S 18 AS 555/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
18
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 18 AS 555/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin vom Vergütungsanspruch ihres Bevollmächtigten in Höhe von 380,80 EUR freizustellen. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt vom Beklagten die Kostenerstattung für ein erfolgreiches Widerspruchsverfahren.

Die Klägerin steht im fortlaufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten.

Mit Bescheid vom 15.05.2013 wurde der Klägerin antragsgemäß ein Darlehn für eine Mietkaution in Höhe von 1.278,00 EUR gewährt. Der Bescheid enthielt die Regelung, dass zur Rückzahlung des Darlehns monatlich 10 % des Regelbedarfes aufgerechnet würden.

Mit Bescheid vom 19.09.2013 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II im Rahmen einer vorläufigen Bewilligung für den Bewilligungszeitraum von Oktober 2013 bis März 2014. Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch hinsichtlich der Anrechnung von Wohngeld, welches tatsächlich nicht gezahlt würde. Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens war die Klägerin anwaltlich vertreten. Beratungshilfe wurde hierfür nicht gewährt. Mit Änderungsbescheid vom 24.10.2013 änderte der Beklagte die Bewilligung der SGB II-Leistungen für Oktober 2013 bis März 2014 ab und gewährte nunmehr die Leistung ohne die Anrechnung von Wohngeld. Zugleich teilte der Beklagte der Klägerin schriftlich mit, dass dem Widerspruch in vollem Umfang stattgegeben worden sei.

Am 28.10.2013 beantragte die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten die Erstattung der Kosten für den Widerspruch gemäß § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Hierzu reichte die Klägerin eine Kopie der Kostennote über 380,80 EUR ein. Die Kosten setzten sich aus der Geschäftsgebühr von 300,00 EUR sowie der Post- und Telekommunikationspauschale von 20,00 EUR zzgl. der Umsatzsteuer zusammen.

Am 11.11.2013 teilte der Beklagte der Klägerin sowie ihrem Bevollmächtigten mit, dass die geltend gemachten Kosten von 380,80 EUR grundsätzlich erstattungsfähig seien. Aus der Mietkaution würde noch eine Forderung von 919,35 EUR bestehen. Den Kostenerstattungsanspruch rechne er nach § 387 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gegen diese Forderung auf und daher würden keine Kosten ausgezahlt.

Hiergegen wandte sich die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten schriftlich und teilte mit, dass eine Aufrechnung nicht möglich sei, da das Kautionsdarlehn keine durchsetzbare Forderung wäre. Die Aufrechnung aus dem Bewilligungsbescheid des Darlehns sei als Stundung zu werten.

Der Beklagte teilte hierauf wiederum schriftlich mit, dass eine Auszahlung aufgrund der erfolgten Aufrechnung weiterhin nicht erfolgen werde.

Am 24.03.2014 hat die Klägerin Klage erhoben, mit der sie die Erfüllung des Kostenerstattungsanspruches begehrt.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass die Aufrechnung unzulässig sei. Die Rückzahlungsforderung aus dem Darlehn sei aufgrund der Aufrechnung in Höhe von 38,20 EUR monatlich nicht fällig. Die Restsumme des nicht getilgten Darlehns sei erst bei Rückzahlung der Kaution durch den Vermieter in voller Resthöhe fällig. Selbst wenn man von einer Fälligkeit ausgehen würde, sei der Bescheid vom 15.05.2013 als Stundungsabrede zu werten. Die Regelungen in § 42a SGB II seien insofern vorrangig.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, sie vom Vergütungsanspruch ihres Bevollmächtigten in Höhe von 380,80 EUR freizustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, dass der geltend gemacht Anspruch nicht bestünde. Die geltend gemachte Forderung sei durch Aufrechnung erloschen. Die Forderung des Beklagten aus dem Darlehn sei fällig gewesen. Gemäß § 42a Abs. 2 SGB II trete die Fälligkeit am ersten Tag des Monates nach Gewährung des Darlehns ein. Die bisherige Aufrechnung in Höhe von 10 % des Regelbedarfes sei keine Stundung, sondern lediglich eine Begrenzung der Aufrechnungshöhe aus den Leistungen nach dem SGB II.

Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten (2 Band). Diese lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat Erfolg.

