs. 3 EAO nur eine Verlängerung der genehmigten Ortsabwesenheit von lediglich höchstens drei Tagen, hier also bis zum 3. November 2010, vor, indes gilt die Vorschrift nach dem klaren Wortlaut des §7 Abs. 4a SGB II aF nur entsprechend. Die Erreichbarkeits-Anordnung gilt also entsprechend nur, soweit dies für den Regelungszweck des Abs 4a aF erforderlich ist (Spellbrink/G. Becker, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. § 7 Rn. 146; Valgolio, in: Hauck/Noftz IX/12, § 7 SGB II Rn. 262). Dieser Regelungszweck besteht – wie ausgeführt – gerade darin, den Leistungsberechtigen zur Rückkehr nach Deutschland und der aktiven Mitwirkung an seiner Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu bewegen (BT-Drs. 16/1696, S. 26). Dieser Regelungszweck kann – wie ebenfalls bereits ausgeführt – bei dem Kläger wegen seiner Inhaftierung und seines nachfolgenden schlechten Gesundheitszustandes nicht erreicht werden, sodass insoweit die von § 7 Abs. 4a SGB II aF angeordnete entsprechende Anwendung der Erreichbarkeits-Anordnung nicht gilt. Hiernach entfällt eine – etwaige durch § 7 Abs. 4a SGB II aF statuierte – Residenzpflicht, bei einer Erkrankung während der Ortsabwesenheit, die der Rückkehr entgegensteht, auch wenn § 3 Abs. 3 EAO lediglich eine Überschreitung von bis zu drei Tagen zulässt (im Ergebnis ebenso Winkler, info also 2007, 3, 5).
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1 SGG und berücksichtigt den Ausgang des Rechtsstreits.
Die Berufung bedufte nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG einer gesonderten Zulassung, da der Wert der Beschwer des Beklagten die Wertgrenze von 750,00 EUR nicht übersteigt. Die Berufung war hier wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da bisher in der Rechtsprechung nicht geklärt ist, ob trotz der Bestimmung in § 3 Abs. 3 EAO eine telelogische Reduktion des § 7 Abs. 4a SGB II aF vorzunehmen ist, wenn es dem Leistungsberechtigten über mehr als drei Tage objektiv unmöglich ist, nach Deutschland zurückzukehren oder aktiv an Eingliederungsmaßnahmen teilzunehmen. Unschädlich ist, dass § 7 Abs. 4a SGB II aF auslaufendes Recht ist. Zwar hat eine Rechtsfrage, die auslaufendes oder ausgelaufenes Recht betrifft, in aller Regel keine grundsätzliche Bedeutung, da die Rechtsfortbildung nicht mehr gefördert werden kann und die Einheit des Rechts nicht mehr gewahrt werden kann (Körner, in: Brandt/Sachs, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 2. Aufl., Kap. R Rn. 11), indes kann ausnahmsweise einer Rechtsfrage, die sich auf auslaufendes oder nicht mehr geltendes Recht bezieht, grundsätzliche Bedeutung dann zukommen, wenn sie noch für eine nicht unerhebliche Anzahl laufender Verfahren von Bedeutung ist (Körner, aaO, Kap R Rn. 12; Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 160 Rn. 7b). Eine solche Ausnahme ist hier gegeben, denn nach § 77 Abs. 1 SGB II ist § 7 Abs. 4a SGB II in seiner bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung weiter anzuwenden bis eine nach § 13 Abs. 3 SGB II erlassene Rechtsverordnung in Kraft tritt. Da eine solche Rechtsverordnung nach nunmehr 2 ½ Jahren bisher nicht erlassen worden ist und der Erlass einer solchen Verordnung nicht ersichtlich ist, ist davon auszugehen, dass derzeit noch eine Vielzahl von Fällen aktuell sind und noch werden, in denen die hier entschiedene Rechtsfrage aufgeworfen wird. In der gerichtlichen Praxis stellt sich die aufgeworfene Frage in einer Vielzahl von Fällen, in denen Leistungsberechtigte ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners im Ausland für mehr als drei Tage verweilen und behaupten, sie seien aufgrund von Krankheit an der Rückreise oder der Teilnahme an Eingliederungsmaßnahmen gehindert gewesen.
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