Land
Hessen
Sozialgericht
SG Frankfurt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
32
1. Instanz
SG Frankfurt (HES)
Aktenzeichen
S 32 AS 620/14 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig bis zu einer anderweitigen Entscheidung in der Hauptsache Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe ab 9.4.2014 bis 31.7.2014 zu gewähren.
2. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten sind Ansprüche auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Streit.
Der 1984 geborene ledige Antragsteller zu 1) und die 1990 geborene ledige Antragstellerin zu 2) sind rumänische Staatsangehörige und gehören zur Volksgruppe der Roma. Die in den Jahren 2005 und 2013 geborenen Antragsteller zu 3) und 4) sind nach dem Vortag der Antragsteller ihre gemeinsamen Kinder.
Die Antragsteller leben nach ihrem Vortrag seit September 2013 in Deutschland. Sie sind zu einem nicht näher ermittelten Zeitpunkt nach A-Stadt gekommen und wohnten dort zunächst in einer Gartenlaube ohne fließendes Wasser und ohne Heizung. Als das Jugendamt Ende Februar 2014 hiervon erfuhr, nahm es die Kinder wegen Kindeswohlgefährdung in Obhut. Im März wurde den vom Förderverein Roma e.V. betreuten Antragstellern von Herrn XV eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Die Kinder wurden vom Jugendamt den Eltern wieder übergeben.
Die Antragstellerin zu 2) bezieht auf ihren Antrag vom 14.3.2014 für beide Kinder Kindergeld der Familienkasse Hessen ab April 2014. Der Antragsteller zu 1) steht seit 1.3.2014 in einem Haushalts-Minijob-Verhältnis bei Herrn XV und verdient dort nach dessen Angaben 100,- EUR monatlich für mindestens 6 Stunden Arbeit in der Woche.
Am 27.2.2014 stellte der Antragsteller zu 1) einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II bei dem Antragsgegner für sich und seine Familie. Zu ihrem bisherigen Einkommen trugen die Antragsteller vor, sie hätten bislang von dem Sammeln von Pfandflaschen und Dosen und von der Hilfe von Freunden und Bekannten gelebt.
Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11.3.2014 ab unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und wies den Widerspruch der Antragsteller vom 9.4.2014 mit Widerspruchsbescheid vom 5.6.2014 zurück.
Hiergegen haben die anwaltlich vertretenen Antragsteller am 11.6.2014 Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben (Aktenzeichen: S 32 AS 976/14).
Am 9.4.2014 haben die Antragsteller anwaltlich vertreten einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Sie haben vorgetragen, dass der Antragsteller zu 1) einen Minijob habe, weshalb er schon deshalb als Arbeitnehmer nicht unter den Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für Arbeitsuchende falle. Den Antragstellern zu 2) bis 4) stehe als Familienangehörigen ein Aufenthaltsrecht nach § 3 Abs. 1 FreizügG/EU zu.
Die Antragsteller beantragen,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern ab Antragstellung Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt (konkludent),
den Antrag abzulehnen.
Er beruft sich auf den Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Der Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 883/04 sei nicht eröffnet, so dass ein auf Gleichbehandlung nach dieser Verordnung gegründeter Anspruch nicht gegeben sei. Auf einen Arbeitnehmerstatus könne sich der Antragsteller zu 1) nicht berufen, weil seine Erwerbstätigkeit untergeordnet und unwesentlich sei. Eine Erheblichkeit der Tätigkeit sei erst ab einem Entgelt von über 200,- EUR monatlich gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten des Antragsgegners, deren Inhalt Gegenstand der Entscheidung gewesen ist, Bezug genommen.
II.
Der Antrag zulässig und begründet.
Nach § 86 b Absatz 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die einstweilige Anordnung darf grundsätzlich die endgültige Entscheidung nicht vorwegnehmen. Deshalb ist es in der Regel nicht zulässig, eine Behörde zum Erlass eines im Hauptverfahren beantragten Verwaltungsakts zu verpflichten. Bei Ermessensentscheidungen der Verwaltung ist eine einstweilige Anordnung nur möglich, wenn nur eine bestimmte Entscheidung ermessensgerecht sein kann (hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 10. Auflage 2012, § 86b Rn. 30a).
