L 7 AS 517/14 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
7
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 48 AS 1307/14 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 517/14 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Umzugskosten und Zusicherung nach § 22 SGB II im einstweiligen Rechschutz
Im einstweiligen Rechtsschutz kann ein Anordnungsanspruch auf Umzugskosten gemäß § 22 Abs. 6 SGB II nur dann bejaht worden, wenn entweder
ein typischer Fall und die Voraussetzungen nach § 22 Abs. 6 S. 2 SGB II vorliegen oder
die Voraussetzungen nach § 22 Abs. 6 S. 1 SGB II vorliegen und das Ermessen zu Gunsten der Antragsteller auf Null reduziert ist.
Im einstweiligen Rechtsschutz kann regelmäßig nur eine vorläufige Zusicherung erlangt werden, aus der anschließend nur vorläufige Leistungen (hier die Miete der neuen Wohnung) beansprucht werden können. Eine endgültige Klärung des Anspruchs ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts München vom 13. Juni 2014 wird zurückgewiesen.

II. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Die Antragsteller und Beschwerdeführer begehrten im Eilverfahren die Zusicherung der Übernahme der Kosten einer neuen Wohnung, die Übernahme von Maklerkosten und Mietkaution für diese Wohnung und die Feststellung, dass eine eheähnliche Gemeinschaft zwischen ihnen nicht bestehe.

Der 1953 geborene Antragsteller ist schwerbehindert und bewohnt seit vielen Jahren eine Eineinhalbzimmerwohnung in A-Stadt mit einer Wohnfläche von etwa 37 qm. Er bezieht seit mehreren Jahren Arbeitslosengeld II vom Antragsgegner. Die Miete wird seit geraumer Zeit direkt an den Vermieter überwiesen (vgl. S. 868, 968 Verwaltungsakte Antragsteller).

Die 1989 geborene Antragstellerin lebte bei ihren Eltern im Landkreis D. und bezog dort Arbeitslosengeld II. Am 21.02.2013 sprachen die Antragsteller zusammen beim Antragsgegner vor. Die Antragstellerin wohne seit 15.02.2013 beim Antragsteller zur Untermiete (vgl. S. 792 a.a.O.). Zu diesem Zeitpunkt meldete sie auch ihren Wohnsitz entsprechend um.

Da die Antragstellerin damals noch nicht 25 Jahre alt war, lehnte es der Antragsgegner ab, für sie Leistungen zu erbringen. Dies führte zu zwei Eilverfahren (Az. S 48 SO 154/13 ER und S 16 AS 649/13 ER).

Laut Protokoll zum Hausbesuch vom 27.03.2013 (S. 852 a.a.O.) bestehe der Eindruck einer eheähnlichen Beziehung. Eine im April 2013 wegen behaupteter Obdachlosigkeit zugewiesene Unterkunft nahm die Antragstellerin nicht in Anspruch. Im Mai und Juli 2013 nächtigte die Antragstellerin gelegentlich in einem zugewiesenen Wohnheim.

Am 03.05.2013 stellte die Antragstellerin einen weiteren Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz, in dem sie erfolglos monatlich 2.791,- Euro für ein Hotel begehrte (Az. S 50 AS 1028/13 ER und L 7 AS 330/13 B ER). Im Sommer 2013 befand sich die Antragstellerin für vier Wochen in einer Klinik.

Ab August 2013 übernahm der Antragsgegner die Kosten einer Wohnung der Antragstellerin in der K-Straße in A-Stadt. Nach fristloser Kündigung des Mietvertrags durch den Vermieter teilte die Antragstellerin am 09.09.2013 mit, dass sie sich die ganze Zeit seit Februar 2013 beim Antragsteller aufgehalten habe. Gleichzeitig behauptete sie, nunmehr wieder bei ihren Eltern zu wohnen (S. 906 a.a.O.).

Am 20.09.2013 stellte die Antragstellerin einen weiteren Eilantrag an das Sozialgericht München (Az. S 31 AS 2356/13 ER). Sie sei in A-Stadt und obdachlos. Sie sei mehrmals die Woche beim Antragsteller zum Essen. In diesem Verfahren erhielt die Antragstellerin vorläufig 90 % des vollen Regelbedarfs von Oktober 2013 bis Februar 2014 (vgl. Beschluss vom 21.01.2014 im Beschwerdeverfahren L 8 AS 759/13 B ER).

