S 8 AS 855/13

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 AS 855/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Das SGB II enthält keine Anspruchsgrundlage für die Erstattung von Passverlängerungskosten als Zuschuss. Auch ein Rückgriff auf § 73 SGB XII ist ausgeschlossen, da es an der erforderlichen atypischen Lebenslage fehlt.

2. Vor Inanspruchnahme eines Darlehens gemäß § 24 Abs. 1 SGB II hinsichtlich der Passverlängerungskosten ist der Hilfsbedürftige auf die Grundfreibeträge des § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 1a und 4 SGB II zu verweisen.

3. Eine Ungleichbehandlung von Ausländern im Vergleich zu deutschen Staatsbürgern ist nicht ersichtlich.
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. 3. Die Berufung wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Erstattung der ihm entstandenen Kosten für die Beschaffung eines neuen Passes in Höhe von 73,79 Euro.

Der 19 ... geborene Kläger ist italienischer Staatsbürger und stand beim Beklagten im laufenden Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

Am 16.11.2012 beantragte er beim Beklagten die Erstattung der ihm anlässlich der Verlängerung seines abgelaufenen italienischen Reisepasses entstandenen Kosten vom Vortag in Höhe von insgesamt 103,79 Euro. Dabei handele es sich um die Kosten für die Erstellung des neuen - biometrischen - Passes in Höhe von 82,79 Euro sowie um die Reisekosten zum italienischen Generalkonsulat in Höhe von 21,00 Euro. Da er seine Fingerabdrücke habe hinterlassen müssen, sei die Reise unvermeidlich gewesen.

Durch Bescheid vom 08.01.2013 lehnte der Beklagte die Übernahme dieser Kosten ab, da die beantragte Leistung keine Leistung nach dem SGB II sei.

Der Widerspruch hatte keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 11.02.2013).

Deswegen hat der Kläger am 06.03.2013 Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben. Zur Begründung trägt er vor, es seien lediglich 0,25 Euro für die Ausstellung/Verlängerung des Personalausweises im Regelsatz enthalten, was sich in 10 Jahren auf 30,00 Euro summiere. Dies sei für einen Deutschen ggf. ausreichend; für eine 10-jährige Verlängerung seines Reisepasses seien jedoch höhere Kosten entstanden. Er wolle nicht gegenüber einem deutschen Staatsbürger benachteiligt werden. Zudem käme nach einem Urteil des SG Berlin aus dem Jahr 2008 (Az. S 51 AY 46/06) für ausländische Mitbürger, die Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) beziehen, die Übernahme der Kosten für Passausstellungen in Betracht. Eine Schlechterstellung derselben Personengruppe unter dem Dach des SGB II sei widersinnig.

Der Kläger beantragt - zum Teil sinngemäß -,

den Beklagten zu verurteilen, ihm die über einen Betrag von 30,00 Euro hinausgehenden Passbeschaffungskosten, d.h. in Höhe von 73,79 Euro, unter Aufhebung des Bescheides vom 08.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 11.02.2013 zu erstatten.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er erachtet den angefochtenen Bescheid unter Verweis auf die Begründung des Widerspruchsbescheides weiterhin für rechtmäßig.

Der Kläger hat dem Gericht auf dessen Anforderung hin Kontoauszüge seiner Konten vorgelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- sowie die Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG)) zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erstattung der ihm entstandenen Passbeschaffungskosten.

Die Kammer konnte über die Klage aufgrund des zuvor von den Beteiligten jeweils erklärten Einverständnisses hierzu ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) entscheiden.

1. Für die vom Kläger begehrte Erstattung der Kosten für die Ausstellung des neuen biometrischen Passes bzw. der dafür angefallenen Reisekosten ist keine Anspruchsgrundlage ersichtlich.

a. Eine solche Anspruchsgrundlage findet sich insbesondere nicht im SGB II. Passbeschaffungskosten einschließlich der dazu entstehenden Nebenkosten wie z.B. Fahrkosten sind dem von der Regelleistung nach § 20 SGB II umfassten Bedarf zuzuordnen und müssen aus Ansparungen aufgebracht werden (vgl. § 20 Abs. 1 S. 4 SGB II; Saitzek, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 20 SGB II Rn. 55). Eine abweichende Festsetzung des pauschalierten Regelbedarfs zur Sicherung des Lebensunterhalts durch die Gerichte ist grundsätzlich nicht möglich (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.01.2013, L12 AS 1836/12 NZB, Rn. 5; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.10.2011, L 12 AS 2597/11, Rn. 25 - jeweils nach juris).

b. Die Passbeschaffungskosten können auch nicht als Mehrbedarf i.S.v. § 21 Abs. 6 SGB II geltend gemacht werden. Denn nach dieser Regelung müsste es sich um einen unabweisbaren, laufenden, nicht nur einmaligen Bedarf handeln. Ein laufender Bedarf liegt dabei vor, wenn der besondere Bedarf im Bewilligungsabschnitt nicht nur einmal, sondern bei prognostischer Betrachtung mehrfach auftritt (Knickrehm/Hahn, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 21 SGB II Rn. 68 m.w.N.); zum Teil wird auch auf einen längeren Prognosezeitraum von ca. 1-2 Jahren abgestellt (z.B. Münder, in: LPK-SGB II, 5. Aufl., § 21 SGB II Rn. 42). Vorliegend kann auch unter Zugrundelegung eines 2-Jahres-Zeitraums nicht von einem laufenden Bedarf gesprochen werden, da Passbeschaffungskosten aufgrund der 10-jährigen Gültigkeit des Passes erst wieder nach Ablauf dieser Gültigkeitsdauer anfallen werden (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21.10.2011, L 12 AS 2597/11, Rn. 25 - nach juris).

