S 14 AS 130/13

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 14 AS 130/13
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 7 AS 2046/13
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verurteilt, den Klägerinnen in Bedarfsgemeinschaft unter Aufhebung des Bescheides vom 20.12.2012 in Gestalt des Widerspruchsbe-scheides vom 08.01.2013 für die streitgegenständlichen 16 Monate zwischen Juli 2011 bis einschließlich Dezember 2012 monatlich 418,60 EUR als Kosten der Unterkunft zu bewilligen. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen dem Grunde nach. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Höhe der den Klägerinnen im Zeitraum von Juli 2011 bis Dezember 2012 – ausgenommen der Monate November und Dezember 2011 Dezember 2011, in denen die Klägerinnen nicht im Leitungsbezug standen - zu bewilligenden Kosten der Unterkunft streitig.

Mit Bescheiden vom 22.08.2011 (Zeitraum Juli – Oktober 2011), 23.01.2012 (Zeitraum Januar bis Juni 2012) und 29.06.2012 (Zeitraum Juli bis Dezember 2012) bewilligte der Beklagte den Klägerinnen jeweils Leistungen unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft in Höhe von 330 EUR monatlich. Tatsächlich bezahlten die Klägerinnen 360 EUR Grundmiete und 80 EUR Nebenkosten, also 440 EUR monatlich, für eine 78 Quadratmeter (qm) große Wohnung im Wstraße 00 in N.

Aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Feststellung der Angemes-senheit der Wohnflächen im Rahmen des § 22 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende (SGB II) im Mai 2012 leitete der Beklagte von Amts wegen ein Überprüfungsverfahren nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozial-verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) ein und änderte mit Bescheid vom 22.11.2012 die o. a. Bewilligungsbescheide unter Aufhebung der Festsetzung bezüglich der Kosten der Unterkunft (und Heizung) dahingehend, dass von Juli 2011 bis einschließlich Dezember 2012 Leistungen in Höhe von insgesamt 420 EUR nachbewilligt wurden. Ausweislich der dem Bescheid anliegenden Berechnungsbögen sollten nunmehr 360 EUR monatlich für Kosten der Unterkunft bewilligt werden.

Dagegen legte die Bedarfsgemeinschaft Klägerinnen über ihren Bevollmächtigen mit Schreiben vom 20.12.2012 Widerspruch ein. Die Berechnung des Beklagten sei falsch und entspreche nicht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Sollte bei der Neu-bescheidung das Gutachten des Beklagten über die Ermittlung der angemessenen Bedarfe der Unterkunft aus dem Januar 2013 zugrunde liegen, sei entgegenzuhalten, dass dieses nicht schlüssig im Sinne der höchstrichterlichen Rechtsprechung sei. Es sei daher auf die Werte der Wohngeldtabelle abzustellen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.01.2013 half der Beklagte dem Widerspruch teilweise – unter berichtigender Zugrundlegung seines "Gutachtens über die Ermittlung der ange-messenen Bedarfe der Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs. 1 SGB II und § 35 SGB XII ("schlüssiges Konzept")", verfasst im Januar 2013 - ab. Die Festlegung des angemes-senen Mietzinses pro Quadratmeter habe auf Grundlage eines schlüssigen Konzeptes zu erfolgen, das bundessozialgerichtlich aufgestellte Kriterien erfülle. In Anwendung eines solchen Konzeptes des Beklagten ergebe sich für die Klägerinnen als Bedarfsgemeinschaft bei einer abstrakt angemessenen Wohnungsgröße von 65 Quadratmetern und einem angemessenen Quadratmeterpreis von maximal 4,50 EUR ein bewilligungsfähiger Bedarf in Höhe von 292,50 EUR monatlich ohne Nebenkosten. Diese seien in tatsächlicher Höhe von 80 EUR übernahmefähig. Mit Bescheiden vom 16.01.2013, die vom Beklagten zum Gegenstand des Widerspruchsbescheides erklärt wurden, wurde diese Rechnung umgesetzt und den Klägerinnen für Juli 2011 bis Dezember 2012, ausgenommen der Monate November und Dezember 2012, Leistungen für Kosten der Unterkunft in Höhe von monatlich 372,50 EUR bewilligt; darin waren 292,50 EUR als angemessene Grundmiete (4,50 EUR mal 65 qm) und (weiterhin) 80 EUR als kalte Nebenkosten in tatsächlicher Höhe enthalten. Ein weitergehendes Begehr der klägerischen Bedarfsgemeinschaft wurde zurückgewiesen.

