S 17 SO 42/11

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
17
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 17 SO 42/11
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Anspruch gegen den Sozialhilfeträger auf Übernahme von Bestattungskosten gemäß § 74 SGB XII ist grundsätzlich nicht vererblich und geht mit dem Tod des Hilfebedürftigen unter.

2. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mit Hilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe darlehensweise vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Sozialhilfeträger nicht rechtzeitig geholfen hat, und dieser vorleistende Dritte den Hilfebedürftigen später beerbt.
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Übernahme von Bestattungskosten nach § 74 Sozialgesetzbuch, Zwölftes Buch (SGB XII).

Der Vater der Kläger, F. A., verstarb 81-jährig 2006 in einem Darmstädter Krankenhaus, in das er am 26. Oktober 2006 eingewiesen worden war. Er war bis zu diesem Zeitpunkt im Seniorenpflegeheim G-Stadt untergebracht. Von dem Beklagten erhielt er Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII und Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII.

F. A. hinterließ seine Ehefrau C., die ebenfalls im Seniorenpflegeheim in G-Stadt lebte, und vier gemeinsame Kinder, zu denen neben dem Kläger zu 1) und der Klägerin zu 2) auch Frau G. E. und Frau H. I. zählen. Ein Testament hatte F. A. nicht verfasst. Die Erbschaft nach ihm wurde nicht ausgeschlagen.

Den Antrag von Frau G. E. auf Übernahme der Bestattungskosten für ihren Vater in Höhe von insgesamt 6.826,40 EUR (Rechnung der J. vom 22. November 2006 (2.640,40 EUR), Rechnung der Fa. K. vom 23. November 2006 (420 EUR) und Friedhofsgebührenbescheid der Stadt Darmstadt vom 14. Dezember 2006 (3.766 EUR)) lehnte der Beklagte ab und wies den hiergegen erhobenen Widerspruch zurück (Bescheid vom 16. Juli 2007 und Widerspruchsbescheid vom 6. März 2008). Das von Frau G. E. angestrengte Klageverfahren blieb ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 8. September 2010, Az. S 17 SO 42/08).

Am 8. September 2010 beantragte Frau C. A. bei dem Beklagten formlos die Übernahme der anteiligen Bestattungskosten für ihren verstorbenen Ehemann.

Mit Bescheid vom 29. November 2010 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass Frau C. A. den Antrag auf Übernahme von Bestattungskosten erst drei Jahre und neun Monate nach dem Versterben ihres Ehemannes gestellt habe.

Hiergegen erhob Frau C. A. mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 9. Dezember 2010 Widerspruch, den sie damit begründete, dass keine bestimmte Frist vorgegeben sei, innerhalb derer die Übernahme von Bestattungskosten beantragt werden müsse.

Durch Widerspruchsbescheid vom 2. März 2011 wies der Beklagte diesen Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 14. März 2011 hat Frau C. A. Klage erhoben, die nach ihrem Tod von dem Kläger zu 1) und der Klägerin zu 2) als Erben fortgeführt worden ist (Schriftsatz der Bevollmächtigten vom 22. Juni 2012).

Zur Begründung wiederholen die Kläger im Wesentlichen das Vorbringen ihrer verstorbenen Mutter im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren. Sämtliche anderen in Betracht kommenden Erben nach ihrer Mutter hätten die Erbschaft wirksam ausgeschlagen. Die Bestattungskosten für ihren Vater F. A. seien von ihrer Schwester G. E. bzw. deren Ehemann vorschussweise beglichen worden.

Die Kläger beantragen,
den Bescheid vom 29. November 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihnen als Rechtsnachfolger der Frau C. A. einen Betrag von 1.316,75 EUR für die Kosten der Bestattung des am 11. November 2006 verstorbenen F. A. zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er nimmt Bezug auf seine Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und trägt ergänzend vor, die Erbenstellung der Kläger nach ihrer Mutter C. A. nicht zu bestreiten.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht die Sterbefallanzeige des Amtsgerichts Darmstadt - Nachlassgericht - betreffend Herrn F. A. (Az. xxxxx (2006)) beigezogen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte, die beigezogene Gerichtsakte S 17 SO 42/08 sowie auf die vom Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte betreffend die verstorbene Frau C. A. (Bl. 1 bis 44) Bezug genommen. Deren Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Klage, über die das Gericht trotz Ausbleibens eines Vertreters des Beklagten aufgrund mündlicher Verhandlung entscheiden konnte, weil die Ladung einen entsprechenden Hinweis enthielt (§ 110 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)), bleibt ohne Erfolg.

