Land
Sachsen-Anhalt
Sozialgericht
SG Magdeburg (SAN)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
47
1. Instanz
SG Magdeburg (SAN)
Aktenzeichen
S 47 SO 90019/09
Datum
2. Instanz
LSG Sachsen-Anhalt
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei einem Kind, das an einer spastischen Hemiparese leidet, umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung auch eine psychomotorische Förderung, wenn sie im Einzelfall erforderlich und geeignet ist, den Schulbesuch zu ermöglichen und zu erleichtern.
Der Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2009 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die Kosten der psychomotorischen Förderung in Höhe von 1897,50 Euro zu erstatten. Der Beklagte erstattet dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten.
Tatbestand:
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Übernahme der Kosten für eine psychomotorische Förderung im Wege der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).
Der Kläger ist am ... 2000 geboren. Im Jahre 2006 wurde bei ihm ein Tumor am Hirnstamm festgestellt, der am 24. November 2006 im Universitätsklinikum G. operativ entfernt wurde. Er leidet seitdem unter anderem an einer spastischen Hemiparese und ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100.
Im Zeitraum vom 13. Dezember 2006 bis zum 22. August 2007 befand sich der Kläger zur stationären Rehabilitation in der Fachklinik H., Neurologisches Rehabilitationszentrum für Kinder und Jugendliche, in B.
In den Schuljahren 2007/2008 bis 2011/2012 besuchte der Kläger die Grundschule W. und erhielt eine sonderpädagogische Förderung. Darüber hinaus bewilligte der Landkreis S. Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 und 54 SGB XII durch Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer zur Schulbegleitung (Bescheid vom 11. Oktober 2008 für das Schuljahr 2007/2008; Bescheid vom 29. Januar 2009 für das Schuljahr 2008/2009; Bescheid vom 6. Oktober 2009 für das Schuljahr 2009/2010); ab dem Schuljahr 2010/11 in Form eines Persönlichen Budgets (Bescheide vom 24. August 2010 und 5. Juli 2011).
Am 13. August 2007 beantragten die Eltern des Klägers beim Jugendamt des Landkreises S. die Übernahme der Kosten für eine psychomotorische Förderung. Am 14. August 2007 leitete das Jugendamt den Antrag zuständigkeitshalber an das Sozialamt des Landkreises S. weiter.
Am 30. August 2007 reichten die Eltern des Klägers bei der Beigeladenen eine Heilmittelverordnung von Frau Dr. med. N. vom 27. August 2007 für eine psychomotorische Behandlung ein. Mit Bescheid vom 19. September 2007 bewilligte die Beigeladene im Rahmen einer Einzelfallentscheidung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht 6 Behandlungen zu einem Kostensatz von jeweils 34,50 Euro. Im September 2007 wurde die Therapie in der heilpädagogischen Praxis N. in T. aufgenommen.
Mit Bescheid vom 18. April 2008 lehnte die Beigeladene die Kostenübernahme für weitere Behandlungen ab, da es sich bei der psychomotorischen Förderung um eine sonderpädagogische Maßnahme handele. Auf den Widerspruch des Klägers hielt die Beigeladene mit Bescheid vom 25. August 2008 an ihrer ablehnenden Entscheidung fest.
Die Eltern des Klägers mahnten mit Schreiben vom 23. April 2008 und vom 17. August 2008 die Bearbeitung des Antrages beim Landkreis S. an und reichten eine Rechnung der heilpädagogischen Praxis N. vom 8. August 2008 über 13 Fördereinheiten im Zeitraum April bis Juli 2008 in Höhe von 448,50 Euro ein.
Mit Bescheid vom 7. Oktober 2008 lehnte der Landkreis S. den Antrag vom 13. August 2007 auf Übernahme der Kosten für eine psychomotorische Förderung als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII ab. Zur Begründung führte er aus, dass neben der sonderpädagogischen Förderung in der Grundschule und der Unterstützung durch einen Integrationshelfer ein weiterer Bedarf für Leistungen der Eingliederungshilfe nicht zu erkennen sei.
Gegen den Ablehnungsbescheid vom 7. Oktober 2008 wurde am 20. Oktober 2008 Widerspruch erhoben, welchen der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2009 als unbegründet zurückwies.
Zur Begründung führte er aus, dass der sozialhilferechtlich relevante Bedarf durch den Integrationshelfer gedeckt sei. Soweit die psychomotorische Förderung dazu beitragen solle, eine drohende seelische Behinderung abzuwenden, wurde auf die Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers verwiesen. Da die Eltern des Klägers die Therapiekosten bereits aus eigenen Mitteln getragen hätten, bestehe auch kein Bedarf für Leistungen der Sozialhilfe.
Hiergegen richtet sich die am 15. Mai 2009 erhobene Klage. Der Kläger macht hiermit die Kosten für 13 Fördereinheiten im Zeitraum April bis Juli 2008 in Höhe von 448,50 Euro sowie für weitere 42 Fördereinheiten im Zeitraum von August 2008 bis Februar 2012 in Höhe von 1449 Euro geltend.
Am 13. Dezember 2013 fand in dieser Sache ein Erörterungstermin statt. Gegenstand der Erörterung waren insbesondere Umfang und Inhalt der sonderpädagogischen bzw. psychomotorischen Förderung.
Das Gericht hat anschließend eine Stellungnahme des Landesbildungszentrums T. als Basisförderschule für Körperbehinderte vom 24. Februar 2014 sowie Stellungnahmen der Lehrkräfte, die mit der sonderpädagogischen Förderung des Klägers betraut waren, eingeholt.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers legte mit Schriftsatz vom 21. Januar 2014 eine aktualisierte Aufstellung der Kosten für die psychomotorische Förderung sowie mit Schriftsatz vom 18. Juli 2014 die betreffenden Einzelrechnungen nebst Zahlungsnachweisen vor.
Mit Beschluss vom 22. August 2014 hat das Gericht die BKK E. zum Verfahren beigeladen.
Zur Begründung der Klage wird angeführt, dass die psychomotorische Förderung für die Integration des Klägers angezeigt und notwendig gewesen sei. Diese Einschätzung werde durch den Erfolg der Maßnahme gestützt.
Der Kläger beantragte zuletzt,
den Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten der psychomotorischen Förderung des Klägers in Höhe von 1897,50 Euro zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach seiner Auffassung waren die sonderpädagogische Förderung und die ergänzend gewährte Eingliederungshilfe durch einen Schulbegleiter insgesamt geeignet, dem Kläger einen erfolgreichen Schulbesuch zu ermöglichen und ihn in den Klassenverband zu integrieren. Zusätzliche Leistungen der Eingliederungshilfe für eine psychomotorische Therapie seien nicht erforderlich gewesen, zumal sich die Förderziele gleichen würden. Außerdem handele es sich vorrangig um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation. Hierfür sei die gesetzliche Krankenversicherung zuständig.
Das Gericht hat Beweis erhoben und Frau N., Inhaberin der heilpädagogischen Praxis N., sowie zur sonderpädagogischen Förderung Frau T., Frau G., Frau K. und Frau S. als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 12. Dezember 2014 verwiesen.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2009, mit dem die Übernahme der Kosten für die psychomotorische Förderung des Klägers abgelehnt worden ist. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage, die nach § 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, § 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft ist.
