S 17 AS 8239/11

Land
Freistaat Thüringen
Sozialgericht
SG Altenburg (FST)
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
17
1. Instanz
SG Altenburg (FST)
Aktenzeichen
S 17 AS 8239/11
Datum
2. Instanz
Thüringer LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Bescheide der Beklagten vom 24.11.2011 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 27.12.2011 werden aufgehoben. 2. Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 07.02.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2011 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die dem Kläger für den Monat Januar 2011 nach dem SGB II zu gewährenden Leistungen in gesetzlicher Höhe unter Berücksichtigung der Einkommensbereinigung für Erwerbstätige hinsichtlich des bezogenen Wehrsol-des gem. § 11 Abs. 2 SGB II festzusetzen. 3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. 4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger, ein Ehepaar, bezogen u.a. im Jahr 2011 Leistungen nach dem SGB II. Soweit aus der Leistungsakte ersichtlich, ergingen hierzu u.a. folgende Bescheide der Beklagten:

(BB = Bewilligungsbescheid, vorl = vorläufig, ÄB = Änderungsbescheid Bl = Blatt, AufB=Aufhebungsbescheid, AEB = Aufhebungs- und Erstattungsbescheid, FestErst = Fest-setzungs- und Erstattungsbescheid, Kl = Kläger/in, JB = , MB =.)

Der Kläger nahm als Hauptfeldwebel der Reserve regelmäßig an Wehrübungen teil und erhielt hierfür sowohl Wehrsold als auch Leistungen nach dem Unterhaltsicherungsgesetz. Gegenstand der Klage S 17 AS 8239/11 ist der an den Kläger gerichtete Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 07.07.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2011 (Az. W 931/11), mit dem unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 26.03.2011 von dem Kläger für den Monat Januar 2011 Leistungen in Höhe von 153,55 EUR zurückgefordert wurden. Gegenstand der Klage S 17 AS 280/12 ist der an den Kläger gerichtete Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 24.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.12.2011 (Az. W 1487/11), mit dem unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 06.09.2011 von dem Kläger für die Monate Oktober und November Leistungen in Höhe von 418,19 EUR zurückgefordert wurden. Gegenstand der Klage S 17 AS 279/12 ist der an die Klägerin gerichtete Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 24.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.12.2011 (Az. W 1488/11), mit dem unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 06.09.2011 von der Klägerin für die Monate Oktober und November Leistungen in Höhe von 303,99 EUR zurückgefordert wurden. Gegenstand der Klage S 17 AS 278/12 ist der an die Klägerin gerichtete Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 01.11.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.12.2011 (Az. W 1425/11), mit dem unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 29.08.2011 von dem Kläger für den Monat September 2011 Leistungen in Höhe von 164,97 EUR zurückgefordert wurden. Gegenstand der Klage S 17 AS 281/12 ist der an den Kläger gerichtete Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 01.11.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.12.2011 (Az. W 1424/11), mit dem unter teilweiser Aufhebung des Bescheides vom 29.08.2011 von dem Kläger für den Monat September 2011 Leistungen in Höhe von 164,98 EUR zurückgefordert wurden.

Am 18.01.2011 erhielt der Kläger auf sein Girokonto Wehrsoldleistungen für eine Teilnahme an einer Wehrübung im Januar bis Anfang Februar in Höhe von 371,02 EUR. Er ist der Auffassung, dass die Beklagte, in den angegriffenen Bescheiden zu Unrecht keine Erwerbstätigenfreibeträge gemäß § 11 b Abs. SGB II berücksichtigt habe.

Die Verfahren S 17 AS 8239/11, S 17 AS 278/12, S 17 AS 281/12, S 17 AS 280/12 und S 17 AS 279/12 wurden in der mündlichen Verhandlung am 04.12.2014 miteinander verbunden, wobei das Verfahren S 17 AS 8239/11 zum führenden bestimmt wurde.

Die Kläger beantragen, die Bescheide der Beklagten vom 07.07.2011, 01.11.2011 und 24. 11. 2011 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 29. 11. und 27. 12. 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die den Klägern zustehenden Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe für Januar 2011 unter Berücksichtigung der Einkommensbereinigung für Erwerbstätige hinsichtlich des bezogenen Wehrsoldes gem. § 11 Abs. 2 SGB II festzusetzen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, die Klage sei unbegründet. Die für Erwerbstätige geltende Bereinigung von Einkommen sei auf den Bezug von Wehrsold und Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsicherungsgesetz nicht anwendbar. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die der Kammer bei der Beratung und Entscheidung vorlagen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Die angegriffenen Bescheide sind z.T. rechtswidrig und verletzen die Kläger ihren Rechten.