Ab Februar 2014 mietete die Antragstellerin ein Zimmer in G. im Landkreis A-Stadt an.

Am 21.05.2014 stellten die Antragsteller den streitgegenständlichen Eilantrag. Sie hätten eine neue Wohnung gefunden. Sie begehrten die Übernahme der Maklerkosten in Höhe von 1.612,50 Euro und nicht als Bedarfsgemeinschaft angesehen zu werden. Ferner würden Umzugskosten (ca. 200,- Euro) und die Kaution als Darlehen begehrt.

Beigefügt waren die entsprechende Rechnung einer Maklerin und ein noch nicht unterschriebener Mietvertrag für eine Wohnung in der L-Straße in A-Stadt. Mietbeginn sollte am 01.06.2014 sein. Der Vermieter halte die neue Wohnung bis 12.06.2014 frei. Er dürfe vom Leistungsbezug nichts erfahren. Die Kaltmiete beträgt laut Mietvertrag 1.000,- Euro, an Neben- und Heizkosten (Betriebskosten) fallen insgesamt 175,- Euro an, die Garage kostet 75,- Euro. Laut Mietvertrag ist eine Kaution von 3.225,- Euro (drei mal 1.075,- Euro) zu bezahlen. Der Antragsgegner habe die Übernahme abgelehnt, weil die Miete für eine Bedarfsgemeinschaft zu hoch sei. Der Antragsteller müsse wegen nachbarschaftlicher Streitigkeiten umziehen. Die Antragstellerin werde ihm den Haushalt führen, weil er leicht gehbehindert sei. Der bisherige Vermieter der Antragstellerin habe das Zimmer in G. zum 30.04.2014 fristlos gekündigt.

Mit Beschluss vom 13.06.2014 lehnte das Sozialgericht München den Erlass einer einstweiligen Anordnung ab. Der Antrag auf Feststellung, dass eine Bedarfsgemeinschaft nicht bestehe, sei nicht zulässig. In der Hauptsacheklage wäre dies eine unzulässige Elementenfeststellung. Daraus folge, dass im Eilverfahren eine vorläufige Feststellung ebenfalls nicht zulässig sei. Für die Übernahme der Maklerkosten fehle es an einem Anordnungsanspruch. Die gewünschte Unterkunft der Antragsteller sei nicht angemessen im Sinn von § 22 Abs. 1 S. 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Die angemessene Bruttokaltmiete für einen Einpersonenhaushalt liege laut Antragsgegner bei 590,- Euro, d.h. Für eine Wohngemeinschaft aus zwei Personen bei maximal 1.180,- Euro. Die Aufwendungen der Wohnung würden einschließlich der Garage aber 1.250,- Euro betragen, die Höhe der Heizkosten sei unbekannt. Außerdem fehle es an einem Anordnungsgrund - der Vermieter habe die Wohnung lediglich bis 12.06.2014 reserviert. Dieser Termin sei verstrichen. Eine Übernahme der Mietkaution und eine Zusicherung zur Übernahme der laufenden Miete komme ebenfalls nicht in Betracht, weil die Unterkunft nicht angemessen sei. Im Übrigen fehle es an einem Anordnungsgrund.

Die Antragsteller haben am 02.07.2014 Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts eingelegt. Nach einer sozialgerichtlichen Entscheidung vom März 2013 bestehe zwischen ihnen keine Bedarfsgemeinschaft, sondern lediglich eine Wohngemeinschaft. Der Antragsteller habe die Antragstellerin lediglich zeitweise in seine Wohnung aufgenommen, nachdem sie obdachlos wurde. Die bisherige Wohnung sei auf die Dauer zu klein. Die neue Wohnung werde durch den Vermieter bis 10.07.2014 reserviert. Die Tiefgarage würde untervermietet werden, weil die Antragsteller keinen PKW hätten. Der Antragsteller müsse mit einer Kündigung rechnen, weil er derzeit mit vier Monatsmieten im Rückstand sei.