Der Streitgegenstand beschränkt sich – entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht auf den Abrechnungszeitraum April bis Juli 2008, weil sich sowohl der Antrag des Klägers als auch die Ablehnungsentscheidung des Beklagten nicht auf bestimmte Zeiträume oder Rechnungen bezogen (vgl. auch BSG, Urteil vom 23. August 2013, B 8 SO 10/12 R, LSG Nordrhein-Westfalen; Urteil vom 10. Februar 2011, L 9 SO 11/08).
Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die psychomotorische Förderung in Höhe von insgesamt 1895,50 Euro zu.
Der Beklagte ist für die begehrten Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen sachlich und örtlich zuständig (§ 97 Abs. 2 SGB XII in der Fassung vom 27. Dezember 2003 in Verbindung mit § 3 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - AG SGB XII - vom 11. Januar 2005; § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII).
Die Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich zudem aus § 14 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Der am 13. August 2007 zunächst beim Jugendamt des Landkreises S. gestellte Leistungsantrag wurde am 14. August 2007 und damit fristgerecht an den Sozialhilfeträger weitergeleitet, der im Verhältnis zum Kläger für die Leistungserbringung endgültig zuständig geworden ist. Eine Leistungspflicht der beigeladenen Krankenkasse als Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX kam nicht in Betracht. Aus der vorliegenden Verwaltungsakte der Beigeladenen ergibt sich, dass hier erst am 30. August 2007 unter Vorlage einer ärztlichen Heilmittelverordnung Leistungen beantragt wurden.
Rechtsgrundlage der Kostenerstattung ist § 15 Abs. 1 Satz 4 2. Alt. SGB IX. Danach sind selbstbeschaffte Leistungen zu erstatten, wenn der Rehabilitationsträger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012, B 8 SO 32/10 R).
Der Kläger hat gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII in Verbindung mit §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII und § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Februar 1975 (BGBl. I S. 433), zuletzt geändert durch Artikel 13 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022), einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der psychomotorischen Förderung.
Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach den Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 53 Abs. 3 SGB XII ist es besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern (Satz 1). Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (Satz 2).
Unstreitig gehört der Kläger mit einem Grad der Behinderung von 100 zu den leistungsberechtigten Personen nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Dementsprechend sind für den streitgegenständlichen Zeitraum bereits Leistungen der Eingliederungshilfe für einen Integrationshelfer gewährt worden.
Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII umfassen die Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprechen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII).
Nach § 12 Nr. 1 der Eingliederungshilfe-Verordnung umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zu Gunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern.
Zur Beurteilung dieser Voraussetzungen ist ein individueller, auf den Einzelfall bezogener Maßstab anzuwenden. Es kommt nur auf die Erforderlichkeit und Geeignetheit im Einzelfall an (BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 19/08 R –, Rn. 22 – zur "Petö-Therapie"; BSG, Urteil vom 23. August 2013, B 8 SO 10/12 R – zur "systemischen Bewegungstherapie"- zitiert nach juris).
Eine Unterscheidung nach pädagogischen oder nicht pädagogischen bzw. begleitenden Maßnahmen ist rechtlich nicht geboten, weil grundsätzlich alle Maßnahmen in Betracht kommen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (BSG, Urteil vom 22. März 2012, B 8 SO 30/10 R, Rn. 21 - zitiert nach juris). So können von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers auch Maßnahmen umfasst werden, die zum Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehören. Ausgeschlossen sind lediglich Maßnahmen, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen sind. Die schulrechtlichen Verpflichtungen stehen grundsätzlich neben den sozialhilferechtlichen, ohne dass sie sich gegenseitig inhaltlich beeinflussen (BSG, a.a.O.).
Leistungen der Eingliederungshilfe grenzen sich nach der Rechtsprechung des BSG von Leistungen der medizinischen Rehabilitation nicht aufgrund der in Betracht kommenden Leistungsgegenstände ab. Entscheidend ist vielmehr der Leistungszweck. Das BSG geht insoweit davon aus, dass sich die Leistungszwecke der medizinischen Rehabilitation nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) und der sozialen Rehabilitation überschneiden können (BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 19/08 R –, Rn. 21; BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 – B 8 SO 32/07 R – zitiert nach juris). Hierzu hat das BSG ausgeführt, dass die Zwecke der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft mit denen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht identisch sind. Insbesondere verfolgen die Leistungen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII mit der Erleichterung des Schulbesuchs über die Zwecke der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehende Ziele (BSG, Urteil vom 29. September 2009, a.a.O). Damit schließt ein auch oder sogar überwiegend medizinischer Charakter der Maßnahme eine Förderung nach dem SGB XII nicht aus (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Februar 2011, L 9 SO 11/08, Rn. 44 – "Petö-Therapie"). Ausschließlich ein rein medizinischer Leistungszweck stünde Leistungen der Eingliederungshilfe entgegen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. August 2012, L 20 SO 25/09; Rn. 62, 65 – "auditiv-verbale Therapie" zum Erwerb der Hör- und Sprachfähigkeit).
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22. März 2012, B 8 SO 30/10 R, Rn. 23 – "Montessori-Therapie") sind zur Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit einer Therapie konkrete Feststellungen dazu erforderlich, wie der Kläger betreut worden ist und wie sich dies im Einzelnen prognostisch auf die individuelle Lernfähigkeit bzw. Verbesserung der Beschulungsfähigkeit (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Februar 2011, a.a.O.) auswirken sollte.
Das Gericht ist im Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die psychomotorische Förderung geeignet und erforderlich war, dem Kläger den Besuch der Grundschule W. im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern.
Der Kläger litt nach der Hirnoperation im Jahr 2006 an einer kompletten Lähmung der rechten Körperseite sowie Atem- und Schluckstörungen. Er befand sich im Zeitraum vom 13. Dezember 2006 bis zum 22. August 2007, d.h. bis unmittelbar vor der Einschulung in stationärer Rehabilitation. Nach dem ärztlichen Bericht der Fachklinik H. vom 20. August 2007 bestand zu diesem Zeitpunkt neben einem physiotherapeutischen, ergotherapeutischen und logopädischen Therapiebedarf insbesondere ein Bedarf zur Förderung der sozialen Kompetenzen zur Wiedereingliederung in den familiären und schulischen Alltag, da der Kläger nach schwerer psychosozialer Belastung überdurchschnittlich ängstlich und gehemmt war. Hierzu wurde insbesondere eine psychomotorische Förderung als geeignet empfohlen. Diese Empfehlung wurde durch die Fachklinik H. mit Kurzarztbriefen vom 21. Februar 2008 und 8. Juni 2009, jeweils nach erneuter stationärer Rehabilitation des Klägers, erneuert. Aus medizinischer Sicht wurde eine psychomotorische Behandlung zudem durch Professor Dr. S. vom Universitätsklinikum G., Klinik für Neurochirurgie, mit Schreiben vom 2. Mai 2007 und vom 30. Juli 2009 für zwingend erforderlich gehalten.