Die Bescheide vom 24.11.2011, mit denen Aufhebung und Erstattung für die Monate Oktober und November 2011 ausgesprochen wurden sind rechtswidrig und deshalb aufzuheben, weil hier der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid an einem nicht existenten Bescheid festgemacht wurden, in dem Verfügungssatz also nicht der maßgebliche Bewilligungsbescheid erfasst wurde. Der Bescheid vom 06.09.2011, auf den die angegriffenen Bescheide Bezug nehmen, existiert nicht. Grundlage für die Leistungsgewährung war vielmehr der Bewilligungsbescheid vom 29.08.2011, der von der Beklagten nachgereicht wurde. Dieser betraf den Leistungszeitraum September 2011 bis Januar 2012. Erstattungsbescheide sind nach § 50 SGB X rechtswidrig, wenn zwar die ursprünglichen Bewilligungsbescheide aufgehoben wurden, aber Änderungsbescheide mit einer neuen Leistungsbewilligung in den betreffenden laufenden Bewilligungszeiträumen - mangels Nennung im Aufhebungsbescheid - nicht aufgehoben wurden (BSG, Urteil vom 29. November 2012 – B 14 AS 196/11 R –, SozR 4-1300 § 33 Nr 2, SozR 4-1300 § 45 Nr 11, SozR 4-1300 § 48 Nr. 25 zitiert nach juris.) Analoges gilt für die Inbezugnahme eines nichtexistenten Bescheides.

Aufgrund der Komplexität der Bescheidlage handelte es ich auch nicht um ein offenkundiges Versehen, denn am 06.09.2011 ergingen drei weitere Bescheide, die allerdings einen anderen Leistungszeitraum betrafen.

Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid der Beklagten vom 07.02.2011 bezüglich des Monats Januar 2011 ist ebenfalls rechtswidrig, da hierin hinsichtlich des zugeflossenen Wehsoldes keine Einkommensbereinigung nach § 11 b Abs. 3 SGB II vorgenommen wurde. Diese Norm als auch die seinerzeit geltende AlGII VO regeln nicht explizit, welche Vergütungen für welche Tätigkeiten als Einkommen aus Erwerbstätigkeit anzusehen sind. Insbesondere wird keine ausdrückliche Regelung im Hinblick auf die Behandlung von Wehrsold getroffen. Das SG Lübeck hat insoweit die Ansicht vertreten, dass es sich bei dem Sold für eine staatlich auferlegte Dienstpflicht nicht um eine Erwerbstätigkeit handelt und insoweit ausgeführt: "Bei dem von dem Antragsteller geleisteten Zivildienst handelt es sich nicht um eine Er-werbstätigkeit. Bei dem Zivildienst handelt es sich nicht um eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit, sondern um eine staatlich auferlegte Dienstpflicht nach Art. 12a Abs. 1 Grundgesetz (GG). Demgemäß erhält der Zivildienstleistende auch kein Arbeitsentgelt, sondern einen Sold nebst weiteren zweckbestimmten Bezügen. Es kommt auch keine analoge Anwendung der Freibetragsregelung auf den Sold in Betracht. Ziel der Freibetragsregelung ist es, dem Hilfe-bedürftigen einen finanziellen Anreiz für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu schaffen (Klaus in juris-PK SGB II, 2. Aufl. 2007, § 30 Rn. 12). Ein derartiges Ziel kann für den Zivildienst als staatlich auferlegte Dienstpflicht nach Art. 12a Abs. 1 Grundgesetz (GG) nicht angenommen werden." (SG Lübeck, Beschluss vom 29. Februar 2008 – S 28 AS 261/08 ER –, Rn. 26, juris). Dem folgt die Kammer, jedenfalls in Bezug auf die Bezüge aus Wehrsold nicht. Für eine Auslegung, dass Bezüge aus öffentlich- rechtlichen Dienstverpflichtungen nicht unter den Begriff des Erwerbseinkommens fallen, findet sich im SGB II und der ALG-II-VO keine Stütze. Unstreitig dürfte sein, dass z.B. die Beamtenbesoldung im Rahmen des SGB II als Erwerbseinkommen zu behandeln sein dürfte. (Auch in diesem Bereich ist gerade in den unteren Besoldungsgruppen bei einer großen Familie der Bezug von ergänzenden SGB II Leistungen nicht ausgeschlossen). Gleiches muss daher auch für den Wehrsold eines Berufssoldaten gelten. Allein der Begriff des Berufssoldaten belegt, dass es sich bei der Dienstleistung als Soldat um einen Beruf, also auch um eine auf eigener Arbeitsleistung beruhende und auf Erwerb und Existenzsicherung abzielende Tätigkeit handelt (im Gegensatz z.B. zu ehrenamtlichen Tätigkeiten.) Warum hinsichtlich der von einem ehemaligen Berufssoldaten geleisteten Wehrübung andere Grundsätze gelten sollen, ist nicht ersichtlich. Eine ausdrückliche rechtliche Regelung, die eine Differenzierung danach vorschreibt, ob die Dienstverpflichtung auf einer freiwilligen Verpflichtung beruht, existiert im SGB II nicht. Tatsächlich ist durch den Kläger auch nachvollziehbar vorgetragen, dass nach der seinerzeitigen Praxis, die Ableistung von Wehrübungen in der Regel nur bei der entsprechenden freiwilligen Bereitschaft erfolgte. Etwas anderes gilt nach Auffassung der Kammer hinsichtlich der Leistungen nach dem Un-terhaltssicherungsgesetz (USG), soweit diese sich auf eine Mindestsicherung gemäߧ 13c USG beschränken. Nach § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB I sind Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach diesem Buch im Einzelfall demselben Zweck dienen würden. Dies ist hier der Fall, denn dabei handelt es sich um Leistungen, die eine soziale Mindestsicherung des Dienstpflichtigen und seiner Angehörigen bezwecken. Sie stellen somit gerade kein Entgelt für die Dienstleistung selbst dar.