Die Klägerinnen haben dagegen am 14.02.2013 Klage erhoben.

Vertreten durch Ihren Bevollmächtigen – sind sie weiterhin der Auffassung, das im Ja-nuar 2013 verfasste Konzept des Beklagten sei nicht schlüssig im Sinne der vom Bundessozialgericht aufgestellten Kriterien. Zudem sei die Anwendbarkeit auf den streitgegenständlichen Zeitraum zu bezweifeln. Zeige sich, dass sich keine hinrei-chenden Feststellungen zu den angemessenen Kosten der Unterkunft für den streitgegenständlichen Zeit- und örtlichen Vergleichsraum mehr treffen ließen, seien die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen, die allerdings durch die Tabellenwerte zu § 12 des Wohngeldgesetzes im Sinne einer Angemessenheitsgrenze nach oben hin zu begrenzen seien.

Die Klägerinnen beantragen,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 20.12.2012 in Gestalt des Wi-derspruchsbescheides vom 08.01.2013 zu verurteilen, höhere Kosten der Unterkunft zu gewähren, andernfalls die Berufung zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen, andernfalls die Berufung zuzulassen.

Er bezieht sich auf die Gründe der angefochtenen Verwaltungsentscheidungen. Diesen Entscheidungen liege ein "schlüssiges Konzept" für die Bestimmung der angemessenen Kosten der Unterkunft zugrunde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Ge¬richtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte des Beklag¬ten und dessen Gutachten über die Ermittlung der angemessenen Bedarfe der Unterkunft und Heizung ("schlüssiges Kon-zept"), deren wesent¬licher Inhalt Gegen¬stand der mündlichen Verhandlung gewe¬sen ist, Bezug ge¬nommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerinnen sind in ihren Rechten gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozi¬algerichtsgesetz (SGG) verletzt. Der Bescheid vom 20.12.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.01.2013 ist rechtswidrig. Die Klägerinnen haben einen Anspruch auf Bewilligung höherer Kosten der Unterkunft; 418,60 EUR monatlich für Juli bis einschließlich Oktober 2011 sowie Januar bis einschließlich De-zember 2012.

I. Gemäß § 19 Abs. 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Hilfebedürftige Leistungen zur Siche-rung des Lebensunterhalts einschließlich des Bedarfs für Unterkunft und Heizung. Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden Bedarfe für Unterkunft (und Heizung) in Höhe der tat-sächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Dabei ist zunächst die angemessene Wohnungsgröße zu bestimmen. Alsdann ist der maßgeb-liche örtliche Vergleichsraum festzulegen und unter Berücksichtigung des angemessenen einfachen Wohnungsstandards festzustellen, welche Nettokaltmiete pro Quadratmeter Wohnfläche für die angemessene Wohnungsgröße auf dem Wohnungsmarkt des maßgeblichen Vergleichsraums zu zahlen ist. Zu der so ermittelten Nettokaltmiete sind noch die kalten Betriebskosten hinzuzurechnen (st. Rspr.; zuletzt: Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 16.04.2013, B 14 AS 28/12 R m.w.N.). In Anwendung der sog. Produkttheorie des Bundessozialgerichts müssen dabei nicht die einzelnen Faktoren (Wohnungsgröße, Wohnungsstandard - ausgedrückt durch Quadratmeterpreis) je für sich betrachtet "angemessen" sein, solange jedenfalls das Produkt aus Wohnfläche (Quadratmeterzahl) und Standard (Mietpreis je Quadratmeter) eine insgesamt angemessene Wohnungsmiete (Referenzmiete) ergibt (st. Rspr. BSG, Urteil vom 07.11.2006, 7b AS 10/06 R, juris, Rn. 24; Urteil vom 19. Februar 2009 – B 4 AS 30/08 R –, BSGE 102, 263-274).

