L 28 AS 2330/13 B ER

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
28
1. Instanz
SG Cottbus (BRB)
Aktenzeichen
S 41 AS 3318/13 ER
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 28 AS 2330/13 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 07. August 2013 abgeändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 19. März 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Mai 2013 wird angeordnet. Der Antragsgegner wird verpflichtet, den mit Schreiben vom 24. April 2013 bei der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg gestellten Rentenantrag zurückzunehmen. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin in beiden Rechtszügen.

Gründe:

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Cottbus vom 07. August 2013, mit der sie beantragt, die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen S 41 AS 3018/13 anhängigen Klage gegen den Bescheid vom 19. März 2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Mai 2013 anzuordnen, ist begründet.

Der Antragsgegner bewilligte der 1950 geborenen Antragstellerin, die seit Januar 2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bezieht, letztmals mit Bescheid vom 06. Mai 2013 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 12. Juni 2013 für die Zeit vom 01. Juli 2013 bis zum 31. August 2013 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 819,60 Euro für den Monat Juli und 706,70 Euro für den Monat August. Mit Bescheid vom 19. März 2013 hatte der Antragsgegner die Antragstellerin bereits aufgefordert, Altersrente umgehend nach Zugang dieses Schreibens bei der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg zu beantragen. Sie sei verpflichtet, einen Antrag bei ihrem zuständigen Rentenversicherungsträger zu stellen, wenn sie eine geminderte Altersrente (d.h. mit Abschlägen) beziehen könne und das 63. Lebensjahr vollendet habe. Aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung, vorrangige Leistungen in Anspruch zu nehmen, sei er, der Antragsgegner, berechtigt, den Antrag ersatzweise für die Antragstellerin zu stellen, wenn ihre Antragstellung nicht umgehend erfolge (§ 5 Abs. 3 SGB II). Rentenauskünfte vom 22. April 2013 ergaben, dass eine Altersrente für Frauen ohne Abzug des Eigenanteils für Kranken- und Pflegeversicherung bei einem Rentenbeginn am 01. Juni 2013 638,83 Euro und am 01. Juni 2015 (unter Zugrundelegung des derzeit aktuellen Rentenwerts) 684,75 Euro betragen würde. Die Antragstellerin widersprach der Aufforderung zur Rentenantragstellung, da sie mit der Rente weniger bekomme, als sie jetzt habe. Daraufhin stellte der Antragsgegner mit Schreiben vom 24. April 2013 den Rentenantrag und meldete seinen Erstattungsanspruch nach §§ 102 ff Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) an. Mit Widerspruchsbescheid vom 23. Mai 2013 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück. Am 27. Juni 2013 ist bei dem Sozialgericht der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung eingegangen, den die Antragstellerin im Wesentlichen damit begründet hat, eine Rentenantragstellung zum jetzigen Zeitpunkt würde dazu führen, dass sie dauerhaft auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch angewiesen sein werde. Außerdem habe der Antragsgegner keinerlei Ermessenserwägungen angestellt und darüber hinaus auch den Sachverhalt im Hinblick auf die Folgen für sie nicht näher aufgeklärt und geprüft. Der Antragsgegner hat geltend gemacht, die Aufforderung zur Rentenantragstellung sei rechtmäßig. Ausnahmen, von der Aufforderung abzusehen, lägen nicht vor. Nur der Bestandsschutz nach § 65 Abs. 4 SGB II oder die im Widerspruchsbescheid genannten Tatbestandsmerkmale führten zur Unbilligkeit. Ein Rentenbescheid ist nach Auskunft der Beteiligten bisher nicht ergangen.

Wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, richtet sich der Rechtsschutz nach § 86 b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), denn die Klage hat gemäß § 86 a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 3 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Bei der Aufforderung zur Rentenantragstellung handelt es sich außerdem um einen Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Beschluss vom 16. Dezember 2011 – B 14 AS 138/11 B – m. w. N., zitiert nach juris). Die Erfolgsaussicht des von der Antragstellerin gestellten Antrags beurteilt sich nach dem Ergebnis der Interessenabwägung zwischen dem privaten Interesse der Antragstellerin an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung und dem Interesse der Allgemeinheit an der sofortigen Vollziehung. Hierbei sind neben der Abwägung der Folgen bei Gewährung bzw. Nichtgewährung des vorläufigen Rechtsschutzes auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache von Bedeutung (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. A. 2012, § 86 b RdNr. 12c ff.). Zu berücksichtigen ist aber auch, dass das Gesetz mit dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung in § 39 SGB II dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids grundsätzlich Vorrang vor dem Interesse des Betroffenen an einem Aufschub der Vollziehung einräumt (vgl. Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Juni 2012 – L 7 AS 916/12 B ER -, zitiert nach juris).