Da die zugrunde liegenden Festsetzungen in dem Änderungsbescheid vom 07.07.2011 rechtswidrig sind, ist der Erstattungsbescheide ebenfalls rechtswidrig und deshalb antragsgemäß aufzuheben. Hierdurch leben die ursprünglichen vorläufigen Bewilligungen wieder auf. Der Beklagten obliegt es dabei nunmehr, die Leistungen endgültig festzusetzen.

Die Aufhebungs- und Erstattungsbescheide vom 01.11.2011 leiden zwar ebenfalls unter den oben genannten Mängeln im Hinblick auf die Berechnung der Einkünfte aus Wehrsold. Sie verletzen die Kläger aber nicht in ihren Rechten, weil nach diesen Grundsätzen die Kläger schon überzahlt waren. Aus Blatt 780 und 768 der beigezogenen Verwaltungsakte ergibt, dass hier sowohl Wehrsold als auch die Leistung nach dem Unterhaltssicherungsgesetz im Monat September zugegangen sind. Dem steht entsprechend dem Bewilligungsbescheid vom 29.08.2011, ein Bedarf von 1.087,00 EUR der Bedarfsgemeinschaft gegenüber.

Die Überzahlung folgt daraus, dass nach Auffassung der Kammer Leistungen nach dem Un-terhaltssicherungsgesetz, die zeitnah in dem entsprechenden Monat an die Kläger bzw. den Kläger ausgekehrt wurden, auch allein auf diesen Monat hätten angerechnet werden müssen und nicht (wie von der Beklagten vorgenommen) auf 6 Monate aufgeteilt. Der Schutzzweck der ALG II Verordnung, nämlich einen durchgehenden Leistungsbezug zur Sicherung der Krankenversicherung zu gewährleisten, ist vor dem Hintergrund der wehrrechtlichen Best-immungen nicht einschlägig. Die wehrrechtlichen Bestimmungen haben auch offensichtlich den Zweck, eine umfassende soziale Absicherung der Wehrpflichtigen bzw. zur Wehrübung Herangezogenen in den jeweiligen Monaten sicherzustellen. Diese gesetzgeberische Zweck-richtung würde konterkariert, wenn man eine entsprechende Aufteilung dieser Leistungen vornähme. Im Hinblick auf die grundlegende Bedeutung der Frage der Bewertung von Wehrsold und Unterhaltssicherungsleistungen bei Wehrübungen hat sich die Kammer entschlossen, die Be-rufung zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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