L 2 SO 1625/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 568/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 1625/13
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung (Urteil vom 29. Juni 2011 – L 2 SO 5698/10 in Juris) fest, dass auch bei fortgeschrittener Kieferatrophie weder ein Anspruch gegen den Sozialhilfeträger auf die Gewährung eines Zuschusses noch eines Darlehens zum Zwecke einer Finanzierung implantatgestützten Zahnersatzes gem. § 73 SGB XII besteht. Vielmehr ist der Sozialhilfeempfänger wie alle gesetzlich Krankenversicherten in diesem Fall auf die Versorgung mit einem "normalen" Zahnersatz/-Prothese zu verweisen.

2. Nichts anderes ergibt sich auch aus § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII, da es sich hier nicht um einen laufenden, sondern gerade um einen einmaligen Bedarf handelt.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19. März 2013 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten für eine Zahnbehandlung (im hier anhängigen Rechtsstreit für die Versorgung mit einer Prothese) in Höhe von zuletzt 576,95 EUR. In einem ebenfalls beim 2. Senat anhängigen Berufungsverfahren ist Streitgegenstand die Übernahme der Kosten für eine Implantatversorgung in Höhe von 771,21 EUR.

Die 1929 geborene Klägerin steht unter gesetzlicher Betreuung (Beschluss des Amtsgerichts Weinheim vom 15.2.2012, Bl. 15 SG-Akte). Sie lebt seit 2010 im B.-Heim in W. und bezieht wegen der nicht gedeckten Heimpflegekosten Hilfe zur Pflege nach dem 7. Kapitel des SGB XII. Seit dem 1.11.2011 besteht Pflegestufe III, zuvor Pflegestufe II. Sie ist bei der DAK W. gesetzlich krankenversichert.

Am 29.6.2011 beantragte die Tochter der Klägerin beim Beklagten die Übernahme von "Restkosten" für Zahnersatz in Höhe von "voraussichtlich 767,96 EUR" im Rahmen der Sozialhilfe (Bl. 303 der Verwaltungsakte - VA- ). Der bisherige Zahnersatz sei vom Pflegepersonal nicht mehr eingesetzt worden, da er nicht mehr gehalten habe und durch das ständige Verrutschen zu Erstickungsgefahr geführt hätte. Herkömmlicher Zahnersatz sei aufgrund der zu flachen Beschaffenheit des Kiefers nicht mehr möglich. Die einzige Möglichkeit sei, den Zahnersatz durch Stützstifte zu befestigen. Die DAK habe sowohl die gängige Übernahme der Kosten bewilligt als auch einen weiteren Teil zusätzlich aufgrund der Härtefallregelung. Der verbleibende Restbetrag sei auf die Nichtübernahme der Stützstiftbehandlung durch die DAK zurückzuführen.

Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 11.7.2011 (Bl. 307 VA) ab. Nach § 52 Abs. 1 SGB XII entsprächen die Hilfen nach den §§ 47 bis 51 den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit dem von der Krankenversicherung gewährten Höchstbetrag könne die Regelversorgung vollständig abgedeckt werden. Es blieben folglich keine Kosten ungedeckt, die im Falle der Inanspruchnahme einer nach den Grundsätzen der §§ 12, 28 SGB V ausreichenden, das Maß des Notwendigen nicht unterschreitenden Versorgung mit Zahnersatz entstünden.

Hiergegen erhob die Klägerin über ihre Tochter am 11.8.2011 Widerspruch. Über § 52 Abs. 1 SGB XII hinaus wäre ihrer Auffassung nach ergänzend zu prüfen gewesen, inwieweit die beantragte Leistung als einmaliger Bedarf nach § 31 SGB XII oder als Hilfe in sonstigen Lebenslagen nach § 73 SGB XII zu gewähren sei. Zahnersatz nach Regelversorgung halte im Kiefer der Klägerin nicht. Deshalb sei das Setzen von Implantatstiften die einzige medizinisch-technische Lösung. Die Leistung sei erforderlich, um Nahrungsaufnahme und Kommunikationsfähigkeit zu gewährleisten und die Menschenwürde zu erhalten. Ergänzend legte die Klägerin im August 2011 einen Kostenvoranschlag (betreffend die Prothese, voraussichtlicher Rechnungsbetrag 767,96) und einen Behandlungsplan (betreffend die Implantate, voraussichtliche Behandlungskosten 774,33 EUR) des Zahnarztes Dr. D. vom 8.6.2011 und 11.4.2011 (Bl. 345, 349 VA) sowie Atteste des Zahnarztes Dr. D. vom 27.9.2011 (Bl. 365 VA) und des Allgemeinmediziners Dr. K. vom 15.9.2011 (Bl. 367 VA) vor. Dr. D. bescheinigte, dass sich der Unterkiefer derartig atrophiert habe, dass eine Unterkieferprothese auch mit Haftcreme nicht halten könne. Bei jedem Essen und Sprechen würde die Prothese aus dem Mund fallen. Nach Dr. K. sei der aktuelle Zustand mit einem würdevollen Dasein unvereinbar; neben der Unfähigkeit, Nahrung zu kauen, bestünden auch massive Störungen der Kommunikation und sozialer Interaktion, da die Wortbildungsfähigkeit durch die veränderte Mechanik des Mundes und mimischen Apparates gestört sei.

