S 6 AS 873/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Kassel (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 6 AS 873/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein höherer Hilfebedarf nach dem SGB II infolge eines Arbeitsplatzverlustes kann einen Ersatzanspruch des Grundsicherungsträgers nach § 34 SGB II auslösen, wenn der Arbeitsplatzverlust auf die Entdeckung eines Diebstahls zum Nachteil des eigenen Arbeitgebers zurückzuführen ist.
Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid über eine Ersatzpflicht nach § 34 SGB II, der im Hinblick auf eine vorgeworfene, sozialwidrig herbeigeführte Hilfebedürftigkeit erlassen wurde.

Der 1961 geborene Kläger steht seit dem Jahr 2008 mit Unterbrechungen beim Beklagten im SGB II-Leistungsbezug.

Zum 01.07.2008 erhielt der Kläger bei der Firma C. einen Arbeitsplatz auf 400 EUR-Basis (Bl. 43 Verwaltungsakte).

Zum 01.12.2008 zog die Tochter des Klägers zu ihm in die Bedarfsgemeinschaft.

Im Juni 2009 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er seine Stunden aufstocken könne (Bl. 85 Verwaltungsakte).

Im Rahmen eines Gesprächs am 31.01.2011 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er eine weitere Aufstockung seiner Stunden habe erreichen können. Der Kläger überreichte sodann eine Entgeltabrechnung für Januar 2011 mit einem Bruttolohn in Höhe von 1477,55 EUR, dem ein Nettolohn in Höhe von 1073,72 EUR entsprach (Bl. 169 Verwaltungsakte). Ein entsprechendes Bruttogehalt erzielte der Kläger sodann auch in der Folgezeit.

Im Rahmen einer Vorsprache am 15.11.2011 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er sein Beschäftigungsverhältnis zum 07.10.2011 gekündigt habe, um einer schuldhaften Kündigung durch seinen Arbeitgeber vorzugreifen. Es seien Sperrzeiten wegen verspäteter Meldung und wegen Arbeitsaufgabe ausgesprochen worden. Daher sei er nicht in der Lage, seinen Lebensunterhalt und den Lebensunterhalt seiner Tochter sicherzustellen. Der Kläger sei auf eine beabsichtigte Minderung seines Arbeitslosengeldes II und auf eine Verpflichtung zum Ersatz der gewährten Leistungen hingewiesen worden (Bl. 188 Verwaltungsakte).

Der Kläger überreichte eine von ihm selbst unterschriebene Erklärung vom 07.10.2011, aus der hervorgeht, dass er an diesem Tag bei der Arbeit des Diebstahls überführt wurde (Bl. 199 Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 07.11.2011 stellte die Agentur für Arbeit eine Sperrzeit für die Zeit vom 08.10.2011 bis 30.12.2011 fest. Während dieser Zeit ruhe der Anspruch auf Arbeitslosengeld. Der Kläger habe sein Beschäftigungsverhältnis bei der Firma C. durch eigene Kündigung selbst aufgelöst. Er habe voraussehen müssen, dass er dadurch arbeitslos werde. Die Sperrzeit dauere 12 Wochen (Bl. 201 Verwaltungsakte).

Mit einem weiteren Sperrzeitbescheid minderte die Agentur für Arbeit den Leistungsanspruch auch für die Zeit vom 31.12.2011 bis 06.01.2012, da sich der Kläger nicht rechtzeitig arbeitslos gemeldet habe (Bl. 202 Verwaltungsakte).

Aus dem Bewilligungsbescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 07.11.2011 geht hervor, dass der Kläger in der Zeit vom 20.10.2011 bis 06.01.2012 wegen der Sperrzeiten keinen Leistungsanspruch hatte. Ab 07.01.2012 betrug das Arbeitslosengeld täglich 22,38 EUR (Bl. 203 Verwaltungsakte).

Einem Vermerk kann entnommen werden, dass der Kläger sich mit dem Beklagten auf einen Leistungsbeginn ab 01.11.2012 geeinigt hatte (Bl. 216 Verwaltungsakte).

