L 14 AS 3107/13 NZB

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 117 AS 10565/12
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AS 3107/13 NZB
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Zur Bestimmtheit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides (im Anschluss an BSG vom 29.11.2012 - B 14 AS 196/11 R)
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Oktober 2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

Die Beschwerde der Klägerin vom 25. November 2013 gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Oktober 2013 ist form- und fristgerecht eingelegt worden und damit zulässig, aber unbegründet.

Nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) in der ab 01. April 2008 geltenden Fassung bedarf die Berufung der Zulassung in einem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss durch das Landessozialgericht, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die eine Geld- und Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro nicht übersteigt. Ein solcher Fall liegt hier vor, denn allein mit der Nichtzulassungsbeschwerde streitgegenständlich ist die Aufhebung und Erstattung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in Höhe von 740,04 Euro. Mit ihr macht der Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Divergenz zu im Einzelnen aufgeführten Entscheidungen des Bundessozialgerichts geltend. Es wird die mangelnde Bestimmtheit und ein entgegenstehender Verbrauch der Leistungen sowie die Nichterfassung bzw. Nichtaufhebung sämtlicher für den benannten Erstattungszeitraum vom 1. Dezember 2010 bis 31. Mai 2011 an die Klägerin ergangenen SGB II-Bescheide des Beklagten in dem angegriffenen Aufhebungs- und Erstattungsverfahren beanstandet. Damit ist nicht mehr streitgegenständlich, wie der erstinstanzliche Prozessantrag noch ausweist, ob der Klägerin unter Achtung des anwaltlichen Hinzuziehungserfordernis die Kosten der notwendigen Aufwendungen des Widerspruchsverfahrens i.H.v. 309,40 EUR zu erstatten sind.

Nach § 144 Abs. 2 SGG ist die Berufung zuzulassen, wenn

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,

2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts oder des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder

3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Die Voraussetzungen des § 144 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 SGG für eine Zulassung der Berufung liegen jedoch nicht vor.

Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Erforderlich hierfür wäre, dass die Streitfrage eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufwirft und die Klärung der Rechtsfrage im Allgemeininteresse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechtes zu fördern (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, Sozialgerichtsgesetz, 10. Auflage, § 144 Rdnr. 28). Das ist nicht der Fall. Eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern, liegt hier nicht vor und wird auch von der Klägerin nicht geltend gemacht.

Nach ständiger und gefestigter Rechtsprechung sind Einkommen und Vermögen nach der modifizierten Zuflusstheorie abzugrenzen. Einkommen ist dabei grundsätzlich das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits innehatte. Auszugehen ist vom tatsächlichen Zufluss, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt (z.B. BSG, Urteil vom 23. August 2011 - B 14 AS 185/10 R Rdnr. 10 m.w.N.). Mit dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung beantwortet sich in dem Rechtsstreit die Frage, ob Einkommen oder Vermögen vorliegt. Die vorliegende Fallkonstellation wirft mithin diesbezüglich keine neue grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfrage auf, die nicht schon mit der bestehenden Rechtsprechung zu lösen (gewesen) wäre. Dass ein Kapitalertrag i.H.v. 920,06 EUR, von dem der Beklagte monatlich 30 EUR als Pauschale (180 Euro für sechs Monate) abgezogen hat, aus der Auszahlung der Delta Lloyd Lebens AG anzurechnen und nach Maßgabe auf sechs Monate zu verteilen gewesen ist, entspricht ebenfalls der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu einmalig erfolgten Einnahmen (BSG Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 89/12 R – juris Rn. 22). Insoweit besteht eine grundsätzliche Bedeutung nicht.