Die Klage ist als reine Leistungsklage gem. § 54 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig. Denn die Klägerin begehrt mit der Klage die Freistellung vom Vergütungsanspruch gegenüber ihrem Bevollmächtigten durch den Beklagten. Hierbei handelt es sich um ein schlicht-hoheitliches Handeln, welches selbst keinen Verwaltungsakt darstellt. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Klage besteht, da der Beklagte das entsprechende Begehren der Klägerin vorprozessual abgelehnt.

Die Klägerin hat einen Freistellungsanspruch gegenüber dem Beklagten aus § 63 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) i.V.m. § 257 BGB.

Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung ihrer Kosten für das Widerspruchsverfahrens folgt aus § 63 SGB X. Gem. § 63 Abs. 1 Satz 1 SGB X hat der Rechtsträger, dessen Behörde den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen hat, demjenigen, der Widerspruch erhoben hat, die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten, soweit der Widerspruch erfolgreich ist. Gem. § 63 Abs. 3 Hs. 1 SGB X setzt die Behörde, die die Kostenentscheidung getroffen hat, auf Antrag den Betrag der zu erstattenden Aufwendungen fest. Die Entscheidung über die grundsätzliche Kostenerstattung hat durch Verwaltungsakt zu erfolgen (von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. A. 2014, § 63 Rn. 33). Eine ausdrückliche Kos-tenentscheidung war im Änderungsbescheid vom 24.10.2013, der dem Widerspruch im Ergebnis abgeholfen hatte, nicht enthalten. Jedoch ist aus dem Schreiben des Beklagten vom 11.11.2013 im Wege der Auslegung eine positive Kostengrundentscheidung zu entnehmen. Denn in diesem Schreiben teilte der Beklagte gegenüber der Klägerin mit, dass die geltend gemachten Kosten für den Bevollmächtigten grundsätzlich erstattungsfähig seien. Diese Erklärung ist als Regelung mit Außenwirkung im Sinn von § 31 Satz 1 SGB X zu werten. Der Umstand, dass das Schreiben vom 11.11.2013 keine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt ist unerheblich. Das Fehlen einer Rechtsbehelfsbelehrung ändert nichts an der Einordnung als Verwaltungsakt, da die Rechtsbehelfsbelehnung kein notwendige Bestandteil eines Verwaltungsaktes ist (von Wulffen/Schütze, a.a.O., § 36 Rn. 15). Der Anspruch besteht auch in Höhe des geltend gemachten Betrages von 380,80 EUR. Denn der Beklagte hat durch das Schreiben vom 11.11.2013 diesen Betrag festgesetzt. Die Erklärung, dass die geltend gemachten Kosten von 380,80 EUR grundsätzlich erstattungsfähig sind, ist, wie bereits zuvor ausgeführt, als Verwaltungsakt zu qualifizieren.

Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht erloschen. Insbesondere ist kein Erlöschen durch die Erklärung der Aufrechnung durch den Beklagten erfolgt. Gem. § 389 BGB erlischt eine Forderung durch Aufrechnung soweit sie sich mit der anderen Forderung deckt. Die vorliegende Aufrechnung ist als öffentlich-rechtliche Willenserklärung zu werten. Eine Auslegung des Schreibens hinsichtlich der Aufrechnung als Verwaltungsakt scheidet aus. Der Beklagte hat ausdrücklich eine Aufrechnung nach § 387 BGB erklärt. Auch ist das Schreiben weder als Bescheid bezeichnet noch enthält es eine Rechtsbehelfsbelehrung, was auf den Willen des Beklagten, einen Verwaltungsakt zu erlassen, schließen ließe. Schließlich liegen die Voraussetzungen für eine Aufrechnung nach den Vorschriften des § 42 a oder § 43 SGB II, die jeweils durch Verwaltungsakt zu erklären ist (§ 42 a Abs. 2 Satz 2 bzw. § 43 Abs. 4 Satz 1 SGB II), nicht vor. Nach § 42 a Abs. 2 SGB II erfolgt die Aufrechnung in Höhe von 10 Prozent des jeweils maßgebenden Regelbedarfs. Vorliegend will der Beklagte jedoch in voller Höhe aufrechnen. Die Regelung aus § 43 Abs. 1 SGB II betrifft nur die Aufrechnung mit Erstattungsansprüchen und Ersatzansprüchen des Leistungsträgers. Ein Anspruch auf Rückzahlung eines Kautionsdarlehens ist hiervon nicht erfasst. Für die Aufrechnung kann auch nicht § 51 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) als allgemeine sozialrechtliche Rechtsgrundlage herangezogen werden. Gem. § 51 Abs. 1 SGB I kann der zuständige Leistungsträger gegen Ansprüche auf Geldleistungen mit Ansprüchen gegen den Berechtigten aufrechnen, soweit die Ansprüche auf Geldleistungen nach § 54 Abs. 2 und 4 SGB I pfändbar sind. Der Erstattungsanspruch aus § 63 SGB X ist jedoch kein Anspruch auf eine Geldleistung gegen die der Beklagte mit einem eigenen Anspruch aufrechnen könnte. Geldleistungen nach § 51 Abs. 1 SGB I sind Sozialleistungen im Sinn von § 11 SGB I (BSG, Urteil vom 22.07.2004, B 3 KR 21/03 R). Der Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 63 SGB X ist keine Geldleistung im Sinn von § 11 SGB I (vgl. BSG, Urteil vom 24.07.1986, 7 RAr 86/84). Entsprechend verbleibt für eine Aufrechnung nur die allgemeine zivilrechtliche Regelung aus § 387 BGB. Diese Vorschrift ist auch im Bereich des öffentlichen Rechts anwendbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 12.02.1987, 3 C 22/86).