Voraussetzung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist damit das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, also eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die Leistung, und eines Anordnungsgrundes, nämlich eines Sachverhalts, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander, es besteht eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderung an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Wenn danach die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, ist ein Recht, das geschützt werden muss, nicht vorhanden. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dann, auch wenn ein Anordnungsgrund gegeben ist, abzulehnen. Es handelt sich insgesamt um ein im funktionalen Zusammenhang stehendes bewegliches System (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rn. 27 und 29 m.w.N.).
Bei einem offenen Ausgang der Hauptsache ist wiederum eine Interessenabwägung erforderlich. Es sind hierbei die Folgen abzuwägen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch besteht, und auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch nicht besteht.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf mangelnde Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes sind glaubhaft gemacht, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass sie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegen.
Die Kammer sieht bei Würdigung des noch nicht gänzlich ausermittelten Sachverhalts einen Anordnungsanspruch als gegeben an, weil sie die Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers zu 1) nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen Ermittlungsdichte bejaht und deshalb keinen Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II gegeben sieht.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Das Alter der Antragsteller zu 1) und 2) liegt innerhalb der Altersgrenzen der Nr. 1. Sie sind mangels anderer Anhaltspunkte auch erwerbsfähig (Nr. 2). Auch die Hilfebedürftigkeit i.S. der Nr. 3 ist zu bejahen. Die Antragsteller haben erklärt, vermögenslos zu sein und bislang vom Sammeln von Pfandfalschen und Dosen und der Hilfe von Freunden und Bekannten gelebt zu haben. Das erscheint der Kammer in Anbetracht der Lebensumstände der Antragsteller, bevor ihnen eine Wohnung zur Verfügung gestellt wurde, hinreichend glaubhaft. Die Kammer geht hierbei davon aus, dass die von der Prozessbevollmächtigten vorgelegten Presseberichte unter geänderter Namensnennung sich auf die Antragsteller beziehen.
Auch ein gewöhnlicher Aufenthalt der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland ist zu bejahen (Nr. 4). Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition gilt für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs, soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas anderes ergibt (§ 37 SGB I). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen (vgl. BSG, Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R – juris Rn 18 ff. m.w.N.). Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll - auch im Sinne einer Missbrauchsabwehr - ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, dieser jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll. Hier halten sich die Antragsteller seit 13.3.2014 in einer Wohnung in A-Stadt gemeldet. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Antragsteller vorhätten, ihren Aufenthalt in A-Stadt zu beenden. Ihr Antrag auf Leistungen nach dem SGB II zeigt vielmehr, dass sie beabsichtigen, weiterhin in A-Stadt zu leben. Damit liegt hier außer dem objektiven Gesichtspunkt des Aufenthalts jedenfalls seit 13.3.2014 auch der subjektive Wille zur Verfestigung dieses Aufenthalts erkennbar vor. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts der Antragsteller gemäß § 5 Abs. 5 FreizügG/EU festgestellt und die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht eingezogen wurde.
§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II sieht einen zeitlich begrenzten Ausschlussgrund für den Leistungsbezug vor. Ausländer und Ausländerinnen und ihre Familienangehörigen erhalten für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts in Deutschland grundsätzlich keine Leistungen nach dem SGB II. Mit dieser Regelung sollen insbesondere Unionsbürger vom SGB II-Leistungsbezug ausgeschlossen werden, die das voraussetzungslose dreimonatige Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 5 FreizügG/EU in Anspruch nehmen (BT Drs. 16/5065, S. 473). Für Arbeitnehmer gilt diese Mindestaufenthaltsdauer indessen nicht.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind von den Leistungen nach dem SGB II ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Auch dieser Ausschlusstatbestand greift dann nicht, wenn der Ausländer als Arbeitnehmer i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU anzusehen ist und sich sein Aufenthaltsrecht damit nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.
Der Antragsgegner beruft sich auf den Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Die Kammer kommt dagegen bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren geforderten vorläufigen Entscheidung, die eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts nicht erlaubt, zu der Einschätzung, dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht sind. Dies gilt unabhängig von der beim EuGH anhängigen Rechtsfrage, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf Unionsbürger schon deshalb keine Anwendung findet, weil er mit der VO (EG) 883/2004 kollidiert (so die Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts, Urteil vom 20.9.2013, L 7 AS 474/13, juris; Urteil vom 27.11.2013, L 6 AS 378/12, juris). Denn die Kammer bejaht vorliegend den Arbeitnehmerstatus des Antragstellers zu 1), womit die Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB II schon tatbestandlich nicht greifen.