II. 1. Die abstrakt angemessene Wohnungsgröße betrug im streitgegenständlichen Zeit-raum für den Zwei-Personen-Haushalt der Klägerinnen 65 qm. Zum 01.01.2010 ist im Zuge der Föderalismusreform mit dem Gesetz zur Förderung und Nutzung von Wohnraum für das Land Nordrhein-Westfalen (WFNG-NRW) (Art. 1 des Gesetzes zur Umsetzung der Föderalismusreform im Wohnungswesen vom 08.12.2009) das Wohnraumförderungsgesetz (WoFG) in Nordrhein-Westfalen abgelöst worden. Gleichzeitig sind mit dem Runderlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr vom 12.12.2009 Wohnraumnutzungsbestimmungen (WNB, MBl NRW 2010, 1) zum Vollzug der Teile 4 bis 6 des WFNG NRW erlassen worden und in Kraft getreten. Diese ersetzen die bisherigen Verwaltungsvorschriften NRW zum Wohnungsbindungsgesetz (VV-WoBindG). Nach Nr. 19 S. 2 der WNB treten die VV-WoBindG mit Ausnahme der Nr. 8 bis 8b.3 und 22 und der Anlage mit Ablauf des 31.12.2009 außer Kraft. Für die Belegung von gefördertem Wohnraum (vgl. § 18 WFNG NRW, der Nachfolgevorschrift zu § 27 WoFG - vgl LT-Drucks 14/9394, S 96) sind ab dem 01.01.2010 daher die in Nr 8.2 der WNB angesetzten Werte für Wohnflächen maßgeblich. (BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 109/11 R, juris). Danach sind 65 qm für einen Haushalt mit zwei Haushaltsangehörigen angemessen (Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 16.04.2013, B 14 AS 28/12 R m.w.N.).

2. Bei der Bestimmung des angemessenen Quadratmeterpreises ist ein einfacher, im un-teren Marktsegment liegender Standard zugrunde zu legen; die Wohnung muss hinsicht-lich ihrer Ausstattung, Lage und Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen. Nach diesen inhaltlichen Vorgaben soll die Festlegung der Mietobergrenze auf der Grundlage eines deren Einhaltung ermöglichenden schlüssigen Konzepts erfolgen (BSG, Urteil vom 20.12.2011 - B 4 AS 19/11 R, juris). Ein schlüssiges Konzept muss dabei nach den strengen und differenzierten Anforderungen des Bundessozialgerichts (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 22.09.2009 - B 4 AS 18/09 R, juris; siehe dazu kritisch Groth, SGb 2013, S. 249 ff.) folgende Voraussetzungen erfüllen:

- Die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen, - es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung, - Angaben über den Beobachtungszeitraum, - Festlegung der Art und Weise der Datenerhebung, - Repräsentativität des Umfangs der eingezogenen Daten, - Validität der Datenerhebung, - Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze der Datenauswertung und - Angaben über die gezogenen Schlüsse.

3. Der Beklagte hat zur Erstellung des geforderten schlüssigen Konzepts die JForschung und Beratung GmbH beauftragt, die im Januar 2013 ein entsprechendes Gutachten vor-gelegt hat. Danach ergibt sich für den Zwei-Personen-Haushalt der Klägerinnen im streit-gegenständlichen Zeitraum ein angemessener Quadratmeterpreis für die Grundmiete von 4,50 EUR. Das für den Kreis E erstellte schlüssige Konzept ist nach Auffassung der Kammer hinreichende Grundlage für die Bestimmung des angemessenen Quadratmeter-preises hinsichtlich der Nettokaltmiete (vgl. bereits Sozialgericht Aachen, Urteil vom 14.06.2013 - S 21 AS 102/13). Das Gutachten beachtet insoweit die vom Bundessozialgericht aufgestellten hohen Anforderungen. Das Konzept des Beklagten ist insoweit schlüssig (a-c), jedoch unvollständig, als es Grenzwerte nur für die Grundmiete bestimmt, eine abstrakte Taxierung der angemesse-nen kalten Nebenkosten allerdings nicht möglich war (d).