Die Voraussetzungen für eine Aufrechnung nach § 387 BGB lagen vor. Der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin und der Anspruch der Beklagten auf Rückzahlung des Kautionsdarlehens standen sich gegenseitig aufrechenbar gegenüber. Der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin war erfüllbar. Das Kautionsdarlehen war fällig und durchsetzbar. Das für die Kaution bewilligte Darlehen ist grundsätzlich sofort fällig (Münder, SGB II, 5. A. 2013, § 42 a Rn. 10). Die Durchsetzbarkeit ist auch nicht durch eine Stundungsabrede gehemmt. Eine Stundung des Rückzahlungsanspruches des Beklagten ist nicht durch die im Bescheid vom 15.05.2013 erfolgte Regelung, dass zur Rückzahlung des Darlehns monatlich 10 % des Regelbedarfes aufgerechnet werden, zu sehen. Denn hierbei handelt es sich lediglich um eine Begrenzung des Umfanges der monatlichen Aufrechnung gegen den Anspruch der Klägerin auf ihre laufenden SGB II-Leistungen. Die Aufrechnungserklärung des Beklagten erfolgte durch das Schreiben vom 11.11.2013. Ein Aufrechnungsverbot aus dem SGB II bestand nicht, da die gesonderten Aufrechnungsvorschriften aus § 42 a und § 43 SGB II jeweils nur die Aufrechnung gegen Leistungsanspruch nach dem SGB II betreffen. Auch ist der Kostenerstattungsanspruch nicht im Sinn von § 394 BGB unpfändbar.

Jedoch ist die grundsätzlich zulässige Aufrechnung durch den Beklagten ermessensfehlerhaft erklärt worden und daher vorliegend unwirksam. Der Beklagte war nicht verpflichtet, die Aufrechnung zu erklären. Soweit daher die Erklärung der Aufrechnung keine gebundene Entscheidung darstellt, hat eine Ermessensentscheidung über das "Ob" einer Aufrechnung zu erfolgen. Ermessensfehler, wie insbesondere die fehlende Ermessensausübung, führen dazu, dass die Aufrechnungserklärung nicht wirksam ist (vgl., LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28.02.2014, L 32 AS 2279/13 B PKH, a.A. wohl LSG Hessen, Urteil vom 29.10.2012, L 9 AS 601/10). Anhaltspunkte für die Annahme einer Ermessensreduktion auf Null sind nicht zu erkennen. Mangels Ermessensausübung stellt sich daher die schlicht-hoheitliche Aufrechnungserklärung des Beklagten als unwirksam dar.

Der Anspruch der Klägerin auf Freistellung vom Vergütungsanspruch ihres Bevollmächtigten folgt aus § 257 BGB i.V.m. § 63 SGB X, da die Klägerin bisher den Anspruch ihres Bevollmächtigten nicht erfüllt hat. Entsprechend kann die Klägerin beanspruchen, dass der Beklagte sie von ihrer Zahlungspflicht gegenüber ihrem Bevollmächtigten freistellt.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.

Die Berufung wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassen, da zur Frage der Aufrechnung gegen Kostenerstattungsanspruch nach § 63 SGB X mit Rückzahlungsansprüchen aus Kautionsdarlehen und der Frage der erforderlichen Ermessensausübung keine einheitliche obergerichtliche Rechtsprechung besteht.
Rechtskraft
Aus
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