L 7 AS 934/12 NZB

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG Leipzig (FSS)
Aktenzeichen
S 25 AS 3934/11
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 934/12 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Die Frage, ob ein "Sicherheitszuschlag" auf die Wohngeldtabellenwerte zu § 12 WoGG ab dem 01.01.2009 zu gewähren ist und wie hoch dieser ggf. anzusetzen wäre, bedarf grundsätzlicher Klärung.
I. Auf die Beschwerde des Beklagten wird die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 24. Juli 2012 zugelassen.

II. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

Gründe:

I.

Der Beklagte und Beschwerdeführer (im Folgenden: Beklagter) meint, es sei die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig zuzulassen, weil die Frage, ob auch über den 31.12.2008 hinaus ein Sicherheitszuschlag auf die Wohngeldtabelle nach § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zu berücksichtigen sei, grundsätzlich bedeutsam sei.

Der Kläger und Beschwerdegegner (im Folgenden: Kläger) wandte sich mit seiner Klage beim Sozialgericht Leipzig gegen einen Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 07.07.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2011. Darin waren die Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung im Zeitraum vom 01.07.2011 bis 31.12.2011 auf den aus Sicht des Beklagten angemessenen Betrag von insgesamt 374,00 EUR abgesenkt worden, dessen Berechnung sich hinsichtlich der Grundmiete und kalten Betriebskosten aus der Wohngeldtabelle (330,00 EUR) ableitete. Tatsächlich hatte der Kläger 444,50 EUR Miete und Nebenkosten (davon 44,00 EUR Heizkosten) für seine Wohnung zu zahlen.

Nach vorheriger Anhörung hat das Sozialgericht der Klage mit Gerichtsbescheid vom 24.07.2012 stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, dem Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum monatlich weitere 33,00 EUR Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren. Zur Begründung hat das Sozialgericht unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Tabellenwert nach der Wohngeldtabelle noch einen Sicherheitszuschlag von 10% hinzugefügt. Die Berufung hat das Sozialgericht nicht zugelassen.

Am 30.08.2012 hat der Beklagte gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem ihm am 31.07.2012 zugestellten Gerichtsbescheid Beschwerde eingelegt und macht geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, weil die Frage nach dem "Ob" einer Gewährung eines Sicherheitszuschlages auf die Wohngeldtabelle und der etwaigen Höhe ab dem 01.01.2009 weder einheitlich noch höchstrichterlich entschieden sei. Wegen der Anhebung der Tabellenwerte um 10 % zum 01.01.2009 sei ein Sicherheitszuschlag ab diesem Zeitpunkt nicht mehr gerechtfertigt.

Der Beklagte beantragt, die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Leipzig vom 24.07.2012 zuzulassen und das Verfahren als Berufungsverfahren fortzuführen.

Der Kläger ist dem entgegengetreten und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Leistungsakte des Beklagten (Bd. II Bl. B/1-C/17) verwiesen.

II.

Die statthafte und zulässige, insbesondere innerhalb der Frist des § 145 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegte Beschwerde ist begründet.

Gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG in der hier maßgeblichen, ab 01.04.2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung der ausdrücklichen Zulassung, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 EUR nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Streitgegenstand ist vorliegend die Verpflichtung des Beklagten zur Mehrleistung von monatlich 33,00 EUR für die Zeit vom 01.07.2011 bis 31.12.2011 an den Kläger. Auch in der Summe liegt dieser Betrag unter der 750,00-EUR-Grenze. Die Berufung bedurfte somit der ausdrücklichen Zulassung, die vom Sozialgericht nicht ausgesprochen wurde.

Gemäß § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr. 1), das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Nr. 2) oder ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (Nr. 3).

Eine Rechtssache hat dann grundsätzliche Bedeutung, wenn die Streitsache eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Ein Indivi¬dualinteresse genügt nicht (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 144 RdNr. 28).