Die Behandlung wurde ab dem 19.9.2011 durchgeführt (vgl. die von der Klägerin im Dezember 2011 noch vorgelegten Privatrechnungen des Dr. D. vom 7.10.2011 über 771,21 EUR für Implantate und vom 8.12.2011 - Bl. 433 VA - und über 576,95 EUR für die Prothese - Bl. 485 VA).

Mit Widerspruchsbescheid vom 18.1.2012 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Streitig sei die Übernahme ungedeckter Zahnbehandlungskosten in Höhe von 767,96 EUR. Eine Übernahme des Eigenanteiles für Zahnbehandlung nach den Vorschriften der §§ 47-52 SGB XII sei nicht möglich, denn die Hilfen entsprächen in Inhalt und Umfang den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Dies bedeute, dass keine Leistungen gewährt würden, die auch die gesetzliche Krankenkasse nicht erbringen würde ("Aufstockungsverbot"). Auch ein Anspruch auf Übernahme nach § 73 SGB XII scheide aus, da es sich bei der begehrten Hilfe um einen Tatbestand handele, der bereits in Kapitel 5 SGB XII (Hilfen zur Gesundheit) abschließend geregelt sei. § 73 SGB XII lasse die "Ausdehnung" der Hilfe in einer sonstigen Lebenslage nur auf Tatbestände zu, welche im 3. bis 9. Kapitel des SGB XII nicht geregelt seien.

Am 20.2.2012 hat die Klägerin Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Sie hat weiterhin die Verpflichtung des Beklagten zur Übernahme von Zahnbehandlungskosten in Höhe von 767,96 EUR (laut Kostenvoranschlag des Zahnarztes) begehrt. Gerade bei Zahnersatz seien in den letzten Jahren die Eigenanteile immer höher geworden. "Normale" Patienten seien zu den Zahlungen in der Lage, sozialhilfebedürftige Menschen hingegen nicht. Sie seien damit in einer "anderen" Lebenslage, so dass Kapitel 9 des SGB XII durchaus zur Anwendung komme. Natürlich sei es richtig, dass Behandlungskosten so erstattet würden, wie es auch die Krankenkassen täten. Dabei dürfe man aber nicht stehen bleiben, weil es auf der Hand liege, dass ein Hilfebedürftiger den Eigenanteil nicht aufbringen könne. Im Übrigen ermögliche das SGB XII auch in anderen Vorschriften in bestimmten Konstellationen eine gewisse Flexibilität (Verweis auf §§ 34, 27, 28, 35, 71 SGB XII). Der vorherige herkömmliche Zahnersatz sei vom Pflegepersonal nicht mehr eingesetzt worden, da er nicht mehr gehalten habe und durch das ständige Verrutschen Erstickungsgefahr herbeigeführt habe. Dieser Zustand sei auch nach Auffassung der behandelnden Ärzte mit einem würdevollen Dasein unvereinbar, Abhilfe nur durch die Befestigung des Zahnersatzes mittels Stützstiften zu erlangen.

Der Beklagte hat an seiner bisherigen Auffassung festgehalten. Für Eigenanteile zur Zahnbehandlung sei die Gewährung zusätzlicher einmaliger Leistungen nicht möglich (Aufstockungsverbot). Dies komme nur in Betracht für solche Bedarfe, für welche Leistungen auch gesetzlich zugelassen seien, wie z.B. einmalige Bekleidungsbeihilfen, § 27b Abs. 2 SGB XII. Auch eine Erhöhung des Mindest-/Regelbarbetrages nach § 27b Abs. Abs. 2 SGB XII komme nicht in Betracht, da der Barbetrag nicht zur Deckung einmaliger Bedarfe dieser Art diene.