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und Abs. 4 i. V. m. § 56 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig. Vor allem ist trotz des Todes der ursprünglichen Klägerin, Frau C. A., wegen der Aufnahme des Verfahrens durch die Kläger als deren Rechtsnachfolger gemäß § 202 SGG i. V. m. §§ 246 Abs. 2, 239 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) eine Beteiligtenfähigkeit im Sinne von § 70 Nr. 1 SGG gegeben.

Die Klage ist aber unbegründet, weil die Kläger durch den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 29. Oktober 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. März 2011 (§ 95 SGG) nicht beschwert sind im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG. Vielmehr ist die Beschwer mit dem Tod von Frau C. A. entfallen. Der hier streitige Anspruch aus § 74 SGB XII ist somit nicht im Wege der Erbfolge auf die Kläger als Rechtsnachfolger der früheren Klägerin übergegangen.

Die Vererbung von Sozialleistungsansprüchen erfolgt nach Maßgabe der §§ 58, 59 Sozialgesetzbuch, Erstes Buch (SGB I). Nach § 58 Satz 1 SGB I werden fällige Ansprüche auf Geldleistungen nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches vererbt, soweit sie nicht nach den §§ 56 und 57 SGB I einem Sonderrechtsnachfolger zustehen. Der Fiskus als gesetzlicher Erbe kann die Ansprüche nicht geltend machen (§ 58 Satz 2 SGB I). Ansprüche auf Dienst- und Sachleistungen erlöschen dabei gemäß § 59 Satz 1 SGB I mit dem Tod des Berechtigten. Ansprüche auf Geldleistungen erlöschen hingegen nur, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist (§ 59 Satz 2 SGB I).

Der Vererbung des hier streitigen Leistungsanspruchs steht keine vorrangig zu beachtende Sonderrechtsnachfolge (§§ 56, 57 SGB I) entgegen. Denn bei dem Anspruch aus § 74 SGB XII handelt es sich um eine einmalige Geldleistung, während die Sonderrechtsnachfolge dem eindeutigen Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 1 SGB I zufolge überhaupt nur bei laufenden Geldleistungen zum Tragen kommen kann. Die Vererbung des Anspruchs scheitert ebenfalls nicht an § 59 Satz 2 SGB I, weil im Zeitpunkt des Todes der verstorbenen Frau C. A. noch nicht abschließend über ihren Antrag vom 8. September 2010 auf Übernahme von Bestattungskosten entschieden war. Das Verwaltungsverfahren endet erst, wenn die Bescheide unanfechtbar geworden sind (vgl. BSG, Urteil vom 11. August 1992, 1 RK 46/91, juris Rn. 14 mwN.).

Neben diesen ausdrücklich normierten Voraussetzungen muss vorliegend allerdings zusätzlich berücksichtigt werden, dass Ansprüche auf Sozialhilfeleistungen einen höchstpersönlichen Charakter haben, so dass sie grundsätzlich mit dem Tod des Hilfebedürftigen untergehen (vgl. Coseriu, in: jurisPK-SGB XII, Stand: 6. Juni 2013, § 17 Rn. 26) und infolgedessen die Vererblichkeit solcher Ansprüche ausgeschlossen ist (vgl. Armborst, in: LPK-SGB XII, 9. Aufl. 2012, § 17 Rn. 8). Nur als so genannter Sekundäranspruch (Kostenerstattungsanspruch) ist der Anspruch auf Sozialhilfe vererbbar (vgl. Grube, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl. 2012, § 17 Rn. 22 mwN.). Eine derartige Ausnahme von dem Grundsatz des Anspruchsuntergangs mit dem Tod greift dabei in solchen Fallgestaltungen, in denen der Hilfebedürftige zu Lebzeiten seinen Bedarf mit Hilfe eines im Vertrauen auf die spätere Bewilligung von Sozialhilfe darlehensweise vorleistenden Dritten gedeckt hat, weil der Sozialhilfeträger nicht rechtzeitig geholfen hat (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 29. März 2012, L 9 SO 399/11, juris Rn. 41 mwN.). Mit dem Tod des eigentlichen Hilfebedürftigen geht dann ausnahmsweise auch ein Sozialhilfeanspruch nach Maßgabe der §§ 58, 59 SGB I auf den vorleistenden Dritten über.