Zu der hier streitigen Frage hat der 3. Senat des Sächsischen Landessozialgerichts mit Beschluss vom 14.08.2013 (L 3 AS 1200/12 NZB) Folgendes entscheiden: " Eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache kommt unter anderem in Betracht, wenn es widersprechende Entscheidungen von mindestens zwei Landessozialgerichten gibt (vgl. Leitherer, in: Meyer-Ladewig/Keller/¬Leitherer, Sozialgerichtsgesetz [10. Aufl., 2012], § 160 Rdnr. 8a), oder wenn das Sozialgericht zwar nicht von einer Entscheidung des instanziell übergeordneten Landessozialgerichtes, aber von einer Entscheidung eines anderen Landessozialgerichtes abweicht (vgl. BT-Brs. 12/1217 S. 52; Leitherer, a. a. O., § 144 Rdnr. 30).

Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Denn die Frage "nach dem Ob einer Gewährung eines Sicherheitszuschlages auf die Wohngeldtabellenwerte und der etwaigen Höhe ab dem 01.01.2009" wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Während das Landessozialgericht Baden-Württemberg im Urteil vom 7. November 2012 (Az. L 3 AS 5600/11, JURIS-Dokument Rdnr. 58; Revision anhängig unter Az. B 4 AS 87/12 R) ausgeführt hat, weshalb zu den Tabellenwerten nach § 12 des Wohngeldgesetzes (WoGG) ein Zuschlag von 10 % hinzuzurechnen sei, hat das Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen im Urteil vom 28. Februar 2013 (Az. L 7 AS 506/11, JURIS-Dokument Rdnr. 48) eine weitere Erhöhung dieses Tabellenwertes um einen Sicherheitszuschlag für das Jahr 2010 für den in diesem Verfahren maßgebenden räumlichen Bezirk als nicht angemessen erachtet. Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt hat diese Frage im Beschluss vom 26. April 2013 (Az. L 5 AS 427/13 B ER, JURIS-Dokument Rdnr. 38) ausdrücklich offen gelassen. In einer Reihe weiterer obergerichtlichen Entscheidungen ist ohne weitere Begründung bei der Leistungsberechnung zum Teil ein Sicherheitszuschlag herangezogen und zum Teil nur der Tabellenwert nach § 12 WoGG zugrunde gelegt worden."

Dem schließt sich der erkennende Senat an: Denn beim Fehlen eines schlüssigen Konzepts zur Ermittlung der angemessenen (Kalt-)Miete steht gerade nicht fest, wie hoch die angemessene Referenzmiete tatsächlich ist; sie könnte also auch höher als der Tabellenwert nach § 12 WoGG sein (vgl. Beschluss des Senats vom 05.04.2012 – L 7 AS 425/11 B ER, RdNr. 36, zitiert nach Juris). Auch ergibt sich aus der bisher vorliegenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts nicht eindeutig, wie die Frage "nach dem Ob einer Gewährung eines Sicherheitszuschlages auf die Wohngeldtabellenwerte und der etwaigen Höhe ab dem 01.01.2009" zu beantworten wäre. Zwar spricht insbesondere die Formulierung "ein ‚Sicherheitszuschlag’ zum jeweiligen Tabellenwert" zu § 8 WoGG bzw. nunmehr § 12 WoGG im Urteil vom 17.12.2009 für die generelle Berücksichtigung eines Zuschlags (B 4 AS 50/09 R, RdNr. 27; siehe auch BSG, Urteil vom 20.08.2009 B 14 AS 41/08 R, RdNr. 22: "bis zur Höhe der durch einen Zuschlag maßvoll erhöhten Tabellenwerte"). Im Urteil vom 16.04.2013 wird die Gewährung eines Sicherheitszuschlags von 10 % allerdings nur für die Zeit vor dem 01.01.2009 festgestellt (B 14 AS 28/12 R, RdNr. 27).

Nach alledem bedarf es einer grundsätzlichen Klärung, so dass die Berufung zuzulassen ist.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.

Dr. Anders Brügmann Wagner
Rechtskraft
Aus
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