Welchen zeitlichen und Entgeltumfang eine abhängige Beschäftigung haben muss, damit der Beschäftigte als Arbeitnehmer i.S. des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II angesehen werden kann, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist auch derjenige Arbeitnehmer im Sinne des Freizügigkeitsrechts und damit des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, der nur über ein geringfügiges, das Existenzminimum nicht deckendes, Einkommen verfügt. Das Bundessozialgericht hat unter Berufung auf Rechtsprechung des EuGH ausgeführt, dass jeder Arbeitnehmer, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt - mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt - unter die Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer fällt (BSG, Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10 R, juris Rn. 18 m.w.N.). Dass es kein europaweit einheitlich zu bestimmendes Mindestentgelt zur Bejahung der Erheblichkeitsschwelle geben kann, ergibt sich schon aus dem höchst unterschiedlichen Lohnniveau in den Mitgliedstaaten der EU. In einem obiter dictum hat das Bundessozialgericht eine knapp viermonatige Tätigkeit als Handwerkshelfer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 7,5 Stunden und einem monatlichen Entgelt von 100,- EUR als ausreichend angesehen (BSG, Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10, juris Rn. 3 und 18). Der Antragsgegner selbst sieht die Erheblichkeitsschwelle erst bei einem monatlichen Einkommen von über 200,- EUR überschritten.
Die Kammer macht sich, weil die Rechtsfrage nach der Entgeltgrenze für die Erheblichkeit der Arbeitnehmertätigkeit i.S. des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II offen ist, im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens den Maßstab des Antragsgegners zu eigen, kommt aber zu einem anderen Ergebnis in der Rechtsanwendung.
Die Beschäftigung des Antragstellers zu 1) als Haushaltshilfe seit 1.3.2014 ist laut Meldung an die Minijob-Zentrale nicht befristet. Der Antragsteller zu 1) hat nach Angaben seines Arbeitgebers nach Bedarf, mindestens aber 6 Stunden wöchentlich zu arbeiten und erhält 100,- EUR monatlich.
Ein Stundenlohn von unter 4 Euro (100,- EUR monatlich für mindestens 6 Stunden Arbeit pro Woche bei durchschnittlich 4,3 Wochen pro Monat: Stundenlohn 3,88 EUR pro Stunde) könnte allerdings als ausbeuterisch die Grenze der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) erreichen. So hat das SG Berlin in seinem Urteil vom 29.8.2012 (Aktenzeichen: S 73 KR 1505/10, juris Rn. 30) Entgelte zwischen 3,60 EUR und 4,50 EUR als evident sittenwidrig angesehen. Ein Stundenlohn von lediglich 4 Euro oder weniger liegt auch weit unterhalb des derzeit im Gesetzgebungsverfahren diskutierten Mindestlohns von 8,50 EUR. Das BAG sieht den Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB gegeben, wenn weniger als 2/3 des üblichen Lohns gezahlt werden (BAG, Urteil vom 18.4.2012, 5 AZR 630/10, juris Rn. 11). Die Kammer geht davon aus, dass Entgelte für Haushaltsdienstleistungen im Raum A Stadt i.d.R. bei 10,00 EUR pro Stunde liegen. Selbst wenn man nur von 8,50 EUR ausginge, wäre die 2/3 Grenze weit unterschritten.
Hinzukommen muss für die Sittenwidrigkeit i.S. des § 138 Abs. 2 BGB die Ausbeutung einer Zwangslage oder der Unerfahrenheit des Arbeitnehmers. Die Erfüllung des subjektiven Tatbestands des Lohnwuchers erfordert nicht nur ein besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, sondern auch den Nachweis einer verwerflichen Gesinnung des Arbeitgebers (BAG, Urteil vom 22.4.2009, 5 AZR 436/08, juris Rn 26 f.). Eine Ausbeutung einer Zwangslage oder der Unerfahrenheit des Arbeitnehmers liegt im Falle des sprachunkundigen, mittellosen Antragstellers zu 1), der zudem in Abhängigkeit von seinem Arbeitgeber steht, weil er von diesem die Wohnung zur Verfügung gestellt bekommen hat, zumindest sehr nahe.