Eine entsprechende Empfehlung wurde aus pädagogischer Sicht durch die Zeugin T. bereits im sonderpädagogischen Gutachten vom 19. Februar 2008 sowie in einer späteren fachlichen Stellungnahme vom 16. April 2010 ausgesprochen. Darin wird jeweils ausdrücklich die psychomotorische Therapie - neben der sonderpädagogischen Förderung - als sehr wichtig erachtet. In der öffentlichen Sitzung am 12. Dezember 2014 hat die Zeugin T. nachvollziehbar dargelegt, dass der Kläger zwar vor allen Dingen in Bezug auf seine körperlich-motorische Entwicklung, aber auch auf emotional-sozialer Ebene besonderer Förderung bedurfte, da er als gesund geborenes Kind durch die Operationsfolgen einen schweren Einschnitt zu verkraften hatte. Diese Einschätzung deckt sich mit der schriftlichen Stellungnahme der Zeugin G. vom 30. April 2014, worin ausgeführt wird, dass der Kläger auch emotional unter den Folgen der Operation litt, weshalb sein Selbstbewusstsein zu stärken war, um ihm Unsicherheiten und Ängste im Schulalltag zu nehmen und die Integration in den Klassenverband zu erleichtern.
Das Gericht ist zu der Einschätzung gelangt, dass der Förderbedarf des Klägers allein durch die sonderpädagogische Förderung nicht gedeckt werden konnte, wenngleich hinsichtlich der Förderziele in Teilbereichen erhebliche Überschneidungen mit der psychomotorischen Förderung festzustellen waren.
Schwerpunkte der sonderpädagogischen Förderung sollten nach dem sonderpädagogischen Gutachten der Zeugin T. vom 19. Februar 2008
- Hilfe beim Umgang mit der eigenen Krankheit,
- Weiterentwicklung der Feinmotorik,
- visuelle Differenzierungsübungen,
- Konzentrationsschulung,
- Übungen zur Körperwahrnehmung und das
- Schaffen von Erfolgserlebnissen sein.
Die psychomotorische Einzelförderung des Klägers zielte zwar ebenfalls auf eine Steigerung der motorischen Fähigkeiten und der Körperwahrnehmung. Hierbei verfolgte sie jedoch einerseits ein wesentlich differenzierteres Konzept, welches nach Darstellung der Heilpädagogischen Praxis N. im Schreiben vom 4. April 2013 insbesondere
- die Förderung motorischer und sensomotorischer Fähigkeiten der Extremitäten, insbesondere der Handgeschicklichkeit rechts,
- die Steigerung der taktilen Wahrnehmung (Objekt-Grund-Differenzierung, Konstanz-, Festigkeits- und Gewichtsempfinden),
- die Steigerung kinästhetischer Wahrnehmung (Muskelspannung, Gelenkstellung, Körperraumlage, Kraft-und Spannungsregulation) sowie
- die Stärkung der Muskeltonuskontrolle (An- und Entspannen, Spannungsdifferenzierung)
beinhaltete.
Andererseits war es darüber hinaus ihr vorrangiges Ziel, über Bewegungserlebnisse zur Stabilisierung der Persönlichkeit beizutragen, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und damit die Handlungskompetenz und Kommunikationsfähigkeit zu fördern.
Die psychomotorische Therapie beruht auf einem Bewegungskonzept. Der Begriff Psychomotorik beschreibt die enge Verknüpfung zwischen körperlich-motorischen und psychischen Vorgängen des Menschen. Er steht für ein ganzheitliches und entwicklungsorientiertes Konzept, das Wahrnehmung und Bewegung gleichermaßen fördert. Die Konzepte der Psychomotorik betonen das Zusammenspiel des psychischen Erlebens des Menschen bzw. seiner psychisch-seelisch-emotionalen Entwicklung und der Entwicklung von Motorik und Wahrnehmung. Dabei werden die Einflüsse der sozialen und materiellen Umwelt auf das Gefüge von Psyche und Motorik berücksichtigt. Sie findet sich auch, mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, unter den Begriffen Bewegungspädagogik, Bewegungstherapie, Motopädagogik, Motopädie, Mototherapie, psychomotorische Therapie etc. wieder. Die Psychomotorik hat sowohl ein pädagogisches als auch ein therapeutisches Konzept.
Die Zeugin N. hat anschaulich beschrieben, dass die Förderstunden zunächst dazu dienten, das Vertrauen des Klägers zu gewinnen. Es wurden unter anderem Massagen, Spielanwendungen und Bewegungsspiele durchgeführt, womit der Kläger zur Körperwahrnehmung animiert werden sollte. Zu Beginn der Therapie war es vorrangig, dass der Kläger seine körperlichen Beeinträchtigungen annimmt. Mit dem Schuleintritt fanden die Therapiestunden regelmäßig in der Schule parallel zum Sportunterricht, später auch parallel zur Hortbetreuung statt. Sie dienten auch als Ausgleich für Bewegungsübungen, die sonst im Sportunterricht durchgeführt werden. Nachdem der Kläger Vertrauen gefasst hatte, versuchte die Zeugin in einem nächsten Schritt, unter anderem mit Hilfe eines Bewegungsparcours und Ballspielen, die Wahrnehmung und Orientierung zu fördern, Erfolgserlebnisse zu schaffen und die Motivation zu stärken. Insgesamt stand der Gedanke dahinter, ein positives Selbstkonzept mit dem Kläger zu entwickeln. Regelmäßig wurden in die psychomotorische Förderung auch andere, nicht behinderte Mitschüler einbezogen, was die Integration in den Klassenverband unterstützt.
Das Gericht hat hieraus die Überzeugung gewonnen, dass die psychomotorische Förderung auf eine Verbesserung der Beschulungsfähigkeit gerichtet war. Diese Einschätzung wird durch die Angaben der Förderschullehrer, insbesondere der Zeuginnen T., G. und S. gestützt.
Die Zeugin T. hat plausibel dargelegt, dass die psychomotorische Förderung einen erheblichen und eigenständigen Beitrag zur Verbesserung der Schulfähigkeit des Klägers leistet, in dem sie vor allem auf die Wahrnehmung und die Akzeptanz des eigenen Körpers abzielt. Besonderen Wert erhält diese Einschätzung dadurch, dass sich die Zeugin persönlich Therapiestunden angesehen und mit der Therapeutin gesprochen hat. Zutreffend hat die Zeugin darauf aufmerksam gemacht, dass die Eingliederung des Klägers durch Operationen und Zeiten der der stationären Rehabilitation häufig unterbrochen wurde. Gerade diese Erschwernisse konnten mit ergänzender Hilfe der psychomotorischen Förderung kompensiert und überwunden werden. Darüber hinaus wies die Zeugin nachvollziehbar darauf hin, dass mit einem Therapeuten oft ein anderes, vertrauensvolleres Verhältnis möglich ist, als mit einem Förderlehrer. Sie hat schließlich eingeräumt, dass der Inhalt der psychomotorischen Förderung durch die Sonderpädagogen im Rahmen des Gemeinschaftsunterrichts nicht geleistet werden konnte.
Die Zeugin G. maß der psychomotorischen Förderung ebenfalls eine große Bedeutung zu und hob hervor, dass der Kläger durch sein plötzlich eingetretenes Handicap auch erhebliche psychische Probleme hatte. Es sei gerade deshalb notwendig gewesen, sein Selbstbewusstsein zu entwickeln, ihm eine neue Orientierung zu geben und bei der Selbstfindung zu helfen. Die Stärkung des Selbstbewusstseins trage in erheblichem Maße zur Integration bzw. Einbindung in den Klassenverband und damit zur Lernentwicklung des Kindes bei. Die Tätigkeit der Sonderpädagogen beschränke sich dem gegenüber vorrangig auf den Unterricht.