Mit Bescheid vom 07.07.2014 wurde den Beschwerdeführern Arbeitslosengeld II für die Zeit vom 01.06.2014 bis 30.11.2014 bewilligt. Dabei wurde von einer Bedarfsgemeinschaft ausgegangen.

Die Antragsteller beantragen,
den Beschluss des Sozialgerichts München vom 13.06.2014 aufzuheben und den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten,
1. die Maklerkosten für die neue Wohnung in Höhe von 1.612,50 Euro,
2. die neuen Mietkosten und
3. die Mietkaution in Höhe von 3.225,- Euro zu übernehmen.

Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Kündigung des bestehenden Mietverhältnisses des Antragstellers sei nicht nachgewiesen. Der Antragsgegner überweise seit 2007 die Mietkosten in voller Höhe direkt an den Vermieter.

Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts auf die Akten des Antragsgegners, die Akte des Sozialgerichts und die Akte des Beschwerdegerichts verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Die Beschwerde ist jedoch unbegründet, weil das Sozialgericht München den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt hat.

Für die begehrte Begründung einer Rechtsposition im einstweiligen Rechtsschutz ist ein Antrag auf eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG statthaft. Der Antrag muss zulässig sein und die Anordnung muss zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheinen. Es muss glaubhaft sein, dass ein materielles Recht besteht, für das einstweiliger Rechtsschutz geltend gemacht wird (Anordnungsanspruch), und es muss glaubhaft sein, dass eine vorläufige Regelung notwendig ist, weil ein Abwarten auf die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zumutbar ist (Anordnungsgrund).

Ein besonderer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05) ist nicht anzulegen, weil der existentielle Bedarf gedeckt ist, insbesondere eine tatsächliche Gefährdung der bisherigen Unterkunft nicht erkennbar ist.

Weil es den Antragstellern wiederholt gelungen ist, die Reservierung der neuen Wohnung zu verlängern (zuletzt bis 10.07.2014), geht das Beschwerdegericht nicht von einer Erledigung durch Zeitablauf aus.

Maklerkosten, Mietkaution

Gemäß § 22 Abs. 6 S. 1 SGB II können Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; eine Mietkaution kann bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Nach Satz 2 dieser Vorschrift soll die Zusicherung erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann.

Der Antragsgegner hat seit dem 01.03.2014 als Mietobergrenzen festgelegt 590,- Euro Bruttokaltmiete für eine Person und 724,- Euro Bruttokaltmiete für zwei Personen. Wie das Sozialgericht zutreffend ausführt, sind ausgehend von dieser Festlegung für eine Wohngemeinschaft aus zwei Personen 1180,- Euro Bruttokaltmiete (zwei mal 590,- Euro) angemessen. Die tatsächliche Bruttowarmmiete der neuen Wohnung beträgt einschließlich Garage 1250,- Euro. Da Heizkosten von mindestens 70,- Euro als sehr realistisch erscheinen, wird man im einstweiligen Rechtsschutz davon ausgehen müssen, dass die vorgenannte Grenze der Bruttokaltmiete nicht überschritten wird. Dagegen wäre die Mietobergrenze von 724,- Euro für zwei Personen in einer Bedarfsgemeinschaft weit überschritten.

Trotzdem kommt es nicht darauf an, ob zwischen den Antragstellern eine eheähnliche Gemeinschaft gemäß § 3 Abs. 3 Nr. 3c SGB II besteht.

Ein Anordnungsanspruch kann gemäß § 22 Abs. 6 SGB II lediglich dann bejaht werden, wenn entweder
* ein typischer Fall und die Voraussetzungen nach Satz 2 dieser Vorschrift vorliegen oder
* die Voraussetzungen nach Satz 1 dieser Vorschrift vorliegen und das Ermessen zu Gunsten der Antragsteller auf Null reduziert ist.
Beides ist nicht der Fall. Es besteht damit kein Anordnungsanspruch.