Mit Urteil vom 19.3.2013 hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 11.7.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.1.2012 verurteilt, der Klägerin Zahnbehandlungskosten in Höhe von 767,96 EUR zu erstatten. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin befinde sich in einer "anderen Lebenslage" nach dem 9. Kapitel des SGB XII und sei daher im Hinblick auf die Zahnbehandlungskosten hilfebedürftig. Die Auffassung, dass eine "andere Lebenslage" nach dem 9. Kapitel des SGB XII nur solche Sachverhalte bzw. Lebenslagen erfassen könne, die nicht bereits Gegenstand der vorangegangenen Kapitel des SGB XII seien, möge dem Wortlaut und dem systematischen Aufbau des SGB XII entsprechen. Sie verkenne in Bezug auf den vorliegenden Kontext jedoch, dass die durch § 52 Abs. 1 S. 1 SGB XII bewirkte Abkehr vom Bedarfsdeckungsgrundsatz dem Grundverständnis der Sozialhilfe fremd sei. Denn als Fürsorgesystem ziele die Sozialhilfe darauf ab, der Menschenwürde entsprechend das lebensnotwendige Existenzminimum zu sichern. Nach dem Selbstverständnis der Bundesrepublik Deutschland als Sozialstaat (Art. 20 Abs. 1 und Ar. 28 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz - GG) sei es daher bedenklich, schematisch eine Bedarfslage nur wegen einer (vermeintlichen) Gleichbehandlung mit krankenversicherten Bürgern aus dem Leistungsspektrum der Sozialhilfe auszuschließen. Mit Blick auf Art 2 Abs. 2 S. 1 GG (Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, hierzu gehöre auch ein dem allgemeinen Lebensniveau im Bundesgebiet entsprechender Gesundheitsschutz) und im Rahmen einer an leleologischen Grundsätzen orientierten Auslegung sei es geboten, bei der Anwendung von § 73 SGB XII in Bezug auf krankenversicherungsrechtlich nicht gedeckte Gesundheitsaufwendungen großzügig zu sein. Im Übrigen handele der Gesetzgeber selbst nicht konsequent, wenn er trotz des dargestellten gesetzlichen Aufstockungsverbots (§ 52 Abs. 1 S. 1 SGB XII) in § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII seit dem 1.1.2011 für die Anschaffung und Reparatur von orthopädischen Schuhen bzw. von therapeutischen Geräten und Ausrüstungen einmalige Hilfen vorsehe. Denn die Gründe, die nach den Gesetzesmaterialien für die Einführung von § 31 Abs. 1 Nr. 3 SGB XII maßgeblich gewesen seien, gälten für die Anfertigung von Zahnersatz gleichermaßen. Denn auch solche Ausgaben fielen nur selten an und führten bei der Bemessung der Regelsatzpauschalen im Rahmen der Einkommens- und Verbrauchsstichproben nur zu geringen Beträgen. Im Bedarfsfall seien die entsprechenden Aufwendungen für den betroffenen Hilfebedürftigen jedoch relativ hoch und könnten regelmäßig aus den in den Regelbedarf eingerechneten (anzusparenden) Beträgen tatsächlich nicht gedeckt werden. Die Argumentation, das aus § 52 Abs. 1 S. 1 SGB XII abgeleitete "Aufstockungsverbot" wolle eine Besserstellung von Sozialhilfebeziehern gegenüber minderbemittelten Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung vermeiden, überzeuge bei genauerer Betrachtung nicht. Denn bei gesetzlich versicherten Arbeitnehmern mit geringem Arbeitsverdienst dürfe der Gesetzgeber im Rahmen einer typisierenden Betrachtung unterstellen, dass diese in der Lage seien, für "Gesundheitsleistungen", die im System der gesetzlichen Krankenversicherung nicht enthalten bzw. mit Zuzahlungen verbunden seien, Rücklagen zu bilden und diese Aufwendungen privat zu finanzieren. Diese Annahme sei jedoch für Personen, die existenzsichernde Leistungen der Sozialhilfe erhielten, unzulässig. Der Gleichheitssatz fordere nicht nur, wesentlich Gleiches gleich zu behandeln, er gebiete auf der anderen Seite auch, wesentlich ungleiche Sachverhalte unterschiedlich zu behandeln. So liege es hier. Denn bei typisierender Betrachtung dürfe durchaus angenommen werden, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von versicherungspflichtigen Mitgliedern der gesetzlichen Krankenversicherung größer sei als diejenige von Bürgern, die öffentliche Fürsorgeleistungen erhielten. Dies zeige der vorliegende Sachverhalt drastisch, denn letztlich wäre die Klägerin gehalten, den streitigen Zahnersatz mit einer Eigenbeteiligung von rund 1.500 EUR aus ihrem monatlichen "Taschengeld" von nicht einmal 100,00 EUR zu finanzieren. Dass dies nicht möglich sei, liege ohne weiteres auf der Hand.