Mit Bescheid vom 30.11.2011 bewilligte der Beklagte dem Kläger und seiner Tochter Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.11.2011 bis 31.12.2011 in Höhe von monatlich 670,76 EUR (Bl. 217 Verwaltungsakte / Bl. 39 ff. Gerichtsakte). Der Seite 2 des Bescheids kann unter der Überschrift "Bitte beachten Sie" folgendes entnommen werden: "Die Bewilligung erfolgt aufgrund der Tatsache, dass Sie eine Sperrzeit der Agentur für Arbeit erhalten haben. Im Bewilligungszeitraum sind die Leistungen entsprechend § 31 (2) Nr. 3, § 31 a (1) in Verbindung mit § 31 b (1) Satz 2 SGB II mit 30 % zu sanktionieren. Bitte beachten Sie, dass Sie die Leistungen gem. § 34 SGB II ersetzen müssen. Hierüber erhalten Sie einen gesonderten Bescheid."

Mit Änderungsbescheid vom 22.12.2011 modifizierte der Beklagte die Leistungshöhe für die Zeit vom 01.11.2011 bis 31.12.2011 unter Berücksichtigung der Versicherungspauschale. Dem Kläger und seiner Tochter wurden Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 700,76 EUR bewilligt (Bl. 230 Verwaltungsakte).

In der Verwaltungsakte des Beklagten befinden sich sodann Horizontalübersichten für November und Dezember 2011, aus denen hervorgeht, wie hoch der Anspruch der Bedarfsgemeinschaft des Klägers nach dem SGB II mit dem Bezug von Arbeitslosengeld I gewesen wäre und wie hoch er tatsächlich ohne den Anspruch auf Arbeitslosengeld I nach Erlass der Sperrzeitbescheide war. Der Beklagte hatte auf dieser Grundlage auch unter Berücksichtigung der Sanktion eine monatliche Differenz in Höhe von 514,20 EUR errechnet. Im Januar 2012 ergebe sich ein weiterer Differenzbetrag in Höhe von 27 EUR. Auf die Berechnungen des Beklagten wird Bezug genommen (Bl. 268 ff. Verwaltungsakte).

Am 01.06.2012 erließ der Beklagte einen Bescheid über die Ersatzpflicht für die Zeit vom 01.11.2011 bis 31.01.2012 in Höhe von 1055,40 EUR. Der Kläger habe auf Grund seines Verhaltens die Zahlung höherer Leistungen herbeigeführt. Ohne sein Verhalten hätten ihm Leistungen in Höhe von monatlich nur 185,65 EUR zugestanden. Tatsächlich habe man im Streitzeitraum aber insgesamt den obigen Betrag gewähren müssen. Daher sei vom Kläger der Gesamtbetrag in Höhe von 1055,40 EUR zu erstatten (Bl. 271 Verwaltungsakte).

Am 03.07.2012 legte der Kläger gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Der Bescheid sei formell rechtswidrig, da er nicht hinreichend begründet sei. Es werde um Erläuterung gebeten, wie der Beklagte zum Ersatzanspruch dem Grunde und der Höhe nach gelange (Bl. 282 f. Verwaltungsakte).

Mit Schriftsatz vom 14.08.2012 erläuterte der Beklagte, dass der Kläger von der Agentur für Arbeit eine Sperrzeit erhalten habe. An diese Entscheidung der Agentur für Arbeit sei der Beklagte gebunden, so dass das Arbeitslosengeld II des Klägers entsprechend zu mindern sei. Der Kläger habe gezahlte Leistungen nach dem SGB II gem. § 34 SGB II zu erstatten. Hierauf sei er bereits im Bescheid vom 30.11.2011 hingewiesen worden. Die Höhe des Ersatzbetrags berechne sich wie folgt: Wie schon dargelegt, hätte der Kläger wenn keine Sperrzeit eingetreten wäre – einen Anspruch in Höhe von monatlich nur 186,56 EUR unter Anrechnung von ALG I in Höhe von 671,40 EUR gehabt. Für die Zeit vom 01.11.2011 bis 31.12.2011 seien aber tatsächlich monatlich 700,76 EUR gezahlt worden, da auf Grund der Sperrzeit kein anrechenbares ALG I gewährt worden sei. Abzüglich der 186,56 EUR ergebe sich ein Erstattungsbetrag für November und Dezember 2011 in Höhe von 514,20 EUR. Für Januar 2012 bestehe aber keine Ersatzpflicht, da die Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe bereits zum 30.12.2011 geendet habe (Bl. 296 f. Verwaltungsakte).