Dem ist hinzuzufügen, dass im Ergebnis der Beweisaufnahme fraglich ist, wie die hinsichtlich der motorischen Fähigkeiten anspruchsvollen Zielvorgaben der sonderpädagogischen Förderung im Rahmen des Gemeinschaftsunterrichts hätten umgesetzt werden können. Das Gericht hat vielmehr den Eindruck gewonnen, dass sich die sonderpädagogische Förderung darauf konzentrierte, die Vermittlung des Unterrichtsstoffes zu erleichtern. Hierbei standen die personellen und sachlichen Voraussetzungen sowie die Unterstützung des Unterrichts durch Hilfestellungen und Beratung der unterrichtenden Lehrer im Mittelpunkt. Diese Einschätzung beruht vor allem auf der schriftlichen Stellungnahme der Zeugin T. vom 29. April 2014 sowie ihrer Aussage im Termin. Im Vergleich zum sonderpädagogischen Gutachten der Zeugin vom 19. Februar 2008 fällt auf, dass sich der Schwerpunkt der sonderpädagogischen Förderung in der praktischen Umsetzung insoweit verlagert hat. Die Angaben der Zeugin S. bestätigen das.
Bei der gerichtlichen Überprüfung der vorzunehmenden prognostischen Beurteilung kann auch der spätere Geschehensablauf nicht unberücksichtigt bleiben (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Juli 2013, L 7 SO 2915/12 ZVW).
Aus der schriftlichen Stellungnahme des Landesbildungszentrums T. vom 24. Februar 2014 und den mündlichen Ergänzungen vom 13. März 2014 geht hervor, dass die psychomotorische Förderung erheblichen Anteil am schulischen Erfolg des Klägers hatte.
Die Zeugin N. hat bezüglich der Auswirkungen auf die Lernfähigkeit bzw. die schulischen Fähigkeiten des Klägers hervorgehoben, dass er als Schüler an einer Regelschule akzeptiert und angenommen wurde. Darüber hinaus hat sich durch die motorischen Übungen auch eine Stärkung der Bewegungsfähigkeit ergeben, die sich ebenfalls positiv auf die schulischen Fähigkeiten ausgewirkt haben dürfte.
Die Zeuginnen T., G. und S. haben rückblickend übereinstimmend eingeschätzt, dass die psychomotorische Förderung in erheblichem Maße zur Einbindung in den Klassenverband und damit zur Lernentwicklung beigetragen hat. Die Zeuginnen stimmen auch darin überein, dass erst das Zusammenspiel der verschiedenen Therapieformen den schulischen Erfolg des Klägers sicherte. Zu ergänzen ist aus Sicht der Kammer, dass dem Kläger schließlich sogar der Wechsel auf das Gymnasium gelungen ist, welches er noch immer besucht.
Das Gericht hält den Beitrag der psychomotorischen Förderung daher für unverzichtbar. Sie hat den Charakter einer unterstützenden Hilfe im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII.
Das Gericht geht außerdem davon aus, dass die Therapiestunden anforderungs- und bedarfsgerecht durchgeführt wurden. Nach den überzeugenden Darlegungen der Zeugin N. richteten sich die Gestaltung und die Frequenz der Fördereinheiten nach den individuellen Bedürfnissen des Klägers unter Berücksichtigung der Zeiträume, in denen stationäre Krankenhausaufenthalte stattfanden. Entscheidend war jeweils der aktuelle psychische Zustand des Klägers, in dem es immer wieder unterschiedliche Phasen gegeben hat.
Im Ergebnis hat der Beklagte Leistungen der Eingliederungshilfe für die psychomotorische Förderung zu Unrecht abgelehnt. Der Kostenerstattungsanspruch des Klägers umfasst die ihm bzw. seinen Eltern durch die heilpädagogische Praxis N. in Rechnung gestellte Vergütung für insgesamt 55 Fördereinheiten zu einem Vergütungssatz von 34,50 Euro, d.h. insgesamt von 1897,50 Euro.
Dass die Eltern des Klägers diese Kosten bereits getragen haben, wie aus den eingereichten Überweisungsbelegen hervorgeht, lässt den Anspruch nicht entfallen. Sozialhilfeleistungen setzen zwar grundsätzlich einen aktuellen Bedarf voraus. Dies gilt allerdings aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nicht bei einer rechtswidrigen Ablehnung und zwischenzeitlicher Bedarfsdeckung im Wege der Selbsthilfe, wenn der Hilfesuchende fristgerecht einen Rechtsbehelf eingelegt hat und die Leistung erst erstreiten muss (BSG, Urteil vom 29. September 2009, B 8 SO 16/08 R; Urteil vom 22. März 2012, B 8 SO 30/10 R).
Dem Kostenerstattungsanspruch des Klägers steht - entgegen der Ansicht des Beklagten – auch § 2 Abs. 1 SGB XII (sogenannter Nachranggrundsatz) nicht entgegen. Danach erhält Sozialhilfe nicht, wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Sofern die Leistung nicht bereits von anderer Seite erbracht wird, stellt diese Vorschrift keine eigenständige Ausschlussnorm dar. Ihr kommt regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw. konkretisierenden sonstigen Vorschriften des SGB XII Bedeutung zu. Ein Leistungsausschluss ohne Rückgriff auf diese Normen ist allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne weiteres realisierbar sind (BSG, Urteil vom 22. März 2012, B 8 SO 30/10 R – Rn. 25 – zitiert nach juris). Eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers außerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit der Schule ist deshalb in aller Regel zu bejahen, solange und soweit die Schule die entsprechende Hilfe nicht gewährt.
Nach § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 SGB XII sind auf die Leistungen weder Einkommen noch Vermögen des Klägers bzw. seiner Eltern anzurechnen. Nach Satz 1 ist die Aufbringung der Mittel bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung nur für die Kosten des Lebensunterhaltes zuzumuten. Diese waren jedoch nicht Bestandteil der Förderung. Eine Berücksichtigung von vorhandenem Vermögen ist nach Satz 2 der Vorschrift generell nicht vorgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Gegenstand des Rechtsstreits ist die Übernahme der Kosten für eine psychomotorische Förderung im Wege der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).
Der Kläger ist am ... 2000 geboren. Im Jahre 2006 wurde bei ihm ein Tumor am Hirnstamm festgestellt, der am 24. November 2006 im Universitätsklinikum G. operativ entfernt wurde. Er leidet seitdem unter anderem an einer spastischen Hemiparese und ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100.
Im Zeitraum vom 13. Dezember 2006 bis zum 22. August 2007 befand sich der Kläger zur stationären Rehabilitation in der Fachklinik H., Neurologisches Rehabilitationszentrum für Kinder und Jugendliche, in B.