Gegen das dem Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 25.3.2013 zugestellte Urteil hat dieser am 12.4.2014 Berufung eingelegt. Das Ausgangsgericht habe zu Unrecht einen Anspruch der Klägerin aus § 73 SGB XII bejaht. Die zahnprothetische Behandlung mit zumutbarer Eigenbeteiligung sei als notwendige Versorgung aus dem System des SGB V zu befriedigen. Für weitergehende medizinische Maßnahmen treffe weder den Grundsicherungsträger noch den Sozialhilfeträger eine Einstandspflicht (Verweis auf LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16.11.2010, L 18 AS 1432/08). Es handele sich auch nicht um einen besonders gelagerten Einzelfall. Kieferatrophien träten bei jedem größeren Zahnverlust auf und seien deshalb in der Praxis außerordentlich häufig. Die Fallgestaltung, dass bei durch Zahnlosigkeit der Kiefer hervorgerufener vollständiger bzw. fast vollständiger Kieferatrophie eine Versorgung mit implantatgestütztem Zahnersatz nicht im Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung enthalten sei, gleichwohl eine wirklich befriedigende Versorgung (fester Sitz der implantatgestützten Suprakonstruktion gegenüber einer lockeren/rutschenden Prothese) sich nur durch eine Implantatversorgung erzielen lasse, trete somit in einer Vielzahl von Fällen auf, was derartigen Fällen gleichzeitig den für das Eingreifen von §§ 42 S. 2, 37 SGB XII erforderlichen Einzelfallcharakter nehme (Verweis auf LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 29.6.2011, L 2 SO 5698/10 m.w.N.). Der Eigenanteil für die Prothese stelle auch keinen besonderen Bedarf im Sinne des § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII dar.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19.3.2013 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Insbesondere das Argument des Beklagten, es sei wegen der Häufigkeit des Auftretens von Kieferatrophien kein Einzelfall gem. §§ 42 S. 2, 37 SGB XII gegeben, trage nicht. Denn hier werde bei der Häufigkeit von Kieferatrophien offenbar nicht differenziert zwischen bedürftigen Menschen, die daran litten, und solchen mit eigenem Erwerbseinkommen oder eigener Rente. So handele es sich letztlich, im Rahmen von Sozialhilfe und Grundsicherung, doch nur um Einzelfälle. Bei der Klägerin träten besondere Umstände hinzu, denn sie sei aufgrund ihres weit fortgeschrittenen Alters und der Demenz ganz und gar nicht in der Lage mit einer losen oder verrutschenden Zahnprothese adäquat umzugehen.

In einem Erörterungstermin am 25.9.2013 haben die Beteiligten einen Vergleich geschlossen, der durch den Beklagten mit Schriftsatz vom 8.10.2013 widerrufen worden ist.

Mit weiterem Bescheid vom 26.7.2012 (Bl. 823 VA) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.4.2013 (Bl. 221 VA Bnd. 4) hat der Beklagte die Übernahme weiterer Zahnbehandlungskosten abgelehnt. Mit Gerichtsbescheid vom 3.3.2014 hat das hiergegen ebenfalls angerufene Sozialgericht Mannheim den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 26.7.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.4.2013 verurteilt, der Klägerin anlässlich der Implantatversorgung durch Dr. D. (zahnärztliche Privatrechnung vom 7.10.2011) 771,21 EUR zu zahlen. Auch hiergegen ist ein Berufungsverfahren anhängig (L 2 SO 1431/14).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge und die Akten des Parallelverfahrens (SG Mannheim S 9 SO 1431/13, L 2 SO 1431/14) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung des Beklagten hat Erfolg.