Mit Widerspruchsbescheid vom 08.10.2012 änderte der Beklagte den Ersatzzeitraum auf die Zeit vom 01.11.2012 bis 31.12.2011 ab. Die zu ersetzende Summe betrage 1028,40 EUR. Im Übrigen werde der Widerspruch als unbegründet zurückgewiesen. Vorliegend habe der Kläger sein Beschäftigungsverhältnis bei der Firma C. durch eigene Kündigung gelöst. Ausweislich eines Vermerks seiner Arbeitsvermittlerin vom 15.11.2011 habe der Kläger dies getan, um einer Kündigung wegen Diebstahls vorzugreifen. Der Kläger habe dadurch seine Hilfebedürftigkeit wegen seines arbeitswidrigen Verhaltens, das Anlass für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gewesen sei, selbst herbeigeführt. Somit bestehe eine Ersatzpflicht für die Zeit vom 01.11.2011 bis 31.12.2011. Wie schon im angefochtenen Bescheid dargelegt, hätte der Kläger ohne die Sperrzeit einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II in Höhe von monatlich 186,56 EUR gehabt unter Anrechnung von Arbeitslosengeld I in Höhe von 671,40 EUR. Für die Zeit vom 01.11.2011 bis 31.12.2011 seien aber tatsächlich 700,76 EUR gezahlt worden, da auf Grund der Sperrzeit kein anrechenbares Arbeitslosengeld I gewährt worden sei. Hieraus ergebe sich eine monatliche Differenz in Höhe von 514,20 EUR, die zu erstatten sei. Für die Zeit vom 01.01.2012 bis 31.01.2012 seien keine Leistungen zu erstatten, da die Sperrzeit am 30.12.2011 geendet habe. Im Übrigen seien keine Anhaltspunkte ersichtlich und auch nicht vorgetragen, um von der Geltendmachung des Ersatzanspruchs gem. § 34 Abs. 1 S.3 SGB II abzusehen (Bl. 312 Verwaltungsakte).

Am 08.11.2012 hat der Kläger gegen den Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben. Er halte den Widerspruchsbescheid für nicht hinreichend bestimmt. Die Berechnung sei nicht vollständig und nicht nachvollziehbar.

Das Gericht hat sodann um Stellungnahme zu den Entscheidungen des Sozialgerichts Dresden vom 28.04.2014 (S 48 AS 6813/12) und des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.04.2013 (B 14 AS 55/12 R) gebeten.

Der Kläger ist der Auffassung, dass keine Sozialwidrigkeit im Sinne der Rechtsprechung des BSG vorliege. Der Diebstahl habe lediglich zu einer Gefährdung der Existenzgrundlage und damit zur Hilfebedürftigkeit geführt. Es fehle am Unmittelbarkeitszusammenhang. Auch sei er mit Sperrzeit und Sanktion bereits hinreichend sanktioniert worden.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 01.06.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 08.12.2012 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er sehe sich in seiner Rechtsauffassung durch die Entscheidung des BSG bestätigt. Das BSG habe in dieser Entscheidung dargelegt, dass eine strafbare Handlung, die die berufliche Existenzgrundlage lediglich mittelbar gefährde, nicht als sozialwidriges Verhalten im Sinne des § 34 SGB II gewertet werden könne. In dem vom BSG entschiedenen Fall habe der Kläger mit Kokain und Haschisch gehandelt. Dieses Verhalten habe nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner legalen Erwerbstätigkeit gestanden, sodann allerdings vorhersehbar zu einer Haftstrafe geführt. Erst in deren Folge sei die wirtschaftliche Existenzgrundlage der Familie entfallen. Vorliegend ist die Fallgestaltung aber grundlegend anders. Der Tatbestand des § 34 SGB II sei erfüllt. Es bestehe ein unmittelbarer kausaler Zusammenhang zwischen der strafbaren Handlung des Klägers und dem Verlust des Arbeitsplatzes, weil sich die Straftat gegen den eigenen Arbeitgeber gerichtet habe. Der Kläger habe unstreitig seinen Arbeitgeber bestohlen. Der Verlust des Arbeitsplatzes sei damit nicht lediglich mittelbare Folge einer strafbaren Handlung, sondern unmittelbare Folge der gegen den eigenen Arbeitgeber gerichteten Straftat.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage hat keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet.