Zu § 22 Abs. 6 S. 2:

Im vorliegenden Fall hat der kommunale Träger den Umzug nicht veranlasst. Der Umzug ist auch aus anderen Gründen nicht notwendig. Es gibt überhaupt keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine Kündigung für die bisherige Wohnung droht. Da der Antragsgegner bereits seit Jahren die volle Miete an den Vermieter überweist, ist die behauptete Kündigung wegen Mietrückstands nicht nachvollziehbar. Auch wenn die bisherige Wohnung sehr klein ist, wohnen die Antragsteller seit Februar 2013 die überwiegende Zeit zusammen in dieser Wohnung. Der Antragsteller kann auch allein in seiner Wohnung bleiben. Eine Notwendigkeit, dass die Antragsteller zusammen in eine gemeinsame Wohnung ziehen, ist nicht erkennbar, da das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft bestritten wird. Sofern aber eine eheähnliche Gemeinschaft besteht, wäre die neue Wohnung offenkundig viel zu teuer und unangemessen. Die Notwendigkeit eines Umzugs in diese neue Wohnung bestünde auch in diesem Fall nicht.

Zu § 22 Abs. 6 S. 1:

Die Übernahme von Beschaffungskosten (z.B. Maklerkosten) und Mietkaution nach Satz 1 steht im Ermessen des Antragsgegners. Weil im Eilverfahren regelmäßig nicht mehr gefordert werden kann als im Hauptsacheverfahren, kann ein Anordnungsanspruch nur dann bejaht werden, wenn eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten der Antragsteller vorliegt (vgl. Meyer-Ladewig, Sozialgerichtsgesetz, 10 Auflage 2012, § 86b Rn. 30a).

Für eine Ermessensreduzierung auf Null und damit einen Anordnungsanspruch spricht hier nichts. Im Gegenteil: Das äußerst unstete Wohnverhalten der Antragstellerin spricht im Rahmen einer Ermessensausübung gegen die Übernahme dieser Kosten für eine gemeinsame Wohnung. Gleiches gilt für die erheblichen Konflikte der Antragsteller untereinander (vgl. Gesprächsnotiz vom 30.08.2013). Der Antragsgegner müsste davon ausgehen, dass der Antragstellerin die Wohnung immer wieder oder endgültig verlässt und der Antragsteller dann allein in einer viel zu teuren Wohnung lebt. Auch die beabsichtigte gegenseitige Unterstützung der Antragsteller ist angesichts dessen kein überzeugendes Argument im Rahmen der Ermessensausübung.

Miete der neuen Wohnung

Weil davon auszugehen ist, dass der Mietvertrag noch nicht unterschrieben ist und die neue Wohnung noch nicht bewohnt wird, ist dieser Antrag als Antrag auf Erteilung der Zusicherung zur Berücksichtigung der Aufwendung für die neue Unterkunft nach § 22 Abs. 4 SGB II auszulegen.

Im einstweiligen Rechtsschutz kann regelmäßig nur eine vorläufige Zusicherung erlangt werden, aus der nur vorläufige Leistungen beansprucht werden können. Eine Verpflichtung zum Erlass einer endgültigen Zusicherung im einstweiligen Rechtsschutz würde ohne zwingende Notwendigkeit die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen. Eine endgültige Klärung des Anspruchs ist dem Hauptsacheverfahren vorbehalten (vgl. Bay LSG, 27.06.2013, L 7 AS 330/13 B ER).

Nach § 22 Abs. 4 S. 2 SGB II ist der kommunale Träger zur Zusicherung nur verpflichtet, wenn der Umzug erforderlich ist und die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind. Wie oben bereits dargelegt, ist der beabsichtigte Umzug nicht erforderlich. Der Antragsteller kann allein in seiner Wohnung verbleiben, eine gemeinsame Wohnung ist ohne eheähnliche Gemeinschaft nicht erforderlich, bei Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft ist die neue Wohnung dagegen viel zu teuer.

Die Zusicherung nach § 22 Abs. 4 S. 1 SGB II steht im Ermessen der Behörde (Eicher, SGB II, 3. Auflage 2013, § 22 Rn. 159). Wie ebenfalls oben dargelegt, spricht nichts für eine Ermessensreduzierung auf Null zu Gunsten der Antragsteller. Dann kann ein Anordnungsanspruch nicht bejaht werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar.
Rechtskraft
Aus
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