Daran gemessen ist der hier streitige Anspruch auf Übernahme von Bestattungskosten gemäß § 74 SGB XII gegen den Beklagten nicht auf die jetzigen Kläger als Erben der verstorbenen Frau C. A. übergegangen. Denn nicht die Kläger, sondern ihre Schwester G. E. bzw. deren Ehemann sind zunächst für die Bestattungskosten aufgekommen. Allerdings scheiden vorliegend auch diese beiden Angehörigen der verstorbenen früheren Klägerin als mögliche Anspruchsinhaber aus, weil Frau G. E. das Erbe nach ihrer Mutter C. wirksam ausgeschlagen hat (§§ 1942 Abs. 1, 1944, 1945 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)), während ihr Ehemann offenkundig schon gar nicht als gesetzlicher - Erbe seiner Schwiegermutter berufen war (vgl. § 1924 Abs. 1, § 1925 Abs. 1, § 1926 Abs. 1, § 1928 Abs. 1 und § 1929 BGB). Darüber hinaus kann in Anbetracht der Antragstellung erst am 8. September 2010 auch keine Rede davon sein, dass der Bedarf der verstorbenen C. A. durch einen vorleistenden Dritten gerade deshalb gedeckt worden ist, weil der Beklagte als Sozialhilfeträger nicht rechtzeitig geleistet hat. Vielmehr scheint der verstorbenen Frau C. A. bis zur mündlichen Verhandlung und Entscheidung des Sozialgerichts im Verfahren S 17 SO 42/08 am 8. September 2010 überhaupt nicht bewusst gewesen zu sein, dass nicht nur ihre vier Kinder, sondern auch sie die Übernahme von Bestattungskosten gegenüber dem Beklagten - und zwar in hälftiger Höhe - geltend machen kann. Deshalb wäre es im Übrigen auch unerheblich, falls der Kläger zu 1) oder die Klägerin zu 2) zwischenzeitlich an ihre Schwester G. E. bzw. deren Ehemann Zahlungen zum Ausgleich der vorgestreckten Bestattungskosten für Herrn F. A. geleistet haben sollten und diese Zahlungen nunmehr als auf den von ihrer verstorbenen Mutter C. A. entfallenden Kostenanteil verstanden wissen wollten.

Die vorstehend aufgezeigten Grundsätze über die Nichtvererblichkeit von Sozialhilfeansprüchen gelten auch für den Anspruch auf Übernahme von Bestattungskosten gemäß § 74 SGB XII. Zwar handelt es sich bei § 74 SGB XII um einen Sozialhilfeanspruch eigener Art (vgl. BVerwG, Urteil vom 5. Juni 1997, 5 C 13.96, BVerwGE 105, 51 zu § 15 Bundessozialhilfegesetz (BSHG)), der sich von herkömmlichen Sozialhilfeansprüchen dadurch unterscheidet, indem er auf die Übernahme von Verbindlichkeiten gerichtet ist, der Kenntnisgrundsatz des § 18 SGB XII nicht gilt und ihm eine abweichende sozialhilferechtliche Bedürftigkeit zugrundeliegt, die sich nicht nur in einer finanziellen Unzumutbarkeit erschöpft. Gleichwohl ist nicht davon auszugehen, dass ein Anspruch aus § 74 SGB XII mit dem Tod des Hilfebedürftigen nach Maßgabe der §§ 58, 59 SGB I auf dessen Erben übergeht. Denn die sozialhilferechtliche Bedarfslage bei § 74 SGB XII besteht darin, den Verpflichteten von den Kosten einer würdigen Bestattung zu entlasten, soweit diese ihm nicht zugemutet werden können (vgl. BSG, Urteil vom 29. September 2009, B 8 SO 23/08 R, juris Rn. 15). Daran zeigt sich, dass § 74 SGB XII ebenso wie herkömmliche Sozialhilfeansprüche auf die individuellen Verhältnisse des Hilfebedürftigen abstellt und daher gleichfalls höchstpersönlicher Art sowie nicht vererbbar ist. Allein der Verpflichtete, nicht aber auch sein Erbe, soll von den Bestattungskosten entlastet werden. Das gilt umso mehr, als sich der Erbe der Bestattungskosten ohne weiteres durch Ausschlagung der Erbschaft entledigen könnte, mithin die Tragung dieser Kosten für ihn von vornherein nicht unzumutbar im Sinne des § 74 SGB XII ist. Vor diesem Hintergrund ist es letztlich ohne Belang, dass die Kläger als gesetzliche Erben des verstorbenen F. A. (§ 1924 Abs. 1 BGB) ebenfalls zum anspruchsberechtigten Personenkreis des § 74 SGB XII zählen.

Nach alledem war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung für das für die Kläger im Rechtszug vor dem Sozialgericht kostenfreie Verfahren (§ 183 Satz 2 SGG) beruht auf § 193 SGG und orientiert sich am Ausgang des Rechtsstreits in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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