a) Den maßgeblichen Vergleichsraum bildet dabei der gesamte Kreis Düren. Bei der Festlegung des Vergleichsraumes geht es um die Ermittlung einer (angemesse-nen) Referenzmiete am Wohnort oder im weiteren Wohnumfeld der Hilfebedürftigen. Da-her sind ausgehend vom Wohnort der Hilfeempfängerinnen Vergleichsmaßstab diejenigen ausreichend großen Räume (nicht bloße Orts- oder Stadt- bzw. Kreisteile) der Wohnbebauung, die auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden (BSG, Urteil vom 22.09.2009, B 4 AS 18/09 R; vgl. auch BSG, Urteil vom 19.02.2009, B 4 AS 30/08 R). Einen solchen homogenen Vergleichsraum bildet der Kreis E. trotz der unterschiedlichen Größe der kreisangehörigen Kommunen als Ganzes. Insoweit schließt sich die Kammer in eigener Überzeugungsbildung der Auffassung der 5. Kammer des Sozialgerichts Aachen an (Urteil vom 16.09.2013 - S 5 AS 410/13). Es sind weder Anhaltspunkte vorgetragen worden noch sonst ersichtlich, die gegen eine solche Annahme sprechen. Vielmehr berücksichtigt diese Vergleichsraumbildung einerseits das Recht des Leitungsempfängers auf Verbleib in seinem sozialen Umfeld nach Auffassung der Kammer ausreichend, trägt andererseits aber auch dem Umstand Rechnung, dass in den kleineren Gemeinden – zu denen auch der Wohnort der Klägerinnen N. zählt – kein Wohnungsmarkt existiert, der eine ausreichend valide Datenbasis zur Erstellung eines gesonderten schlüssigen Konzeptes liefert. Der Rücklauf der Erhebungen des Beklagten bei der Erstellung des schlüssigen Konzept konzentrierte sich entsprechend stark auf die beiden größten kreisangehörigen Kommunen, während aus den 3.830 auswertbaren Angaben zum Wohnraum namentlich auf die Gemeinde N. nur sechs Daten entfielen. Dies steht offenbar insbesondere im Zusammenhang mit der üblicherweise in ländlichen Strukturen zu beobachtenden sehr hohen Eigentumsquote. Schließlich wird durch die vorgenommene Vergleichraumbildung aber auch das Risiko einer Ghettoisierung im Kreisgebiet vermieden. (vgl. diesen Gesichtspunkten: BSG, Urteil vom 07.11.2006 B 7b AS 10/06 R, juris, Rn. 24; Urteil vom 19.10.2010 – B 14 AS 50/10 R, juris, Rn. 24).

b) Weder die Datenerhebung noch die Datenauswertung sind zu beanstanden. Der Ge-genstand der Beobachtung wird in seiner Validität dezidiert dargelegt. Auch der Beobachtungszeitraum wird deutlich gekennzeichnet. Angaben zu 3830 geeigneten repräsentativen Wohnungen im Kreis Düren konnten für die Datenauswertung ver-wendet werden. Im Gutachten wird nachvollziehbar dargelegt, dass das für die Da-tenauswertung gewählte Regressionsmodell ein für die Ermittlung des angemessenen Quadratmeterpreises geeignetes Modell darstellt. Fehler bei der Anwendung dieses Mo-dells sind nicht zu erkennen. Zuletzt wurde auch überprüft und dargelegt, dass Wohnungen zum ermittelten angemessenen Quadratmeterpreis konkret verfügbar waren und sind.

c) Auch hinsichtlich der Zugrundlegung des Konzeptes des Beklagten auf den streitge-genständlichen Zeitraum ab Juli 2011 bis Dezember 2012 hat die Kammer keine Beden-ken, zumal der Gegenstand der Beobachtung und Auswertung – bei einem Stichtag für die Datenerhebung zum 01.10.2012 – sich gerade über diesen Zeitraum erstreckte und das Gutachten explizit die konkrete Verfügbarkeit von Wohnraum zum ermittelten ange-messenen Preis pro Quadratmeter im Jahr 2011 und im dritten Quartal des Jahres 2012 darlegt. Dabei lässt sich erkennen, dass die Verfügbarkeit von Wohnraum zum gewährten Quadratmeterpreis im streitgegenständlichen Zeitraum größer war als aktuell. Dies steht in Einklang mit der allgemeinen Lebenserfahrung, nach der sich Mietaufwendungen in der Regel erhöhen (vgl. Sozialgericht Aachen, Urteil vom 14.06.2013 – S 21 AS 102/13).

Eine Rückwirkungsproblematik aufgrund der Fertigstellung und Veröffentlichung des Konzeptes im Januar 2013 scheidet schon deshalb aus, weil es sich bei dem erstellten Gutachten nicht um normative Bestimmung handelt, seine Umsetzung vielmehr dem Bereich der Rechtsanwendung zuzuordnen ist.