In den Schuljahren 2007/2008 bis 2011/2012 besuchte der Kläger die Grundschule W. und erhielt eine sonderpädagogische Förderung. Darüber hinaus bewilligte der Landkreis S. Leistungen der Eingliederungshilfe nach §§ 53 und 54 SGB XII durch Übernahme der Kosten für einen Integrationshelfer zur Schulbegleitung (Bescheid vom 11. Oktober 2008 für das Schuljahr 2007/2008; Bescheid vom 29. Januar 2009 für das Schuljahr 2008/2009; Bescheid vom 6. Oktober 2009 für das Schuljahr 2009/2010); ab dem Schuljahr 2010/11 in Form eines Persönlichen Budgets (Bescheide vom 24. August 2010 und 5. Juli 2011).
Am 13. August 2007 beantragten die Eltern des Klägers beim Jugendamt des Landkreises S. die Übernahme der Kosten für eine psychomotorische Förderung. Am 14. August 2007 leitete das Jugendamt den Antrag zuständigkeitshalber an das Sozialamt des Landkreises S. weiter.
Am 30. August 2007 reichten die Eltern des Klägers bei der Beigeladenen eine Heilmittelverordnung von Frau Dr. med. N. vom 27. August 2007 für eine psychomotorische Behandlung ein. Mit Bescheid vom 19. September 2007 bewilligte die Beigeladene im Rahmen einer Einzelfallentscheidung ohne Anerkennung einer Rechtspflicht 6 Behandlungen zu einem Kostensatz von jeweils 34,50 Euro. Im September 2007 wurde die Therapie in der heilpädagogischen Praxis N. in T. aufgenommen.
Mit Bescheid vom 18. April 2008 lehnte die Beigeladene die Kostenübernahme für weitere Behandlungen ab, da es sich bei der psychomotorischen Förderung um eine sonderpädagogische Maßnahme handele. Auf den Widerspruch des Klägers hielt die Beigeladene mit Bescheid vom 25. August 2008 an ihrer ablehnenden Entscheidung fest.
Die Eltern des Klägers mahnten mit Schreiben vom 23. April 2008 und vom 17. August 2008 die Bearbeitung des Antrages beim Landkreis S. an und reichten eine Rechnung der heilpädagogischen Praxis N. vom 8. August 2008 über 13 Fördereinheiten im Zeitraum April bis Juli 2008 in Höhe von 448,50 Euro ein.
Mit Bescheid vom 7. Oktober 2008 lehnte der Landkreis S. den Antrag vom 13. August 2007 auf Übernahme der Kosten für eine psychomotorische Förderung als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII ab. Zur Begründung führte er aus, dass neben der sonderpädagogischen Förderung in der Grundschule und der Unterstützung durch einen Integrationshelfer ein weiterer Bedarf für Leistungen der Eingliederungshilfe nicht zu erkennen sei.
Gegen den Ablehnungsbescheid vom 7. Oktober 2008 wurde am 20. Oktober 2008 Widerspruch erhoben, welchen der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. April 2009 als unbegründet zurückwies.
Zur Begründung führte er aus, dass der sozialhilferechtlich relevante Bedarf durch den Integrationshelfer gedeckt sei. Soweit die psychomotorische Förderung dazu beitragen solle, eine drohende seelische Behinderung abzuwenden, wurde auf die Zuständigkeit des Jugendhilfeträgers verwiesen. Da die Eltern des Klägers die Therapiekosten bereits aus eigenen Mitteln getragen hätten, bestehe auch kein Bedarf für Leistungen der Sozialhilfe.
Hiergegen richtet sich die am 15. Mai 2009 erhobene Klage. Der Kläger macht hiermit die Kosten für 13 Fördereinheiten im Zeitraum April bis Juli 2008 in Höhe von 448,50 Euro sowie für weitere 42 Fördereinheiten im Zeitraum von August 2008 bis Februar 2012 in Höhe von 1449 Euro geltend.
Am 13. Dezember 2013 fand in dieser Sache ein Erörterungstermin statt. Gegenstand der Erörterung waren insbesondere Umfang und Inhalt der sonderpädagogischen bzw. psychomotorischen Förderung.
Das Gericht hat anschließend eine Stellungnahme des Landesbildungszentrums T. als Basisförderschule für Körperbehinderte vom 24. Februar 2014 sowie Stellungnahmen der Lehrkräfte, die mit der sonderpädagogischen Förderung des Klägers betraut waren, eingeholt.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers legte mit Schriftsatz vom 21. Januar 2014 eine aktualisierte Aufstellung der Kosten für die psychomotorische Förderung sowie mit Schriftsatz vom 18. Juli 2014 die betreffenden Einzelrechnungen nebst Zahlungsnachweisen vor.
Mit Beschluss vom 22. August 2014 hat das Gericht die BKK E. zum Verfahren beigeladen.
Zur Begründung der Klage wird angeführt, dass die psychomotorische Förderung für die Integration des Klägers angezeigt und notwendig gewesen sei. Diese Einschätzung werde durch den Erfolg der Maßnahme gestützt.
Der Kläger beantragte zuletzt,
den Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, die Kosten der psychomotorischen Förderung des Klägers in Höhe von 1897,50 Euro zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Nach seiner Auffassung waren die sonderpädagogische Förderung und die ergänzend gewährte Eingliederungshilfe durch einen Schulbegleiter insgesamt geeignet, dem Kläger einen erfolgreichen Schulbesuch zu ermöglichen und ihn in den Klassenverband zu integrieren. Zusätzliche Leistungen der Eingliederungshilfe für eine psychomotorische Therapie seien nicht erforderlich gewesen, zumal sich die Förderziele gleichen würden. Außerdem handele es sich vorrangig um eine Leistung der medizinischen Rehabilitation. Hierfür sei die gesetzliche Krankenversicherung zuständig.
Das Gericht hat Beweis erhoben und Frau N., Inhaberin der heilpädagogischen Praxis N., sowie zur sonderpädagogischen Förderung Frau T., Frau G., Frau K. und Frau S. als Zeugen vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 12. Dezember 2014 verwiesen.
Die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Sachvortrages der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 7. Oktober 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. April 2009, mit dem die Übernahme der Kosten für die psychomotorische Förderung des Klägers abgelehnt worden ist. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage, die nach § 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4, § 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft ist.
Der Streitgegenstand beschränkt sich – entgegen der Auffassung des Beklagten - nicht auf den Abrechnungszeitraum April bis Juli 2008, weil sich sowohl der Antrag des Klägers als auch die Ablehnungsentscheidung des Beklagten nicht auf bestimmte Zeiträume oder Rechnungen bezogen (vgl. auch BSG, Urteil vom 23. August 2013, B 8 SO 10/12 R, LSG Nordrhein-Westfalen; Urteil vom 10. Februar 2011, L 9 SO 11/08).
Dem Kläger steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Erstattung der Kosten für die psychomotorische Förderung in Höhe von insgesamt 1895,50 Euro zu.
Der Beklagte ist für die begehrten Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen sachlich und örtlich zuständig (§ 97 Abs. 2 SGB XII in der Fassung vom 27. Dezember 2003 in Verbindung mit § 3 Nr. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe - AG SGB XII - vom 11. Januar 2005; § 98 Abs. 1 Satz 1 SGB XII).