Es ist zwar nicht auszuschließen, dass mit dem vereinbarten Monatsentgelt von 100,- EUR zwischen den Arbeitsvertragsparteien bewusst eine Gestaltung gewählt wurde, die wegen der Freibetragsregelung des § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II eine abschlagsfreie Auszahlung der beantragten Sozialleistungen an den Antragsteller zu 1) und seine Familie ermöglichen soll. Sollte eine solche Optimierungsstrategie unter Ausnutzung sozialrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten einvernehmlich gewählt worden sein, wäre der Lohnwuchertatbestand des § 138 BGB zu verneinen. Es wäre nach Auffassung der Kammer aber auch der Arbeitnehmerstatus des Antragstellers zu 1) zu verneinen, weil es gerade wegen der Freibetragsregelung des § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II naheliegt, die Erheblichkeitsschwelle zur Bejahung des Arbeitnehmerstatus i.S. des § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II, der die Sozialleistung erst eröffnet, bei einem Entgelt von jedenfalls über 100,- EUR monatlich anzusetzen.
Da sich die näheren Umstände der Eingehung des Arbeitsverhältnisses im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zeitnah aufklären lassen, geht die Kammer zugunsten des Antragstellers zu 1) davon aus, dass – wie es die äußeren Umstände nahelegen - der Lohnwuchertatbestand erfüllt ist. Rechtsfolge der Sittenwidrigkeit der Entgeltabsprache infolge Lohnwuchers ist ein Anspruch auf den üblichen Lohn gemäß § 612 BGB. Damit würde sich das zu zahlende Entgelt bei Ansetzung des derzeit diskutierten Mindestlohns von 8,50 EUR auf zumindest 219,30 EUR monatlich (4,3 [Wochen pro Monat] x 6 [Stunden pro Woche] x 8,50 EUR) erhöhen. Bei einem Arbeitsverhältnis mit einem Entgeltanspruch von über 200,- EUR ist aber selbst nach Auffassung des Antragsgegners die Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers zu bejahen.
Die Kammer geht nach allem davon aus, dass der Antragsteller zu 1) Arbeitnehmer i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist und sich damit nicht ausschließlich zur Arbeitsuche in Deutschland aufhält. Den übrigen Antragstellern kommt § 3 FreizügG/EU zugute. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II greift für sie nicht.
Die Kammer bejaht hiernach einen Anordnungsanspruch der Antragsteller auf die existenzsichernden Leistungen des SGB II.
Wegen der unstreitig prekären finanziellen Lage der Antragsteller ist auch ein Anordnungsgrund zu bejahen.
Die Antragsteller haben am 27.2.2014 ihren Antrag beim Antragsgegner gestellt. Damit läuft der maßgebliche Bewilligungszeitraum vom 1.2.2014 bis 31.7.2014 (§§ 37, 41 SGB II). Da der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht am 9.4.2014 gestellt wurde, ist der Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig ab diesem Zeitpunkt Leistungen zu bewilligen. Solange nur der vereinbarte und nicht der nach den obigen Überlegungen dem Antragsteller zu 1) zustehende Lohn zufließt, kann auch nur dieser Zufluss bei der Berechnung der Leistungen berücksichtigt werden.
Die Kammer regt Ermittlungen zu den näheren Umständen der Eingehung des Arbeitsverhältnisses des Antragstellers zu 1) an, die auch das Hauptsacheverfahren befördern können. Insbesondere bedarf es näherer Aufklärung, ob der Antragsteller zu 1) eine "tatsächliche und echte Tätigkeit" i.S. der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ausübt und ob der Tatbestand des Lohnwuchers auch in subjektiver Hinsicht gegeben ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
2. Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.
Gründe:
I.
Zwischen den Beteiligten sind Ansprüche auf Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Streit.
Der 1984 geborene ledige Antragsteller zu 1) und die 1990 geborene ledige Antragstellerin zu 2) sind rumänische Staatsangehörige und gehören zur Volksgruppe der Roma. Die in den Jahren 2005 und 2013 geborenen Antragsteller zu 3) und 4) sind nach dem Vortag der Antragsteller ihre gemeinsamen Kinder.
Die Antragsteller leben nach ihrem Vortrag seit September 2013 in Deutschland. Sie sind zu einem nicht näher ermittelten Zeitpunkt nach A-Stadt gekommen und wohnten dort zunächst in einer Gartenlaube ohne fließendes Wasser und ohne Heizung. Als das Jugendamt Ende Februar 2014 hiervon erfuhr, nahm es die Kinder wegen Kindeswohlgefährdung in Obhut. Im März wurde den vom Förderverein Roma e.V. betreuten Antragstellern von Herrn XV eine Wohnung zur Verfügung gestellt. Die Kinder wurden vom Jugendamt den Eltern wieder übergeben.