Es ist auch nicht erkennbar, dass der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts von einer Entscheidung eines in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (Divergenz). Das Sozialgericht hat auf dem Weg zu seinem Ergebnis und mit demselben keinen Rechtssatz aufgestellt, von der vorangestellten Rechtsprechung abzuweichen. Ob diese höchstrichterlichen Rechtssätze vorliegend richtig angewandt worden sind, ist im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nicht zu prüfen. Denn eine fehlerhafte Rechtsanwendung im Einzelfall vermag keine Divergenz im Sinne des § § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG zu begründen. Das Sozialgericht folgt vielmehr hinsichtlich der Frage der Bestimmtheit eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides der von der Klägerin zitierten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wie sich aus seinen Entscheidungsgründen ergibt. Zur Bestimmtheit hat das BSG (a.a.O., juris Rn. 15) ausgeführt: "Als materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung verlangt das Bestimmtheitserfordernis nach § 33 Abs. 1 SGB X, dass der Verfügungssatz nach seinem Regelungsgehalt in sich widerspruchsfrei ist. Dieses Erfordernis bezieht sich sowohl auf den Verfügungssatz der Entscheidung als auch auf den Adressaten des Verwaltungsaktes (BSG SozR 4-1300 § 33 Nr. 1 RdNr. 16). Der Betroffene muss bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers und unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls in die Lage versetzt werden, die in ihm getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten (BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr. 2, RdNr. 13 mwN; BSG SozR 4-4200 § 31 Nr. 3 RdNr. 16 mwN; BSG Urteil vom 15.12.2010 - B 14 AS 92/09 R – RdNr. 18; BSGE 108, 289 ff = SozR 4-4200 § 38 Nr. 2, RdNr. 31). Ausreichende Klarheit kann auch dann bestehen, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsaktes, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (vgl. zuletzt Urteil des Senats vom 28. März 2013 - B 4 AS 59/12 R - SozR 4-1300 § 45 Nr. 13 RdNr. 16, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen; BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr. 12, RdNr. 26; BSG SozR 4-2600 § 96a Nr. 9 RdNr. 38)". Ausgehend hiervon ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit aus der Anhörung, dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 08. Dezember 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22. März 2012, was der Beklagte geregelt hat. Der 4. Senat des BSG (a.a.O.) knüpft hinsichtlich der Bestimmtheit auch nicht an der Besonderheit an, ob alle Bewilligungs- und Änderungsbescheide im Aufhebungs- und Erstattungsbescheid oder spätestens im Widerspruchsbescheid genannt worden sind. Regelmäßig hängt die Rechtsmäßigkeit von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden auch nicht davon ab, ob alle Bewilligungs- oder Änderungsbescheide im zu regelnden Zeitraum vollständig mit Datum genannt werden. Entscheidend ist, ob der begünstigende Verfügungssatz (Verwaltungsakt iSd § 31 Satz 1 des Sozialgesetzbuches Zehntes Buch – SGB X) aufgehoben (§ 48 SGB X) oder zurückgenommen (§ 45 SGB X) worden ist; hieran ist die Bestimmtheit zu messen. Anderes ergibt sich auch nicht aus der Entscheidung des BSG vom 29. November 2012 – B 14 AS 196/11 R – juris. Der Leitsatz dieser Entscheidung lautet: "Die unterbliebene Nennung von Leistungsbescheiden in einem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid berührt nicht die Bestimmtheit dieses Bescheides." Wenn in dieser Entscheidung (juris Rn. 19) etwas anderes zum Erstattungsverwaltungsakt ausgeführt worden ist, ist zu berücksichtigen, dass in diesem Verfahren "eine vollständig neue Leistungsbewilligung erlassen" worden war, was im hiesigen Verfahren nicht erkennbar ist. Wenn aber der Verfügungssatz lautet, "die Bewilligung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) werden vom 1. Dezember 2010 bis 31. Mai 2011 für Sie teilweise in Höhe von 740,04 Euro aufgehoben", dann ist die Regelung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 08. Dezember 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2012 klar zu erkennen. Dies gilt auch für die monatliche Anrechnung von 123,34 Euro im Zeitraum vom 01. Dezember 2010 bis 31. Mai 2011 (sechs Monate).

Schließlich liegt keine Divergenz wegen "Verbrauchs der Leistungen" vor. Zwar hat das BSG (Urteil vom 10. September 2013 – B 4 AS 89/12 R – juris) auch entschieden, dass "ein zwischenzeitlicher Verbrauch der Mittel" bei rückwirkender Aufhebung einer Leistungsbewilligung wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit aufgrund einer einmaligen Einnahme im Verteilzeitraum zu berücksichtigen sein kann. Das BSG (a.a.O.) stellt aber nicht auf die gewährten Leistungen des Beklagten zur Sicherung des Lebensunterhalts ab, sondern darauf, ob im Zeitpunkt einer Einkommensanrechnung die zugeflossenen Mittel vorhanden gewesen sind ("bereite Mittel" – juris Rn. 31). Das ist aber vorliegend nicht ansatzweise im Verfahren geltend gemacht worden oder sonst wie ersichtlich. Ebenso wenig liegt ein Verfahrensmangel nicht vor (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG). Er wird von der Klägerin nicht geltend gemacht und drängt sich auch sonst nicht für den Senat auf.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar (§ 177 SGG); hierdurch wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 18. Oktober 2013 rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).
Rechtskraft
Aus
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