Vorliegend geht die Interessenabwägung zugunsten der Antragstellerin aus. Denn es bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids.

Nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II können die Leistungsträger, wenn Leistungsberechtigte trotz Aufforderung einen Antrag auf Leistungen eines anderen Trägers nicht stellen, nach diesem Buch den Antrag stellen sowie Rechtsbehelfe und Rechtsmittel einlegen.

Es bestehen ernsthafte Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des Verwaltungsakts, weil dieser ermessensfehlerhaft sein dürfte. Gemäß § 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X muss die Begründung von Ermessensentscheidungen auch die Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Behörde bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist. Ob der Antragsgegner als Leistungsträger einen Antrag stellt, steht grundsätzlich in seinem Ermessen. Allerdings liegt nicht nur die Stellung des Antrags an Stelle der Antragstellerin in seinem Ermessen, sondern schon die Aufforderung selbst bedarf einer Ermessensentscheidung (vgl. Luthe in Hauck/Noftz, SGB II, Stand II/2013, § 5, RdNr. 158, m. w. N.; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12. Juni 2012 – L 7 AS 916/12 B ER -, m. w. N.; zitiert nach juris). Der Antragsgegner muss daher seine Gründe für die Verpflichtung der Antragstellerin zur Rentenantragstellung bereits in seinem Aufforderungsschreiben darlegen. Bei seiner Ermessensausübung sind etwa die voraussichtliche Dauer oder Höhe des Leistungsbezugs, absehbarer Einkommenszufluss oder dauerhafte Krankheit zu berücksichtigen. Insbesondere in Bezug auf die Stellung eines vorzeitigen Altersrentenantrags ist zu berücksichtigen, dass der Leistungsberechtigte als Altersrentner von Leistungen nach dem SGB II – und damit auch von solchen nach §§ 16 ff. – ausgeschlossen ist. Zudem ist die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente regelmäßig mit Abschlägen verbunden (vgl. S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. A. 2013, § 5 RdNr. 29). Von diesem Ermessen hat der Antragsgegner in dem Bescheid vom 19. März 2013 keinen Gebrauch gemacht bzw. im Bescheid nicht zum Ausdruck gebracht. Er enthält keine Ausführungen, die erkennen lassen, dass der Antragsgegner die Verpflichtung zur Ausübung des Ermessens (§ 39 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch) erfüllt. Damit liegt ein Fall des Ermessensnichtgebrauchs vor. Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen Fall der Ermessensreduzierung auf Null. Insbesondere im Hinblick auf die ebenfalls am 19. März 2013 abgeschlossene Eingliederungsvereinbarung für die Zeit bis zum 18. September 2013, die keine Verpflichtung zur Rentenantragstellung enthält, aber die Integration der Antragstellerin in den regionalen Arbeitsmarkt als Ziel und die damit verbundenen Verpflichtungen enthält, hätte der Antragsgegner Veranlassung gehabt, sein widersprüchliches Verwaltungshandeln im Rahmen einer Ermessensentscheidung zu überprüfen. Selbst unterstellt, die fehlende Ermessensausübung könnte im Widerspruchsbescheid nachgeholt werden, führt dies entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht zu einem anderen Ergebnis. Denn auch nach der Begründung des Widerspruchsbescheids hat der Antragsgegner nicht erkannt, dass ihm bei der zu treffenden Entscheidung Ermessen zusteht. In seinen Ausführungen bezieht er sich allein auf das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 12a SGB II i. V. m. der Unbilligkeitsverordnung und schlussfolgert daraus, dass die Aufforderung zur Beantragung der Altersrente zu Recht erfolgt sei. Eine Abwägung verschiedener Kriterien findet neben der einfachen Subsumtion nicht statt.

Da die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 19. März 2013 anzuordnen war, der Antragsgegner aber bereits den Bescheid vollzogen hat, indem er den Rentenantrag bei der Deutschen Rentenversicherung Berlin-Brandenburg gestellt hat, ist die Vollziehungshandlung gemäß § 86 b Abs. 1 Satz 2 SGG rückgängig zu machen. Dies hat dadurch zu geschehen, dass der Antragsgegner zu verpflichten war, den Rentenantrag zurückzunehmen. Da der Rentenbescheid noch nicht erteilt worden ist, kann der Antrag auch noch zulässigerweise zurückgenommen werden. Eine einstweilige Anordnung ist, wie das Soziagericht zutreffend ausgeführt hat, daneben nicht zulässig und wird von der Antragstellerin auch nicht mehr begehrt, wie sich aus dem im Beschwerdeverfahren gestellten Antrag ergibt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG analog.

Der Beschluss ist nicht mit der Beschwerde an das BSG anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
Saved