Die Zuständigkeit des Beklagten ergibt sich zudem aus § 14 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX). Der am 13. August 2007 zunächst beim Jugendamt des Landkreises S. gestellte Leistungsantrag wurde am 14. August 2007 und damit fristgerecht an den Sozialhilfeträger weitergeleitet, der im Verhältnis zum Kläger für die Leistungserbringung endgültig zuständig geworden ist. Eine Leistungspflicht der beigeladenen Krankenkasse als Rehabilitationsträger nach § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX kam nicht in Betracht. Aus der vorliegenden Verwaltungsakte der Beigeladenen ergibt sich, dass hier erst am 30. August 2007 unter Vorlage einer ärztlichen Heilmittelverordnung Leistungen beantragt wurden.
Rechtsgrundlage der Kostenerstattung ist § 15 Abs. 1 Satz 4 2. Alt. SGB IX. Danach sind selbstbeschaffte Leistungen zu erstatten, wenn der Rehabilitationsträger eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (vgl. BSG, Urteil vom 22. März 2012, B 8 SO 32/10 R).
Der Kläger hat gemäß § 19 Abs. 3 SGB XII in Verbindung mit §§ 53 Abs. 1, 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII und § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-Verordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Februar 1975 (BGBl. I S. 433), zuletzt geändert durch Artikel 13 des Gesetzes vom 27. Dezember 2003 (BGBl. I S. 3022), einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der psychomotorischen Förderung.
Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII erhalten Personen, die durch eine Behinderung im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) wesentlich in ihrer Fähigkeit, an der Gesellschaft teilzuhaben, eingeschränkt oder von einer solchen wesentlichen Behinderung bedroht sind, Leistungen der Eingliederungshilfe, wenn und solange nach den Besonderheiten des Einzelfalles, insbesondere nach Art oder Schwere der Behinderung, Aussicht besteht, dass die Aufgabe der Eingliederungshilfe erfüllt werden kann. Nach § 53 Abs. 3 SGB XII ist es besondere Aufgabe der Eingliederungshilfe, eine drohende Behinderung zu verhüten oder eine Behinderung oder deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern und die behinderten Menschen in die Gesellschaft einzugliedern (Satz 1). Hierzu gehört insbesondere, den behinderten Menschen die Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen oder zu erleichtern, ihnen die Ausübung eines angemessenen Berufs oder einer sonstigen angemessenen Tätigkeit zu ermöglichen oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege zu machen (Satz 2).
Unstreitig gehört der Kläger mit einem Grad der Behinderung von 100 zu den leistungsberechtigten Personen nach § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII. Dementsprechend sind für den streitgegenständlichen Zeitraum bereits Leistungen der Eingliederungshilfe für einen Integrationshelfer gewährt worden.
Gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII umfassen die Leistungen der Eingliederungshilfe neben den Leistungen nach den §§ 26, 33, 41 und 55 des Neunten Buches Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu. Die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht bleiben unberührt. Die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zur Teilhabe am Arbeitsleben entsprechen jeweils den Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung oder der Bundesagentur für Arbeit (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGB XII).
Nach § 12 Nr. 1 der Eingliederungshilfe-Verordnung umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zu Gunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahmen erforderlich und geeignet sind, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern.
Zur Beurteilung dieser Voraussetzungen ist ein individueller, auf den Einzelfall bezogener Maßstab anzuwenden. Es kommt nur auf die Erforderlichkeit und Geeignetheit im Einzelfall an (BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 19/08 R –, Rn. 22 – zur "Petö-Therapie"; BSG, Urteil vom 23. August 2013, B 8 SO 10/12 R – zur "systemischen Bewegungstherapie"- zitiert nach juris).
Eine Unterscheidung nach pädagogischen oder nicht pädagogischen bzw. begleitenden Maßnahmen ist rechtlich nicht geboten, weil grundsätzlich alle Maßnahmen in Betracht kommen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (BSG, Urteil vom 22. März 2012, B 8 SO 30/10 R, Rn. 21 - zitiert nach juris). So können von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers auch Maßnahmen umfasst werden, die zum Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehören. Ausgeschlossen sind lediglich Maßnahmen, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen sind. Die schulrechtlichen Verpflichtungen stehen grundsätzlich neben den sozialhilferechtlichen, ohne dass sie sich gegenseitig inhaltlich beeinflussen (BSG, a.a.O.).
Leistungen der Eingliederungshilfe grenzen sich nach der Rechtsprechung des BSG von Leistungen der medizinischen Rehabilitation nicht aufgrund der in Betracht kommenden Leistungsgegenstände ab. Entscheidend ist vielmehr der Leistungszweck. Das BSG geht insoweit davon aus, dass sich die Leistungszwecke der medizinischen Rehabilitation nach dem Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) und der sozialen Rehabilitation überschneiden können (BSG, Urteil vom 29. September 2009 – B 8 SO 19/08 R –, Rn. 21; BSG, Urteil vom 19. Mai 2009 – B 8 SO 32/07 R – zitiert nach juris). Hierzu hat das BSG ausgeführt, dass die Zwecke der Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft mit denen der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung nicht identisch sind. Insbesondere verfolgen die Leistungen nach § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII mit der Erleichterung des Schulbesuchs über die Zwecke der gesetzlichen Krankenversicherung hinausgehende Ziele (BSG, Urteil vom 29. September 2009, a.a.O). Damit schließt ein auch oder sogar überwiegend medizinischer Charakter der Maßnahme eine Förderung nach dem SGB XII nicht aus (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Februar 2011, L 9 SO 11/08, Rn. 44 – "Petö-Therapie"). Ausschließlich ein rein medizinischer Leistungszweck stünde Leistungen der Eingliederungshilfe entgegen (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 20. August 2012, L 20 SO 25/09; Rn. 62, 65 – "auditiv-verbale Therapie" zum Erwerb der Hör- und Sprachfähigkeit).
Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 22. März 2012, B 8 SO 30/10 R, Rn. 23 – "Montessori-Therapie") sind zur Beurteilung der Eignung und Erforderlichkeit einer Therapie konkrete Feststellungen dazu erforderlich, wie der Kläger betreut worden ist und wie sich dies im Einzelnen prognostisch auf die individuelle Lernfähigkeit bzw. Verbesserung der Beschulungsfähigkeit (LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Februar 2011, a.a.O.) auswirken sollte.
Das Gericht ist im Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass die psychomotorische Förderung geeignet und erforderlich war, dem Kläger den Besuch der Grundschule W. im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen oder zu erleichtern.
Der Kläger litt nach der Hirnoperation im Jahr 2006 an einer kompletten Lähmung der rechten Körperseite sowie Atem- und Schluckstörungen. Er befand sich im Zeitraum vom 13. Dezember 2006 bis zum 22. August 2007, d.h. bis unmittelbar vor der Einschulung in stationärer Rehabilitation. Nach dem ärztlichen Bericht der Fachklinik H. vom 20. August 2007 bestand zu diesem Zeitpunkt neben einem physiotherapeutischen, ergotherapeutischen und logopädischen Therapiebedarf insbesondere ein Bedarf zur Förderung der sozialen Kompetenzen zur Wiedereingliederung in den familiären und schulischen Alltag, da der Kläger nach schwerer psychosozialer Belastung überdurchschnittlich ängstlich und gehemmt war. Hierzu wurde insbesondere eine psychomotorische Förderung als geeignet empfohlen. Diese Empfehlung wurde durch die Fachklinik H. mit Kurzarztbriefen vom 21. Februar 2008 und 8. Juni 2009, jeweils nach erneuter stationärer Rehabilitation des Klägers, erneuert. Aus medizinischer Sicht wurde eine psychomotorische Behandlung zudem durch Professor Dr. S. vom Universitätsklinikum G., Klinik für Neurochirurgie, mit Schreiben vom 2. Mai 2007 und vom 30. Juli 2009 für zwingend erforderlich gehalten.
