L 16 AS 734/14 B ER

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
16
1. Instanz
SG Regensburg (FSB)
Aktenzeichen
S 4 AS 575/14 ER
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 16 AS 734/14 B ER
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Die Überprüfung der Regelungen eines Eingliederungsverwaltungsakts findet im Eilverfahren mangels Dringlichkeit nicht statt.
2. Gegen Sanktionen ist nachträglicher Rechtsschutz möglich und ausreichend.
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Regensburg vom 8. Oktober 2014 wird zurückgewiesen.

II. Außergerichtliche Kosten des Verfahrens sind nicht zu erstatten.



Gründe:


I.

Streitig ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers und Beschwerdeführers gegen einen Eingliederungsverwaltungsakt gemäß § 15 Abs. 1 Satz 6 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II). Der 1964 geborene Antragsteller bezieht vom Antrags- und Beschwerdegegner Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende.

Nachdem der Antragsteller den Entwurf einer Eingliederungsvereinbarung vom 22.07.2014 nicht unterzeichnet hatte, erließ der Antragsgegner den Eingliederungsverwaltungsakt vom 21.08.2014 mit einer Gültigkeitsdauer vom 21.08.2014 bis 20.02.2015. In diesem Bescheid ist als Ziel die Integration auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Beseitigung bzw. Reduzierung der Hilfebedürftigkeit formuliert. Als Unterstützung durch den Antragsgegner ist u.a. festgehalten die "Aufnahme in das Arbeitsmarktprojekt 50 plus", "Hilfestellung bei der Erstellung von Bewerbungsschreiben, Beratungsangebot, Angebot von Vermittlungsvorschlägen, Trainingsmaßnahmen und/ oder Arbeitsgelegenheiten je nachdem, ob diese/s Angebot/e für den Leistungsempfänger geeignet ist," wobei die Eignung von dem persönlichen Ansprechpartner des Jobcenters beurteilt werde. Kosten für Bewerbungen und zu Vorstellungsgesprächen bei Arbeitgebern könnten grundsätzlich durch das Jobcenter übernommen werden, ebenso wie die Kosten für die Durchführung von Maßnahmen bei einem Arbeitgeber. Das Jobcenter übernehme Kosten für schriftliche Bewerbungen in Höhe von 5 EUR und zu Vorstellungsgesprächen bei Arbeitgebern in angemessener Höhe nach den gesetzlichen Vorgaben. Dies sei jedoch nicht möglich, wenn der Antragsteller ein anerkannter Rehabilitationsfall sei; in diesem Fall möge er sich zur Beantragung solcher Kosten an seinen zuständigen Träger der Rehabilitation wenden. Ausgehändigte VLC-Gutscheine (bzw. Fahrkarten) dürften nur für genannte und vereinbarte Zwecke benutzt werden, jede andere Verwendung sei rechtswidrig und werde zur Anzeige gebracht. Der Antragsteller ist nach dem Eingliederungsverwaltungsakt verpflichtet, als Eigenbemühungen vier Bewerbungen pro Monat zu veranlassen und auf Verlangen dem Arbeitsvermittler vorzulegen, an allen Maßnahmen zur Eingliederung, insbesondere dem Arbeitsmarktprojekt 50 plus, mitzuwirken, sich auf Vermittlungsvorschläge spätestens innerhalb von drei Tagen nach Erhalt positiv mit dem Ziel der Anstellung zu bewerben und dies nachzuweisen, sich bei Vorstellungsgesprächen angemessen zu verhalten (Erscheinungsbild, Gesprächsführung etc.) und auf eine Einstellung hinzuwirken, alle Änderungen innerhalb von drei Tagen schriftlich mitzuteilen (z.B. Änderung der Verfügbarkeit bei der Arbeitsvermittlung; Verlust, Erlangung der Fahrerlaubnis/ des Pkw, Änderung der Telefonverbindung) und seine aktuelle telefonische und postalische Erreichbarkeit sicherzustellen. Sollte er einen Termin im Jobcenter aus einem wichtigen Grund nicht einhalten können, werde er diesen rechtzeitig (mindestens zwei Tage vorher) seinem persönlichen Ansprechpartner mitteilen bzw. einen neuen Termin vereinbaren. Weitere Verpflichtungen betreffen die Anzeige und den Nachweis von Arbeitsunfähigkeit. Kosten für entsprechende Bescheinigungen könnten nicht übernommen werden, da keine Diagnosen gefordert seien, welche eine Rechnung begründen würden. Weiter finden sich unter "Rechtsfolgenbelehrung" Ausführungen zur Möglichkeit von Leistungsminderungen gemäß § 31 bis § 31 b SGB II SGB II bei Verstößen gegen die festgelegten Pflichten. Den Widerspruch des Antragstellers gegen den Verwaltungsakt vom 21.08.2014 wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2014 zurück. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Rechtsanwendung hätten sich bei Prüfung nicht ergeben. Die vom Antragsteller am 05.11.2014 zum Sozialgericht Regensburg erhobene Klage gegen den Widerspruchsbescheid vom 20.10.2014 wird unter dem Aktenzeichen S 11 AS 707/14 geführt.