c. Eine darlehensweise Erstattung der geltend gemachten Kosten gemäß § 24 Abs. 1 SGB II kommt ebenfalls nicht in Betracht. Denn zum einen hat der Kläger gar kein Darlehen beantragt. Zum anderen liegen die Voraussetzungen von § 24 Abs. 1 SGB II nicht vor: § 24 Abs. I SGB II setzt einen im Einzelfall vom Regelbedarf umfassten und nach den Umständen unabweisbaren Bedarf voraus, der nicht gedeckt werden kann. Die fehlende Bedarfsdeckung wird in § 42a Abs. 1 SGB II konkretisiert, wonach Darlehen nur erbracht werden, wenn ein Bedarf weder durch Vermögen nach § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 1a und 4 SGB II noch auf andere Weise gedeckt werden kann. Hilfebedürftige sind somit vor Inanspruchnahme eines Darlehens auch auf die Grundfreibeträge des § 12 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 1a und 4 SGB II zu verweisen (Blüggel, in: Eicher, SGB II, 3. Aufl. 2013, § 24 SGB II Rn. 41). Vorliegend verfügte der Kläger ausweislich der vorgelegten Kontoauszüge seines Kontos bei der BB-Bank am 15.11.2012 über ein Guthaben in Höhe von 486,82 Euro sowie über weiteres Guthaben auf seinem Tagesgeldkonto. Der Kläger war somit in der Lage, die Passbeschaffungskosten aus seinem Vermögen zu entrichten, was eine Darlehensgewährung nach § 24 Abs. 1 SGB II ausschließt.

d. Die Übernahme der Passbeschaffungskosten kann auch nicht unter (analoger) Anwendung der Vorschriften des SGB XII erfolgen. Gemäß § 73 SGB XII können Leistungen der Sozialhilfe auch in sonstigen Lebenslagen erbracht werden, wenn sie den Einsatz öffentlicher Mittel rechtfertigen. Die Leistungen können dabei als Beihilfe oder als Darlehen erbracht werden. Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang auf das Urteil des SG Berlin aus dem Jahr 2008 (Az. S 51 AY 46/06) Bezug nimmt, weist das Gericht darauf hin, dass diese Entscheidung das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zum Gegenstand hatte. Die sozialen Sicherungssysteme des AsylbLG einerseits und des SGB II andererseits sind aber nicht vergleichbare Sicherungssysteme, weil sie unterschiedlich ausgestaltet sind und ein zum Teil sehr unterschiedliches Leistungsniveau aufweisen (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.01.2011, L 7 AS 460/10 B, Rn. 4 - nach juris).

Ein Anspruch des Klägers ergibt sich auch nicht unmittelbar aus § 73 SGB XII. Denn die Vorschrift setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eine besondere, atypische Lebenslage voraus, die eine Nähe zu den anderen im Fünften bis Neunten Kapitel des SGB XII geregelten Bedarfslagen aufweist (siehe z.B. BSG, Urteil vom 28.10.2009, B 14 AS 44/08, Rn. 20 m.w.N. - nach juris). Ein solches Näheverhältnis liegt im Fall der Übernahme von Passbeschaffungskosten nicht vor (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.01.2011, L 7 AS 460/10 B, Rn. 5 - nach juris). Auch dürfte es an der besonderen Atypik der Bedarfslage fehlen. Bei einer regelmäßigen Passverlängerung - auch wenn diese nur alle 10 Jahr stattfindet - liegt vielmehr eine typische Bedarfslage vor, die vorhersehbar und deshalb durch Rückstellungen finanzier- und kalkulierbar ist (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28.01.2013, L12 AS 1836/12 NZB, Rn. 5, 14).

e. Auch der Einwand des Klägers, die Nichterstattung seiner Passbeschaffungskosten stellten eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu deutschen Staatsbürgern dar, geht fehl. Denn eine solche Ungleichbehandlung ist nicht ersichtlich. Dies ist schon daran erkennbar, dass die Kosten für einen deutschen Reisepass mit 10-jähriger Gültigkeitsdauer ebenfalls 30,00 Euro übersteigen (Die derzeitige Gebühr beträgt 59,00 Euro gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1a der Verordnung zur Durchführung des Passgesetzes) und die deutschen Staatsbürger, die im Bezug von SGB II-Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts stehen, sich ebenfalls auf die Ansparmöglichkeiten zur Kostendeckung verweisen lassen müssen.

Aus all diesen Gründen war die Klage abzuweisen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

4. Anlass, die Berufung zuzulassen (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG) besteht nicht, weil die hierfür erforderlichen Voraussetzungen (§ 144 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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