d) aa) Ist danach für die Grundmiete der Bedarfsgemeinschaft der Klägerinnen eine An-gemessenheitsobergrenze von 292,50 EUR zu Grunde zu legen, hat aber in einem weiteren Schritt gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 19. Oktober 2010 (Ur-teil - B 14 AS 50/10 R, juris, Rn. 33 ff.) sodann die Ermittlung der abstrakt angemessenen kalten Betriebskosten zu erfolgen. Auch diese in das Produkt nach Maßgabe der Produkttheorie mit einzustellen. Dieses begründet das Bundessozialgericht zu Recht damit, dass zur realistischen Abbildung eines abstrakt angemessenen Mietpreises die Einbeziehung des Faktors "kalte Betriebskosten" erforderlich ist. Dieses entspricht den mietrechtlichen Vorgaben im Mietwohnungsbau, an denen sich der Gesetzgeber des SGB II orientiert hat. Dem Vermieter ist es gemäß § 556 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nur möglich, die kalten Nebenkosten der Mietwohnung auf den Mieter abzuwälzen, wenn er diese in die mietvertraglichen Vereinbarungen mit aufgenommen hat. Eine Wohnung mit einer reinen Grundmiete kann der Mieter somit regelmäßig nicht anmieten, da aus den vorgenannten Gründen nahezu ausnahmslos eine Vereinbarung über die kalten Betriebskosten bei Abschluss des Mietvertrages erfolgt. (vgl. u.a. Bundessozialgericht, Urteil vom 19. Oktober 2010 - B 14 AS 2/10 R, Rn 28, f., Lauterbach in: Gagel, Kommentar zum SGB II / SGB III, 45 Ergänzungslieferung 2012, zu § 22 SGB II Rn 34). Neben dem Wortlaut des § 22 SGB II "Kosten der Unterkunft", sprechen weiterhin auch Gleichheitserwägungen für die Rechtsprechung des 14. Senats. Während die Bedarfe für Heizkosten innerhalb der Systematik der "Wohnungskosten" separiert werden, umfasst der Begriff des Bedarfs der Unterkunft einheitlich die übrigen Wohnkosten (Grundmiete und kalte Betriebskosten). Die – der Kammer auch aus anderen Verfahren bekannte - Praxis des Beklagten, die tatsächlichen Nebenkosten ggfs. selbst bei unangemessener Wohnungsgröße zu übernehmen, widerspricht vor diesem Hintergrund dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz). Denn nach der Praxis des Beklagten kann der übernahmefähige Betrag für die (Einheit der) Kosten der Unterkunft zwischen einzelnen Hilfebedürftigen erheblich variieren. Die Anmietung sehr nebenkostenträchtiger Wohnungen wird dabei begünstigt. Teleologisch spricht für die o.a. Rechtsprechung zudem, dass einerseits für die Allgemeinheit keine höheren Kosten entstehen als bei einem Leistungsempfänger, der die jeweiligen Ange-messenheitsgrenzen voll ausreizt (bzw. bei der Praxis des Beklagten sehr hohe Neben-kosten in Kauf nimmt) und andererseits hierdurch die Anzahl an für die Leistungsempfänger zugänglichen Wohnung deutlich erhöht wird. (SG Frankfurt (Oder), Urteil vom 30. Mai 2012 – S 28 AS 3255/10 –, juris)

Das Konzept des Beklagten war danach zwar (hinsichtlich der Ermittlung einer angemes-senen Grundmiete) schlüssig, aber unvollständig.

Die Kammer verkennt nicht, dass die Anwendung dieser sog. "erweiterten Produkt-theorie" zu Folgeproblemen führt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, wie das Bundes-sozialgericht den Fall handhaben wird, dass die Jahresabrechnung der kalten Betriebskosten eine Nachforderung ergibt. Dies wäre allerdings nur dann ein Grund, der Überlegung des 14. Senats nicht zu folgen, wenn keine schlüssige Auflösung des Problems erkennbar wäre. Nach Auffassung der Kammer kann sich diese aber wie folgt darstellen: Die Leistungen des Beklagten für die Aufwendungen der kalten Betriebskosten sind, auch nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133,157 Bürger-liches Gesetzbuch analog), nur insoweit auf die Grundmiete aufzuschlagen, wie sie nicht tatsächlich bereits durch die Aufwendungen für die kalten Betriebskosten aufgezehrt werden. Die tatsächliche Höhe der Betriebskosten ergibt sich erst durch die Jahresabrechnung. Bis dahin sind die Leistungen des Beklagten mit dieser Unsicherheit behaftet. Er kann daher einem auf höhere Betriebskosten gerichteten Nachzahlungsbegehren des Leistungsempfängers den Erfüllungseinwand entgegen halten. Macht sich ein Leistungsempfänger also den Spielraum der erweiterten Produkttheorie zunutze, um eine von der Nettokaltmiete her an sich unangemessene Wohnung anzumieten, so ist das Risiko einer nachträglich erhöhten Betriebskostenab-rechnung in seiner Sphäre angesiedelt. Er wird damit demjenigen gleichgestellt, der auf-grund eines von vorne herein höheren Betriebskostenabschlags nicht die Möglichkeit hatte, eine unangemessen hohe Nettokaltmiete zu kompensieren. Der Gleichheitsgrundsatz wird so gewahrt. Für den Leistungsträger ergibt sich allerdings, dass er den Betroffenen frühestens nach Erteilung der Jahresrechnung zur Kostensenkung auffordern kann. Dies wäre nach dem Konzept des 14. Senats hinzunehmen (SG Duisburg, Urteil vom 06.04.2011 – S 41 AS 3047/10, juris, Rn. 48 ff.)