Eine entsprechende Empfehlung wurde aus pädagogischer Sicht durch die Zeugin T. bereits im sonderpädagogischen Gutachten vom 19. Februar 2008 sowie in einer späteren fachlichen Stellungnahme vom 16. April 2010 ausgesprochen. Darin wird jeweils ausdrücklich die psychomotorische Therapie - neben der sonderpädagogischen Förderung - als sehr wichtig erachtet. In der öffentlichen Sitzung am 12. Dezember 2014 hat die Zeugin T. nachvollziehbar dargelegt, dass der Kläger zwar vor allen Dingen in Bezug auf seine körperlich-motorische Entwicklung, aber auch auf emotional-sozialer Ebene besonderer Förderung bedurfte, da er als gesund geborenes Kind durch die Operationsfolgen einen schweren Einschnitt zu verkraften hatte. Diese Einschätzung deckt sich mit der schriftlichen Stellungnahme der Zeugin G. vom 30. April 2014, worin ausgeführt wird, dass der Kläger auch emotional unter den Folgen der Operation litt, weshalb sein Selbstbewusstsein zu stärken war, um ihm Unsicherheiten und Ängste im Schulalltag zu nehmen und die Integration in den Klassenverband zu erleichtern.
Das Gericht ist zu der Einschätzung gelangt, dass der Förderbedarf des Klägers allein durch die sonderpädagogische Förderung nicht gedeckt werden konnte, wenngleich hinsichtlich der Förderziele in Teilbereichen erhebliche Überschneidungen mit der psychomotorischen Förderung festzustellen waren.
Schwerpunkte der sonderpädagogischen Förderung sollten nach dem sonderpädagogischen Gutachten der Zeugin T. vom 19. Februar 2008
- Hilfe beim Umgang mit der eigenen Krankheit,
- Weiterentwicklung der Feinmotorik,
- visuelle Differenzierungsübungen,
- Konzentrationsschulung,
- Übungen zur Körperwahrnehmung und das
- Schaffen von Erfolgserlebnissen sein.
Die psychomotorische Einzelförderung des Klägers zielte zwar ebenfalls auf eine Steigerung der motorischen Fähigkeiten und der Körperwahrnehmung. Hierbei verfolgte sie jedoch einerseits ein wesentlich differenzierteres Konzept, welches nach Darstellung der Heilpädagogischen Praxis N. im Schreiben vom 4. April 2013 insbesondere
- die Förderung motorischer und sensomotorischer Fähigkeiten der Extremitäten, insbesondere der Handgeschicklichkeit rechts,
- die Steigerung der taktilen Wahrnehmung (Objekt-Grund-Differenzierung, Konstanz-, Festigkeits- und Gewichtsempfinden),
- die Steigerung kinästhetischer Wahrnehmung (Muskelspannung, Gelenkstellung, Körperraumlage, Kraft-und Spannungsregulation) sowie
- die Stärkung der Muskeltonuskontrolle (An- und Entspannen, Spannungsdifferenzierung)
beinhaltete.
Andererseits war es darüber hinaus ihr vorrangiges Ziel, über Bewegungserlebnisse zur Stabilisierung der Persönlichkeit beizutragen, das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und damit die Handlungskompetenz und Kommunikationsfähigkeit zu fördern.
Die psychomotorische Therapie beruht auf einem Bewegungskonzept. Der Begriff Psychomotorik beschreibt die enge Verknüpfung zwischen körperlich-motorischen und psychischen Vorgängen des Menschen. Er steht für ein ganzheitliches und entwicklungsorientiertes Konzept, das Wahrnehmung und Bewegung gleichermaßen fördert. Die Konzepte der Psychomotorik betonen das Zusammenspiel des psychischen Erlebens des Menschen bzw. seiner psychisch-seelisch-emotionalen Entwicklung und der Entwicklung von Motorik und Wahrnehmung. Dabei werden die Einflüsse der sozialen und materiellen Umwelt auf das Gefüge von Psyche und Motorik berücksichtigt. Sie findet sich auch, mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung, unter den Begriffen Bewegungspädagogik, Bewegungstherapie, Motopädagogik, Motopädie, Mototherapie, psychomotorische Therapie etc. wieder. Die Psychomotorik hat sowohl ein pädagogisches als auch ein therapeutisches Konzept.
Die Zeugin N. hat anschaulich beschrieben, dass die Förderstunden zunächst dazu dienten, das Vertrauen des Klägers zu gewinnen. Es wurden unter anderem Massagen, Spielanwendungen und Bewegungsspiele durchgeführt, womit der Kläger zur Körperwahrnehmung animiert werden sollte. Zu Beginn der Therapie war es vorrangig, dass der Kläger seine körperlichen Beeinträchtigungen annimmt. Mit dem Schuleintritt fanden die Therapiestunden regelmäßig in der Schule parallel zum Sportunterricht, später auch parallel zur Hortbetreuung statt. Sie dienten auch als Ausgleich für Bewegungsübungen, die sonst im Sportunterricht durchgeführt werden. Nachdem der Kläger Vertrauen gefasst hatte, versuchte die Zeugin in einem nächsten Schritt, unter anderem mit Hilfe eines Bewegungsparcours und Ballspielen, die Wahrnehmung und Orientierung zu fördern, Erfolgserlebnisse zu schaffen und die Motivation zu stärken. Insgesamt stand der Gedanke dahinter, ein positives Selbstkonzept mit dem Kläger zu entwickeln. Regelmäßig wurden in die psychomotorische Förderung auch andere, nicht behinderte Mitschüler einbezogen, was die Integration in den Klassenverband unterstützt.
Das Gericht hat hieraus die Überzeugung gewonnen, dass die psychomotorische Förderung auf eine Verbesserung der Beschulungsfähigkeit gerichtet war. Diese Einschätzung wird durch die Angaben der Förderschullehrer, insbesondere der Zeuginnen T., G. und S. gestützt.
Die Zeugin T. hat plausibel dargelegt, dass die psychomotorische Förderung einen erheblichen und eigenständigen Beitrag zur Verbesserung der Schulfähigkeit des Klägers leistet, in dem sie vor allem auf die Wahrnehmung und die Akzeptanz des eigenen Körpers abzielt. Besonderen Wert erhält diese Einschätzung dadurch, dass sich die Zeugin persönlich Therapiestunden angesehen und mit der Therapeutin gesprochen hat. Zutreffend hat die Zeugin darauf aufmerksam gemacht, dass die Eingliederung des Klägers durch Operationen und Zeiten der der stationären Rehabilitation häufig unterbrochen wurde. Gerade diese Erschwernisse konnten mit ergänzender Hilfe der psychomotorischen Förderung kompensiert und überwunden werden. Darüber hinaus wies die Zeugin nachvollziehbar darauf hin, dass mit einem Therapeuten oft ein anderes, vertrauensvolleres Verhältnis möglich ist, als mit einem Förderlehrer. Sie hat schließlich eingeräumt, dass der Inhalt der psychomotorischen Förderung durch die Sonderpädagogen im Rahmen des Gemeinschaftsunterrichts nicht geleistet werden konnte.