Die gem. §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden. Nachdem durch das SG eine Verurteilung zur Übernahme eines Betrages von 767,96 EUR erfolgt ist, ist insbesondere die Berufungssumme erreicht.

(Mittlerweile sind sich die Beteiligten einig, dass es in der Sache aufgrund der endgültigen Rechnung vom 8.12.2011 eigentlich nur um 576,95 EUR geht, der höhere Betrag stammte aus dem Kostenvoranschlag, - das dürfte aber nichts daran ändern, dass die Berufung bei Einlegung zulässig war, vgl. Leitherer in Meyer/Ladewig, § 144, Rz. 19)

Die Berufung ist auch begründet. Das SG hat auf die Klage den Bescheid des Beklagten vom 11.7.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.1.2012 zu Unrecht aufgehoben und den Beklagten verurteilt, im Rahmen der gesetzlichen Sozialhilfe Zahnbehandlungskosten (gemeint: der Eigenanteil für die Unterkieferprothese) in Höhe von 767,96 EUR zu übernehmen. Entgegen der Auffassung des SG hat die Klägerin keinen derartigen Anspruch.

Die Voraussetzungen des § 73 Sozialgesetzbuch 12. Buch (SGB XII) sind entgegen der Ansicht der Klägerin und des SG nicht erfüllt. Nach § 73 SGB XII können Leistungen auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Ziel des § 73 Abs. 1 SGB XII ist es, atypische Bedarfslagen, die nicht bereits von den Regelungen des SGB XII erfasst sind, zu decken. § 73 SGB XII beinhaltet insoweit eine gesetzliche subsidiäre Generalklausel bzw. einen gesetzlichen Auffangtatbestand für atypische Hilfesachverhalte. Jedoch erlaubt § 73 SGB XII weder eine Aufstockung oder Ausweitung bereits vorhandener Leistungsansprüche nach dem SGB XII noch dürfen über § 73 SGB XII Sachverhalte erfasst werden, die gegenüber den sonstigen imSGB XII geregelten Hilfelagen keine vergleichbare Lebensnotlage beinhalten (vgl. insoweit nur Böttiger in juris PK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 73 SGB XII m.w.N.) Diese "Öffnungsklausel" soll es damit ermöglichen, in Fällen, die vom (übrigen) Sozialleistungssystem nicht erfasst werden, Hilfen zu erbringen und damit einen "Sonderbedarf" zu decken (vgl. nur BSG, Urteil vom 16.12.2010, B 8 SO 7/09 R, Rz. 13).

. Der von der Klägerin hier geltend gemachten Bedarf weist eine sachliche Nähe zu den sog. Hilfen zur Gesundheit gem. §§ 47 ff. SGB XII auf. Eine besondere Bedarfslage ist jedoch nur dann anzuerkennen, wenn der geltend gemachten Bedarf auch im System des SGB V nicht befriedigt werden kann. Der den Zahnarztkosten der Klägerin zugrundeliegende Bedarf kann vorliegend in dem auf eine Grundversorgung angelegten System des SGB V befriedigt werden, soweit es sich dabei um eine notwendige medizinische Versorgung handelt Für weitergehende medizinische Maßnahmen trifft den Sozialhilfeträger keine Einstandspflicht. Abschließend geregelte Tatbestände dulden keine Aufstockung oder Ausweitung über § 73 SGB XII (LSG München, Beschluss vom 30.5.2007, L 7 B 204/07 AS ER, Rz. 50).

Gemäß § 48 S. 1 SGB XII werden Leistungen zur Krankenbehandlung entsprechend dem Dritten Kapitel Fünften Abschnitt Ersten Titel des Fünften Buch Sozialgesetzbuch erbracht. Die Hilfen nach den §§ 47 bis 51 entsprechen den Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 52 SGB XII). Aus diesen Regelungen folgt, dass gesetzlich krankenversicherte Personen - wie die Klägerin - keinen über die Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehenden sozialhilferechtlichen Anspruch auf Krankenhilfe haben.