Die Antragstellerin zu 2) bezieht auf ihren Antrag vom 14.3.2014 für beide Kinder Kindergeld der Familienkasse Hessen ab April 2014. Der Antragsteller zu 1) steht seit 1.3.2014 in einem Haushalts-Minijob-Verhältnis bei Herrn XV und verdient dort nach dessen Angaben 100,- EUR monatlich für mindestens 6 Stunden Arbeit in der Woche.
Am 27.2.2014 stellte der Antragsteller zu 1) einen Antrag auf Leistungen nach dem SGB II bei dem Antragsgegner für sich und seine Familie. Zu ihrem bisherigen Einkommen trugen die Antragsteller vor, sie hätten bislang von dem Sammeln von Pfandflaschen und Dosen und von der Hilfe von Freunden und Bekannten gelebt.
Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 11.3.2014 ab unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II und wies den Widerspruch der Antragsteller vom 9.4.2014 mit Widerspruchsbescheid vom 5.6.2014 zurück.
Hiergegen haben die anwaltlich vertretenen Antragsteller am 11.6.2014 Klage beim Sozialgericht Frankfurt am Main erhoben (Aktenzeichen: S 32 AS 976/14).
Am 9.4.2014 haben die Antragsteller anwaltlich vertreten einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Sie haben vorgetragen, dass der Antragsteller zu 1) einen Minijob habe, weshalb er schon deshalb als Arbeitnehmer nicht unter den Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II für Arbeitsuchende falle. Den Antragstellern zu 2) bis 4) stehe als Familienangehörigen ein Aufenthaltsrecht nach § 3 Abs. 1 FreizügG/EU zu.
Die Antragsteller beantragen,
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern ab Antragstellung Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt (konkludent),
den Antrag abzulehnen.
Er beruft sich auf den Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II. Der Anwendungsbereich der Verordnung (EG) 883/04 sei nicht eröffnet, so dass ein auf Gleichbehandlung nach dieser Verordnung gegründeter Anspruch nicht gegeben sei. Auf einen Arbeitnehmerstatus könne sich der Antragsteller zu 1) nicht berufen, weil seine Erwerbstätigkeit untergeordnet und unwesentlich sei. Eine Erheblichkeit der Tätigkeit sei erst ab einem Entgelt von über 200,- EUR monatlich gegeben.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten des Antragsgegners, deren Inhalt Gegenstand der Entscheidung gewesen ist, Bezug genommen.
II.
Der Antrag zulässig und begründet.
Nach § 86 b Absatz 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Die einstweilige Anordnung darf grundsätzlich die endgültige Entscheidung nicht vorwegnehmen. Deshalb ist es in der Regel nicht zulässig, eine Behörde zum Erlass eines im Hauptverfahren beantragten Verwaltungsakts zu verpflichten. Bei Ermessensentscheidungen der Verwaltung ist eine einstweilige Anordnung nur möglich, wenn nur eine bestimmte Entscheidung ermessensgerecht sein kann (hierzu Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG Kommentar, 10. Auflage 2012, § 86b Rn. 30a).
Voraussetzung der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ist damit das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, also eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die Leistung, und eines Anordnungsgrundes, nämlich eines Sachverhalts, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund stehen nicht isoliert nebeneinander, es besteht eine Wechselbeziehung der Art, dass die Anforderung an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils zu verringern sind und umgekehrt. Wenn danach die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist, ist ein Recht, das geschützt werden muss, nicht vorhanden. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist dann, auch wenn ein Anordnungsgrund gegeben ist, abzulehnen. Es handelt sich insgesamt um ein im funktionalen Zusammenhang stehendes bewegliches System (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl. 2012, § 86b Rn. 27 und 29 m.w.N.).
Bei einem offenen Ausgang der Hauptsache ist wiederum eine Interessenabwägung erforderlich. Es sind hierbei die Folgen abzuwägen, die auf der einen Seite entstehen würden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung nicht erließe, sich jedoch im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch besteht, und auf der anderen Seite entstünden, wenn das Gericht die einstweilige Anordnung erließe, sich aber im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Anspruch nicht besteht.
Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen. Dabei ist, soweit im Zusammenhang mit dem Anordnungsanspruch auf mangelnde Erfolgsaussichten abgestellt wird, die Sach- und Rechtslage nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen. Die tatsächlichen Voraussetzungen des Anordnungsanspruches und des Anordnungsgrundes sind glaubhaft gemacht, wenn das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass sie mit überwiegender Wahrscheinlichkeit vorliegen.