Soweit der Beklagte in Parallelverfahren, die in der Kammer anhängig sind, die Ansicht vertritt, die Maßstäbe der o. a. BSG-Rechtsprechung aus dem Jahr 2010 wären mit späte-rem Urteil des Bundessozialgerichts vom 26.05.2011 – B 14 AS 132/10 R aufgegeben oder jedenfalls abgewandelt worden, kann dem nicht zugestimmt werden. Soweit dort (vgl. juris Rn. 19) Ausführungen zu einem mehrstufigen (zwischen Grundmiete und kalten Nebenkosten differenzierenden) Ermittlungsverfahren jeweils angemessener Höchstwerte gemacht werden, ist darin keine Abkehr von der "erweiterten" Produkttheorie im dargelegten Sinne zu erkennen. Es wird lediglich der Weg eines mehrstufigen Ermittlungsverfahrens aufgezeigt, wie dies im Übrigen bereits im grundlegenden Urteil vom 19.10.2010 geschehen ist. Keinesfalls kann darin eine Abkehr vom Grundsatz gesehen werden, dass in einem weiteren Schritt letztlich ein einheitlicher Höchstbetrag aus angemessener Grundmiete und angemessenen kalten Betriebskosten zu bilden ist. Das Bundessozialgericht konnte die Prüfung der Schlüssigkeit der Angemessenheitsgrenze im Urteil aus dem Jahr 2011 schlicht schon aufgrund im dortigen Einzelfall festgestellter Unzulänglichkeiten bei der Bildung des Faktors "angemessene Grundmiete" beenden. Eine (wiederholende) Beschreibung der Grundlagen der "erweiterten" Produkttheorie erübrigte sich für den (ebenso wie 2010) entscheidenden 14. Senat deshalb an dieser Stelle.

bb) Das insoweit schlüssige Konzept des Beklagten bleibt danach um einen Höchstwert für die Angemessenheit der kalten Betriebskosten zu ergänzen, zu vervollständigen. Schließlich ist ein einheitlicher Höchstwert für die angemessenen Kosten der Unterkunft zu bilden.

Der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 19.10.2010 (Urteil - B 14 AS 50/10 R, juris, Rn. 34) entsprechend, greift die Kammer bei der Bestimmung eines Angemessen-heitshöchstwertes für die kalten Nebenkosten auf den (lokalen) Betriebskostenspiegel des Deutschen Mieterbundes für Nordrhein-Westfalen zurück (entsprechend bereits: SG Duisburg, Urteil vom 06.04.2011 – S 41 AS 3047/10, juris, Rn. 52 ff., SG Frankfurt (Oder) Urteil vom 30.05.2012 – S 28 AS 3255/10, juris, Rn. 71 ff.).

Nach dem – auch im streitgegenständlichen Zeitraum - aktuellen Betriebskostenspiegel für NRW aus dem Jahr 2011 errechnet sich – bereinigt um Werte für Heizung und Warm-wasser, die als separat gewährter Heizkostenbedarf abzuziehen sind – ein Durchschnitts- und damit Angemessenheitswert von 1,94 EUR pro maximal angemessener Quadratmeterzahl. Danach ergibt sich für den Zwei-Personen-Haushalt der Klägerinnen ein Angemessenheitshöchstwert von 126,10 EUR (65 qm x 1,94 EUR).

Eingestellt in das Produkt (resp. die Summe) aus abstrakt angemessenen Kosten für die Grundmiete und abstrakt angemessenen kalten Nebenkosten ergibt sich dann eine An-gemessenheitsobergrenze für die Kosten der Unterkunft der Klägerinnen im streitgegen-ständlichen Zeitraum von monatlich 418,60 EUR (292,50 EUR+ 126,10 EUR).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

IV. Die Berufung wird antragsgemäß nach § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da die Kam-mer eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache erkennt.
Rechtskraft
Aus
Saved