Am 25.08.2014 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Regensburg Klage auf Aufhebung des Verwaltungsakts vom 21.08.2014 erhoben und hilfsweise bis zur Klärung der Angelegenheit die "aufschiebende Wirkung" beantragt. Die unter dem Aktenzeichen geführte Klage hat er in einem Erörterungstermin am 08.10.2014 zurückgenommen. Zur Begründung des Antrags auf einstweiligen Rechtsschutz hat er sich darauf berufen, dass der Eingliederungsverwaltungsakt "in vielen Punkten rechtswidrig und nicht individuell" sei und seine Auffassung ausführlich dargelegt.

Das Sozialgericht Regensburg hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 25.08.2014 abgelehnt. Der Antrag sei zulässig, insbesondere auch statthaft, aber nicht begründet. Eine Dringlichkeit für das im Eilverfahren geltend gemachte Begehren könne die Kammer nicht erkennen. Sofern der Antragsteller den ihm auferlegten Pflichten nicht nachkommen wolle, könne er Rechtsschutz gegen die dann möglichen Sanktionen suchen. Daneben habe die Kammer Zweifel an einem etwaigen Erfolg in der Hauptsache. Der Antragsgegner habe nach dem Gesetz die Möglichkeit des Erlasses eines Verwaltungsakts zur Ersetzung einer Eingliederungsvereinbarung. Ob sich die Kammer der Rechtsprechung des 4. Senats des Bundessozialgerichts (Urteil vom 22.09.2009, B 4 AS 13/09 R) oder der offenbar abweichenden Auffassung des 14. Senats des Bundessozialgerichts (Urteil vom 14.02.2013, B 14 AS 195/11 R) anschließe, brauche im Eilverfahren nicht entscheiden werden. Auch im Übrigen habe die Kammer keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts.

Gegen den ihm am 10.10.2014 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller am 17.10.2014 Beschwerde zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt und beantragt, den Beschluss vom 08.10.2014 aufzuheben und die aufschiebende Wirkung anzuordnen. Er hat erneut seiner Auffassung Ausdruck verliehen, dass der Eingliederungsverwaltungsakt rechtswidrig sei. Außerdem hat er bezweifelt, ob die Teilnahme am Arbeitsmarktprojekt 50 plus "freiwillig" sein könne, wie das in einem Flyer dargestellt werde, wenn seine Mitwirkung sanktionsbedroht sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Akten des Senats und des Sozialgerichts Regensburg und die Verwaltungsakten des Beschwerdegegners Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 172, § 173 Sozialgerichtsgesetz - SGG).

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht Regensburg hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs zu Recht abgelehnt.

Der Eilantrag ist als Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs bzw. der zwischenzeitlich am 05.11.2014 erhobenen Klage (S 11 AS 707/14) auszulegen und als solcher zulässig, insbesondere auch statthaft. Ein Eingliederungsverwaltungsakt hat gemäß § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung, d.h. er ist sofort vollziehbar. In einem solchen Fall kann gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ist nicht begründet. Die Entscheidung beruht auf einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsakts bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens verschont zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der Vollziehung der behördlichen Entscheidung. Im Rahmen der Abwägung hat neben den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache die Frage der Eilbedürftigkeit wesentliche Bedeutung. Nur bei offenbarer Rechtswidrigkeit der angegriffenen Regelung ist die Feststellung einer besonderen Eilbedürftigkeit entbehrlich. In Fällen des § 39 SGB II, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug den Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt, ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung die mit gewichtigen Argumenten zu begründende Ausnahme (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/ Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Auflage 2014, § 86b Rn. 12c ff).

Für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage besteht danach keine Veranlassung. Von einem offensichtlich rechtswidrigen Eingliederungsverwaltungsakt, an dessen Vollziehung ein öffentliches Interesse von vornherein kein Interesse besteht, kann keine Rede sein. Auf der Grundlage des § 15 Abs. 1 Satz 6 SGB II erließ der Antragsgegner einen Eingliederungsverwaltungsakt, nachdem eine Eingliederungsvereinbarung gemäß § 15 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB II nicht zustande gekommen war. Auch die einzelnen Regelungen in diesem Verwaltungsakt sind nicht offensichtlich rechtswidrig. Eine besondere Eilbedürftigkeit ist ebenfalls nicht erkennbar. Dem Antragsteller entsteht durch den Sofortvollzug des Eingliederungsverwaltungsakts kein unmittelbarer Nachteil. Eine Minderung der Grundsicherungsleistungen (Sanktion) gestützt auf den Eingliederungsverwaltungsakt vom 21.08.2014 ist bislang nicht erfolgt. Sollte der Antragsteller mit diesem Verfahren künftige Sanktionen verhindern wollen, würde es sich um vorbeugenden Rechtsschutz handeln, der grundsätzlich nur bei Vorliegen eines qualifizierten Rechtsschutzinteresses dergestalt in Betracht kommt, dass nachträglicher Rechtsschutz nicht ausreicht (vgl. Keller, a.a.O. Vor § 51 Rn. 17a, § 54 Rn. 42a). Gegen Sanktionen ist nachträglicher Rechtsschutz möglich und ausreichend. Die vom Antragsteller begehrte Überprüfung der Rechtmäßigkeit einzelner Regelungen des Eingliederungsverwaltungsakts vom 21.08.2014 findet im Eilverfahren mangels Dringlichkeit nicht statt. Sie bleibt der Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten (vgl. Bayer. Landessozialgericht, Beschluss vom 14.11.2014, L 16 AS 737/14 B ER; Beschluss vom 24.06.2014, L 7 AS 446/14 B ER).

Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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