I. Der Beklagte hat den Bescheid zutreffend auf § 34 Abs. 1 S.1 SGB II gestützt.

Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist gem. § 34 Abs. 1 S.1 SGB II zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet.

Der Ersatzanspruch umfasst gem. § 34 Abs. 1 S.2 SGB II auch die geleisteten Beiträge zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung.

Von der Geltendmachung des Ersatzanspruchs ist gem. § 34 Abs.1 S.3 SGB II abzusehen, soweit sie eine Härte bedeuten würde.

II. Formelle Bedenken gegen das Vorgehen des Beklagten bestehen nicht. Der Kläger ist nämlich im Rahmen des Gesprächs am 15.11.2011 auf die vom Beklagten beabsichtigte Geltendmachung des Ersatzanspruchs angesprochen worden und hatte in diesem Gespräch die Möglichkeit, sich zu äußern (vgl. Bl. 188 Verwaltungsakte).

III. Der Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids ist auch materiell rechtmäßig.

1. Der Bescheid und der Widerspruchsbescheid verstoßen zunächst nicht gegen das Bestimmtheitsgebot.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat im Urteil vom 10.09.2013 (B 4 AS 89/12 R) zu den Anforderungen an eine hinreichende Bestimmtheit von Aufhebungsentscheidungen entschieden:
"Der Betroffene muss bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers und unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls in die Lage versetzt werden, die in ihm getroffene Rechtsfolge vollständig, klar und unzweideutig zu erkennen und sein Verhalten daran auszurichten (BSGE 105, 194 = SozR 4-4200 § 31 Nr 2, RdNr 13 mwN; BSG SozR 4-4200 § 31 Nr 3 RdNr 16 mwN; BSG Urteil vom 15.12.2010 - B 14 AS 92/09 R - RdNr 18; BSGE 108, 289 ff = SozR 4-4200 § 38 Nr 2, RdNr 31). Ausreichende Klarheit kann auch dann bestehen, wenn zur Auslegung des Verfügungssatzes auf die Begründung des Verwaltungsaktes, auf früher zwischen den Beteiligten ergangene Verwaltungsakte oder auf allgemein zugängliche Unterlagen zurückgegriffen werden muss (vgl zuletzt Urteil des Senats vom 28.3.2013 - B 4 AS 59/12 R - SozR 4-1300 § 45 Nr 13 RdNr 16, zur Veröffentlichung auch in BSGE vorgesehen; BSGE 112, 221 = SozR 4-1300 § 45 Nr 12, RdNr 26; BSG SozR 4-2600 § 96a Nr 9 RdNr 38)."

Das SG Dresden (Urteil vom 28.04.2014 – S 48 AS 6813/12) führt zum Bestimmtheitsgebot bei Bescheiden nach § 34 SGB II aus: "Gemäß § 33 Abs. 1 SGB X muss ein Verwaltungsakt hinreichend bestimmt sein. Die hinreichende Bestimmtheit ist dabei materielle Rechtmäßigkeitsvoraussetzung (BSG, Urteil vom 07.07.2011, Az. B 14 AS 153/10 R, zitiert nach juris, dort Rn. 31). Das bedeutet, dass der Adressat des Verwaltungsakts in der Lage sein muss, das von ihm Geforderte zu erkennen. Der Verwaltungsakt muss zudem eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bilden (BSG a.a.O; Engelmann in: von Wulffen/Schütze, SGB X-Kommentar, 8. Auflage 2014, § 33 Rn. 3). Die Bestimmtheit bezieht sich also auf den Entscheidungsausspruch, das heißt den Verfügungssatz. Ein Bescheid über die Ersatzpflicht nach § 34 SGB II ist demnach hinreichend bestimmt, wenn der Adressat des Verwaltungsakts die Höhe der Haftungsschuld erkennen kann (BVerwG, Urteil vom 14.01.1982, Az. 5 C 70/80, zitiert nach juris, dort Rn. 17; Link in: Eicher, SGB II-Kommentar, 3. Auflage 2013, § 34 Rn. 56). Unverzichtbar für den Bescheid ist demnach die Angabe des konkret geschuldeten Betrages, denn der Bescheid soll nach Eintritt der Bestandskraft Grundlage der Vollstreckung sein, wenn die Forderung nicht freiwillig erfüllt wird (BVerwG a.a.O.; Grote-RT. in: jurisPK-SGB II, 3. Auflage 2012, § 34 Rn. 51)."