Die Kammer sieht bei Würdigung des noch nicht gänzlich ausermittelten Sachverhalts einen Anordnungsanspruch als gegeben an, weil sie die Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers zu 1) nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gebotenen Ermittlungsdichte bejaht und deshalb keinen Ausschlusstatbestand nach § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II gegeben sieht.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch Personen, die 1. das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, 2. erwerbsfähig sind, 3. hilfebedürftig sind und 4. ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Das Alter der Antragsteller zu 1) und 2) liegt innerhalb der Altersgrenzen der Nr. 1. Sie sind mangels anderer Anhaltspunkte auch erwerbsfähig (Nr. 2). Auch die Hilfebedürftigkeit i.S. der Nr. 3 ist zu bejahen. Die Antragsteller haben erklärt, vermögenslos zu sein und bislang vom Sammeln von Pfandfalschen und Dosen und der Hilfe von Freunden und Bekannten gelebt zu haben. Das erscheint der Kammer in Anbetracht der Lebensumstände der Antragsteller, bevor ihnen eine Wohnung zur Verfügung gestellt wurde, hinreichend glaubhaft. Die Kammer geht hierbei davon aus, dass die von der Prozessbevollmächtigten vorgelegten Presseberichte unter geänderter Namensnennung sich auf die Antragsteller beziehen.
Auch ein gewöhnlicher Aufenthalt der Antragsteller in der Bundesrepublik Deutschland ist zu bejahen (Nr. 4). Nach § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I hat jemand seinen gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Definition gilt für alle Sozialleistungsbereiche des Sozialgesetzbuchs, soweit sich nicht aus seinen besonderen Teilen etwas anderes ergibt (§ 37 SGB I). Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist in erster Linie nach den objektiv gegebenen tatsächlichen Verhältnissen im streitigen Zeitraum zu beurteilen (vgl. BSG, Urteil vom 30.1.2013 - B 4 AS 54/12 R – juris Rn 18 ff. m.w.N.). Entscheidend ist, ob der örtliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse faktisch dauerhaft im Inland ist. Dauerhaft ist ein solcher Aufenthalt, wenn und solange er nicht auf Beendigung angelegt, also zukunftsoffen ist. Mit einem Abstellen auf den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse im Gebiet der Bundesrepublik soll - auch im Sinne einer Missbrauchsabwehr - ausgeschlossen werden, dass ein Wohnsitz zur Erlangung von Sozialleistungen im Wesentlichen nur formal begründet, dieser jedoch tatsächlich weder genutzt noch beibehalten werden soll. Hier halten sich die Antragsteller seit 13.3.2014 in einer Wohnung in A-Stadt gemeldet. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass die Antragsteller vorhätten, ihren Aufenthalt in A-Stadt zu beenden. Ihr Antrag auf Leistungen nach dem SGB II zeigt vielmehr, dass sie beabsichtigen, weiterhin in A-Stadt zu leben. Damit liegt hier außer dem objektiven Gesichtspunkt des Aufenthalts jedenfalls seit 13.3.2014 auch der subjektive Wille zur Verfestigung dieses Aufenthalts erkennbar vor. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Verlust oder das Nichtbestehen des Aufenthaltsrechts der Antragsteller gemäß § 5 Abs. 5 FreizügG/EU festgestellt und die Bescheinigung über das gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltsrecht eingezogen wurde.
§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II sieht einen zeitlich begrenzten Ausschlussgrund für den Leistungsbezug vor. Ausländer und Ausländerinnen und ihre Familienangehörigen erhalten für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts in Deutschland grundsätzlich keine Leistungen nach dem SGB II. Mit dieser Regelung sollen insbesondere Unionsbürger vom SGB II-Leistungsbezug ausgeschlossen werden, die das voraussetzungslose dreimonatige Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 5 FreizügG/EU in Anspruch nehmen (BT Drs. 16/5065, S. 473). Für Arbeitnehmer gilt diese Mindestaufenthaltsdauer indessen nicht.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II sind von den Leistungen nach dem SGB II ausgenommen Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen. Auch dieser Ausschlusstatbestand greift dann nicht, wenn der Ausländer als Arbeitnehmer i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU anzusehen ist und sich sein Aufenthaltsrecht damit nicht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.