Die Zeugin G. maß der psychomotorischen Förderung ebenfalls eine große Bedeutung zu und hob hervor, dass der Kläger durch sein plötzlich eingetretenes Handicap auch erhebliche psychische Probleme hatte. Es sei gerade deshalb notwendig gewesen, sein Selbstbewusstsein zu entwickeln, ihm eine neue Orientierung zu geben und bei der Selbstfindung zu helfen. Die Stärkung des Selbstbewusstseins trage in erheblichem Maße zur Integration bzw. Einbindung in den Klassenverband und damit zur Lernentwicklung des Kindes bei. Die Tätigkeit der Sonderpädagogen beschränke sich dem gegenüber vorrangig auf den Unterricht.
Dem ist hinzuzufügen, dass im Ergebnis der Beweisaufnahme fraglich ist, wie die hinsichtlich der motorischen Fähigkeiten anspruchsvollen Zielvorgaben der sonderpädagogischen Förderung im Rahmen des Gemeinschaftsunterrichts hätten umgesetzt werden können. Das Gericht hat vielmehr den Eindruck gewonnen, dass sich die sonderpädagogische Förderung darauf konzentrierte, die Vermittlung des Unterrichtsstoffes zu erleichtern. Hierbei standen die personellen und sachlichen Voraussetzungen sowie die Unterstützung des Unterrichts durch Hilfestellungen und Beratung der unterrichtenden Lehrer im Mittelpunkt. Diese Einschätzung beruht vor allem auf der schriftlichen Stellungnahme der Zeugin T. vom 29. April 2014 sowie ihrer Aussage im Termin. Im Vergleich zum sonderpädagogischen Gutachten der Zeugin vom 19. Februar 2008 fällt auf, dass sich der Schwerpunkt der sonderpädagogischen Förderung in der praktischen Umsetzung insoweit verlagert hat. Die Angaben der Zeugin S. bestätigen das.
Bei der gerichtlichen Überprüfung der vorzunehmenden prognostischen Beurteilung kann auch der spätere Geschehensablauf nicht unberücksichtigt bleiben (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. Juli 2013, L 7 SO 2915/12 ZVW).
Aus der schriftlichen Stellungnahme des Landesbildungszentrums T. vom 24. Februar 2014 und den mündlichen Ergänzungen vom 13. März 2014 geht hervor, dass die psychomotorische Förderung erheblichen Anteil am schulischen Erfolg des Klägers hatte.
Die Zeugin N. hat bezüglich der Auswirkungen auf die Lernfähigkeit bzw. die schulischen Fähigkeiten des Klägers hervorgehoben, dass er als Schüler an einer Regelschule akzeptiert und angenommen wurde. Darüber hinaus hat sich durch die motorischen Übungen auch eine Stärkung der Bewegungsfähigkeit ergeben, die sich ebenfalls positiv auf die schulischen Fähigkeiten ausgewirkt haben dürfte.
Die Zeuginnen T., G. und S. haben rückblickend übereinstimmend eingeschätzt, dass die psychomotorische Förderung in erheblichem Maße zur Einbindung in den Klassenverband und damit zur Lernentwicklung beigetragen hat. Die Zeuginnen stimmen auch darin überein, dass erst das Zusammenspiel der verschiedenen Therapieformen den schulischen Erfolg des Klägers sicherte. Zu ergänzen ist aus Sicht der Kammer, dass dem Kläger schließlich sogar der Wechsel auf das Gymnasium gelungen ist, welches er noch immer besucht.
Das Gericht hält den Beitrag der psychomotorischen Förderung daher für unverzichtbar. Sie hat den Charakter einer unterstützenden Hilfe im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII.
Das Gericht geht außerdem davon aus, dass die Therapiestunden anforderungs- und bedarfsgerecht durchgeführt wurden. Nach den überzeugenden Darlegungen der Zeugin N. richteten sich die Gestaltung und die Frequenz der Fördereinheiten nach den individuellen Bedürfnissen des Klägers unter Berücksichtigung der Zeiträume, in denen stationäre Krankenhausaufenthalte stattfanden. Entscheidend war jeweils der aktuelle psychische Zustand des Klägers, in dem es immer wieder unterschiedliche Phasen gegeben hat.
Im Ergebnis hat der Beklagte Leistungen der Eingliederungshilfe für die psychomotorische Förderung zu Unrecht abgelehnt. Der Kostenerstattungsanspruch des Klägers umfasst die ihm bzw. seinen Eltern durch die heilpädagogische Praxis N. in Rechnung gestellte Vergütung für insgesamt 55 Fördereinheiten zu einem Vergütungssatz von 34,50 Euro, d.h. insgesamt von 1897,50 Euro.
Dass die Eltern des Klägers diese Kosten bereits getragen haben, wie aus den eingereichten Überweisungsbelegen hervorgeht, lässt den Anspruch nicht entfallen. Sozialhilfeleistungen setzen zwar grundsätzlich einen aktuellen Bedarf voraus. Dies gilt allerdings aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes nicht bei einer rechtswidrigen Ablehnung und zwischenzeitlicher Bedarfsdeckung im Wege der Selbsthilfe, wenn der Hilfesuchende fristgerecht einen Rechtsbehelf eingelegt hat und die Leistung erst erstreiten muss (BSG, Urteil vom 29. September 2009, B 8 SO 16/08 R; Urteil vom 22. März 2012, B 8 SO 30/10 R).
Dem Kostenerstattungsanspruch des Klägers steht - entgegen der Ansicht des Beklagten – auch § 2 Abs. 1 SGB XII (sogenannter Nachranggrundsatz) nicht entgegen. Danach erhält Sozialhilfe nicht, wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Sofern die Leistung nicht bereits von anderer Seite erbracht wird, stellt diese Vorschrift keine eigenständige Ausschlussnorm dar. Ihr kommt regelmäßig nur im Zusammenhang mit ergänzenden bzw. konkretisierenden sonstigen Vorschriften des SGB XII Bedeutung zu. Ein Leistungsausschluss ohne Rückgriff auf diese Normen ist allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar, etwa wenn sich der Bedürftige generell eigenen Bemühungen verschließt und Ansprüche ohne weiteres realisierbar sind (BSG, Urteil vom 22. März 2012, B 8 SO 30/10 R – Rn. 25 – zitiert nach juris). Eine Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers außerhalb des Kernbereichs der pädagogischen Arbeit der Schule ist deshalb in aller Regel zu bejahen, solange und soweit die Schule die entsprechende Hilfe nicht gewährt.
Nach § 92 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 SGB XII sind auf die Leistungen weder Einkommen noch Vermögen des Klägers bzw. seiner Eltern anzurechnen. Nach Satz 1 ist die Aufbringung der Mittel bei der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung nur für die Kosten des Lebensunterhaltes zuzumuten. Diese waren jedoch nicht Bestandteil der Förderung. Eine Berücksichtigung von vorhandenem Vermögen ist nach Satz 2 der Vorschrift generell nicht vorgesehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
SAN
Saved