Diesen Anforderungen wurde vorliegend entsprochen. Der Kläger kann vorliegend aus dem Verfügungssatz des Bescheids über die Ersatzpflicht die Höhe der Forderung entnehmen und kann in der Zusammenschau aus dem Bescheid über die Ersatzpflicht, dem Schreiben vom 14.08.2012 (Bl. 296 Verwaltungsakte), den Bewilligungsbescheiden sowie dem Widerspruchsbescheid erkennen, wie der Beklagte zu der festgesetzten Summe von 1028,40 EUR gelangt ist.

2. Der Kläger kommt vorliegend weiterhin als Ersatzpflichtiger in Betracht, da er mit seiner Tochter im Streitzeitraum in einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II gelebt hat (§ 7 Abs. 3 SGB II) und das 18. Lebensjahr vollendet hat.

3. Die zu ersetzenden Leistungen sind vorliegend diejenigen Leistungen, die der Beklagte während der Sperrzeit gewähren musste. Während dieser Zeit musste der Beklagte in einem höheren Umfang für den Bedarf der Bedarfsgemeinschaft aufkommen, da die beitragsfinanzierten ALG I-Leistungen entfallen waren. Es bestehen keine Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Berechnung der Höhe des Ersatzbetrags.

4. Auch die weitere Anspruchsvoraussetzung der Rechtmäßigkeit der vorherigen Leistungsbewilligung (Link: in Eicher, SGB II, 2013, § 34 Rn. 18) ist vorliegend erfüllt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger und seine Tochter im Ersatzzeitraum keinen Anspruch gehabt hätten.

5. Auch hat der Kläger die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II schuldhaft herbeigeführt. Hätte der Kläger seinen Arbeitgeber nicht bestohlen, hätte er seinen Arbeitsplatz auch nicht verloren, wäre dann nicht arbeitslos gewesen und hätte im Hinblick auf die Sperrzeit vom Beklagten keine SGB II-Leistungen in dieser Höhe in Anspruch nehmen müssen. Dass das Bestehlen des Arbeitgebers zum Arbeitsplatzverlust führen kann, war nicht zuletzt im Hinblick auf einen in den Medien breit diskutierten Fall, mit dem sich das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2010 befasst hatte (vgl. BAG, Urteil v. 10.06.2010 – 2 AZR 541/09), ohne weiteres vorhersehbar.

6. Das Verhalten des Klägers war auch sozialwidrig.

Das BSG hat zu diesem ungeschriebenen Tatbestandsmerkmal im Urteil vom 16.04.2013 (B 14 AS 55/12 R – Rn. 18 ff.) ausgeführt:

"Das Erfordernis eines nicht nur schuldhaften, sondern objektiv "sozialwidrigen" Verhaltens gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Ersatzanspruch nach § 34 SGB II - jedenfalls nach dem Wortlaut - der Höhe nach nicht begrenzt ist. ( )

Zusammenfassend hat der 4. Senat das Tatbestandsmerkmal des "sozialwidrigen Verhaltens" unter Heranziehung der Rechtsprechung des BVerwG für den Regelungsbereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende dahingehend umschrieben, dass nur ein Verhalten umfasst wird und damit sozialwidrig ist, das (1) in seiner Handlungstendenz auf die Einschränkung bzw den Wegfall der Erwerbsfähigkeit oder der Erwerbsmöglichkeit oder (2) die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit bzw der Leistungserbringung gerichtet war bzw hiermit in "innerem Zusammenhang" stand oder (3) ein spezifischer Bezug zu anderen nach den Wertungen des SGB II zu missbilligenden Verhaltensweisen bestand (BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen = SozR 4-4200 § 34 Nr 1 RdNr 16 und 22).

Dem schließt sich der Senat an. Für die Annahme eines sozialwidrigen Verhaltens ist erforderlich, dass die Existenzgrundlage, deren Erhalt das SGB II vor allem auch mit aktiven Leistungen schützt, durch das maßgebliche Verhalten selbst unmittelbar beeinträchtigt wird oder wegfällt. Nicht jedes strafbare Verhalten, das absehbar zu einer Inhaftierung und also regelmäßig zum Wegfall von Erwerbsmöglichkeiten führt, ist damit sozialwidrig. Wenn das strafbare Verhalten nicht zugleich auch den Wertungen des SGB II zuwider läuft, besteht neben der Strafe als solcher für eine (zumindest nach dem Wortlaut des § 34 Abs 1 SGB II aF) zeitlich und betragsmäßig unbegrenzte Haftung im Hinblick auf den dadurch verursachten Wegfall der finanziellen Lebensgrundlage keine Rechtfertigung. Eine andere Sichtweise widerspricht - wie bereits dargelegt - der vorbehaltlosen Hilfegewährung als Regelfall.