In der gesetzlichen Krankenversicherung haben Versicherte gem. § 55 Abs. 1 SGB V Anspruch auf befundbezogene Festzuschüsse bei einer medizinisch notwendigen Versorgung mit Zahnersatz einschließlich Zahnkronen und Suprakonstruktionen (zahnärztliche und zahntechnische Leistungen) in den Fällen, in denen eine zahnprothetische Versorgung notwendig ist und die geplante Versorgung einer Methode entspricht, die gem. § 135 Abs. 1 anerkannt ist. Bei unzumutbarer Belastung sind nach § 55 Abs. 2 SGB V höhere Zuschüsse möglich. In S. 2 Nr. 3 der Vorschrift ist insoweit ausdrücklich der Fall genannt, dass die Kosten der Unterbringung in einem Heim von einem Träger der Sozialhilfe getragen werden. Dass die Klägerin den Festzuschuss zur Prothesenversorgung einschließlich eines Härtezuschlags von der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten hat, ist zwischen den Beteiligten unstreitig. Damit wird ihr Bedarf jedoch zugleich auch im Sinne des Leistungsrechts des SGB XII gedeckt (vgl. insoweit BSG, Urt. v. 12.12.2013, B 4 AS 6/13 R, Rz. 25, 26 zu einem vergleichbaren Fall im Grundsicherungsrecht: Dort hat das BSG ausgeführt, dass die Indikation zu einer kieferorthopädischen Behandlung durch die gesetzliche Krankenkasse anerkannt worden sei, so dass die dortige Klägerin auch die medizinisch notwendige Versorgung durch die gesetzliche Krankenkasse erhalte. Damit werde der Bedarf der Klägerin wegen der kieferorthopädischen Behandlung jedoch zugleich auch im Sinne des Grundsicherungsrechts gedeckt. Auch wenn hinsichtlich der geltend gemachten Mehrleistungen nicht ausgeschlossen werden könne, dass sie medizinisch indiziert sein könnten, gingen diese über die notwendige Versorgung hinaus und seien daher nach der Grundkonzeption des SGB V vom Versicherten selbst zu tragen).

Den Überlegungen, die das SG zu einer großzügigen Auslegung des § 73 SGB XII in Bezug auf krankenversicherungsrechtlich nicht gedeckte Gesundheitsaufwendungen und mithin zur Annahme einer "anderen Lebenslage" geführt haben, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung in Bezug auf Zahnersatz ist seit mehreren Jahren in der Grundkonzeption unverändert. Verfassungsrechtliche Bedenken mit Blick auf das Niveau des durch die oben zitierten Vorschriften des Krankenversicherungsrechts gewährten Gesundheitsschutzes i.S.d. Art 2 GG werden soweit ersichtlich weder in der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch in der Kommentarliteratur geäußert. Hätte der Gesetzgeber hier insbesondere für Hilfeempfänger nach dem SGB XII Änderungsbedarf gesehen, hätte es ihm freigestanden, im Rahmen der Neufassungen des § 31 SGB XII auch Leistungen für Zahnersatz gesondert aufzunehmen.

Auch ein Anspruch der Klägerin gem. § 27a Abs. 4 S. 1 SGB XII kommt nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift wird der individuelle Bedarf abweichend vom Regelsatz festgelegt, wenn ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht. Inhaltlich ist die Vorschrift mit Blick auf die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 9.2.2010 (BVerfGE 125, 174 ff.) auszulegen. Zwar betraf die zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungswidrigkeit der Berechnung der Regelleistung nach dem SGB II. Die Überlegungen des Bundesverfassungsgerichts betreffend eine Öffnungsklausel für in Sonderfällen nicht erfasster Art auftretender Bedarfe oder solche, die einen atypischen Umfang haben, sind jedoch - weil sie einen vergleichbaren Personenkreis betreffen, auf Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII zu übertragen. Es muss damit ein Anspruch auf Leistungen bei unabweisbarem, laufendem, nicht nur einmaligem und besonderem Bedarf sichergestellt sein. Im Fall der Klägerin kommt damit eine abweichende Festlegung vom Regelsatz nicht in Betracht, nachdem es sich bei den Prothesenkosten nicht um einen laufenden, sondern um einen einmaligen Bedarf handelt.

Scheidet ein Anspruch der Klägerin schon aus rechtlichen Gründen aus, bestand kein Anlass für weitere Sachaufklärung auf medizinischem Gebiet. Dass im Fall der Klägerin Schwierigkeiten mit der Befestigung einer herkömmlichen Prothese im Unterkiefer bestehen, wird vom Senat nicht in Zweifel gezogen.

Auf die Berufung des Beklagten war das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 19.3.2013 daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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