Der Antragsgegner beruft sich auf den Ausnahmetatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Die Kammer kommt dagegen bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren geforderten vorläufigen Entscheidung, die eine umfassende Aufklärung des Sachverhalts nicht erlaubt, zu der Einschätzung, dass die tatsächlichen Voraussetzungen eines Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht sind. Dies gilt unabhängig von der beim EuGH anhängigen Rechtsfrage, ob der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II auf Unionsbürger schon deshalb keine Anwendung findet, weil er mit der VO (EG) 883/2004 kollidiert (so die Rechtsprechung des Hessischen Landessozialgerichts, Urteil vom 20.9.2013, L 7 AS 474/13, juris; Urteil vom 27.11.2013, L 6 AS 378/12, juris). Denn die Kammer bejaht vorliegend den Arbeitnehmerstatus des Antragstellers zu 1), womit die Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB II schon tatbestandlich nicht greifen.
Welchen zeitlichen und Entgeltumfang eine abhängige Beschäftigung haben muss, damit der Beschäftigte als Arbeitnehmer i.S. des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II angesehen werden kann, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist auch derjenige Arbeitnehmer im Sinne des Freizügigkeitsrechts und damit des § 7 Abs. 1 S. 2 SGB II, der nur über ein geringfügiges, das Existenzminimum nicht deckendes, Einkommen verfügt. Das Bundessozialgericht hat unter Berufung auf Rechtsprechung des EuGH ausgeführt, dass jeder Arbeitnehmer, der eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt - mit Ausnahme derjenigen Arbeitnehmer, deren Tätigkeit einen so geringen Umfang hat, dass sie sich als völlig untergeordnet und unwesentlich darstellt - unter die Vorschriften über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer fällt (BSG, Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10 R, juris Rn. 18 m.w.N.). Dass es kein europaweit einheitlich zu bestimmendes Mindestentgelt zur Bejahung der Erheblichkeitsschwelle geben kann, ergibt sich schon aus dem höchst unterschiedlichen Lohnniveau in den Mitgliedstaaten der EU. In einem obiter dictum hat das Bundessozialgericht eine knapp viermonatige Tätigkeit als Handwerkshelfer mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 7,5 Stunden und einem monatlichen Entgelt von 100,- EUR als ausreichend angesehen (BSG, Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 23/10, juris Rn. 3 und 18). Der Antragsgegner selbst sieht die Erheblichkeitsschwelle erst bei einem monatlichen Einkommen von über 200,- EUR überschritten.
Die Kammer macht sich, weil die Rechtsfrage nach der Entgeltgrenze für die Erheblichkeit der Arbeitnehmertätigkeit i.S. des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II offen ist, im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens den Maßstab des Antragsgegners zu eigen, kommt aber zu einem anderen Ergebnis in der Rechtsanwendung.
Die Beschäftigung des Antragstellers zu 1) als Haushaltshilfe seit 1.3.2014 ist laut Meldung an die Minijob-Zentrale nicht befristet. Der Antragsteller zu 1) hat nach Angaben seines Arbeitgebers nach Bedarf, mindestens aber 6 Stunden wöchentlich zu arbeiten und erhält 100,- EUR monatlich.
Ein Stundenlohn von unter 4 Euro (100,- EUR monatlich für mindestens 6 Stunden Arbeit pro Woche bei durchschnittlich 4,3 Wochen pro Monat: Stundenlohn 3,88 EUR pro Stunde) könnte allerdings als ausbeuterisch die Grenze der Sittenwidrigkeit (§ 138 BGB) erreichen. So hat das SG Berlin in seinem Urteil vom 29.8.2012 (Aktenzeichen: S 73 KR 1505/10, juris Rn. 30) Entgelte zwischen 3,60 EUR und 4,50 EUR als evident sittenwidrig angesehen. Ein Stundenlohn von lediglich 4 Euro oder weniger liegt auch weit unterhalb des derzeit im Gesetzgebungsverfahren diskutierten Mindestlohns von 8,50 EUR. Das BAG sieht den Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB gegeben, wenn weniger als 2/3 des üblichen Lohns gezahlt werden (BAG, Urteil vom 18.4.2012, 5 AZR 630/10, juris Rn. 11). Die Kammer geht davon aus, dass Entgelte für Haushaltsdienstleistungen im Raum A Stadt i.d.R. bei 10,00 EUR pro Stunde liegen. Selbst wenn man nur von 8,50 EUR ausginge, wäre die 2/3 Grenze weit unterschritten.