Entgegen den Grundsätzen des SGB II und damit "sozialwidrig" verhält sich der Betroffene dagegen, wenn es ihm aus eigener Kraft möglich (gewesen) wäre, die Hilfebedürftigkeit iS des § 2 Abs 1 Satz 1, § 9 Abs 1 SGB II abzuwenden und sein Verhalten diesen Möglichkeiten zuwiderläuft. Der Vorwurf der Sozialwidrigkeit ist daher nicht in der Strafbarkeit einer Handlung, sondern darin begründet, dass der Betreffende - im Hinblick auf die von der Solidargemeinschaft aufzubringenden Mittel der Grundsicherung für Arbeitsuchende - in zu missbilligender Weise sich selbst oder seine mit ihm in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen in die Lage gebracht hat, Leistungen nach dem SGB II in Anspruch nehmen zu müssen."

In der Randnummer 23 der Entscheidung differenziert das BSG sodann danach, ob der Betreffende durch sein strafbares Verhalten seine berufliche Existenzgrundlage mittelbar oder unmittelbar verloren hat. In dem vom BSG zu entscheidenden Fall ging es um einen Drogendealer, der auch einen "legalen Beruf" hatte, den er infolge seiner Inhaftierung verlor:

"Durch das hier maßgebliche Verhalten des Klägers - den Handel mit Kokain in nicht geringer Menge und das gewerbsmäßige Handeltreiben mit Haschisch - ist seine berufliche Existenzgrundlage nicht unmittelbar beeinträchtigt worden oder weggefallen. Die Tat war zwar in verwerflicher Weise darauf gerichtet, die Einkommens- und Vermögenssituation zu verbessern; die (legale) Beschäftigung als schützenswerte Existenzgrundlage im Sinne des SGB II war aber davon nicht betroffen. Weil es nach den genannten Maßstäben allein darauf ankommt, ob durch das Verhalten selbst die Existenzgrundlage unmittelbar beeinträchtigt wird oder wegfällt, liegt kein sozialwidriges Verhalten vor. Aus dem gleichen Grunde stellt die Verbüßung der Haftstrafe als lediglich mittelbare Folge eines (strafbaren) Verhaltens von vornherein kein "Verhalten" dar, das für sich genommen als sozialwidrig gelten könnte."

Diese Überlegungen und Schlussfolgerungen des BSG macht sich die Kammer zu Eigen. Anders als im Fall, über den das BSG zu entscheiden hatte, muss man dem Kläger jedoch übereinstimmend mit dem Beklagten vorhalten, den Arbeitsplatz nicht nur mittelbar, sondern unmittelbar durch die Straftat zulasten seines Arbeitgebers verloren zu haben. Die Kündigung bzw. die einer Kündigung vorausgehende Eigenkündigung des Klägers war quasi die "natürliche Folge" des entdeckten Diebstahls.

7. Ein rechtlich anerkennungsfähiger wichtiger Grund für das Verhalten des Klägers ist nicht ersichtlich.

8. Auch § 34 Abs. 1 S.3 SGB II steht der Entstehung des Ersatzanspruchs unter dem Blickwinkel der Härte nicht entgegen.

Die Regelung berührt nämlich nicht die Entstehung des Anspruchs kraft Gesetzes (Fügemann in: Hauck & Noftz (Hrsg.), SGB II, 2014, § 34 Rn. 63). Es ist hierüber im Einzelfall eine gesonderte Entscheidung zu treffen, ob der Ersatzanspruch durchgesetzt werden kann, zumal sich die wirtschaftliche Situation des Klägers auch verändern kann (vgl. Fügemann in: Hauck & Noftz (Hrsg.), SGB II, § 34 Rn. 64).

Vorliegend sind aber im Übrigen auch keine Härtegründe vorgetragen worden. Die Klage war somit unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Saved