Hinzukommen muss für die Sittenwidrigkeit i.S. des § 138 Abs. 2 BGB die Ausbeutung einer Zwangslage oder der Unerfahrenheit des Arbeitnehmers. Die Erfüllung des subjektiven Tatbestands des Lohnwuchers erfordert nicht nur ein besonders groben Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung, sondern auch den Nachweis einer verwerflichen Gesinnung des Arbeitgebers (BAG, Urteil vom 22.4.2009, 5 AZR 436/08, juris Rn 26 f.). Eine Ausbeutung einer Zwangslage oder der Unerfahrenheit des Arbeitnehmers liegt im Falle des sprachunkundigen, mittellosen Antragstellers zu 1), der zudem in Abhängigkeit von seinem Arbeitgeber steht, weil er von diesem die Wohnung zur Verfügung gestellt bekommen hat, zumindest sehr nahe.
Es ist zwar nicht auszuschließen, dass mit dem vereinbarten Monatsentgelt von 100,- EUR zwischen den Arbeitsvertragsparteien bewusst eine Gestaltung gewählt wurde, die wegen der Freibetragsregelung des § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II eine abschlagsfreie Auszahlung der beantragten Sozialleistungen an den Antragsteller zu 1) und seine Familie ermöglichen soll. Sollte eine solche Optimierungsstrategie unter Ausnutzung sozialrechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten einvernehmlich gewählt worden sein, wäre der Lohnwuchertatbestand des § 138 BGB zu verneinen. Es wäre nach Auffassung der Kammer aber auch der Arbeitnehmerstatus des Antragstellers zu 1) zu verneinen, weil es gerade wegen der Freibetragsregelung des § 11b Abs. 2 Satz 1 SGB II naheliegt, die Erheblichkeitsschwelle zur Bejahung des Arbeitnehmerstatus i.S. des § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II, der die Sozialleistung erst eröffnet, bei einem Entgelt von jedenfalls über 100,- EUR monatlich anzusetzen.
Da sich die näheren Umstände der Eingehung des Arbeitsverhältnisses im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht zeitnah aufklären lassen, geht die Kammer zugunsten des Antragstellers zu 1) davon aus, dass – wie es die äußeren Umstände nahelegen - der Lohnwuchertatbestand erfüllt ist. Rechtsfolge der Sittenwidrigkeit der Entgeltabsprache infolge Lohnwuchers ist ein Anspruch auf den üblichen Lohn gemäß § 612 BGB. Damit würde sich das zu zahlende Entgelt bei Ansetzung des derzeit diskutierten Mindestlohns von 8,50 EUR auf zumindest 219,30 EUR monatlich (4,3 [Wochen pro Monat] x 6 [Stunden pro Woche] x 8,50 EUR) erhöhen. Bei einem Arbeitsverhältnis mit einem Entgeltanspruch von über 200,- EUR ist aber selbst nach Auffassung des Antragsgegners die Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers zu bejahen.
Die Kammer geht nach allem davon aus, dass der Antragsteller zu 1) Arbeitnehmer i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU ist und sich damit nicht ausschließlich zur Arbeitsuche in Deutschland aufhält. Den übrigen Antragstellern kommt § 3 FreizügG/EU zugute. Der Ausschlusstatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II greift für sie nicht.
Die Kammer bejaht hiernach einen Anordnungsanspruch der Antragsteller auf die existenzsichernden Leistungen des SGB II.
Wegen der unstreitig prekären finanziellen Lage der Antragsteller ist auch ein Anordnungsgrund zu bejahen.
Die Antragsteller haben am 27.2.2014 ihren Antrag beim Antragsgegner gestellt. Damit läuft der maßgebliche Bewilligungszeitraum vom 1.2.2014 bis 31.7.2014 (§§ 37, 41 SGB II). Da der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz bei Gericht am 9.4.2014 gestellt wurde, ist der Antragsgegner zu verpflichten, vorläufig ab diesem Zeitpunkt Leistungen zu bewilligen. Solange nur der vereinbarte und nicht der nach den obigen Überlegungen dem Antragsteller zu 1) zustehende Lohn zufließt, kann auch nur dieser Zufluss bei der Berechnung der Leistungen berücksichtigt werden.
Die Kammer regt Ermittlungen zu den näheren Umständen der Eingehung des Arbeitsverhältnisses des Antragstellers zu 1) an, die auch das Hauptsacheverfahren befördern können. Insbesondere bedarf es näherer Aufklärung, ob der Antragsteller zu 1) eine "tatsächliche und echte Tätigkeit" i.S. der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ausübt und ob der Tatbestand des Lohnwuchers auch in subjektiver Hinsicht gegeben ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.
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